Rot-rot-grüner Senat heizt Polizeistaatskampagne nach der „Berliner Silvesternacht“ an

Seit mehr als zwei Wochen dient die „Berliner Silvesternacht“ Politik und Medien als Vorwand für eine rechte Polizeistaatskampagne und üble rassistische Hetze.

Als die Regierende Bürgermeisterin Berlins, Franziska Giffey, vergangene Woche als Reaktion auf die Neujahrsnacht zu einem „Gipfel gegen Jugendgewalt“ einlud, wurde vor allem eines deutlich: Inmitten des Wahlkampfes für das Abgeordnetenhaus beschwören die SPD-Politikerin und ihre Grünen- und Linkspartei-Koalitionspartner hysterisch den „starken Staat“ und fordern die weitere Aufrüstung der Polizei.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Katja Kipping (Die Linke) [AP Photo/Michael Sohn]

Beinahe täglich überschlagen sich Meldungen mit vermeintlich neuen Erkenntnissen und rechter Hetze, die die Medien teils ungeprüft, dafür umso begieriger aufgreifen. Die Parallelen zu den Silvesternächten in Köln und Hamburg 2016 sowie in Leipzig 2020 sind unübersehbar, der Zweck dahinter offensichtlich: Das Ausmaß der Gewalt soll vollkommen überzogen dargestellt und ein rassistisches Narrativ entwickelt werden, das auf vermeintliche Migrationshintergründe verweist.

Der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel (SPD), schwadronierte im Interview mit der Welt von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ und forderte, dass straffällig gewordene Jugendliche „auch einmal länger in den Bau“ müssten.

Die CDU verlangte in einem Fragekatalog an den Innenausschuss des rot-rot-grünen Senats, die Vornamen der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit bekanntzugeben. Als Vorbild diente ihr die AfD, die sich 2019 im Saarland nach den Vornamen von Messerangreifern erkundigt hatte.

Auf die Berliner Neujahrsnacht angesprochen, hetzte CDU-Chef Friedrich Merz bei Markus Lanz: „Wir sprechen über Menschen, die hier in Deutschland eigentlich nichts zu suchen haben.“

Tatsache ist: Die exakte Faktenlage über die Neujahrsnacht ist weiterhin völlig unklar. Klar ist aber, dass die Ereignisse massiv aufgebauscht wurden.

Ende vergangener Woche berichtete der Tagesspiegel, dass es lediglich zu 38, und nicht wie ursprünglich gemeldet zu 145 Festnahmen im Zusammenhang mit Böllerattacken auf Polizisten und Feuerwehrleute gekommen sei. Davon seien zwei Drittel der Verdächtigen deutscher Staatsangehörigkeit. Ohne konkreter zu werden, berief sich der Tagesspiegel auf Angaben „aus der Berliner Polizei“.

Die ursprüngliche Zahl von 145 Festnahmen soll sich auf alle Personen bezogen haben, die von den für die Silvesternacht eingesetzten Polizeieinheiten aufgrund verschiedener Delikte festgenommen wurden, schreibt der Tagesspiegel weiter. Dazu zählten neben den Angriffen auf Einsatzkräfte auch Brandstiftung, Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz und Landfriedensbruch.

Am Freitagabend behauptete der Sprecher der Berliner Polizei, Martin Halweg, auf Nachfrage von Focus online, dass die Berliner Polizei die Zahlen des Tagespiegel nicht kommuniziert oder veröffentlicht habe. Er ergänzte: „Woher der Tagesspiegel die Infos hat, ist uns nicht bekannt.“ Auch über mögliche Staatsbürgerschaften zu den gesonderten Festnahmen lägen derzeit angeblich noch keine Informationen vor, so der Polizeisprecher.

Zunächst war sogar die Rede von 159 Festnahmen gewesen und die Polizei hatte die Zahl wegen Doppelzählungen auf 145 reduziert – jetzt scheint plötzlich niemand mehr etwas Konkretes zu wissen. Zuvor war die rassistische Hetze noch mit Meldungen über insgesamt 18 Nationalitäten der vorrangig männlichen Verdächtigen angeheizt worden; darunter 45 Personen mit deutscher, 27 mit afghanischer und 21 mit syrischer Staatsangehörigkeit.

Es ist derzeit unklar, ob alle unter Verdacht stehenden Jugendlichen, die kurz darauf wieder auf freiem Fuß waren, überhaupt Gewalt angewendet haben. Da alle Verdächtigen einen legitimen Aufenthaltsstatus besitzen, drängt sich der Verdacht auf, dass sie vor allem aufgrund ihrer Herkunft festgehalten wurden.

Belastbare Angaben sollen laut der Berliner Polizei angeblich diese Woche vorliegen.

Mit den offensichtlich maßlos übertriebenen Zahlen der Berliner „Krawall-Nacht“ und der rassistischen Hetze von Politik und Medien treibt die herrschende Klasse eine ohrenbetäubende „Law and Order“-Kampagne voran.

Giffeys „Gipfel gegen Jugendgewalt“

Ganz in diesem Sinne stand auch der „Gipfel gegen Jugendgewalt“, den Franziska Giffey am 11. Januar einberief. Die Ereignisse der Silvesternacht bezeichnete sie laut der Süddeutschen Zeitung dabei als „Zäsur“ für die Arbeit, die in Berlin zu leisten sei. Anders ausgedrückt benutzt Giffey die aufgebauschten Zahlen zur Silvesternacht, um die Polizei massiv aufzurüsten und für verstärkte Polizeikontrollen überall in der Stadt zu sorgen. Ein erneutes Treffen im Rahmen des Jugendgipfels ist für den 22. Februar geplant.

Zum Gipfel geladen waren Vertreterinnen und Vertreter des Senats, der Bezirke, der Polizei sowie der Generalstaatsanwaltschaft, die Beauftragte für Integration und Migration des Landes Berlin und die Integrationsbeauftragte des Bezirks Neukölln sowie Vertreter aus der Jugend- und Jugendsozialarbeit. Wie wenig Interesse an der eigentlichen Zielgruppe tatsächlich besteht, zeigte sich daran, dass nur wenige Jugendliche eingeladen waren.

Das offizielle Ziel des Gipfels bestand darin, ein „zielgerichtetes und umfassendes Vorgehen zur Prävention von Jugendgewalt in Berlin zu entwickeln“. Stattdessen wurden in einem Ergebnispapier hohle Phrasen wie „Elternarbeit und Schulsozialarbeit“, „Außerschulische Jugendsozialarbeit“ sowie „Starke Stadtteile und Orte für Jugendliche“ festgehalten und mit reichlich Leerformeln gefüllt. Jede vermeintlich progressive Maßnahme müsse zunächst „geprüft“, also auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben werden.

Im vierten und letzten Punkt des Ergebnispapiers wird deutlich, um was es Giffey tatsächlich geht. Sie fordert „klare Konsequenzen bei Straftaten und Grenzüberschreitungen“ und droht straffällig gewordenen Jugendlichen mit drastischen Strafen.

Innerhalb von nur drei Absätzen wird fünfmal auf das umstrittene „Neuköllner Modell“ verwiesen, dass ein gerichtliches Schnellverfahren gegen leichte bis mittlere Fälle von Jugendkriminalität vorsieht (z. B. Ladendiebstahl oder einfache Körperverletzung). Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichte sollen besonders eng kooperieren, damit die „Strafe auf dem Fuße folgt“.

Das „Neuköllner Modell“ geht auf die Jugendrichter Stephan Kuperion und die 2010 verstorbene Kirsten Heisig zurück. Letztere war als „Richterin Gnadenlos“ bekannt. In ihrem posthum veröffentlichten Buch „Das Ende der Geduld“ forderte Heisig eine geschlossene Heimerziehung für kriminelle Kinder und härtere Strafen für junge Gewalttäter. Nicht nur in einem Spiegel-Interview von 2009 warf sie mit rassistischen Stereotypen um sich und führte Gewalt auf einen Migrationshintergrund zurück.

Ohne dass die Faktenlage der Berliner Silvesternacht auch nur annähernd geklärt wäre, forderte auch die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) Schnellverfahren und beschwor die „volle Härte des Rechtsstaates“.

Der vierte Punkt des Ergebnispapiers nennt außerdem eine „täterorientierte“ Prävention „an besonders von Gewalt betroffenen Orten“. Weiter heißt es: „Die Täterstruktur und die Orte, an denen gehäuft Übergriffe stattfanden, werden ausgewertet.“

Es handelt sich dabei um eine unmissverständliche Aufforderung, das sogenannte „Racial Profiling“ auszuweiten und verstärkte Polizeikontrollen durchzuführen. Geplant sind offenbar willkürliche Kontrollen, wenn es heißt, Jugendliche sollten bei „Auffälligkeiten“ von der Berliner Polizei „niederschwellig“ angesprochen werden.

Es steht außer Frage, dass die in dem Ergebnispapier genannten „zusätzlichen Mittel“, die der Senat bereitstellen will, unmittelbar in die Aufrüstung der Polizei fließen werden.

Was auf dem „Gipfel gegen Jugendgewalt“ bewusst nicht zur Sprache kam: der rot-rot-grüne Senat hat Berlin zur Hauptstadt der Armut, der unbezahlbaren Mieten, der maroden Schulen und der zerfallenden Krankenhäuser gemacht. Das heuchlerische Geschwätz des Ergebnispapiers über Präventivmaßnahmen steht stellvertretend für die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Konsequenzen der sozialen Verwüstung mit autoritären Mitteln.

In einem Kommentar zur Berliner Silvesternacht hieß es dazu auf der WSWS: „Wenn einige Jugendliche in der Silvesternacht Polizeiwagen mit Böllern beworfen und die Feuerwehr bei Löscharbeiten behindert haben, ist dies ein verzweifelter Ausdruck der Wut über die dramatische Lage und Perspektivlosigkeit, in die sie die Regierungsparteien gestürzt haben.“

Auch der Krieg in der Ukraine, den die Bundesregierung skrupellos verschärft, die hohe Inflation, das Massensterben seit Beginn der Corona-Pandemie und die massive soziale Ungleichheit rauben Jugendlichen die Aussicht auf eine lebenswerte Zukunft.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) verurteilt die rechte Offensive für „Law and Order“ und die üble rassistische Hetze. Sie tritt zur Berlinwahl an, um der enormen Opposition gegen die Politik der sozialen Verwüstung auf Bundes- und Landesebene sowie der Kriegspolitik der Bundesregierung eine Stimme und eine sozialistische Perspektive zu geben.

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