Bundestag erklärt Hungersnot in der Ukraine zum „Völkermord“: Geschichtsfälschung im Dienst von Kriegspropaganda

Am Mittwoch hat der Deutsche Bundestag ohne Gegenstimme einem gemeinsamen Antrag der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP sowie der CDU/CSU-Opposition zugestimmt, der die Hungersnot in der Ukraine in den Jahren 1932-1933 als „Völkermord“ und so genannten „Holodomor“ anerkennt. Die AfD und Die Linke enthielten sich.

Der Vorstoß kam nur wenige Wochen nach der Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen 130 durch den Bundestag. Demnach drohen nun jedem, der „öffentlich oder in einer Versammlung“ Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen „billigt, leugnet oder gröblich verharmlost“, bis zu drei Jahren Gefängnishaft.

Mit anderen Worten: Jedem, der bestreitet, dass die Hungersnot in der Ukraine ein Völkermord war, droht nun Gefängnishaft. Zusammengenommen sind die beiden Beschlüsse nicht nur ein beispielloser Angriff auf demokratische Grundrechte, sondern auch auf die Geschichtswissenschaft. Sie legitimieren die historischen Lügen der extremen Rechten.

Die Hungersnot von 1932-1933: Der Stand der Geschichtsforschung

Die bedeutsamsten Historiker der Hungersnot der letzten Jahrzehnte sind nach dem Auswerten von tausenden Dokumenten und Statistiken zum Schluss gekommen, dass die Hungersnot in der Ukraine in den Jahren 1932-1933 kein Völkermord war.

Opfer der Hungersnot in Charkow im Jahr 1933

Laut den Vereinten Nationen muss für das Vorliegen eines Völkermords eine der folgenden Handlungen vorliegen, „begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“:

a) das Töten eines Angehörigen der Gruppe

b) das Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen der Gruppe

c) die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen

d) die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung

e) die zwangsweise Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“

Keine dieser Tatbestände liegt bei der Hungersnot in der Ukraine 1932-1933 vor. Historiker haben dies insbesondere seit der Öffnung der ehemals verschlossenen sowjetischen Archive nach der Zerschlagung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie nachgewiesen.

Erstens wurde seit 1991 trotz der Veröffentlichung von tausenden Seiten sowjetischer Dokumente zur Hungersnot kein einziges gefunden, das die Absicht durch Hunger zu töten – die Grundbedingung für die Bezeichnung als Völkermord – in Bezug auf die ukrainische oder irgendeinen anderen Teil der sowjetischen Bevölkerung belegen würde. Solche Dokumente gibt es hingegen in Massen in Bezug auf den stalinistischen Terror.

Zweitens war die Hungersnot kein Phänomen, das auf die Ukraine beschränkt war. Mit mindestens 3,5 von etwa 7 Millionen Todesopfern war die Sowjetukraine (deren Grenzen in etwa der heutigen Ostukraine entsprechen) in absoluten Zahlen zwar schwerer von der Hungersnot betroffen als jede andere Region der Sowjetunion. Proportional gesehen war die Opferzahl in der kasachischen Bevölkerung, von der zwischen 1 und 1,5 Million starben, aber noch höher als in der Ukraine.

In jedem Fall war die Hungersnot ein Phänomen, das sich über die gesamte Sowjetunion erstreckte. Sie betraf zahlreiche ethnische Gruppen der sowjetischen Bevölkerung und führte sowohl in der ländlichen als auch in der städtischen Bevölkerung zu Massensterben, auch wenn die ländliche Bevölkerung zweifellos stärker betroffen war.

Die Historiker Stephen Wheatcroft and Robert W. Davies, zwei der besten Kenner der Materie, kamen nach der Auswertung von sowjetweiten Statistiken zu Todesraten und Mangelernährung in den Jahren 1932-1933 zum Schluss:

Die untere und zentrale Wolga-Region, eingeschlossen der deutschen ASSR, sowie die baschkirische ASSR östlich dieser Regionen, waren ebenfalls stark vom Hunger betroffen. Die Todesrate in den ländlichen Gebieten verneunfachte sich in der unteren und verdreifachte sich in der zentralen Wolga-Region. In der zentralen Schwarz-Erde-Region, die allgemeinhin nichts als Hungergebiet angesehen wird, stieg die ländliche Todesrate gegenüber ihrem normalen Niveau im Juli 1933 um mehr als das Vierfache. Berichte über ernsthaften Nahrungsmittelmangel gibt es auch für den Ural und den Fernen Osten. Der Hunger in Kasachstan ging weiter und wurde sogar noch schlimmer. Selbst wenn man den Ural, Sibirien und den Fernen Osten ausnimmt, umfasste das Hungergebiet über 70 Millionen der 160 Millionen Einwohner der UdSSR. (Stephen Wheatcroft, Robert W. Davies, Years of Hunger: Soviet Agriculture, 1931-1933, Palgrave Macmillan 2004, pp. 410-411).

Die Hungersnot war das Ergebnis der katastrophalen und irrationalen Politik der stalinistischen Bürokratie, die in den 1920er Jahren unter Bedingungen der internationalen Isolation der russischen Revolution von 1917 die politische Macht usurpierte. In den Jahren 1928-1929 initiierte die Bürokratie, nachdem sie die marxistische Linke Opposition unter Leo Trotzki aus der Partei ausgeschlossen hatte, ein Programm zur rapiden Industrialisierung der überwiegend ländlichen Sowjetunion.

Nach einer massiven Getreidekrise in den Jahren 1927-1928 begann die Bürokratie, zwangsweise Getreide von den Bauern zu requirieren. Ende 1929 verkündete Stalin dann den Beginn der Zwangskollektivierung der Millionen von Kleinbauernwirtschaften, die in der Landwirtschaft immer noch dominierten. Dabei ging die Bürokratie durchgehend vom reaktionären Konzept des Aufbaus des „Sozialismus in einem Land“ aus: Alle Ressourcen für die rapide Industrialisierung der Sowjetunion sollten aus der heimischen Bevölkerung herausgepresst werden, komme was wolle.

Das Ergebnis war katastrophal: Wie Trotzki gewarnte hatte, waren weder die sowjetische Landwirtschaft noch die Industrie auch nur annähernd auf dem notwendigen technologischen Niveau, um die Landwirtschaft in großem Maße zu kollektivieren. Kleinstbetriebe wurden zusammengeschmissen ohne jede Rücksicht auf ihre Bestände und Produktionsfähigkeiten.

Es wurden massenhaft Vieh und Geflügel zusammengepfercht, das nun an Krankheiten und mangelnder Hygiene starb oder von Bauern im verzweifelten Protest gegen die Kollektivierung getötet wurde. In Sowjetkasachstan, wo ein Großteil der Bevölkerung noch das Leben von Nomaden führte, war das Massensterben von Kamelen und Vieh besonders verheerend.

Die gewohnten Anbau- und Saatmethoden wurden durch das rücksichtslose und ignorante Eingreifen der Bürokratie in die Landwirtschaft ebenfalls zerstört. Die Ernten von 1931 und 1932, die zusätzlich durch schlechtes Wetter beeinträchtigt wurden, lieferten katastrophal schlechte Ergebnisse. Schon 1930 kam es als Folge dieser verheerenden Politik massenweise zu Bauernaufständen. Bedeutende Teile der Sowjetunion, insbesondere die Sowjetukraine, die eine der wichtigsten Agrarregionen war, standen am Rande eines Bürgerkriegs.

Die Folgen der Hungersnot waren katastrophal und weitreichend. Etwa 7 Millionen Sowjetbürger starben, weitere dutzende Millionen litten an Mangelernährung. Die Viehbestände erreichten erst 1958 wieder das Niveau von 1914. Politisch untergrub die Zwangskollektivierung das Prestige der Sowjetmacht und der Oktoberrevolution unter Millionen Bauern und Arbeitern innerhalb und außerhalb der Sowjetunion.

Doch so kriminell und katastrophal die Politik der Sowjetbürokratie war, es handelte sich nicht um einen Völkermord. Wheatcroft und Davies schließen ihre Studie zur Hungersnot von 1931-1932 mit den Worten:

Unsere Untersuchung der Hungersnot hat uns zu ganz anderen Schlussfolgerungen geführt als Dr. [Robert] Conquest. Er behauptet, dass Stalin „eine Hungersnot wollte“, dass „die Sowjets nicht wollten, dass die Hungersnot erfolgreich bewältigt wird“, und dass die ukrainische Hungersnot „absichtlich um ihrer selbst willen herbeigeführt wurde“. Dies führt ihn zu der pauschalen Schlussfolgerung: „Die wichtigste Lehre scheint zu sein, dass die Ideologie der Kommunisten die Motivation für ein beispielloses Massaker an Männern, Frauen und Kindern lieferte.“

Wir sprechen Stalin keineswegs von seiner Verantwortung für die Hungersnot frei. Seine Politik gegenüber den Bauern war rücksichtslos und brutal. Aber die Geschichte in diesem Buch zeigt eine sowjetische Führung, die mit einer Hungerkrise zu kämpfen hatte, die zum Teil durch ihre fehlgeleitete Politik verursacht wurde, die aber unerwartet und unerwünscht war.

Die Hungernot hat nicht nur den Hintergrund, dass die sowjetische Agrarpolitik von der bolschewistischen Ideologie abgeleitet wurde, obwohl die Ideologie eine Rolle spielte. Sie wurde auch durch die vorrevolutionäre Vergangenheit Russlands, die Erfahrungen des Bürgerkriegs, die internationale Lage, die unnachgiebigen geographischen und klimatischen Bedingungen und die Funktionsweise des sowjetischen Systems, wie es unter Stalin eingeführt wurde, geprägt. Sie wurde von Männern mit geringer formaler Bildung und begrenzten Kenntnissen der Landwirtschaft ausgearbeitet. Vor allem aber war sie eine Folge der Entscheidung, das bäuerliche Land in rasantem Tempo zu industrialisieren. (Wheatcroft/Davies, Years of Hunger, p. 441.)

In den fast 20 Jahren, die seit der Veröffentlichung dieser Studie verstrichen sind, hat kein einziger Historiker tragfähige Beweise gegen ihre Einschätzung geliefert.

Rechtsextremer Ursprung der „Völkermord“-Behauptung

Die Resolution des Bundestags stellt den „Holodomor“ explizit auf eine Ebene mit dem Holocaust und den Verbrechen der Nazis gegen die Sowjetunion. Es heißt darin, der Holodomor falle in die Zeit „massivster, in ihrer Grausamkeit bis dahin unvorstellbarer Menschheitsverbrechen auf dem europäischen Kontinent. Zu diesen gehören der Holocaust an den europäischen Jüdinnen und Juden in seiner historischen Singularität, die Kriegsverbrechen der Wehrmacht und die planmäßige Ermordung von Millionen unschuldiger Zivilistinnen und Zivilisten im Rahmen des rassistischen deutschen Vernichtungskriegs im Osten, für die Deutschland die historische Verantwortung trägt.“

Mit dieser Argumentation stellt sich der Bundestag direkt in die Tradition der ukrainischen und internationalen extremen Rechten. Historisch war die Behauptung, in der Ukraine habe Anfang der 1930er Jahre ein „Völkermord“ stattgefunden, nicht nur mit militantem Antikommunismus, sondern auch mit der Relativierung der Nazi-Verbrechen, insbesondere des Völkermords an den europäischen Juden, verbunden.

Denkmal für OUN-Führer Stepan Bandera in Ternopil [Photo by Wadco2 / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Das „Völkermord“-Argument geht auf die Propaganda unter der nationalsozialistischen Besatzung der Ukraine im Zweiten Weltkrieg zurück. Im Verlauf des Kriegs ermordeten die Nationalsozialisten mindestens 5 Millionen nicht-jüdische ukrainische Zivilisten und rund 900.000 ukrainische Juden, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Zehntausende von ihnen wurden mit Beihilfe der faschistischen Organisation Ukrainischen Nationalisten (OUN) und ihres paramilitärischen Flügels, der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA), umgebracht. Mitglieder der OUN waren zudem massenhaft in den Besatzungsapparat eingebunden, unter anderem auch als „Journalisten“.

Die Historiker Tanja Penter und Dmytro Tyarenko schrieben dazu kürzlich,

Die OUN-Mitglieder versuchten, Einfluss auf die neu geschaffenen Organe der lokalen Selbstverwaltung auszuüben, die Gründung von Besatzungszeitungen zu initiieren und deren Propagandainhalte mitzugestalten. All dies diente auch dem Ziel, das nationale Bewusstsein in der ukrainischen Bevölkerung zu fördern und eine ukrainische Staatlichkeit zu popularisieren.

Die Hungersnot von 1932/33 bot sich den OUN-Aktivisten als Thema geradezu an, um die ukrainische Bevölkerung für den nationalen Befreiungskampf zu mobilisieren; dieses Thema hatte die OUN auch zuvor schon für politische Zwecke genutzt. … Viele Artikel in der nationalsozialistischen Besatzungspresse betonten den Charakter der Hungersnot. Diese sei „künstlich von den Bolschewiken geschaffen“, „von den roten Bestien angerichtet“, „bewusst initiiert und auf teuflische Weise von der Besatzungsmacht des Roten Moskaus geleitet“ worden.

Einige Propagandistinnen und Propagandisten hoben auch das besondere Leiden der ukrainischen Nation in der Hungersnot hervor, indem sie den „kriminellen Versuch verurteilten, das ukrainische Volk physisch zu zerstören“, oder die „systematische Vernichtung des ukrainischen Volks“ anprangerten. In einem weiteren Artikel hieß es: „Wir Ukrainer haben mit dem Bolschewismus eine besonders große offene Rechnung.“

Einige der Pressepublikationen vertraten somit zumindest implizit bereits das Argument des gezielten bolschewistischen Völkermords an den Ukrainern, ohne den Völkermord-Begriff zu verwenden, der zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht in Gebrauch war. (Tanja Penter, Dmytro Tytarenko, „Der Holodomor, die NS-Propaganda in der Ukraine und ihr schwieriges Erbe“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2021, Heft 4, S. 646, 649)

Dabei wurden nicht nur die „Bolschewiki“, sondern wiederholt auch „die Juden“ für die Hungersnot verantwortlich gemacht. Ein Artikel der Besatzungspresse erklärte, die Hungersnot sei „auf sadistische Weise von den Moskauer Juden ausgedacht und organisiert worden“. (Zitiert in Ebd., S. 650)

Die Lüge vom „Völkermord“ in der Nachkriegszeit

Nach dem Krieg wurde die Lüge vom „Völkermord“ an den Ukrainern weiter von der extrem-rechten ukrainischen Diaspora verbreitet, in der sich ehemalige Nazi-Kollaborateure der OUN tummelten. Dank der direkten Verbindungen der ehemaligen Nazi-Kollaborateure zu den Geheimdiensten der USA, Kanadas und Großbritanniens sowie zum deutschen BND konnten sie ihre faschistische Propaganda weiter verbreiten und fanden Zugang zu akademischen Einrichtungen.

Dennoch blieb die Behauptung eines „Völkermords an den Ukrainern“ jahrzehntelang auf diese ultra-rechten Kreise beschränkt. Ihre akademische und politische Legitimierung fand in den 1980er Jahren statt. In Deutschland begann der rechtsextreme Historiker Ernst Nolte, die Verbrechen des Nationalsozialismus als „Reaktion“ auf die „Gewaltvorgänge der Russischen Revolution“ und eine „verzerrte Kopie“ der „Verbrechen des Bolschewismus“ zu rechtfertigen. Eines dieser „Verbrechen“ war, laut Nolte, der „Klassenkrieg“ gegen die Kulaken und die Kollektivierung der Landwirtschaft.

Jaroslaw Stezko trifft US-Präsident George Bush

Zeitgleich legitimierte die herrschende Klasse der USA verstärkt die ukrainischen Nazi-Kollaborateure. Im Jahr 1983 empfing US-Präsident Ronald Reagan Jaroslaw Stezko im Weißen Haus und erklärte: „Euer Kampf ist unser Kampf. Euer Traum ist unser Traum.“

Stezko war Stellvertreter von Stepan Bandera in der OUN und verkündete am 30. Juni 1941, kurz nach der Besatzung von Lviv durch die Wehrmacht die Errichtung eines „unabhängigen ukrainischen Staates“ im Bündnis mit Nazi-Deutschland. Stunden später begannen ukrainische Nationalisten nach Absprache mit den Deutschen einen brutalen Pogrom an der jüdischen Bevölkerung der Stadt, dem zwischen 7000 und 8000 Menschen zum Opfer fielen. Nach dem Krieg unterhielt Stezko enge Verbindungen zur CIA und wurde Vorsitzender des Anti-Bolschewistischen Blocks der Nationen, einer Organisation, die vorwiegend aus ehemaligen Nazi-Kollaborateuren aus Osteuropa bestand.

Im Jahr 1986, zeitgleich zum Ausbruch des deutschen Historikerstreits über Ernst Noltes Rechtfertigung der Verbrechen des Nationalsozialismus, veröffentlichte dann der amerikanische Historiker Robert Conquest das Buch „Harvest of Sorrow“ (Ernte des Kummers), in dem er die Hungersnot in der Ukraine explizit als „Völkermord“ und „Terror-Hunger“ bezeichnete und auf eine Ebene mit den Verbrechen des Nationalsozialismus stellte.

Eine öffentliche Untersuchung des US-Kongresses in diesen Jahren kam ebenfalls zum Schluss, dass die Hungersnot ein „Völkermord“ gewesen sei. Ihr Vorsitzender, James E. Mace, erklärte explizit – und fälschlicherweise –, dass dieser „Völkermord“ mit angeblich 7 Millionen ukrainischen Opfern schlimmer als der Holocaust mit 6 Millionen ermordeten Juden gewesen sei.

Mit dem Begriff „Holodomor“, der „Mord durch Hunger“ bedeutet, wurde dabei gezielt versucht, die Hungersnot auf eine Ebene mit dem Holocaust zu stellen. Dies war Bestandteil der Bemühungen der faschistischen Nachkommen der OUN, die Beteiligung des ukrainischen Faschismus am Holocaust und an den Morden insgesamt kleinzureden.

Laut dem kanadischen Historiker John-Paul Himka, einem der besten Kenner der Geschichte des ukrainischen Nationalismus, war die verstärkte „Holodomor“-Propaganda der ukrainischen Diaspora Ende der 1980er Jahre nicht zuletzt ein Versuch, von ukrainischen Nazi-Kollaborateuren wie John Demjanjuk und ihren Verbrechen im Holocaust abzulenken. Der Beginn des ersten Prozesses gegen John Demjanjuk fiel ebenfalls in das Jahr 1986.

Demjanjuk, ein gebürtiger Ukrainer, war eines von 2000 bis 3000 Mitgliedern der sogenannten Trawniki gewesen. Die Trawniki, die größtenteils aus Ukrainern bestanden, wurden seit September 1941 gezielt von der SS ausgebildet, um bei der Aktion Reinhardt zu helfen, in deren Verlauf 1,7 Millionen polnische Juden in den Gaskammern von Treblinka, Sobibor, Auschwitz und Majdanek ermordet wurden. Himka schreibt dazu:

Einige [in der Diaspora] waren der Meinung, wenn öffentlich bewusst werde, dass auch Ukrainer in großem Umfang Opfer waren, könnte dies die Bemühungen abschwächen, „die Ukrainer als unbarmherzige Unterdrücker der Juden“ während des Holocausts darzustellen. Außerdem könnte die Darstellung der Sowjetunion als anti-ukrainisches, kriminelles Regime die Beweise diskreditieren, die die Sowjets den Staatsanwälten in den Kriegsverbrecherprozessen lieferten. (Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History, Vol. 8, No. 3, Summer 2007, pp. 687-688)

Das verlogene Narrativ eines „Holodomor“ gegen die Ukrainer wurde nach der Auflösung der Sowjetunion in der Ukraine zunehmend dominant. Alle Vorstöße zur Legitimierung der historischen Lügen der OUN und ihrer faschistischen Nachfahren waren dabei eng mit der Intervention des westlichen Imperialismus in der Ukraine verbunden, die sich dabei – wie schon im 20. Jahrhundert – auf die extremen Rechte stützte. So erklärten der US-Kongress und das kanadische Parlament die Hungersnot bereits im Rahmen der Nato-Osterweiterung Anfang der 2000er Jahre zu einem „Völkermord“.

2004 unterstützten die imperialistischen Mächte die sogenannte Orangene Revolution in der Ukraine, die der Pro-Nato-Regierung von Viktor Juschtschenko an die Macht verhalf. Unter Juschtschenko fand eine massive Rehabilitierung der OUN statt. Straßen wurden nach Bandera und Stezko benannt und Denkmäler für sie in zahlreichen Städten errichtet. Der „Holodomor“ wurde zu einem verpflichtenden Unterrichtsthema. Hingegen gab es in ukrainischen Geschichtsschulbüchern, die seit 1996 vom ukrainischen Bildungsministerium genehmigt wurden, keine einzige Erwähnung des Holocaust oder der ukrainischen Kollaboration mit den Nazis.

Historische Fälschung zur Legitimierung von Faschismus und Krieg

Der Ursprung des „Holodomor“-Narratives in der Ideologie des ukrainischen Faschismus und die Verbindung dieser Tradition mit Bemühungen, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu rechtfertigen, waren sicher ein Grund, warum es die herrschende Klasse Deutschlands lange für unklug oder nicht machbar hielt, die Hungersnot ähnlich wie in den USA und Großbritannien zum Völkermord zu erklären.

Die historischen und politischen Implikationen dieses Schrittes sind in der Tat enorm und bedeuten einen Meilenstein bei der Legitimierung der Verbrechen der ukrainischen Faschisten, des Nationalsozialismus und des Holocaust.

Um eine solche Legitimierung bemühen sich Professoren der Geschichte an deutschen Universitäten seit Jahrzehnten. Ernst Nolte war damit im Historikerstreit der 1980er Jahre noch auf erheblichen Widerstand gestoßen. Doch 2014 unternahm Professor Jörg Baberowski von der Berliner Humboldt-Universität einen neuen Anlauf und erhielt unter den herrschenden Eliten breite Unterstützung.

Im selben Monat, in dem die deutsche und die amerikanische Regierung den Putsch rechtsextremer Kräfte gegen die Janukowitsch-Regierung in Kiew organisierten, erklärte Baberowski im Spiegel, „Hitler war nicht grausam“ und „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht.“

Zur selben Zeit verkündeten der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und andere Regierungsmitglieder das Ende „der Politik der militärischen Zurückhaltung“. Seitdem tritt der deutsche Imperialismus im Ausland immer aggressiver auf, während im Inneren faschistische Kräfte, wie die Alternative für Deutschland, aufgebaut werden. Der reaktionäre russische Angriff auf die Ukraine nach Jahren der militärischen Einkreisung durch die Nato diente dann als willkommener Vorwand für das größte deutsche Aufrüstungsprogramm seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die Ukraine und Russland sind dabei, wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg, wieder das Ziel der geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Imperialismus. Gleichzeitig dient die Verbreitung historischer Lügen der Stärkung rechtsextremer Kräfte in Deutschland selbst.

Der „Holodomor“-Beschluss des Bundestags zielt darauf ab, den politischen Widerstand gegen die Kriegspropaganda und die Legitimierung faschistischer Kräfte zu kriminalisieren. Dasselbe gilt für Geschichtsforschung, die diesen reaktionären politischen Bestrebungen zuwiderläuft. Die deutsche herrschende Klasse ist sich dabei bewusst, dass die Rückkehr zu einer offenen Kriegspolitik und die damit verbundenen sozialen Angriffe auf breiten Widerstand in der Arbeiterklasse stößt.

Die Sozialistische Gleichheitspartei, die deutsche Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, ist die einzige politische Partei, die sich sowohl diesen Geschichtsfälschungen als auch der Rückkehr des deutschen Militarismus und Faschismus seit Jahren konsequent entgegenstellt und der Opposition der Arbeiterklasse eine Stimme und eine Perspektive gibt. Der Aufbau der SGP ist nun die zentrale Aufgabe im Kampf gegen Faschismus und Krieg.

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