Nach SVB- und Credit-Suisse-Krise: Wie steht es um das Finanzsystem?

Der Ausbruch der Krise im Finanzsystem ist gerade einmal einen guten Monat her. Es fing an mit dem Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB), dann folgte die Übernahme und der Ausverkauf der Signature Bank und schlussendlich die Zwangsübernahme der Credit Suisse durch die UBS.

Credit-Suisse-Display auf dem Parkett der New York Stock Exchange [AP Photo/Seth Wenig]

Die Insolvenz der SVB, der sechzehnt-größten Bank der USA, war monetär gesehen die zweitgrößte in der US-Geschichte. Nachdem innerhalb eines Tages 42 Milliarden Dollar abgehoben worden waren und am nächsten Tag weitere 100 Milliarden Dollar folgen sollten, musste sie von der Bundeseinlagenversicherung FDIC gerettet werden.

Die Biden-Regierung, die Zentralbank (Fed) und die FDIC haben mit ihrer Notmaßnahme, den Versicherungsschutz durch die FDIC auf Einlagen über 250.000 Dollar auszudehnen, den Sturm zunächst gebändigt. Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich um ein einmaliges Ereignis handelt oder um den Vorboten von weitaus Schlimmerem.

Für den Vorsitzenden der Fed, Powell, ist die Antwort einfach: Er versicherte, es sei Ersteres. Die SVB sei ein Sonderfall, da sie ihre Bestände an US-Staatsanleihen, deren Marktwert mit der Leitzinserhöhung sank, nicht ausreichend abgesichert habe.

Doch Powells Zuversicht wird nicht überall geteilt. Denn die Zinserhöhungen, der Auslöser für die SVB-Probleme, sind die rasantesten seit vierzig Jahren und ziehen das gesamte Banken- und Finanzsystem in Mitleidenschaft. Mit anderen Worten: Die SVB-Krise war nur die Spitze des Eisbergs, dessen gigantisches Ausmaß immer deutlicher sichtbar wird. Die SVB war Ausdruck der allgemeinen Probleme, die sich jetzt abzeichnen.

Letzte Woche erinnerte der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Pierre Olivier Gourinchas, in einem Interview mit der Financial Times (FT) an die Ereignisse, die zur globalen Finanzkrise von 2008 führten.

„Wir alle können uns an die langen Pausen zwischen dem Konkurs einzelner Institute erinnern, ob es sich dabei um Bear Stearns oder Countrywide drehte. Und jedes Mal wurde das Geschehen wie ein Einzelfall gehandhabt, bis das eben nicht mehr stimmte.“

Der langjährige Kolumnist John Plender verfasste am vergangenen Freitag einen Kommentar für die FT mit dem Titel „Nach dem leichten Geld: Ein gigantischer Stresstest für das Finanzsystem“. Darin erklärt er, dass es nach dem SVB-Kollaps „keine Einigkeit in der Frage gibt, ob die daraus resultierenden Krisen in Nordamerika und Europa ihren Höhepunkt erreicht haben oder nur ein Vorgeschmack auf Kommendes sind“.

Die Probleme der SVB und der Credit Suisse seien zwar nicht identisch, „aber sie verdeutlichen auf ihre Weise, wie die lange Niedrigzinsperiode seit der großen Finanzkrise von 2007-2009 zur Instabilität des Finanzsystems und zur Bildung von Spekulationsblasen führte“.

Je länger eine laxe Geldpolitik praktiziert werde, desto stärker nehme das Systemrisiko zu. Hinzu komme die wachsende Abhängigkeit der Wirtschaft von staatlichen Finanzspritzen und den Niedrigzinsen.

Weiter zitiert Plender Untersuchungen von Raghuram Rajan, dem ehemaligen Gouverneur der indischen Zentralbank, und Viral Acharya, dem ehemaligen Vizegouverneur. Sie zeigen auf, dass die Regulierungen für die Banken, die nach der Krise von 2008 eingeführt wurden, zu Problemen führten, weil die Stresstests für große Banken nicht einheitlich waren.

„Diese abweichenden Standards haben womöglich zu einer Abwanderung riskanter Kredite für Gewerbeimmobilien von größeren, besser kapitalisierten Banken zu schwach kapitalisierten kleinen und mittleren Banken geführt.“

Bissig fügt Plender hinzu, dass die Turbulenzen der letzten Wochen zwar ernste Fragen über die Wirksamkeit der Bankenregulierung und -aufsicht aufgeworfen hätten, es jedoch einen Bereich gebe, in dem sehr effizient auf die Krise reagiert wurde:

„Die Krise führte dazu, dass ein Großteil des traditionellen Bankgeschäfts in den Nicht-Banken-Finanzsektor abwanderte, unter anderem in Hedgefonds, Geldmarktfonds, Pensionsfonds und andere Einrichtungen. Obendrein ist dieser Bereich deutlich intransparenter als der streng regulierte Bankensektor und kann daher stets böse Überraschungen für das System bereithalten.“

In dem letzte Woche veröffentlichten Global Financial Stability Report (GFSR; „weltweiter Finanzstabilitätsbericht“) des IWF wird auf die Gefahren in Nicht-Bank-Finanzinstituten hingewiesen. Dort gibt es ganze Systembereiche, über deren Verschuldungsgrad und Verflechtung mit dem restlichen Finanzsystem die Regulierungsbehörden so gut wie keine Kenntnis haben.

Plender macht darauf aufmerksam, dass die Krise des britischen Rentensystems im vergangenen September, die „einen zentralen Markt des britischen Finanzsystems destabilisierte“ und „ein verheerendes Risiko für die Finanzstabilität“ darstellte, nicht gänzlich unvorhersehbar gewesen sei. Allerdings hätten die von den Regulierungsbehörden durchgeführten Rentenfonds-Stresstests die extremen Schwankungen bei den Renditen langfristiger Anleihen, so genannter Gilts, nicht berücksichtigt.

In einem Ende März auf Project Syndicate veröffentlichter Artikel von Rajan und Acharya, der die Grundlage für Plenders Analyse lieferte, wurde festgestellt, dass der Zusammenbruch von SVB und Signature zwar durch unversicherte Einlagen verursacht wurde, „das Problem aber möglicherweise eher systembedingt ist“.

Die beiden Autoren und ihre Kollegen hatten auf dieses Risiko in einer Studie aufmerksam gemacht, die sie im August 2022 auf dem Zentralbankkongress in Jackson Hole vorstellten. Darin wiesen sie darauf hin, dass nach der Wiederaufnahme der quantitativen Lockerung – die Billionen von Dollar, die nach Beginn der Pandemie von der Fed in das Finanzsystem gepumpt wurden – das Volumen der nicht versicherten Einlagen von etwa 5,5 Billionen Dollar Ende 2019 auf über 8 Billionen Dollar im ersten Quartal 2022 anstieg.

Wie die Autoren erläutern, wurden zwar viele Schwachstellen von den Bankern selbst verursacht, aber auch die Zentralbank trug ihr Scherflein bei.

„Regelmäßige Maßnahmen der quantitativen Lockerung (QE) haben die Bilanzen der Banken aufgebläht und sie mit zusätzlichen, nicht versicherten Einlagen vollgestopft, sodass die Banken immer abhängiger von der lockeren Geldversorgung wurden. Diese Abhängigkeit erschwert es zusätzlich, die QE rückgängig zu machen und die Geldpolitik zu straffen“.

William White, Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, warnte in einem Interview im Februar, also noch vor der SVB-Krise, vor den Folgen der Krise von 2008 und wies auf das Dilemma hin, in dem sich die Zentralbanken befinden.

Auf der einen Seite treiben sie die Zinsen zur angeblichen Inflationsbekämpfung in die Höhe (in Wirklichkeit wollen sie die Lohnforderungen der Arbeiterklasse als Reaktion auf die Preiserhöhungen niederhalten), andererseits fürchten sie, dass die Zinserhöhungen einen Bankencrash auslösen könnten, so seine Einschätzung.

„Uns steht eine hoch inflationäre Zukunft bevor, also sollten die realen Zinssätze steigen, was wiederum bedeutet, dass die nominalen Zinssätze erheblich ansteigen müssten, und eine der Befürchtungen der Zentralbanken ist, dass dies zu einer Destabilisierung des Finanzsystems führt.“

Er verwies auf die wachsende Kluft zwischen dem Wert von Finanzanlagen und der zugrunde liegenden Realwirtschaft und zitierte eine Studie des McKinsey Global Institute, die zeigt, dass bis etwa zum Jahr 2000 die allgemeinen Vermögenskennzahlen dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) beziehungsweise dem Einkommen entsprachen.

„Doch inzwischen herrscht eine enorme Diskrepanz, weil das Vermögen erheblich rascher zunimmt als das BIP. Wenn allerdings die Produktion nicht gestiegen ist, der Wohlstand aber schon, muss man zu dem Schluss kommen, dass es gar kein wirklicher Wohlstand ist. Vielmehr handelt es sich lediglich um einen Anstieg der Börsenkurse, in denen sich dieser Reichtum [angeblich] bemisst.“

Der Wohlstand, auf den er sich bezieht, ist nicht derjenige der Gesamtbevölkerung, sondern der obersten Schichten, des obersten Prozents und darüber. Der Großteil der Bevölkerung hat kein oder gar ein negatives Vermögen.

Während die Großbanken ausreichend kapitalisiert seien, so White, „oder vielleicht auch nicht“, sehe es beim Rest des Finanzsystems anders aus. In jüngster Zeit sei es zu einer „massive Verlagerung von Bankkrediten hin zu solchen, die anderswo vergeben werden, gekommen: Finanzinstitute außerhalb des Bankensektors, fremdfinanzierte Kredite, private Schulden, was auch immer. Die Nicht-Banken unter den Finanzinstituten sind inzwischen größer als die beaufsichtigten Institute, und es fehlt uns an Transparenz und Informationen, um zu erkennen, was im Hinblick auf Systemrisiken dort wirklich vor sich geht.“

Der Interviewer wandte ein, White sei seit jeher ein Schwarzmaler, und die politischen Entscheidungsträger würden stets Wege finden, die Klippen des Finanzsystems zu umschiffen. White erwiderte, dass die Märkte seiner Meinung nach irgendwann beginnen werden, nicht nur die finanzielle Stabilität, sondern auch die finanzpolitische Unabhängigkeit der Regierungen in Frage zu stellen.

„Ich glaube, dass sich die Märkte jetzt vielleicht zum ersten Mal Sorgen um die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen der großen, fortgeschrittenen Länder machen.“

Zwar räumte er ein, dass dies nur eine Erklärung seinerseits sei, fuhr aber fort: „Ich weiß nur, dass jede neue Krise ein noch tieferes Loch reißt, und es damit immer schwieriger macht, sich herauszuwinden. Dieses ständige Vermeiden von Problemen ist ineffektiv. Denn mit jedem Aufschub wachsen sie nicht nur, sondern auch die Strategien, die wir zur Lösung anbieten können, verlieren jedes Mal an Wirkung.“

White schloss mit einer Warnung, dass die politischen Entscheidungsträger „das wirklich in den Griff bekommen müssen“.

„Denn was ist, wenn die Bürger urplötzlich davon überzeugt sind, dass der Staat seine Versprechen nicht einhält? Was bedeutet das für die Demokratie und das Vertrauen in das gesamte System? Das System hat mich betrogen, also kann es mir gestohlen bleiben? Das sind brandgefährliche Entwicklungen.“

Tatsächlich ziehen Milliarden von Menschen aufgrund der bitteren Erfahrungen seit der 2008-Krise und darüber hinaus bereits die von White befürchteten Schlüsse.

Der Kapitalismus schlittert von einer Krise in die nächste. Er kennt keine andere Politik als wirtschaftliche Entbehrungen und Krieg. Die zentrale Herausforderung besteht darin, die heranwachsende Arbeiterbewegung mit einer revolutionären sozialistischen Perspektive auszustatten. Diese Perspektive wird das Thema der weltweiten Online-Kundgebung am 30. April sein, die vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale zur Feier des 1. Mai organisiert wird.

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