„Wir haben fast in jeder Schicht 15–20 Patienten pro Krankenschwester! Das ist brutal.“

New York: Pflegekräfte im Kampf gegen lebensgefährliche Unterbesetzung

Die Pflegekräfte der beiden größten privaten Krankenhäuser von New York City, Mount Sinai und Montefiore Medical Center, sind seit dem Montagmorgen im Streik. Die Arbeitsniederlegung von 7.000 Krankenschwestern und -pflegern ist der erste große Streik des neuen Jahres in den Vereinigten Staaten. Er steht für eine neue Etappe in der wachsenden Rebellion der Beschäftigten im internationalen Gesundheitswesen.

Streikende Krankenschwestern und Pfleger vor dem Montefiore Medical Center

Der Streik richtet sich vor allem gegen den lebensbedrohlichen Personalmangel in den Krankenhäusern, der sowohl für die Beschäftigten als auch für die Patienten zu unerträglichen Bedingungen geführt hat. Die Krankenschwestern berichten von einer Personalausstattung, die tagtäglich gegen geltendes Recht verstößt. Sie werden systematisch physisch und psychisch überfordert, so dass sie nicht mehr in der Lage sind, die Pflege zu leisten, die ihren Patienten zusteht.

Die Löhne sind für das Leben in New York City, einer der teuersten Städte der Welt, völlig unzureichend. Unter solchen Bedingungen ist es kein Wunder, dass die Belegschaft immer mehr ausgedünnt wird und einem sicheren Niveau keineswegs mehr entspricht.

Der gravierende Personalmangel bei Montefiore und Mount Sinai ist bei weitem kein Einzelfall. Deshalb haben sich Krankenschwestern und Pfleger in 12 privaten Krankenhäusern von New York City zu 99 Prozent für Streik ausgesprochen. Aber dann hat die Gewerkschaft New York State Nurses Association (NYSNA), die der National Nurses United (NNU) angeschlossen ist, unmittelbar vor dem Stichtag am Montag in 10 der 12 Krankenhäuser einer Vereinbarung zugestimmt, die allerdings an dem grassierenden Personalmangel überhaupt nichts ändern wird.

Noch am späten Sonntag hat die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul versucht, den Streik in den übrigen zwei Krankenhäusern zu stoppen. Sie hat ein verbindliches Schiedsverfahren angekündigt, falls der Streik ausgesetzt würde. Angesichts der weit verbreiteten Unzufriedenheit hat die NYSNA-Bürokratie jedoch keine Möglichkeit gesehen, den Streik noch zu stoppen. Gleichzeitig lässt sie indessen ihre Bereitschaft, ihn baldmöglichst zu beenden, deutlich erkennen.

Drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie sind die streikenden Krankenschwestern und -pfleger am Mount Sinai und Montefiore nicht in der Stimmung, ihre Kernforderungen aufzugeben. Allein in New York City verloren Dutzende von Krankenschwestern ihr Leben, weil sie gezwungen waren, Patienten in völlig überlasteten Krankenhäusern ohne angemessene Schutzausrüstung zu versorgen. Viele haben für ihre heldenhafte Aufopferung mit schwerem Stress und Trauma bezahlt, so dass sie sich gezwungen sahen, den Beruf aufzugeben.

Die Krankenhausverwaltung hat die Pflegekräfte angegriffen, weil sie sich weigern, das Unzumutbare zu akzeptieren. Wie die New York Times berichtete, hat die Verwaltung des Mount Sinai den Streik als „rücksichtslos“ bezeichnet, und Montefiore hat einen „traurigen Tag für New York City“ ausgerufen.

Aber die Haltung der New Yorker Krankenschwestern ist so aufrecht wie eh und je. Die Politik der herrschenden Klasse, unabhängig von welcher Partei, sorgt dafür, dass die Krise im Gesundheitswesen unvermindert andauert. Die jüngste Covid-Variante XBB.1.5 hat sich schon über das ganze Land ausgebreitet. Dies und andere Atemwegsviren treiben die Krankheitsfälle in diesem Winter ungewöhnlich stark in die Höhe. Und die Abschaffung aller Corona-Maßnahmen sorgt dafür, dass auch weiterhin immer neue Varianten auftauchen werden.

Reporter des WSWS Health Care Newsletter sprachen am Montag mit streikenden Pflegekräften und ihren Unterstützern an den Streikposten.

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Marie, eine streikende Krankenschwester, sagte: „Wir spielen keine Spielchen mehr mit dem [Klinikum] Mount Sinai. Wir sind hier überfordert. Wir sind unterbesetzt. Viele Pflegekräfte melden sich krank, weil sie so überlastet sind. Es geht uns nicht nur ums Geld. Es geht darum, die Krankenschwestern zu halten; dafür kämpfen wir. Pflegekräfte kommen und gehen wieder, weil sie merken, dass sie in jedem anderen Krankenhaus besser bezahlt werden.

Wir haben hier 500 Pflegekräfte zu wenig, und diese Lücke wollen wir schließen. Wir fordern nur, was fair ist“, fuhr sie fort. „Während Corona haben wir keinen einzigen Cent verlangt. Wir haben uns wie Helden verhalten. Wir haben nur persönliche Schutzausrüstung (PSA) verlangt. Wir haben unseren Vertrag respektiert; wir haben unseren Eid als Krankenschwestern respektiert und unser Krankenhaus unterstützt. Damit haben wir die Gesellschaft unterstützt. Bei uns sind mehrere Pflegekräfte an Corona gestorben, und Krankenschwestern, die bei uns arbeiten, haben die Krankheit an ihre Großeltern weitergereicht, die dann an Covid starben. Was sagt Mount Sinai dazu? Was sagt die Verwaltung? Nein, wir werden nicht klein beigeben. Das war's.“

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Lily, eine andere Krankenschwester am Mount Sinai, erklärte: „Die Verwaltung stellt nicht genügend Krankenschwestern ein, so dass wir immer zu wenig Personal haben und die Patienten nicht richtig versorgen können. Unser Krankenhaus bekommt weniger als alle anderen Krankenhäuser der Stadt, so dass wir im Grunde die am schlechtesten bezahlten Krankenschwestern von New York sind.“

Über die Vereinbarung, welche die Gewerkschaft NYSNA für 10 andere Krankenhäuser in New York City akzeptiert hat, sagte Lily: „7 Prozent, 6 Prozent und 5 Prozent [Lohnerhöhung] über drei Jahre, das bringt uns nicht einmal in die Nähe dessen, was wir brauchen. Und das betrifft nur die Gehälter. Das Problem ist jedoch, dass mit diesen 7 Prozent alle anderen Leistungen abgegolten sein sollen. Wir sind also beim Gehalt weit im Rückstand.“

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Eine andere Krankenschwester am Mount Sinai, Raji, sagte über die zurückliegende Corona-Zeit: „Es war hart. Es war hart. Wir arbeiten in der Notaufnahme. In einem anderen Krankenhaus, in dem ich früher war, hatte die Notaufnahme maximal sieben Patienten. Wir haben fast in jeder Schicht 15–20 Patienten – pro Krankenschwester! Und ja, das ist brutal. Wir sind unterbesetzt. Wo wir eigentlich vier Krankenschwestern haben sollten, haben wir zwei.

Das Personalproblem ist enorm. Wir stellen neue Absolventen ein – sie kommen und brechen in Tränen aus, und dann wollen sie nicht mehr hier bleiben. Unsere Pflegekräfte leiden. Keiner ist bei der Arbeit glücklich. Die Krankenpflege, die wir vor vier oder fünf Jahren kannten, gibt es nicht mehr. Ehrlich gesagt, es ist brutal. Wir hoffen, dass dieser Streik uns bessere Arbeitsbedingungen verschafft, denn so wie es jetzt läuft, ist die Zukunft der Krankenpflege dem Untergang geweiht.“

Ray, ein Radiologietechniker, erklärte: „Die Mehrheit der Pflegekräfte hat ein Problem mit der Personalbesetzung. In meiner Abteilung, der Interventionellen Radiologie, läuft es gut, aber der Personalmangel in der Krankenpflege betrifft alle. Es sickert bis in unsere Abteilung durch, und es kommt auch in anderen Abteilungen zu Verzögerungen bei der Versorgung aufgrund der schlechten Personalausstattung.“

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Ray schließt: „Wir müssen jetzt wirklich für diesen Vertrag kämpfen. Und wir müssen das der ganzen Nation sagen, ich meine: Darunter leidet doch die ganze Nation.“

Kate, eine nicht-medizinische Helferin, ist hergekommen, um den Streik der Pflegekräfte zu unterstützen. „Ich unterstütze den Streik der Krankenschwestern, denn sie tun wirklich alles. Sie sind das Herz des Krankenhauses. Ich sehe es aus erster Hand, und ich denke, sie verdienen eine faire Bezahlung und eine sichere Personalausstattung. Das wird den Patienten das Leben retten, ganz ehrlich. Ich musste einfach herkommen und sie unterstützen.“

Virginia

Zwölf Kilometer nördlich, im Montefiore Medical Center in der Bronx, erläuterte Virginia, eine Krankenschwester mit 37 Jahren Erfahrung in der Notaufnahme, die Bedingungen, die zu dem Streik geführt hatten: „Vor fünf Jahren haben sie versprochen, uns neu aufzustellen, aber sie haben es nicht getan. Die Zahl der psychiatrischen Patienten, die zu uns kommen, ist gestiegen. Ich habe zuweilen bis zu 15 Patienten, die auf Bahren liegen, und so bleiben sie manchmal drei bis vier Tage liegen. Wenn es in der Psychiatrie mehr als 15 sind, kann man sie umleiten, d. h. die Patienten werden dann in andere Krankenhäuser verlegt. Aber in der Medizin ist das nicht erlaubt.

Beim letzten Vertrag vor drei Jahren“, fuhr sie fort, „hatten wir ein Defizit von 300 Krankenschwestern. Sie haben uns angelogen und gesagt, sie würden mehr einstellen. Jetzt sind es bis zu 700 zu wenig. Wir brauchen die Möglichkeit, nachzuprüfen, ob sie wirklich, wie versprochen, mehr einstellen. Deshalb sind wir hier draußen. Das ist der springende Punkt. Für die medizinische Versorgung wurde uns ein Pflegekraft-Patienten-Verhältnis von eins zu fünf versprochen. Aber derzeit steht es bei eins zu acht.

Als ich vor 37 Jahren als Krankenschwester anfing, war es besser. Das Verhältnis zwischen Krankenschwester und Patient war besser. Als ich hierher kam, war hier noch dasselbe Verhältnis, aber seither ist es immer schlechter geworden. Dann brachte Corona all das Schlimme ans Licht. In der Anfangszeit von Covid hatten wir bis zu fünf Kühlwagen [zur Leichenlagerung] hier stehen. Wir machten uns Sorgen, ob wir noch lebend nach Hause kämen. Meine Tochter und mein Sohn hatten Covid, aber zum Glück hatten sie eine gute Gesundheit und sind heute wohlauf.“

Bey beschrieb, wie sich der Personalmangel auf ihre Arbeit auswirkt. „Ich arbeite seit 32 Jahren als Krankenschwester und habe noch vier Jahre vor mir, bevor ich in Rente gehen kann. Ein Beispiel dafür, warum der Personalmangel uns zum Streik getrieben hat, sind die Herzpatienten: Jeder Herzpatient ist nach dem Eingriff, bei dem ein Stent in sein Herz eingesetzt wird, gefährdet. Es besteht die Gefahr von Blutungen. In dieser Situation sollte das Verhältnis zwischen Krankenschwestern und Patienten höchstens eins zu vier sein, aber wir haben eins zu fünf oder sechs, manchmal eins zu sieben. Wir haben kein Hilfspersonal und keine Sekretärin. Also müssen wir entscheiden, ob wir die Patienten saubermachen oder einen Telefonanruf annehmen. Alle fünfzehn Minuten müssen wir auf Blutungen achten. Sie könnten bluten. So hat jede Abteilung ihre eigenen Themen.“

Streikposten am Montefiore Hospital. Bey rechts, Gilda hinten in der Mitte

Bey fügte hinzu: „Ein weiterer Punkt, der durch den Personalmangel eingeschränkt wird, ist unsere Zeit für die Patientenaufklärung nach einem Eingriff. Wir müssen den Patienten erklären, was sie für die Nachsorge wissen müssen, z. B. wann sie zu Hause wieder duschen dürfen. Aber gleichzeitig müssen wir zum nächsten Patienten eilen. Einige von uns arbeiten in Doppelschichten, also 24 Stunden, weil die Leute krank werden und wir schon ohne dies zu wenig Leute haben. Das wird als normale Überstunden bezahlt. Viele Krankenschwestern wollen nicht bleiben und gehen, sobald sie 60 Jahre alt werden. Viele gehen in den Ruhestand, aber nach dieser harten Arbeit werden sie selbst krank und sterben rasch.“

Ihre Kollegin Gilda arbeitet seit vier Jahren auf der Intensivstation. Sie sagte: „Wir wollen keine Patienten mehr auf dem Flur liegen haben. Das Krankenhaus hat mehrere Abteilungen geschlossen und weigert sich, sie wieder zu öffnen. Wir bekommen diese Patienten immer noch, aber sie wollen niemanden mehr einstellen. Lieber wäre ihnen, wenn wir jeweils 10 Patienten hätten. Krankenschwestern und -pfleger sollten nicht unter Bedingungen arbeiten müssen, die dazu führen, dass sie ihre Zulassung verlieren, wie es im Fall von Radonda Vaught in Tennessee geschah.“ [Die Krankenschwester Radonda Vaught wurde zu einer Bewährungsstrafe wegen eines medizinischen Fehlers verurteilt, der letztlich das Ergebnis von Personalmangel und anderen Missständen war.]

Eine andere Krankenschwester mit 20 Jahren Erfahrung, zwei davon in der Montefiore Kinderklinik, sagte: „Nach dem Corona-Ausbruch haben viele Krankenschwestern und -pfleger das Krankenhaus verlassen, und das Krankenhaus hat keine neuen Mitarbeiter eingestellt. Es gibt nicht genug Krankenschwestern für die Patienten. Die Patienten haben etwas Besseres verdient. Wir protestieren gegen die Personalausstattung, und wir werden völlig ignoriert. Wenn wir gegen einen Einsatz protestieren, weil es zu viele Patienten sind, stoßen wir auf taube Ohren. Die Überlastung beginnt mit Schichtbeginn und geht die ganze Zeit weiter. Es ist nicht so, dass wir gerne streiken. Aber der Kampf, den wir jetzt brauchen, beginnt genau hier.“

Der Streik der Krankenschwestern und -pfleger in New York City ist Teil einer wachsenden Welle internationaler Kämpfe von Beschäftigten des Gesundheitswesens, darunter Krankenschwestern und -pfleger des National Health Service und Ambulanzfahrer im Vereinigten Königreich sowie Pflegekräften in Deutschland und Sri Lanka. Der Streik findet in einer Zeit statt, in der auch andere Arbeiterschichten mit den kapitalistischen Regierungen in aller Welt in Konflikt geraten, und sie nehmen den Kampf dagegen auf, dass man die Kosten der Wirtschaftskrise und des eskalierenden Kriegs auf ihren Rücken lädt.

Vor wenigen Tagen haben mehr als 1.000 Arbeiter des Bau- und Landmaschinenkonzerns CNH Industrial in Wisconsin und Iowa für die Ablehnung des „letzten, besten und endgültigen Angebots“ gestimmt. Dabei gibt sich die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) seit acht Wochen die größte Mühe, ihren unbefristeten Arbeitskampf zu isolieren.

In den USA laufen in diesem Jahr Verträge für anderthalb Millionen Beschäftigte aus, u.a. bei Caterpillar, General Electric, dem öffentlichen Nahverkehr in New York City (Metropolitan Transit Authority), der UPS, den in Detroit ansässigen Autowerken und Mack Trucks.

Um den Streik in New York zum Erfolg zu führen, müssen Krankenschwestern und -pfleger die Führung des Kampfs selbst in die Hand nehmen. Sie müssen ein Aktionskomitee aus den Reihen der Beschäftigten bilden. Nur so kann der Kampf der Pflegekräfte mit breiteren Teilen der Arbeiterklasse vereint werden, und nur dadurch ist es möglich, ein System zu beenden, das jeden Aspekt des Lebens, einschließlich die Lebenserhaltung selbst, dem privaten Profit unterordnet.

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