US-Marine hat Nord Stream-Pipeline gesprengt, sagt Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh

Die Zerstörung der Pipeline Nord Stream 2, die Erdgas von Russland nach Deutschland führte, war ein Terroranschlag der US-Marine. Die Mission war bereits vor der russischen Invasion in der Ukraine geplant. Dies geht aus einem Bericht hervor, den der Journalist und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh am Mittwoch veröffentlicht hat.

Am 26. September 2022 zerstörten mehrere Explosionen die beiden Pipelines Nord Stream 1 und 2, durch welche Erdgas von Russland nach Deutschland transportiert worden war. Während sich niemand öffentlich zur Verantwortung bekannte, haben US-Politiker ihre Genugtuung über die Zerstörung der Pipelines zum Ausdruck gebracht.

Werbefoto der US-Marine für ihr „Forschungs“-Projekt im Rahmen des Manövers BALTOPS 22. Es wurde laut Hersh dazu genutzt, die Sprengsätze an den Nord Stream-Pipelines anzubringen [Photo: US Navy]

Seymour Hersh ist ein weltweit führender Enthüllungsjournalist. Während des Vietnamkriegs hat er das Massaker von My Lai aufgedeckt. Er trug auch zur Aufdeckung des Watergate-Skandals und des Gefangenenmissbrauchs in Abu Ghraib (Irak) bei. Zwar gibt Hersh seine Quellen wie üblich nicht preis, und seine Anschuldigungen können nicht von unabhängiger Seite überprüft werden; aber bisher wurden alle seine Berichte bestätigt.

Hersh behauptet das Folgende:

Im vergangenen Juni brachten Marinetaucher im Rahmen des bekannten Nato-Sommermanövers BALTOPS 22 die Sprengsätze an, die mit Fernzünder versehen waren. Und drei Monate später wurden damit drei der vier Nord-Stream-Pipelines zerstört.

Der Terroranschlag auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2 zerstörte zivile Infrastruktur im Wert von über 20 Milliarden US-Dollar. Er führte zum größten Austritt von Methangas in der Geschichte der Menschheit und setzte das Äquivalent von 14,6 Millionen Tonnen CO2 frei, was erhebliche Auswirkungen auf das Klima hat. Der Angriff trug zu einem sprunghaften Anstieg der Energiepreise in Europa und auf der ganzen Welt bei.

In einer Anhörung vor dem Kongress im Januar sagte die Staatssekretärin für politische Angelegenheiten, Victoria Nuland: „Ich denke, die Regierung ist sehr erfreut, zu wissen, dass Nord Stream 2 jetzt, wie man so schön sagt, ein Haufen Schrott auf dem Meeresgrund ist.“

Diese Äußerung deutete stark darauf hin, dass die USA und ihre Verbündeten über den Angriff keineswegs unglücklich waren. Sie ließ es auch für wahrscheinlich erscheinen, dass der Angriff wohl aus Washington gesteuert und von Mittelsmännern, beispielsweise ukrainischen Spezialkräften, ausgeführt worden sei.

Hersh zufolge wurde der Angriff jedoch nicht nur von den Vereinigten Staaten geplant, sondern auch aktiv von der US-Marine ausgeführt. Wenn das stimmt, dann war das ein skrupelloser Angriff auf Deutschland, einen Nato-Partner der USA. Die Vereinigten Staaten kämpften in zwei Weltkriegen gegen Deutschland, und Hunderttausende amerikanischer Soldaten wurden dabei getötet. Im Jahr 1917 traten die Vereinigten Staaten als Reaktion auf die deutsche Politik offiziell in den Ersten Weltkrieg ein, nachdem deutsche U-Boote wahllos amerikanische Zivilschiffe versenkt hatten.

In seinem Bericht erläuterte Hersh die wirtschaftliche Bedeutung der Nord Stream-Pipelines:

Die Regierung in Washington und ihre antirussischen Nato-Partner haben Nord Stream 1 von Anfang an als Bedrohung der westlichen Vorherrschaft betrachtet ...

Die direkte Route, bei der die Ukraine umgangen wurde, war für die deutsche Wirtschaft ein Segen. Sie konnte sich über einen Überfluss an billigem russischem Erdgas freuen – genug, um ihre Fabriken zu betreiben und ihre Häuser zu heizen, während die deutschen Vertriebspartner überschüssiges Gas mit Gewinn in ganz Westeuropa verkaufen konnten ...

Amerikas politische Befürchtungen waren real: [Russlands Präsident] Putin konnte nun über eine zusätzliche und dringend benötigte Haupteinnahmequelle verfügen, und Deutschland und das übrige Westeuropa wurden damit von dem aus Russland gelieferten preiswerten Erdgas abhängig. Das verringerte gleichzeitig die Abhängigkeit Europas von Amerika ...

Solange Europa von den Pipelines für billiges Erdgas abhängig blieb, befürchtete Washington, dass Länder wie Deutschland zögern würden, die Ukraine mit dem Geld und den Waffen zu versorgen, die sie benötigte, um Russland zu besiegen.

Hersh verschweigt, dass die USA nach dem Stopp der europäischen Erdgasimporte aus Russland ihre Erdgasexporte nach Europa massiv ausgeweitet haben, und dass dies zu Rekordgewinnen für die US-Energiekonzerne führte.

Ein europäischer Experte sagte gegenüber Politico: „Nüchtern betrachtet sind die USA das Land, das am meisten von diesem Krieg profitiert, weil sie mehr Gas zu höheren Preisen verkaufen und weil sie mehr Waffen verkaufen.“

Hersh berichtet, dass die Pläne für den amerikanischen Angriff auf Nord Stream 2 bereits vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine geschmiedet worden seien. Er schreibt:

Im Dezember 2021, zwei Monate bevor die ersten russischen Panzer in die Ukraine rollten, berief [der Nationale Sicherheitsberater] Jake Sullivan eine Sitzung einer neu gebildeten Task Force ein – Männer und Frauen aus den Stabschefs, der CIA, dem Außen- und dem Finanzministerium – und bat um Empfehlungen, wie man auf Putins bevorstehende Invasion reagieren sollte.

Hersh behauptet, dass Sullivan einen „Plan für die Zerstörung“ vorgeschlagen habe, und dass er damit „den Wünschen des Präsidenten nachkam“.

Über die Erwägungen der Kriegsplaner schreibt Hersh das Folgende: „Die Quelle sagte: ‚Das ist kein Kinderkram‘. Wenn der Angriff auf die Vereinigten Staaten zurückgeführt werden könne, ‚dann ist das eine Kriegshandlung‘.“

Am 7. Februar, also kurz vor der Invasion, erklärte US-Präsident Joe Biden öffentlich: „Wenn Russland einmarschiert ... wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“

Laut Hersh waren die Planer der Operation über diese Aussage Bidens stark beunruhigt.

Mehrere an der Planung der Pipeline-Mission beteiligte Personen waren bestürzt über das, was sie als Anspielung auf den Angriff verstanden ...

„Das war so, als würde man eine Atombombe in Tokio auf den Boden legen und den Japanern sagen, dass wir sie zünden werden“, sagte die Quelle. „Der Plan sah vor, dass die Optionen nach der Invasion ausgeführt, aber nicht öffentlich bekanntgegeben werden sollten. Biden hat das einfach nicht kapiert, oder er hat es ignoriert.“

Die US-Marine wollte laut Hersh den Sprengstoff während der Militärmanöver BALTOPS 22 anbringen, an der Dutzende von Kriegsschiffen und Tausende von Soldaten beteiligt waren. Die US-Marine veröffentlichte eine Pressemitteilung über ein Tiefsee-Forschungsprojekt im Rahmen der Übung, die auch das Bild eines Tiefseetauchers enthielt.

Hersh zufolge wurden die Sprengsätze zwar während der Übung angebracht, aber das Weiße Haus entschied, die Explosionen nicht sofort auszulösen, sondern sie erst im September ferngesteuert zu zünden.

Hershs Bericht enthält auch Widerlegungen aus dem Weißen Haus, das als Reaktion auf seine Geschichte erklärt hatte: „Das ist falsch und völlig frei erfunden“, und von der Central Intelligence Agency. Die CIA erklärte: „Diese Behauptung ist völlig falsch.“

Der Whistleblower Edward Snowden, der Hershs Artikel auf Twitter geteilt hat, antwortete auf die Dementis aus dem Weißen Haus: „Fällt Ihnen ein Beispiel aus der Geschichte ein, bei dem das Weiße Haus für eine geheime Operation verantwortlich war, dies aber vehement bestritten hat? Vielleicht jener kleine Aufreger über den massenhaften Lauschangriff?“ Snowden bezieht sich dabei auf das Programm einer geheimen und illegalen Massenüberwachung, das die NSA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ins Leben gerufen hatte, und das er selbst 2013 an die Öffentlichkeit brachte.

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Bis zu Hershs Enthüllung hatten alle US-Medien den Anschlag so behandelt, als sei er ein ungelöstes Rätsel, obwohl offizielle Vertreter der USA und der Nato die Sprengungen offen begrüßt hatten. Die New York Times, die Washington Post und das Wall Street Journal verschweigen das Ganze und berichten weder über Hershs Artikel, noch über das Dementi des Weißen Hauses.

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