Fünf Tage nach der größten Razzia in der bundesdeutschen Geschichte zeichnet sich immer deutlicher ab, wie umfassend das rechtsterroristische Netzwerk ist, gegen das sie sich richtete.
Am 7. Dezember hatten rund 3000 Spezialkräfte der Polizei 150 Objekte in ganz Deutschland durchsucht. Seither sitzen 25 Personen in Untersuchungshaft, gegen 29 weitere wird ermittelt. Der Generalbundesanwalt wirft ihnen vor, Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung zu sein. Doch sie sind nur die Spitze des Eisbergs.
Das rechtsterroristische Netzwerk stützt sich auf das Milieu der Reichsbürger, QAnon-Anhänger, Querdenker und Corona-Leugner, das auf mehrere Zehntausend Personen geschätzt wird. Es umfasst Mitglieder der AfD und anderer rechtsextremer Parteien und reicht tief in den staatlichen Sicherheitsapparat und die gesellschaftlichen Eliten hinein.
Der Verfassungsschutz ordnet allein den Reichsbürgern 23.000 Personen zu, 2000 mehr als vor einem Jahr. Zehn Prozent hält er für gewaltbereit.
Reichsbürger bestreiten die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und sind der Ansicht, dass das 1871 gegründete Deutsche Reich weiterbestehe. Aus ihren Reihen ist es wiederholt zu Gewalttaten gekommen, allein im letzten Jahr wurden 239 registriert. So überfuhr im Frühjahr ein Reichsbürger in Baden-Württemberg bei einer Verkehrskontrolle gezielt einen Polizisten. Ein anderer feuerte aus einem vollautomatischen Gewehr auf anrückende Beamte, die eine illegale Waffe konfiszieren wollten. Trotzdem fassten Justiz und Polizei die Reichsbürger, die auch im staatlichen Sicherheitsapparat zahlreiche Unterstützer haben, mit Samthandschuhen an.
Die Razzia der letzten Woche ist offenbar darauf zurückzuführen, dass Innenministerium und Generalbundeanwalt unmittelbar bevorstehende Anschläge gegen staatliche Institutionen fürchteten, die auch das Leben hochrangiger Regierungsmitglieder und Politiker gefährdet hätten.
Die Verhafteten sollen geplant haben, nach dem Vorbild der amerikanischen Putschisten vom 6. Januar 2021 in den Bundestag einzudringen, Abgeordnete und Regierungsmitglieder gefangen zu nehmen, Unruhen im ganzen Land auszulösen und dann einen Putsch auszuführen.
Generalbundesanwalt Peter Frank erklärte, die Gruppe verfolge das Ziel, die Demokratie in Deutschland „unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen“. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, die Ermittlungen ließen „in einen Abgrund der terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürgermilieu blicken“.
Mittlerweile sind zahlreiche Einzelheiten über die Verhafteten an die Öffentlichkeit gelangt, deren Namen der Generalbundesanwalt nur in Form von Initialen bekannt gegeben hatte. Viele von ihnen sind seit Jahren oder Jahrzehnten für ihre rechtsextremen Ansichten und Aktivitäten bekannt. Auffallend viele waren oder sind Angehörige des Militärs oder des staatlichen Sicherheitsapparats. Jedenfalls wird deutlich, dass die Behörden über den „Abgrund der terroristischen Bedrohung“ keineswegs so überrascht waren, wie dies Innenministerin Faeser nun darstellt.
Der 69-jährige Rüdiger von Pescatore, der den „militärischen Arm“ der Gruppe angeführt haben soll, war Mitte der 1990er Jahre Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons der Luftlandebrigade 25, einer Vorgängerin der Spezialeinheit KSK. Er schied 1999 aus der Bundeswehr aus, weil er Waffen aus alten DDR-Beständen abgezweigt hatte und zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Von den 165 Pistolen und Gewehren, die damals verschwanden, sind nur 11 wieder aufgetaucht.
Der 54-jährige Peter Wörner ist ausgebildeter Elitesoldat der Bundeswehrspezialeinheit KSK. Auf Instagram finden sich auch Fotos, die ihn mit amerikanischen Spezialeinheiten in den USA zeigen. Er war in den 1990er Jahren Mitglied desselben Bataillons wie Pescatore. Er ist Teil der Prepper-Szene und arbeitete in letzter Zeit als Survivaltrainer. Im April dieses Jahres fanden Beamte in seinem Haus Schusswaffen, Munition, Magazine und andere Waffen.
Wörner soll auch Kontakt zu der Gruppe gehabt haben, die plante, Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen und dann einen Staatsstreich zu organisieren. Die Gruppe flog im Sommer auf. Medien berichteten darüber.
Der 63-jährige Maximilian Eder war Oberst bei der Bundeswehr und führte 1999 ein Panzergrenadierbataillon im Kosovo. Vor seiner Pensionierung im Herbst 2016 diente er zeitweise im KSK. In der Pandemie wurde er zu einer Führungsfigur der Corona-Proteste.
Während der Überschwemmungskatastrophe im Ahrtal tauchte der pensionierte Oberst in Uniform auf, richtete eine „Kommandozentrale“ ein und unterschrieb Einsatzbefehle. Sein „Stabschef“ war Peter Wörner. Eder musste schließlich 3500 Euro Strafe wegen unbefugten Tragens von Uniformen bezahlen. Kurz vor seiner Verhaftung rief Eder in einem Video zum Umsturz noch vor Weihnachten auf.
Mit dem 58-jährgen Andreas Meyer zählt auch ein aktiver Soldat des KSK zu den Beschuldigten. Der Stabsfeldwebel war mehrmals als Logistiker in Afghanistan im Einsatz und hat darüber ein Buch veröffentlicht. Er soll Mitglieder der Gruppe mit seinem Truppenausweis in Kasernen eingeschleust haben.
Auch mehrere Polizisten gehören zu den Beschuldigten. Oberkommissarin Ivonne G. arbeitet nach Informationen des Spiegel als Kriminalpolizistin in der nordrhein-westfälischen Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke. Sie soll in der Vergangenheit als Coronaleugnerin aufgefallen sein. Ein ebenfalls beschuldigter Staatsschützer aus Niedersachsen soll seit Längerem krankgeschrieben sein. Der niedersächsische Kriminalhauptkommissar Michael Fritsch wurde bereits aus dem Dienst entfernt. Er ist Reichsbürger und war Spitzenkandidat der Querdenker-Partei Die Basis für die Bundestagswahl 2021.
Bei den Razzien fand die Polizei ein erhebliches Waffenarsenal: Neun-Millimeter-Pistolen, Schwerter, Messer, Elektroschocker, Gefechtshelme, Nachtsichtgeräte und die Dienstwaffen einer Polizistin und eines Polizisten, die zu den Verdächtigen gehören. Außerdem soll die Gruppe ein Dutzend Iridium-Satellitentelefone zum Stückpreis von 1500 Euro besitzen, die auch funktionieren, wenn das Handynetz zusammenbricht.
Auch Heinrich XIII. Prinz Reuß, der als Rädelsführer der Gruppe gilt, ist seit langem für seine antisemitischen Äußerungen und seine Unterstützung der Reichsbürgerideologie bekannt. So hetzte er auf einer Digitalmesse in Zürich gegen die Macht jüdischer Großkapitalisten und erklärte, die Bundesrepublik sei kein souveräner Staat, sondern werde bis heute von den Alliierten beherrscht. Die Rede wurde auf Youtube veröffentlicht
Sein merkwürdiger Name rührt daher, dass im Adelsgeschlecht der Reuß alle männlichen Nachkommen Heinrich genannt werden. Um Verwechslungen zu vermeiden, werden sie – neubeginnend mit jedem Jahrhundert – mit römischen Ziffern nummeriert.
Die Familie hat sich zwar von Heinrich XIII. distanziert und ihn als „verbitterten alten Mann“ bezeichnet, der „verschwörungstheoretischen Irrmeinungen“ aufsitze. Doch seine Rolle ist kein Zufall. Alte Adelige, die – wie es Reuß seit 30 Jahren tat – um die Rückgabe des enteigneten Juncker-Besitzes prozessieren und von der Wiederherstellung des Deutschen Reichs und alter Preußen-Herrlichkeit träumen, finden sich zuhauf im rechtsextremen Milieu.
So engagierte sich Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, bereits lange, bevor sie zum führenden Mitglied der AfD wurde, für die Rückgabe des nach dem Krieg enteigneten adeligen Großgrundbesitzes.
Für die enge Verbindung der verhafteten Gruppe zur AfD steht die Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann, die die rechtsextreme Partei vier Jahre lang im Bundestag vertrat. Sie wurde noch im Oktober vom Berliner Verwaltungsgericht im Richteramt bestätigt, obwohl die Polizei längst wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung gegen sie ermittelte und ihre Kontakte zum völkisch-nationalistischen „Flügel“ der AfD, ihre rassistischen Äußerungen gegen Flüchtlinge und ihre Teilnahme an einer Querdenker-Demo in Berlin bekannt waren.
Malsack-Winkemann ist aber nur eine Verbindung zwischen der Terrorzelle und der AfD. Unter den Beschuldigten befinden sich mindestens zwei weitere, die auf regionaler Ebene in der AfD aktiv sind oder waren.
Außerdem soll Alexander Q., der auf Telegram einen QAnon-Kanal mit 130.000 Abonnenten betreibt, zu den Unterstützern der Terrorzelle gehören. Während der Flutkatastrophe im Ahrtal verbreitete er die Nachricht, das Hochwasser habe 600 Leichen von Kindern nach oben gespült, die eingesperrt und getötet worden seien, um ihnen ein verjüngendes Stoffwechselprodukt zu entziehen.
Man kann die Entstehung der Terrorzelle nur vor dem Hintergrund der jahrelangen Verharmlosung und Förderung rechtsextremer Gruppen durch Verfassungsschutz und andere staatliche Behörden verstehen.
2003 scheiterte ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD, weil die Richter des Bundesverfassungsgerichtes zum Schluss gelangten, es befänden sich derart viele Verfassungsschutzmitarbeiter in der Führung der Partei, dass es sich bei der NPD „der Sache nach um eine Veranstaltung des Staates“ handle.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen beriet und förderte die AfD. Im Umfeld des NSU-Mordtrios befanden sich mindestens zwei Dutzend Informanten des Staates, ohne dass dieser angeblich von seiner Existenz wusste. Auch die Verbindungen zwischen NSU, Verfassungsschutz und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke bleiben bis heute im Dunkeln.
Mit der Rückkehr des deutschen Militarismus und dem Ukrainekrieg werden die Verbrechen der Nazis und ihrer Kollaborateure systematisch verharmlost. Die etablierten Parteien haben die rechtsextreme AfD in die parlamentarische Arbeit integriert und deren Politik – Durchseuchung, Flüchtlingshetze und massive militärische Aufrüstung – übernommen.
In diesem Klima können sich rechtsterroristische Gruppen, wie die jetzt aufgeflogene, entwickeln. Daran wird auch die Verhaftung von zwei Dutzend Rechtsextremisten nichts ändern. Nur eine unabhängige, sozialistische Offensive der Arbeiterklasse kann die faschistische Gefahr stoppen.