Frankreich: Millionen demonstrieren gegen Macron, doch Gewerkschaften fordern „Vermittlung“

Am Dienstag demonstrierten in ganz Frankreich laut Gewerkschaftsangaben mehr als zwei Millionen Menschen gegen Macrons Rentenreform, 400.000 davon allein in Paris. Die Arbeiterklasse steuert nicht nur auf eine offene Konfrontation mit dem französischen kapitalistischen Polizeistaat zu, sondern auch direkt mit den Gewerkschaftsbürokratien.

Mit Macron gibt es nichts zu verhandeln, er muss von der Arbeiterklasse gestürzt und entmachtet werden. Drei Viertel der Bevölkerung lehnen seine Rentenkürzungen ab, die er ohne Abstimmung im Parlament durchgesetzt hat. Laut Umfragen befürworten zwei Drittel der Bevölkerung, die wütend über Macrons Politik gegen das Volk ist, dass die Arbeiter ihn durch eine Blockade der Wirtschaft in einem Generalstreik stoppen.

Doch die Bürokratien der Gewerkschaften Confédération française démocratique du travail (CFDT) und Confédération générale du travail (CGT) verschärfen den Kampf nicht, sondern warnen vor der wachsenden sozialen Wut und rufen zur „Vermittlung“ mit Macron auf. Nachdem sie die nächste eintägige Protestveranstaltung in einer Woche, für den 6. April, angekündigt haben, werden sie nächste Woche Verhandlungen mit Macron aufnehmen. Diese Entscheidung entlarvt Leute wie den Führer der CFDT, Laurent Berger, der die Beruhigungskampagne der Gewerkschaften anführt. Sie erweisen sich als Werkzeug der kapitalistischen Oligarchie gegen die Bevölkerung.

Am Dienstag kam es in vielen französischen Großstädten, u.a. in Lille, Nantes, St. Etienne, Toulouse, Bordeaux und Paris, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen schwer bewaffneter Bereitschaftspolizei und Demonstranten. Bis zum Morgengrauen wurden in ganz Frankreich 201 Menschen verhaftet. In Charleville-Mézières, wo sich 3.000 Demonstranten versammelten, wurden 18 Personen nach einem gewaltsamen Zusammenstoß mit der Polizei verhaftet. Seit Macron Artikel 49.3 der französischen Verfassung benutzt hat, um seine Rentenkürzungen ohne Abstimmung durchzupeitschen, wurden in Paris über 1.000 Personen festgenommen und Hunderte weitere im Rest des Landes.

Macron will mit einer Mischung aus Unterdrückung durch die Polizei und politischer Demobilisierung der Arbeiterklasse eine beispiellose Senkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse und der Jugend in Frankreich durchsetzen.

Da sich Macron sicher ist, dass die Gewerkschaftsbürokratien keinen Finger gegen ihn rühren werden, versucht er neben dieser Orgie der Polizeigewalt auch, rigoros gegen oppositionelle Gruppen innerhalb von Frankreich vorzugehen. Am Dienstag verurteilte sein rechtsextremer Innenminister Gérald Darmanin in der Nationalversammlung die „extreme Gewalt kleiner Gruppen, die bei den Geheimdiensten teilweise seit Jahren aktenkundig sind“. In Wirklichkeit waren es die schwer bewaffneten Einheiten der CRS, der Militärpolizei und der BRAV, die seit Wochen gewaltsam gegen unbewaffnete Demonstranten vorgehen.

Darmanin kündigte außerdem an, er wolle die Klimaschutzgruppe Earth Uprisings auflösen, nachdem es am Wochenende zu Zusammenstößen zwischen Hunderten von Polizisten und 30.000 Demonstranten gegen ein Bewässerungsprojekt in Sainte-Soline gekommen war. Das Kollektiv hat zehn Tage Zeit, um juristisch auf die Ankündigung des Innenministeriums zu reagieren, andernfalls wird es zwangsweise aufgelöst.

In Sainte-Soline verschoss die Polizei während der Zusammenstöße am Wochenende 5.015 Kanister Tränengas, 89 GENL-Granaten, 40 Verpuffungswaffen des Typs ASSR und 81 LBD-Gummigeschosse. Am Dienstagabend lagen zwei schwer verwundete Demonstranten noch immer im Koma. Berichten zufolge haben die Behörden den Ärzten untersagt, der Presse etwas über den Zustand der Personen mitzuteilen.

Doch trotz der lebensbedrohlichen Verletzungen der beiden Demonstranten und der schweren Verletzungen Dutzender weiterer Personen in Sainte-Soline wurden am Samstag die gleichen militärischen Waffen in Paris gegen Demonstranten eingesetzt. Die Polizei schoss mit GENL-Granaten aus Kopfhöhe auf Demonstranten.

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In Paris wurden zwei Demonstranten ins Krankenhaus gebracht, nachdem sie von der Polizei bewusstlos geschlagen wurden. Einer wurde während eines Polizeiangriffs auf Demonstranten verletzt, ein anderer bekam vom Tränengas schwere Atemprobleme.

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Am Abend, als die Polizei auf der Place de la Nation in Paris noch immer auf Demonstranten losging, kündigte Berger an, Premierministerin Élisabeth Borne habe zugesagt, am „Montag oder Dienstag nächster Woche“ neue Verhandlungen mit den Gewerkschaften aufzunehmen.

Ebenfalls am Dienstag kündigte die CGT-Bürokratie an, sie werde den laufenden Streik der Pariser Müllwerker beenden. Während dieses Streiks hatte die Bürokratie nichts unternommen, um die Müllwerker zu verteidigen, als deren Streikposten von Polizisten attackiert wurden. Hunderte von Studenten und Arbeitern zogen zur Müllverbrennungsanlage im Pariser Vorort Ivry, aber die CGT-Bürokratie selbst rief nicht zu breiteren Solidaritätsstreiks auf, um die Polizeigewalt gegen den Streik in Ivry zu stoppen und die CGT-Mitglieder zu verteidigen.

Nach wochenlanger Polizeigewalt gegen Streikende und Demonstranten ist klar, dass die Verteidigung der Arbeiterklasse gegen die Unterdrückung durch die Polizei eine Aufgabe ist, die man nicht den Gewerkschaftsbürokratien überlassen darf, die eng mit Macron zusammenarbeiten.

Neben den Gewerkschaftsbürokratien arbeiten auch pseudolinke Politiker wie Jean-Luc Mélenchon daran, den Widerstand gegen Macron zu demobilisieren. In den Präsidentschaftswahlen vom letzten Jahr erhielt Mélenchon fast acht Millionen Stimmen in den Arbeitervierteln der größten französischen Städte. Doch er ruft nicht zur politischen Mobilisierung seiner Wähler auf, die die französische Wirtschaft zum Erliegen bringen könnten, wenn sie gemeinsam gegen Macron und die Polizeigewalt streiken, die auf die kämpfenden Arbeiter und Jugendlichen niedergeht.

Stattdessen ruft Mélenchon zynisch zur Ruhe auf und gießt kaltes Wasser über die wachsende Wut der Arbeiterklasse. Er fordert „Pazifismus angesichts der Provokationen der Regierung“ und hofft, dass „die Demonstration... besonnen stattfinden wird“. Das bedeutet, dass sich unbewaffnete Demonstranten ruhig und friedlich zusammenknüppeln, mit Tränengas und Granaten beschießen lassen, sich von Polizeigranaten Finger und Hände abreißen und die Augen zerstören lassen sollen.

Arbeiter auf der Demonstration in Paris verurteilten gegenüber der WSWS Macron und die konterrevolutionären Machenschaften der Gewerkschaftsbürokratien.

Clarel auf der Place de la République in Paris

Clarel, ein Arbeiter, der auch an den Gelbwestenprotesten teilgenommen hatte, erklärte der WSWS, warum er gegen Macron protestiert: „Ich demonstriere für Renten, aber jetzt geht es notwendigerweise um viel mehr. Man kann das Thema Arbeitsplätze erwähnen, aber es geht noch weiter. Was diese Regierung angeht, die ist schon seit langem illegitim und tatsächlich verfassungswidrig. Wir werden ständig manipuliert und ausgetrickst, es ist unmöglich. Wir müssen diesen Kerl rausschmeißen, es wird dringend. Diktatur ist ein hartes Wort, aber man muss nicht in die Nationale Verwaltungsschule oder das Institut für Politikwissenschaften gegangen sein, um zu wissen, was wir hier haben.“

Clarel kritisierte auch Macrons massive Militärausgaben und seine Teilnahme am Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine: „Ich will nicht ins Detail gehen, aber was wir zu allererst brauchen ist Frieden, Frieden, Frieden. Wir sollten keinem der beiden Seiten Militärhilfe geben. Die Frage ist wirklich: Wer profitiert von all dem?“

Zum Schluss verurteilte Clarel die Transparente von CFDT-Funktionären, auf denen zur Vermittlung mit Macron und zur Bestrafung Macrons „im Jahr 2027“ aufgerufen wurde, d.h. zu seiner Abwahl in mehr als vier Jahren bei den nächsten Präsidentschaftswahlen: „Das schockiert mich wirklich. Wie können sie es wagen, so von der Zukunft zu sprechen, wenn schon die Gegenwart völlig mies ist? Kommen Sie, warten Sie eine Sekunde. Berger 2027, davon habe ich genug. Wir leben nicht im Jahr 2027, sondern im Jahr 2023. Uns steht es jetzt schon bis zum Hals. Wir müssen darüber reden, was wir jetzt tun, nicht was wir in der Zukunft tun.“

Den Gewerkschaftsbürokratien, die Macrons Polizeistaat unverfroren gegen die politische Offensive der Arbeiter verteidigen, muss die Kontrolle über den Kampf aus der Hand genommen werden. Es ist eine unmittelbare Notwendigkeit, die Bürokratien und ihre politischen Komplizen zu besiegen. Die entscheidende Aufgabe dabei ist der Aufbau von Aktionskomitees, in denen die Arbeiter ihre Kämpfe unabhängig von den Gewerkschaftsbürokratien koordinieren können, um den Präsidenten der Reichen zu stürzen.

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