Britische Pflegekräfte stimmen am letzten Tag des viertägigen Arbeitskampfs der Assistenzärzte für erneuten Streik

Die Beschäftigten des Gesundheitswesens müssen die Sabotage der Gewerkschaftsbürokratie vereiteln

Hunderttausende Mitglieder der Pflegegewerkschaft Royal College of Nursing (RCN) haben ein Angebot für eine Lohnerhöhung unterhalb der Inflationsrate abgelehnt, über das sie bis Freitag abstimmen konnten.

Die Führung der RCN unter Generalsekretärin Pat Cullin hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um den Pflegekräften einen miserablen Ausverkauf aufzuzwingen. Zu diesem Zweck hat sie versucht, ihre Mitglieder einzuschüchtern, zu zensieren und ihren Widerstand zu kriminalisieren.

Pflegekräfte des NHS auf Streikposten in Bournemouth während des landesweiten Streiks (Foto: WSWS)

Bei der Abstimmung des RCN lehnten die Mitglieder (mit 54 zu 46 Prozent) eine armselige Einmalzahlung von vier Prozent und eine fünfprozentige Lohnerhöhung für 2023-24 ab. Für die meisten Pflegekräfte würde das einen Reallohnverlust von rund 5.000 Euro (4.400 Pfund) im Vergleich zu 2008 bedeuten. Der abgelehnte Abschluss entsprach weniger als der Hälfte der Inflationsrate des Einzelhandelspreis-Indexes, die im Februar auf 13,8 Prozent gestiegen ist. Die RCN hat zu einem weiteren 48-stündigen Ausstand aufgerufen, der vom 30. April um 20 Uhr bis zum 2. Mai dauern soll. Beteiligen werden sich u. a. die Pflegekräfte der Notaufnahmen, Intensivstationen, Krebsstationen sowie anderer Abteilungen.

Dass die Pflegekräfte den Deal ablehnen und weitere Streiks unterstützen, wurde am letzten Tag eines viertägigen Streiks von etwa 50.000 Assistenzärzten der Gewerkschaften British Medical Association (BMA) und der Hospital Consultants and Specialists Association (HCSA) bekannt. Die Ärzte kämpfen für eine deutliche Lohnerhöhung, nachdem ihre Gehälter durch Einfrieren und Vereinbarungen unterhalb der Inflationsrate seit 2008 niedrig gehalten wurden.

Die Mitglieder von Unison, Unite und anderen Gewerkschaften des Gesundheitswesens stimmen in getrennten Abstimmungen über den gleichen Deal ab.

Das Abstimmungsergebnis, das Unison am Freitag bekannt gab, war ein Sieg für die Bürokratie. Bei einer geringen Beteiligung von 53 Prozent (152.329 abgegebene Stimmen) stimmten 74 Prozent für den Deal. Die Mitglieder von Unison, darunter Pflegekräfte, Sanitäter, Notruf-Telefonkräfte, Hebammen, Sicherheits- und Reinigungspersonal, gehören zu den am schlechtesten bezahlten Beschäftigten im System des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS.

Die Unison-Vereinbarung sieht für Pflegekräfte und Sanitäter eine einmalige Zahlung von nur zwei Prozent ihres Lohns plus einen beleidigenden Covid-Erholungsbonus von vier Prozent für das laufende Finanzjahr und fünf Prozent für das kommende Jahr vor. Die Chefin der Gesundheitssparte von Unison, Sara Gorton, erklärte, dies sei „das Beste, was durch Verhandlungen erreicht werden konnte“.

Die zentrale Aufgabe, vor der Pflegekräfte, Assistenzärzte und alle anderen Beschäftigten des Gesundheitswesens stehen, ist die politische und organisatorische Abrechnung mit der Gewerkschaftsbürokratie, die als fünfte Kolonne der konservativen Regierung agiert und der Arbeiterklasse die Kosten der kapitalistischen Krise aufbürdet.

Das gilt auch für die Teile der Bürokratie, die sich als „linke“ Fraktion inszenieren.

Das Magazin New Statesman, das der Labour Party nahesteht, veröffentlichte am Dienstag einen Artikel mit dem Titel „Bringt die BMA streikende Assistenzärzte zum Schweigen?“ Darin hieß es: „Ärzte auf Streikposten lehnen Interviews ab und erklären den Journalisten, nur Gewerkschaftsvertreter dürften sprechen.“

Ein BMA-Sprecher bestätigte, „dass die Gewerkschaft Assistenzärzte, die keine Gewerkschaftsvertreter sind, auffordert, nicht ,über Bereiche oder Themen zu spekulieren, von denen sie keine vollständigen Kenntnisse haben‘ – wie etwa Gewerkschaftspolitik, den Tarifstreit und die Verhandlungsstrategie“.

Das Magazin erfuhr von „einer hochrangigen Quelle aus der BMA, dass die Gewerkschaft seit der letzten erfolglosen Streikrunde der Assistenzärzte 2015 und 2016, die mit einem umstrittenen, von der Regierung aufgezwungenen Tarifvertrag endete, ,zahlreiche‘ strategische Änderungen vorgenommen hat. Zu diesen Änderungen gehörten die ,Lehren, die wir aus unserer Strategie im Umgang mit den Medien und der Kommunikation mit unseren Mitgliedern‘ gezogen haben.“

Reporterteams der WSWS machten an den Streikposten der BMA ähnliche Erfahrungen.

Der Erlass, der die Assistenzärzte zum Schweigen verpflichtet, ist insoweit bemerkenswert, als die Führung der Assistenzärzte innerhalb der BMA um die Gruppen Broad Left und Doctors’ Voice herum als Teil der „Corbyn-Linken“ definiert wird. Diese neue Führung hatte nach dem Verrat der BMA an dem monatelangen Streik der Assistenzärzte 2016 alle Schlüsselpositionen in der Gewerkschaft gewonnen. Doch diese neue Führung zwingt die Mitglieder zum Schweigen, als wäre der Streik 2016 an „Plappermäulern“ gescheitert.

Tatsächlich verschafft es der „Linken“ Freiheit zum Manövrieren, ohne dass jemand die unangenehme Tatsache zur Sprache bringt, dass die BMA den Kampf der Assistenzärzte ablehnt und dass ihre Kollegen beim NHS mit Sabotage und Verrat konfrontiert sind, die nur mit einer offenen Rebellion bekämpft werden können.

Die Assistenzärzte repräsentieren nur etwa ein Drittel der insgesamt 177.000 BMA-Mitglieder. Noch wichtiger ist, dass andere Gewerkschaften mehr als eine Million NHS-Beschäftigte repräsentieren. Dazu gehört auch die RCN, dem eine halbe Million Pflegekräfte, Hebammen, Pflegeassistenten und Pflegeschüler angehören, sodass sie sich als die „größte Pflegegewerkschaft und Berufsorganisation der Welt“ bezeichnen kann, außerdem Unison mit fast einer halben Million Mitglieder, die beim NHS und bei Organisationen, die für den NHS arbeiten, beschäftigt sind.

Die Führung von BMA Junior Doctors schirmt diese Bürokratien gegen politische Kritik und Herausforderungen ab.

Obwohl diese „Strategie“ Diskussionen über „Gewerkschaftspolitik, den Tarifstreit und die Verhandlungsstrategie“ verhindert, beabsichtigt sie eine begrenzte Eskalation der Streiks mit dem erklärten Ziel, einen besseren Deal für Assistenzärzte auszuhandeln, während nichts getan wird, um Solidarität im restlichen NHS und der Arbeiterklasse aufzubauen. Auf einer derartigen Grundlage kann kein ernsthafter Kampf geführt werden. Der Chef von Junior Doctors, Dr. Anjan Singh, hat bereits erklärt, die Streiks könnten abgesagt werden, wenn die Regierung das Gehalt der Assistenzärzte um rund 6 Euro (fünf Pfund) auf 21,50 Euro (19 Pfund) pro Stunde erhöht und weitere Zugeständnisse zweifellos folgen werden.

Letzten Freitag, drei Tage vor dem Streik, gab die BMA eine Pressemitteilung heraus, in der sie fragte: „Ist es dem Gesundheitsminister wirklich ernst damit, den Tarifkonflikt der Assistenzärzte zu beenden und die Streiks nächste Woche auszusetzen?“ Die Co-Vorsitzenden des BMA-Assistenzärzte-Komitees, Dr. Vivek Trivedi und Dr. Rob Laurenson, wurden mit den Worten zitiert: „Selbst in diesem späten Stadium sind wir bereit, jedes Angebot des Ministers zu prüfen. Wenn es glaubwürdig ist, könnte das bedeuten, dass der Streik ausgesetzt wird – und wir fordern ihn eindringlich auf, dies zu tun.“

Die Co-Vorsitzenden des BMA Assistenzärzte-Komitees, Dr. Vivek Trivedi und Dr. Rob Laurenson, erklärten im Vorfeld des Streiks: „Selbst in diesem späten Stadium sind wir bereit, jedes Angebot des Ministers zu prüfen. Wenn es glaubwürdig ist, könnte das bedeuten, dass der Streik ausgesetzt wird.“ (Foto: Screenshot von bma.org.uk) [Photo: screenshot: bma.org.uk]

Die 35-prozentige Gehaltserhöhung, die notwendig wäre, um die Gehälter der Assistenzärzte wieder auf das Niveau von 2008 zu bringen, würde die Regierung schätzungsweise rund 2,3 Milliarden Euro (zwei Milliarden Pfund) kosten, doch die Tories werden nur die gigantischen Rettungsaktionen für die Banken und Konzerne in dreistelliger Milliardenhöhe und die Beteiligung Großbritanniens am Nato-Krieg gegen Russland finanzieren.

Dennoch ist die Führung von BMA Junior Doctors genauso darauf versessen wie alle anderen Teile der Bürokratie, einen angeblichen „Kompromiss“ mit einer Tory-Regierung auszuhandeln, die Krieg gegen die Arbeiterklasse führt. Ihr „linkes“ Image wird sich schneller auflösen als das ihres Mentors Corbyn, weil auch sie sich weigern, einen offenen Kampf gegen den rechten Flügel der Gewerkschaften und die Tory-Regierung zu führen.

Die gesamte Arbeiterklasse muss sich am Kampf der Pflegekräfte, Ärzte und anderer NHS-Beschäftigter beteiligen. Eine Niederlage der Pflegekräfte und Assistenzärzte würde es der Regierung erlauben, ihr seit langem angestrebtes Ziel zu erreichen, den NHS zu privatisieren. Dies entspricht der Agenda der herrschenden Eliten auf der ganzen Welt, die Lohnerhöhungen über der Inflationsrate für alle Arbeiter für „unbezahlbar“ erklärt haben, wie es Tory-Gesundheitsminister Steve Barclay formulierte.

Assistenzärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens müssen ihre eigenen, von den Gewerkschaftsführungen unabhängigen Aktionskomitees gründen und einen vereinten Kampf für angemessene Bezahlung, Arbeitsbedingungen und den Schutz des NHS aufnehmen. NHS Fightback, die Socialist Equality Party, die World Socialist Web Site und die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees werden in diesem Kampf alle notwendige Unterstützung leisten. Setzt euch heute noch mit uns in Verbindung und verbündet euch mit gleichgesinnten Arbeitern, um diesen Ausverkauf zu verhindern!

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Corey Briffa, ein Assistenzarzt der Stufe F1 am Universitätskrankenhaus Croydon, erklärte gegenüber den Reportern der WSWS: Bei dem Streik geht es darum, dass die Reallöhne der Ärzte in den letzten 15 Jahren um über 26 Prozent gesenkt wurden. Das bedeutet, dass man etwa drei Monate im Jahr umsonst arbeitet. Wir sind auch hier, weil unsere Lohnsenkung die Ärzte ausbluten lässt.

Streikposten der Assistenzärzte vor dem Universitätskrankenhaus in Croydon am 13. April 2023 (Foto: WSWS)

„Ärzte wandern in andere Länder ab, wie Australien“, berichtete Corey. „Ich habe in den letzten Stunden zwei E-Mails bekommen, in denen ich gebeten wurde, meinen Lebenslauf vorzubereiten, um nach Australien zu gehen. Wir wollen, dass unsere Ärzte dableiben, damit wir in den Krankenhäusern genug Personal haben und es für unsere Patienten sicher ist.“

Weiter erklärte er: „Wo das Geld hinfließt, ist eine politische Entscheidung, und das Geld ging nicht an den NHS. Es wurde nicht benutzt, um das zu finanzieren, was für den NHS am wichtigsten ist, um die Patienten zu schützen: das Personal. Im Vereinigten Königreich fehlen 50.000 Pflegekräfte und über 9.000 Ärzte. Wenn man das Personal nicht hat, funktioniert der NHS nicht richtig. Ich glaube, das ist Methode.“

„Ärzte kommen durchschnittlich mit über 113.000 Euro (100.000 Pfund) Schulden von der Universität, die sie nicht abbezahlen können“, berichtete Corey. „Wenn sie ihre gesamte Ausbildung durchlaufen, haben sie bis zum Ende über 300.000 Pfund zurückbezahlt. Allein diese zusätzliche Belastung für die Ärzte und die Erhöhung der Lebenshaltungskosten sind enorm. Die Leute müssen sich entscheiden, ob sie ihre Wohnung heizen oder essen. Wenn wir einen Patienten behandeln, sollte wir in erster Linie an ihn denken, und nicht an die Frage, wie kann ich mein Leben finanzieren.“

„Es betrifft alle, nicht nur die Ärzte, sondern das ganze Land“, erklärte Corey. „Ich unterstütze jeden, der eine angemessene Bezahlung fordert. Wenn es vorwärts gehen soll, müssen die Leute merken, dass das Geld in ihre Taschen fließen sollte, damit sie ihr Leben finanzieren können. Und das wird die Wirtschaft ankurbeln. Diese ganze Vorstellung, dass wir die Löhne der Arbeiter niedrig halten müssen, um die Inflation niedrig zu halten, ist Unsinn. Ich unterstütze jeden, der für angemessene Bezahlung kämpfen will, weil wir alle in der Lage sein sollten, ein angenehmes Leben zu führen.“

Zum Ende sagte Corey: „Wir müssen mit Kollegen sprechen, auf den Streikposten bleiben und stark sein. Wir [Assistenzärzte] hatten ein Mandat für den Streik von 98 Prozent, so viel wie noch nie eine Gewerkschaft in Großbritannien hatte. Wir werden diesen Kampf gewinnen.“

Stefan, der vor dem Milton Keynes Hospital auf Streikposten stand, erklärte: „Ich bin Assistenzarzt und habe in den letzten sechs Jahren in mehreren Krankenhäusern in der Gegend gearbeitet. Beim Streik der Assistenzärzte geht es um die Wiederherstellung des Lohns. Aufgrund der Krise der Lebenshaltungskosten, der steigenden Inflation und der Senkung der Löhne durch die Regierungen der letzten 13 Jahre sind unsere Reallöhne relativ gesehen um 26 Prozent gesunken. Deshalb fordert der Streik die Regierung auf, etwas dagegen zu tun, damit die Ärzte im Land bleiben und nicht in andere Länder auswandern, in denen sie besser bezahlt werden. Und um die Personalkrise des NHS in allen Bereichen des Gesundheitswesens zu beseitigen.“

Assistenzärzte auf Streikposten von dem Milton Keynes General Hospital am 13. April 2023 (Foto: WSWS)

„Seit ich angefangen habe zu arbeiten, ist die Personaldecke immer knapper und knapper geworden“, erklärte Stefan. „Es wird immer schwieriger, unsere Patienten gut zu versorgen und zu pflegen, weil die Belegschaften ausgebrannt sind. Das gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für Pflegekräfte, und es ist nicht genug Personal und Geld da, um das zu tun, was wir tun müssen und wollen: uns um unsere Patienten zu kümmern.“

„Die Wohnkosten steigen, ebenso die Preise für Benzin zum Pendeln“, berichtete Stefan. „Ich muss jeden Morgen eine Stunde zur Arbeit fahren. Diese Kosten sind immer weiter gestiegen. Meine Rechnungen werden immer höher. Ich kenne Kollegen, die weiter vom Krankenhaus wegziehen müssen, weil sie so am einfachsten ihre Rechnungen zahlen können, was ihre ganze Lebensqualität verringert. Die Leute stehen vor der schwierigen Entscheidung, ob sie arbeiten oder ihre Kinder versorgen, weil die Kosten zu hoch sind.“

Weiter erklärte Stefan: „Die Beschäftigten im Gesundheitswesen würden nicht in den Streik treten, wenn es nicht sicher wäre. Das zeigt sich auch daran, dass unsere Fachkollegen die Lücken füllen, die wir hinterlassen. Das haben sie getan, und der Trust hat entsprechende Pläne gemacht, um dies zu ermöglichen.“

„Statt den NHS angemessen zu finanzieren“, erklärte Stefan, „verbieten sie uns einfach das Streiken und Protestieren gegen die Probleme im NHS. Das zeigt, dass es der Regierung an Weitsicht mangelt, wenn es um das Wohlergehen des Personals im öffentlichen Dienst geht.“

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