Am zweiten Jahrestag von Trumps gescheitertem Putschversuch:

Republikaner wählen Sprecher des Repräsentantenhauses im 15. Wahlgang, Biden lobt Polizei und „patriotische“ Republikaner

In den Zwischenwahlen vom letzten November erlitten prominente, von Trump unterstützte Leugner des Wahlergebnisses von 2020 eine Niederlage und die vorhergesagte „rote Welle“ republikanischer Wahlsiege blieb aus. Medienkommentatoren riefen daraufhin den „Sieg der Demokratie“ und die „Rückkehr zur Normalität“ in der amerikanischen Politik aus. Die Ereignisse vom Freitag, dem zweiten Jahrestag des Putschversuchs vom 6. Januar 2021, haben jedoch all diese Illusionen unmissverständlich zunichte gemacht.

Freitagnacht wurde Kevin McCarthy von den Republikanern mit knapper Mehrheit zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt.

Zuvor war McCarthys Ernennung im 14. Wahlgang noch an Matt Gaetz aus Florida gescheitert, einem der entschiedensten Unterstützer des Putsches vom 6. Januar, der einen Tag zuvor Trump als Sprecher Repräsentantenhaus nominiert hatte. Gaetz stimmte mit „anwesend“ und verweigerte McCarthy damit die erforderlichen Stimmen, sodass ein weiterer Wahlgang notwendig wurde.

Erst nach fieberhaften Verhandlungen hinter den Kulissen mit dem Faschisten Gaetz wurde McCarthy nach Mitternacht in der 15. Abstimmung gewählt. Dass für die Wahl des Sprechers des Repräsentantenhauses so viele Abstimmungen benötigt wurden, gab es zuletzt vor dem Bürgerkrieg.

Vor der Abstimmung hatte McCarthy, der selbst an Trumps gescheitertem Putsch beteiligt war, eine Reihe von Zugeständnissen gemacht, die den Einfluss der faschistischen Rechten auf die Arbeit des Kongresses enorm stärken und brutale Angriffe auf die sozialen Bedingungen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse vorantreiben werden.

Der republikanische Abgeordnete Kevin McCarthy aus Kalifornien (rechts) im Gespräch mit dem Republikaner Andrew Clyde (Georgia) während des 13. Wahlgangs im Repräsentantenhaus am 6. Januar 2023. (AP Photo/Alex Brandon) [AP Photo/Alex Brandon]

Zu den Gegnern McCarthys gehörten die Hauptakteure der Verschwörung, deren Ziel es war, die Präsidentschaftswahlen 2020 zu kippen und eine Präsidialdiktatur unter Trump zu errichten: Andy Biggs und Paul Gosar (Arizona), Matt Gaetz (Florida), Lauren Boebert (Colorado), Scott Perry (Pennsylvania) und Bob Good (Virginia). Sie werden jetzt im Repräsentantenhaus eine Macht haben, die in keinem Verhältnis zu ihrer Anzahl oder ihrem Rückhalt in der Bevölkerung steht.

CNN veröffentlichte eine Liste von Zugeständnissen und Versprechen, die McCarthy in den Geheimverhandlungen gemacht hat, darunter:

  • Eine Senkung der Mindestzahl an Abgeordneten, die für einen Antrag auf Absetzung des Sprechers des Repräsentantenhauses notwendig sind. Derzeit beträgt sie 50 Prozent der Republikaner-Fraktion. Sie wurde in früheren Verhandlungen bereits auf fünf Abgeordnete gesenkt, und jetzt kann ihn ein einzelnes Mitglied einbringen.
  • Der rechtsextreme House Freedom Caucus wird in wichtigen Ausschüssen wie dem Rules Committee zahlenmäßig deutlich stärker vertreten sein.
  • Abgeordnete erhalten zusätzliche Möglichkeiten, im Repräsentantenhaus Änderungsanträge einzubringen.
  • Das Political Action Committee unter McCarthys Führung wird sich in sicheren republikanischen Bezirken nicht in offene Vorwahlen einmischen (wo das PAC in einigen Fällen gegen rechtsextreme Kandidaten angetreten war).

Diese verfahrensrechtlichen Änderungen sind zwar an sich schon weitreichend, aber Berichten zufolge auch an Vereinbarungen über beträchtliche Kürzungen der Haushaltsausgaben und Bundessteuern geknüpft, die auf eine Abschaffung aller Sozialreformen seit den 1930ern hinauslaufen, d.h. auf eine soziale Konterrevolution.

McCarthy hat zugestimmt, zu folgenden Themen Abstimmungen durchzuführen:

  • Ein ausgeglichener Haushalt und das Verbot von öffentlicher Verschuldung durch Geldaufnahme
  • Die weitere Militarisierung der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze
  • Eine Deckelung der Ermessensausgaben auf dem Niveau von 2022

Er hat außerdem zugesagt, die Holman-Regel wieder einzuführen. Diese erlaubt es den Abgeordneten, Änderungsanträge zu Bewilligungsvorlagen einzubringen, welche die Gehälter von bestimmten Bundesbeschäftigten oder die Finanzierung von bestimmten Programmen auf einen Dollar kürzen und ihnen damit faktisch die Finanzierung entziehen.

Darüber hinaus hat er sich bereit erklärt, eine Erhöhung der Schuldenobergrenze abzulehnen, wenn diese nicht mit umfassenden Ausgabenkürzungen gekoppelt ist.

CNBC schrieb: „Republikanischen Verweigerer im Repräsentantenhaus, die nach wochenlangem Widerstand gegen Parteichef Kevin McCarthy für seine Wahl zum Sprecher des Repräsentantenhauses gestimmt haben, weisen auf den, in ihren Worten, historischen Deal mit dem kalifornischen Republikaner hin. Er wird ihr lange gehegtes Ziel erfüllen, die Ausgaben der Bundesregierung radikal zu verringern.“

Diese Eskalation des Klassenkriegs gegen die große Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung wird dadurch ermöglicht, dass die Biden-Regierung und die Demokraten keinen Widerstand gegen sie leisten. Die Republikaner und Trump, der McCarthy öffentlich unterstützt, können ihren Angriff auf soziale und demokratische Rechte verschärfen, weil sich die Demokraten weigern, die Drahtzieher in der Trump-Regierung, im Kongress, beim Militär, dem FBI, der Polizei sowie im Obersten Gerichtshof, die an dem Versuch, die Verfassung außer Kraft zu setzen, beteiligt waren, strafrechtlich zu verfolgen oder zu verhaften. Im Gegenteil, man erlaubt ihnen, die Verschwörung fortzusetzen.

Eine der Forderungen der republikanischen Faschisten, die McCarthy akzeptiert haben soll, ist die Gründung eines Unterausschusses, der sich mit der „Bewaffnung der Bundesregierung“ befasst. Er soll dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses und seinem Vorsitzenden, dem rechtsextremen Provokateur Jim Jordan, unterstehen. Vermutlich werden sie ihn benutzen, um Hunderte von faschistischen Fußsoldaten zu begnadigen, die wegen der Stürmung des Kapitols verhaftet wurden, und um Trump selbst vor einer potenziellen Anklage zu schützen.

Die Demokraten tun alles in ihrer Macht Stehende, um die verheerenden Auswirkungen der Machenschaften im Repräsentantenhaus vor der Bevölkerung zu verbergen. Sie stellen das Chaos entweder als Witz dar oder benutzen es, um ihre Appelle an eine parteiübergreifende „Partnerschaft“, mit der sie regieren wollen, zu verstärken.

Präsident Joe Biden bei einer Rede zum zweiten Jahrestag des Putschversuchs vom 6. Januar 2021 im East Room des Weißen Hauses in Washington am 6. Januar 2023 (AP Photo/Patrick Semansky) [AP Photo/Patrick Semansky]

Am Freitag, als die Abstimmungen und die Verhandlungen in den Hinterzimmer noch andauerten, hielt Biden im Weißen Haus eine Zeremonie zum zweiten Jahrestag des Putschversuchs ab. Das jüngste reaktionäre Komplott, das im Kapitol gegen die amerikanische Bevölkerung geschmiedet wurde, erwähnte er ebenso wenig wie die Rolle, die einflussreiche Teile der Polizei, des Militärs, der Geheimdienste und des Obersten Gerichtshofs bei dem Putschversuch zwei Jahre zuvor gespielt hatten.

Trumps Namen erwähnte Biden nicht einmal. Stattdessen nutzte er den Anlass, um die Polizei als Retter der Demokratie darzustellen und die Rolle von „patriotischen“ republikanischen Politikern hervorzuheben, die sich Trumps Forderungen widersetzt hatten, das Wahlergebnis zu kippen.

Biden zeichnete neun Polizeibeamte, die in den faschistischen Angriff auf den Kongress geraten waren, mit der Presidential Citizens Medal aus. Drei getötete Beamte erhielten sie posthum; weitere vier gingen an Beamte der Wahlbehörde, die trotz rechter Schikanen und sogar bewaffneter Drohungen die Stimmen ausgezählt und die Wahl bestätigt hatten – drei Demokraten und ein Republikaner. Eine weitere erhielt der republikanische ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses von Arizona, Rusty Bowers, der sich geweigert hatte, Bidens Stimmenmehrheit in Arizona zu ignorieren und Wahlmänner einzusetzen, die für Trump stimmen würden.

Er erwähnte nicht, dass das FBI, der Secret Service und das Heimatschutzministerium keine Warnungen herausgegeben hatten, obwohl es zahllose Hinweise auf einen drohenden Angriff mit dem Ziel gab, die Bestätigung von Bidens Sieg im Kongress zu verhindern. Ebenso wenig erwähnte er die verzweifelten und unbeantworteten Appelle des Chefs der Capitol Police, Steven Sund, Truppen der Nationalgarde zu schicken, um den Angriff auf das Kapitol zu stoppen. Unerwähnt blieb auch die Tatsache, dass die von Trump persönlich ausgewählten Pentagon-Vertreter die Bitten des Kommandanten der Nationalgarde von Washington DC um Erlaubnis, Truppen zu mobilisieren und die Aufständischen zu vertreiben, erst nach 199 Minuten beantwortet hatten. Das gleiche gilt für die Tatsache, dass 139 Republikaner im Repräsentantenhaus, darunter McCarthy und seine Gegner, d.h. ganze 65 Prozent der Republikaner-Fraktion, nur Stunden nach der Vertreibung des Mobs aus dem Kapitol gegen die Bestätigung der Wahl gestimmt hatten.

Stattdessen wies Biden zu Beginn seiner Rede auf den Schaden hin, den die gewaltsamen Ereignisse vor zwei Jahren den geopolitischen Interessen der USA zugefügt haben. Er zitierte die Äußerungen von Staats- und Regierungschefs auf einem anschließenden G7-Gipfel, welche die Stabilität der US-Regierung in Frage stellten. Genau dies – die imperialistische Außenpolitik der USA – war von Anfang an die Grundlage der Opposition der Demokraten gegen Trump, und ist es auch heute noch.

Die größte Sorge der Demokraten gilt dem Wunsch, eine Arbeitsbeziehung mit den Republikanern aufrechtzuerhalten, um den eskalierenden Krieg gegen Russland in der Ukraine zu führen und eine militärische Konfrontation mit China vorzubereiten. Die Haltung der Demokraten gegenüber den demokratischen Rechten der Masse der amerikanischen Arbeiter zeigte sich deutlich, als sie letzten Monat gemeinsam mit den Republikanern ein Gesetz verabschiedeten, das einen Streik der über 100.000 Eisenbahner verbot und ihnen einen Ausverkauf aufzwang, den sie zuvor abgelehnt hatten. Diese faschistische Maßnahme war nur durch die Unterstützung der Eisenbahnergewerkschaften möglich.

Die World Socialist Web Site schrieb dazu in ihrer Neujahrserklärung „2023: Die globale kapitalistische Krise und die wachsende Offensive der internationalen Arbeiterklasse“:

Die Skrupellosigkeit der US-Außenpolitik ist nicht nur den geopolitischen Interessen des amerikanischen Imperialismus zuzuschreiben. Ein zentraler Faktor ist auch die extreme innenpolitische Krise in den Vereinigten Staaten selbst. Ungeachtet ihrer Weltmachtträume regiert die amerikanische herrschende Klasse mit einem zunehmend dysfunktionalen politischen System. Schon während der Krisen im Zusammenhang mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton 1998–1999 und mit der Intervention des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2000, der eine Stimmenauszählung verhinderte und George W. Bush die Präsidentschaft zusprach, hat das Internationale Komitee davor gewarnt, dass sich die amerikanische herrschende Klasse auf diktatorische Herrschaftsformen zubewegt...

Heute treibt der Druck der objektiven Krise die herrschende Elite dazu, demokratische Formen der Herrschaft aufzugeben und einen Präventivschlag gegen die aufkommende Bewegung der Arbeiterklasse zu führen.

Die Verteidigung der sozialen und demokratischen Rechte der arbeitenden Massen erfordern die Ausweitung dieser Bewegung und ihre Entwicklung zu einem unabhängigen politischen Kampf für den Sozialismus und gegen den amerikanischen Kapitalismus und seine beiden Parteien.

Loading