Russische Offensive in der Ukraine beginnt, während der Krieg die gesamte Region destabilisiert

Eine Woche vor dem ersten Jahrestag des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine mehren sich die Anzeichen, dass bereits eine neue russische Offensive angelaufen ist, während der Krieg die gesamte Region zunehmend destabilisiert.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte letzten Donnerstag in einem Interview mit der BBC: „Es finden bereits russische Angriffe aus mehreren Richtungen statt.“ Er lehnte erneut jegliche territoriale Zugeständnisse an Moskau ab, einschließlich der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer, die seit 2014 von Russland beansprucht wird, und anderer Gebiete in der Ostukraine, die derzeit von russischen Streitkräften besetzt sind.

An Mittwoch erklärte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace gegenüber der BBC: „Laut unseren Schätzungen befinden sich jetzt 97 Prozent der gesamten russischen Armee in der Ukraine.“ Aufgrund einer Reihe von katastrophalen militärischen Rückschlägen ordnete der Kreml Anfang September eine Teilmobilmachung an. Seither wurden 300.000 Männer in die russische Armee eingezogen. Nachdem die meisten von ihnen mehrere Monate lang im Hinterland untergebracht waren und eine Grundausbildung durchliefen, scheint jetzt ein Großteil von ihnen an die Front geschickt worden zu sein. Die Diskussionen in den russischen Medien deuten darauf hin, dass es bald eine weitere Mobilmachung geben könnte.

Laut dem britischen Telegraph wurden Freitag letzter Woche über einen Zeitraum von 48 Stunden schwere Kämpfe von nahezu der gesamten Frontlinie an der Grenze zu den russisch kontrollierten Gebieten in der Ostukraine gemeldet. Nach monatelangen heftigen Kämpfen stehen russische Truppen, darunter die paramilitärische Söldnertruppe Wagner-Gruppe, scheinbar kurz vor der Eroberung von Bachmut. Auch die Stadt Wuhledar wurde wiederholt angegriffen. Beide Orte sind relativ klein und liegen in der Region Donezk. Al Jazeera beschrieb diese Woche als „die bisher härteste“ für die ukrainische Armee an der Front in der Ostukraine.

Die Kämpfe haben zwar bisher wenig nennenswerte Bewegung an den Fronten gebracht, aber auf beiden Seiten entsetzliche Opfer gefordert. Vertreter der Ukraine und der Nato behaupten, mit einiger Befriedigung, dass Russland jeden Tag hunderte Soldaten verliert und einige Einheiten vollständig zerstört wurden.

Zerstörte russische Panzer gegenüber einer Kirche in der ukrainischen Stadt Swiatohirsk, 12. Februar 2023 [AP Photo/Evgeniy Maloletka]

Allerdings werden auch die Verluste auf ukrainischer Seite extrem hoch eingeschätzt. Man geht davon aus, dass täglich hunderte Menschen sterben, bei einer viel geringeren Bevölkerung von knapp 40 Millionen gegenüber 140 Millionen in Russland. Seit Beginn des Krieges sind mindestens acht Millionen Ukrainer aus dem Land geflohen, und von den noch Verbliebenen leben mehrere Millionen in Gebieten, die von Russland kontrolliert werden.

Im November, neun Monate nach Kriegsbeginn, hatten beide Seiten laut einer Schätzung von US-Generalstabschef Mark Milley jeweils 100.000 Tote zu beklagen. Jetzt, mehr als drei Monate später, müsste diese bereits erschreckende Zahl noch deutlich gestiegen sein.

Angesichts dieser katastrophalen Verluste und des Zusammenbruchs der Wirtschaft – etwa ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist jetzt arbeitslos – befindet sich das ukrainische Militär in einer höchst prekären Lage und die Regierung in einer schweren Krise.

Die Washington Post berichtete letzte Woche, Vertreter der US-Regierung hätten Selenskyjs Entscheidung beanstandet, der Verteidigung von Bachmut Vorrang einzuräumen: „Amerikanische Militär-Analysten und -Planer haben argumentiert, es sei unrealistisch, gleichzeitig Bachmut zu verteidigen und eine Frühjahrs-Gegenoffensive zur Rückeroberung von Gebieten zu beginnen, die von den USA als wichtiger eingestuft werden.“

Die hauptsächliche Reaktion der Nato auf die Krise ihrer Stellvertretertruppen in der Ukraine bestand in einer weiteren Eskalation ihres Engagements und ihrer Waffenlieferungen.

In den letzten sechs Wochen hat die Nato in erstaunlicher Geschwindigkeit die Lieferung von hunderten Kampfpanzern an die Ukraine organisiert und diskutiert jetzt offen die Entsendung von F-16-Kampfflugzeugen.

Anfang letzter Woche kündigten Vertreter der Nato an, die Rüstungsproduktion für einen „aufreibenden Abnutzungskrieg“ hochzufahren. Ein Vertreter der US-Regierung erklärte der Financial Times: „Die russischen Landstreitkräfte sind ziemlich erschöpft, was stark darauf hindeutet, dass sie zum Luftkrieg übergehen werden. Wenn die Ukrainer überleben wollen... müssen sie so viel Luftabwehrwaffen und Munition haben... wie möglich.“ Laut der Zeitung hat Russland massive Luftstreitkräfte an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen, wobei mehr als 80 Prozent seiner Luftwaffe noch intakt sind.

Während die Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern immer weiteren Angriffen auf ihren Lebensstandard ausgesetzt wurde, haben die 30 Nato-Mitgliedsstaaten der Ukraine im letzten Jahr laut den jüngsten Zahlen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft mindestens 80,5 Milliarden Dollar an Militärhilfe zugesagt.

Mit dem Beginn einer weiteren Eskalation des Kriegs wird bereits jetzt die gesamte Region destabilisiert, und die Gefahr nimmt zu, dass Nachbarländer immer direkter hineingezogen werden. Belarus, das an den Norden der Ukraine und den Westen Russlands grenzt, hat am 1. Februar größere gemeinsame Militärübungen mit Russland abgeschlossen, an denen alle belarussischen Luftwaffenstützpunkte beteiligt waren. Daneben sind auf belarussischem Territorium auch weiterhin russische Truppen stationiert.

Die Regierung von Alexander Lukaschenko, dem letzten Verbündeten des Putin-Regimes in Osteuropa, hat sich bisher nicht offen an dem Krieg beteiligt. Lukaschenko erklärte letzten Freitag vor seiner Abreise zu einem Treffen mit Putin in Moskau, er würde „auf keinen Fall“ Truppen in die Ukraine schicken, es sei denn Belarus würde angegriffen. In diesem Fall sei er „bereit, an der Seite der Russen von belarussischem Staatsgebiet aus Krieg zu führen... Vergessen Sie nicht, dass Russland unser Verbündeter ist, juristisch, moralisch und politisch.“

In der Republik Moldau, einem Land mit 2,6 Millionen Einwohnern, das zwischen der Ukraine und dem Nato-Mitgliedsstaat Rumänien liegt, ist im Fahrwasser des Kriegs eine schwere politische und soziale Krise ausgebrochen.

Die Republik Moldau war von Anfang an stark vom Krieg betroffen. Hunderttausende Ukrainer sind nach Moldau geflohen, und regelmäßig landen Raketentrümmer auf moldauischem Staatsgebiet. Seit Herbst leidet Moldau auch immer wieder unter längeren Stromausfällen, da das Land eng mit der ukrainischen Energieinfrastruktur verbunden ist, die regelmäßig durch russische Raketenangriffe lahm gelegt wird. Im Herbst erschütterten Massenproteste gegen die steigenden Lebenshaltungskosten die Regierung.

Das kleine Land ist seit langem einer der wichtigsten geopolitischen Brennpunkte im Konflikt zwischen der Nato und Russland in Osteuropa. Genau wie die Ukraine war Moldau Teil der Sowjetunion bis zu deren Zerstörung durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991.

Mitten im Zusammenbruch der Sowjetunion brach im November 1990 ein Krieg aus zwischen separatistischen Kräfte in der Region Transnistrien nahe der Ukraine, die von Russland unterstützt wurden, und der moldauischen Zentralregierung. Dieser endete 1992 mit einem Waffenstillstand, doch der Status von Transnistrien wurde nie abschließend geklärt. Transnistrien beansprucht zwar seine Unabhängigkeit und wird dabei von Russland unterstützt, wird jedoch international noch immer als Teil der Republik Moldau anerkannt. Russland hat 1.500 Soldaten in Transnistrien stationiert.

Ein wichtiger Bestandteil der vorläufigen Beilegung des Konflikts war, dass Moldaus militärische Neutralität in der Verfassung von 1994 verankert wurde.

Europa-Karte mit der Darstellung von Transnistrien in Rot [Photo by TUBS / CC BY-NC-SA 3.0]

Doch seit Beginn des Kriegs ist die Regierung unter der EU-nahen Präsidentin Maia Sandu, einer ehemaligen Vertreterin der Weltbank, von dieser offiziellen Position der Neutralität abgerückt und hat sich im Krieg offen auf die Seite der Nato und der Ukraine gestellt. Im Juni wurde Moldau gemeinsam mit der Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten erklärt. Im Januar erklärte Sandu gegenüber Politico, ihre Regierung führe „ernsthafte Diskussionen über unsere Fähigkeit, uns zu verteidigen, darüber, ob wir es selbst können oder ob wir Teil eines größeren Bündnisses sein sollten“ – eine eindeutige Anspielung auf die Nato, auch wenn sie den Namen nicht nannte. Der Kreml hat die Republik Moldau mehrfach davor gewarnt, sich offen an der Nato anzuschließen.

Moldauische Truppen führen bereits regelmäßig Übungen Seite an Seite mit Nato-Truppen durch und beteiligen sich an der Nato-Mission im Kosovo. Für das Jahr 2023 hat die Sandu-Regierung die Militärausgaben um 50 Prozent erhöht, während sie gleichzeitig aggressiv gegen demokratische Rechte vorgeht. Unter anderem wurden oppositionelle Nachrichtenmedien und Fernsehsender geschlossen.

Am Montag erklärte Sandu, die moldauischen Geheimdienste hätten ein „Komplott Moskaus“ zum „Sturz“ ihrer Regierung aufgedeckt, an dem pro-russische moldauische Oligarchen und Oppositionelle beteiligt seien. Ohne Beweise zu liefern, behauptete Sandu, das Ziel des „Komplotts“ sei es gewesen, eine Regierung einzusetzen, die „unser Land Russland ausliefert, um den europäischen Integrationsprozess zu stoppen“. Sie erklärte weiter, Russland wolle Moldau im Krieg gegen die Ukraine benutzen: „Die Versuche des Kremls, Gewalt in unser Land zu tragen, werden erfolglos bleiben.“ Einen Tag später schlossen die moldauischen Behörden vorübergehend den Luftraum des Landes, weil angeblich ein ballonartiges Objekt die Grenze überquert hatte.

Nur vier Tage bevor Sandu ihre Unterstellungen über ein „russisches Komplott“ äußerte, hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt, seine Geheimdienste hätten „einen Plan zur Zerstörung von Moldau durch den russischen Geheimdienst abgefangen“.

Sandus ehemaliger Sicherheitsberater, Dorin Recean, der die Hauptrolle bei der Hinwendung zur Nato gespielt hatte, wurde am Donnerstag als neuer Ministerpräsident vereidigt. Sein Vorgänger war eine Woche zuvor plötzlich zurückgetreten.

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