Bundestag beschließt drastische Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschlossene Änderung des Volksverhetzungs-Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches ist ein beispielloser Angriff auf die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Angesichts der rasanten Rückkehr des deutschen Militarismus soll jeder Zweifel an der ohrenbetäubenden Kriegspropaganda und jede Opposition gegen die Kriegspolitik unter Strafe gestellt werden.

Konkret wird Paragraph 130 durch einen Absatz ergänzt, wonach es mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann, wenn man „öffentlich oder in einer Versammlung“ Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen „billigt, leugnet oder gröblich verharmlost“. Offiziell wird damit ein EU-Beschluss von 2008 zur Bekämpfung von Rassismus umgesetzt werden, daher muss die Äußerung „geeignet“ sein, zu „Hass oder Gewalt“ gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit dazu „aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören“.

Die mit den Stimmen von SPD, FDP, Grünen und CDU/CSU beschlossene Gesetzesänderung wurde bewusst so formuliert, dass weder eine zeitliche und örtliche Begrenzung der genannten Verbrechen noch diese „gerichtlich endgültig festgestellt sein“ müssen. Eine solche Begrenzung hatte der EU-Rahmenbeschluss ermöglicht, Ampelkoalition und Union haben sie aber bewusst nicht genutzt, wie die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum Gesetz ausdrücklich erklärt. Auch wenn die Äußerung in einer nicht-öffentlichen Versammlung fällt, kann sie verfolgt werden.

Das heißt, es kommt nicht darauf an, wann oder wo auf der Welt Kriegsverbrechen oder Völkermord stattgefunden haben, ob sie Bezug zu Deutschland haben oder nicht. Da sie auch nicht endgültig gerichtlich festgestellt sein müssen, kann auch der Zweifel an einer Propagandabehauptung genügen. Für zutreffend erklären müssen sie deutsche Polizisten, Staatsanwälte und Richter.

Dabei lässt die Regelung durch unbestimmte Rechtsbegriffe der deutschen Justiz einen praktisch beliebig weiten Spielraum, wann sie Äußerungen verfolgt und wann nicht, wann ein „Verharmlosen“ vorliegt und wann dieses „gröblich“ ist, und wann eine Äußerung „geeignet“ ist, den „öffentlichen Frieden zu stören“ (eine tatsächliche Störung ist nicht erforderlich).

Trotz allem Leugnen aus dem Justizministerium, das auf ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland aus dem letzten Jahr wegen nicht erfolgter Umsetzung des EU-Beschlusses von 2008 verweist, ist der Anlass für die Gesetzesverschärfung offensichtlich der Ukraine-Krieg. Sie wurde buchstäblich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschlossen, eine größere öffentliche Diskussion sollte offenbar vermieden werden, wie die Süddeutsche Zeitung anschaulich beschrieb:

Eine größere Ankündigung hatte es nicht gegeben, stattdessen hatte das Justizministerium von Marco Buschmann (FDP) eine zunächst nicht öffentliche „Formulierungshilfe“ an den Rechtsausschuss gegeben. Der Ausschuss hatte den Text dann am Mittwoch an ein unscheinbares Reformgesetz zum Bundeszentralregister angehängt. So konnte es schnell gehen: Am Donnerstagabend kurz vor 23 Uhr stimmten die Ampelfraktionen im Bundestag gemeinsam mit der Union bereits final zu.

Nun muss nur noch am 25. November der Bundesrat zustimmen, nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt soll es dann bereits in Kraft treten.

Grund für die Eile und die Heimlichkeit, mit der dieses Gesetz durchgepeitscht wird, ist die Angst und Verärgerung der herrschenden Klasse darüber, dass der Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine gegen Russland trotz unablässiger Propaganda von breiten Schichten der Bevölkerung abgelehnt wird. Sie werden nicht vom Willen zum Endsieg über Russland umgetrieben, sondern von der Sorge um steigende Lebenshaltungskosten und der Angst vor einem Krieg. Die Antwort darauf ist, die Ablehnung von Gräuelpropaganda gegen Russland unter Strafe zu stellen.

Die Bedeutung des Gesetzes geht aber weit über den Ukrainekrieg hinaus. In den meisten Kriegen und Bürgerkriegen auf der Welt spielen Behauptungen über Kriegsverbrechen und Völkermord eine zentrale politische Rolle. Manchmal sind sie zutreffend, aber nur ein Vorwand, oft stellen sie sich als Lüge heraus.

So wurden zur Stimmungsmache zwecks Rechtfertigung des Krieges gegen den Irak reale vergange Verbrechen des irakischen Hussein-Regimes, wie Giftgasangriffe gegen Kurden während des Krieges gegen den Iran, hervorgeholt, aber auch Gräuelmärchen erfunden, wie dass irakische Soldaten kuwaitische Babies aus Brutkästen gerissen hätten. Dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien ging Propaganda über einen angeblichen „Hufeisenplan“ des jugoslawischen Präsidenten Milosevic voraus, der angeblich einen Völkermord gegen die Kosovo-Albaner plante. Ähnliche Stimmungsmache gab es zur Rechtfertigung des Krieges gegen Libyen zum Sturz und Ermordung des libyischen Staatschefs Gaddafi. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

Künftig kann jeder, der die Kriegspropaganda der herrschenden Klasse in Frage stellt, strafrechtlich verfolgt werden. Hass und Leugnung von Kriegsverbrechen gegen Deutschlands Feinde werden dagegen auch weiterhin nicht verfolgt werden. Kein Staatsanwalt wird ukrainische Nationalisten für die Glorifizierung von Nazis wie dem Regiment Asow oder dem Faschisten Stepan Bandera und Hetze gegen „russische Orks“ verfolgen.

Die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsgegnern hat in Deutschland eine lange Tradition. Schon August Bebel und Wilhelm Liebknecht wurden wegen ihrer Kritik am deutsch-französischen Krieg zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden wegen ihrer Gegnerschaft zum Ersten Weltkrieg ins Zuchthaus gesperrt. Die Nazis sperrten schließlich hunderttausende Kommunisten und Sozialdemokraten in die Konzentrationslager, um den Zweiten Weltkrieg führen zu können.

Ausgerechnet im Namen des Kampfs gegen „Volksverhetzung“ knüpft die herrschende Klasse an diese Tradition an. Das Gesetz ist Teil umfassender Angriffe auf die demokratischen Grundrechte, die darauf abzielen, die weit verbreitete Opposition gegen Krieg und soziale Verwüstung zu unterdrücken.

So haben die Behörden Berlins alle palästinensischen Demonstrationen zum „Nakba-Tag“ in der Hauptstadt untersagt. In weiten Teilen Berlins war es in diesem Jahr verboten, am Tag der Befreiung, dem 9. Mai, an sowjetischen Ehrenmalen und Gedenkorten mit sowjetischen Fahnen an die Befreiung vom Faschismus durch die Sowjetunion zu erinnern. Das Verwaltungsgericht Berlin hat es im März dieses Jahres in einem Beschluss gegen die linke Tageszeitung junge Welt gerechtfertigt, dass Publikationen vom Geheimdienst bespitzelt, schikaniert und diskriminiert werden dürfen, wenn sie gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft eintreten.

Zuvor war schon die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) unter geheimdienstliche Beobachtung gestellt und als verfassungsfeindlich in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen worden. Als sie dagegen rechtlich vorging, rechtfertigte die Bundesregierung ihr Vorgehen gegen die Partei mit der Begründung, dass sich diese gegen Nationalismus und Militarismus positioniere und für eine egalitäre, demokratische und sozialistische Gesellschaft streite.

Nachdem sich zwei Gerichte dieser skandalösen Wiederbelebung der Gesinnungsjustiz der Nazis anschlossen, legte die SGP Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Mit der damit verbundenen Kampagne verteidigt sie nicht nur ihre demokratischen Rechte, sondern stellt sich auch an die Spitze des Kampfes gegen die wachsenden autoritären Tendenzen, die zuletzt im neuen Paragraphen 130 Ausdruck finden. Wir rufen daher alle Leser auf, unsere Petition auf Chance.org zu unterzeichnen und noch heute aktiver Unterstützer der SGP zu werden.

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