Lambertisten versuchen, den Kampf gegen Macrons Rentenkürzungen zu ersticken

Pseudolinke französische POID ruft nach bürgerlicher Regierung nationaler Einheit

Im Jahr 1971 spaltete sich das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) von seiner damaligen französischen Sektion ab, der Organisation communiste internationaliste (OCI) von Pierre Lambert. Die OCI orientierte sich an der Union de la gauche (Union der Linken) zwischen der bürgerlichen Sozialistischen Partei (PS) und der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Im Jahr 1981 unterstützte sie die Wahl des PS-Präsidenten François Mitterrand, indem sie im ersten Wahlgang für ihn warb. Ein Jahr nach Amtsantritt vollzog Mitterrand seine „Wende hin zur Austerität“ und attackierte Lebensstandard und Arbeitsplätze.

OCI-Führer Pierre Lambert

Die Bedeutung dieser Entwicklung zeigt sich heute in aller Deutlichkeit, da explosive Kämpfe der Arbeiterklasse gegen den ehemaligen PS-Wirtschaftsminister und jetzigen Präsidenten Emmanuel Macron ausbrechen. Macron, der seine äußerst unpopulären Rentenkürzungen ohne Abstimmung im Parlament durchgesetzt hat, regiert gegen das Volk und sieht sich einer Massenstreikbewegung gegenüber. Die Parti de légalité socialiste, die im Jahr 2016 gegründete französische Sektion des IKVI, ruft Arbeiterinnen und Arbeiter auf, unabhängige Aktionskomitees zu bilden, um einen Generalstreik zum Sturz Macrons vorzubereiten.

Die Parti ouvrier indépendant démocratique (POID, Unabhängige Demokratische Arbeiterpartei), die von Lamberts OCI abstammt, verfolgt eine diametral entgegengesetzte Politik. Sie ruft zwar auch zu einem „Generalstreik“ gegen Macron auf, betrachtet diesen Vorschlag jedoch als Sprungbrett zur Bildung einer neuen kapitalistischen Regierung, da er eine überwältigende Unterstützung in der Bevölkerung findet. Sie schlägt vor, Macron durch eine bürgerliche Regierung der nationalen Einheit zu ersetzen, wobei sie dem pseudolinken Politiker Jean-Luc Mélenchon, der selbst ein Ex-Lambertist ist, freundliche Ratschläge erteilt. Die POID schreibt:

Seit Januar hat das Gewerkschaftsbündnis das Vertrauen der Arbeiter und der Jugend gewonnen, indem es zum Kampf aufrief, bis die Kürzungen zurückgenommen werden. Wenn es dieses Vertrauen behalten will, muss es das ganze Land zu einem Generalstreik aufrufen, bis die Kürzungen zurückgenommen werden. Dies ist die einzige Möglichkeit, auf die Verachtung der Regierung für das Volk zu reagieren und sie zum Rückzug zu zwingen.

Jean-Luc Mélenchon, der Macron auffordert, die Nationalversammlung aufzulösen oder ein Referendum abzuhalten, muss einsehen, dass die Lösung nicht von Macron kommen wird.

Die Pflicht der Parteien, die behaupten, die Sache der Arbeiter und der Demokratie zu verteidigen, besteht darin, Macrons Rücktritt klar und deutlich zu fordern, und zwar jetzt und sofort, und zu verkünden, dass sie bereit sind, eine Notstandsregierung zu bilden, die einen Bruch vollzieht und die Rentenkürzungen aufhebt.

Dies ist ein politischer Betrug. Die PES wendet sich unversöhnlich gegen alle Versuche, als Ersatz für Macron eine bürgerliche „Notstands“-Regierung zusammenzuschustern, wie von der POID vorgeschlagen. Sollten die POID, Mélenchon oder andere Parteien des Establishments eine solche Regierung zusammenstellen, würde die PES diese ablehnen und alles daransetzen, die Arbeiterklasse politisch gegen sie zu mobilisieren.

Was die POID vorschlägt, ist die Bildung einer reaktionären kapitalistischen Regierung, die direkt mit der Bewegung der Arbeiterklasse kollidieren würde. Tatsächlich befindet sich die Arbeiterklasse jetzt in einem Kampf gegen den kapitalistischen Staat selbst. Die PES erklärt, dass Macrons Sturz durch einen Generalstreik ein entscheidender erster Schritt in einem umfassenderen Kampf sein würde. Er würde die Macht der Arbeiterklasse unabhängig von den Gewerkschaftsbürokratien mobilisieren und die Voraussetzungen für einen Kampf der Arbeiterklasse um die Staatsmacht und für den Aufbau des Sozialismus schaffen.

Die POID hingegen beabsichtigt, dass Frankreichs korrupte Gewerkschaftsbürokratien die Kontrolle über die Kämpfe der Arbeiterklasse behalten und sie ihren Verhandlungen mit dem kapitalistischen Staat unterordnen sollen. In den mehr als drei Monaten seit Beginn der Massenstreiks haben die Bürokratien deutlich gemacht, dass sie nicht die Absicht haben, die Arbeiterklasse für einen Generalstreik zu mobilisieren, um Macron zu stürzen. In der Tat strebten sie unter der Führung des CFDT-Gewerkschaftsbosses Laurent Berger eine „Vermittlung“ mit Macron an und warnten vor „Gewalt“ durch die Demonstranten, als die Proteste von der Bereitschaftspolizei angegriffen wurden.

Die Appelle der POID an die Gewerkschaftsbosse, einen Generalstreik zu organisieren, haben einen durch und durch leeren, rituellen Charakter. Die POID könnte zwar ihr beträchtliches Gewicht innerhalb der Gewerkschaftsbürokratie nutzen, um eine umfangreiche Kampagne für Massenstreiks zu starten, wenn dies ihre Politik wäre. Aber sie hat nicht die Absicht, eine Rebellion der Basis gegen die Gewerkschaftsführer zu organisieren, sondern ruft diese nur ohnmächtig und nutzlos zum Generalstreik auf.

Indem sie die Bürokratien auffordert, einen Generalstreik durchzuführen – der von diesen abgelehnt und nicht durchgeführt wird – versucht die POID nicht, einen Kampf zu initiieren, sondern Illusionen in die Bürokraten Vorschub zu leisten. Dies ermöglicht es den POID-Mitgliedern in der Gewerkschaftsbürokratie, sich vor der Basis als „kämpferische“ Befürworter eines Generalstreiks zu präsentieren, während sie in Wirklichkeit keine Maßnahmen ergreifen, um einen Generalstreik herbeizuführen. Es ist ein zynischer Vorwand für Untätigkeit und politische Feigheit.

Aus diesem Grund geriert sich die POID in all ihren Parteiverlautbarungen stets als Berater der Gewerkschaftsbürokratie und fordert diese zum Handeln auf. In einer anderen Erklärung der Partei erklärt die POID: „Alles konzentriert sich auf die Verantwortung der Führer der Gewerkschaftsverbände, unverzüglich zu einem Generalstreik aufzurufen, um Macron und seine Minderheitsregierung zum Rückzug zu zwingen.“

Wenn sich für die POID „alles“ auf das Handeln der Bürokratie „konzentriert“, dann deshalb, weil es sich um eine kleinbürgerliche, antitrotzkistische Tendenz handelt, die nicht auf einfache Arbeiter orientiert ist, sondern auf die Gewerkschaftsbürokratie, auf Mélenchon und ihre Manöver mit dem herrschenden Establishment. Gegen die POID stützt sich die PES auf Trotzkis Kritik an den politischen Vorfahren der POID in der stalinistischen und sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie, die in den 1930er Jahren das Volksfrontbündnis mit der liberalen Bourgeoisie aufbauten.

Im Jahr 1935 entlarvte Leo Trotzki die Volksfront, die den Generalstreik vom Mai/Juni 1936 in Frankreich verriet und einen revolutionären Kampf der Arbeiterklasse um die Macht verhinderte. Gegen die Gewerkschaftsbürokratien, die mit den sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien verbunden waren, rief er zum Aufbau von Arbeiter-Aktionskomitees auf. Sein Essay „Für Aktionskomitees - keine Volksfront“ in seiner Schrift „Wohin geht Frankreich“ ist eine Antwort auf die heutige antitrotzkistische Linie der POID.

Trotzki verurteilte die Politik kleinbürgerlicher Kräfte, die hinter „revolutionärer“ Rhetorik „die ‚Einheit‘ dieser Apparate als ein absolutes, über den Interessen des revolutionären Kampfes stehendes Gut“ betrachten. Die Bildung von Aktionskomitees, schrieb Trotzki, sei „das einzige Mittel, den antirevolutionären Widerstand der Partei- und Gewerkschaftsapparate zu brechen“. Die politischen Unterstützer der Bürokratien hingegen, so Trotzki,

decken nur diesen Apparat gegen die Empörung der Massen. Die Lage ist nur in dem Fall zu retten, wenn man den kämpfenden Massen hilft, im Prozess des Kampfes selbst einen neuen Apparat zu schaffen, der den Erfordernissen des Augenblicks entspricht. Dazu eben sind die Aktionskomitees berufen... Aufgaben wie die Schaffung einer Arbeitermiliz usw., die Vorbereitung des Generalstreiks, werden auf dem Papier bleiben, wenn die kämpfende Masse in der Person ihrer verantwortlichen Organe nicht selber diese Aufgabe im Angriff nimmt. 

Die POID lehnt eine trotzkistische Perspektive ab und richtet ihre Politik stattdessen auf die Gewerkschaftsbürokratien und die bürgerlichen Parteien aus. Sie versucht jedoch, ihre konterrevolutionäre Politik hinter der Behauptung zu verbergen, sie kämpfe für eine Arbeiterregierung wie die Pariser Kommune von 1871. Sie schreibt:

Die erste Arbeiterregierung der Geschichte, die Pariser Kommune, legte in weniger als 100 Tagen die Grundlage für eine echte soziale und politische Demokratie, die auf gleichen Rechten für alle beruht.

Wir kämpfen für eine Arbeiterregierung, die die Kühnheit besitzt, die hunderte Milliarden Euro an Spekulationen, die hunderte Milliarden der Kriegshaushalte zu beschlagnahmen und für dringende Bedürfnisse auszugeben: für Krankenhäuser, Schulen, öffentliche Dienstleistungen, für die allgemeine Anhebung der Löhne und den Schutz der Renten aller unter den Bedingungen, unter denen sie erworben wurden.

Die Behauptung der POID, sie orientiere sich am Modell der Pariser Kommune, ist ein weiterer Betrug. Die Pariser Arbeiterinnen und Arbeiter übernahmen 1871 die Macht nicht unter der Kontrolle von Gewerkschaftsbürokratien, sondern in einem Aufstand gegen die Dritte Republik und bildeten ihre eigenen unabhängigen Organe der Staatsmacht. Es handelte sich nicht einfach um eine weitere städtische Regierung in Frankreich, sondern um ein unabhängiges Organ der Arbeiterklasse, das der bürgerlichen Dritten Republik diametral entgegenstand. Das bürgerliche Regime schlug die Kommune in der Blutigen Maiwoche vom 21. bis 28. Mai 1871 schließlich nieder.

Die Erfahrung der Pariser Kommune demonstrierte, wie Marx in einer berühmten Rede vor der Internationalen Arbeiterassoziation feststellte, dass die Arbeiterklasse „nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen“ kann.

Die POID hingegen will, dass die Kämpfe der Arbeiter unter der Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratien bleiben, die mit Macron verhandeln. Sie schlägt nicht vor, unabhängige Kampforgane der Arbeiterklasse aufzubauen, die sich zu Organen der Arbeitermacht entwickeln könnten, sondern sucht nach Verbündeten für die Bildung einer bürgerlichen Koalitionsregierung, die innerhalb des kapitalistischen Staatsapparats funktioniert. Eine solche kapitalistische Regierung wird den unrechtmäßig erworbenen Reichtum der Finanzoligarchie nicht enteignen, wie viele bittere Erfahrungen der Arbeiterklasse bezeugen.

Die heutige Rhetorik der POID erinnert an die Propaganda, mit der die OCI die PS-PCF-Koalitionsregierung 1981 in Frankreich unterstützte.

Die Bilanz der Mitterrand-Regierung von 1981 war jedoch keine Revolution, sondern soziale Angriffe im Inland und imperialistischer Krieg im Ausland. Nach der „Austeritätswende“ 1982-1983 entsandte Mitterrand Truppen in den Tschad für einen verdeckten Krieg gegen Libyen. In seiner zweiten Amtszeit befahl er französischen Truppen, sich am ersten Golfkrieg gegen den Irak zu beteiligen. Die französische Regierung spielte darüber hinaus eine zentrale Rolle beim Völkermord in Ruanda 1994, indem sie die Hutu-geführte Regierung unterstützte und den am Völkermord beteiligten Hutu-extremistischen Milizen half, nach Osten in den Kongo zu entkommen.

Heute möchte die POID zweifellos, dass die Arbeiter ihre Erklärungen als Appelle an Mélenchon verstehen, sich mit der POID zu verbünden, um eine neue Regierung zu bilden. Mélenchon selbst hat Macron ohnmächtig dazu aufgefordert, Neuwahlen abzuhalten, was theoretisch dazu führen könnte, dass eine größere Anzahl von Abgeordneten aus Mélenchons Partei Unbeugsames Frankreich (LFI) ins Parlament einziehen würde, auch wenn Macron nicht angedeutet hat, dass er diesen Vorschlag annehmen wird. Mélenchon könnte dann versuchen, unter Macron als Premierminister zu dienen, wie er es bereits wiederholt vorgeschlagen hat.

Eine von der POID unterstützte Regierung wäre jedoch nicht einfach eine Wiederholung der Mitterrand-Regierung der 1980er Jahre, so reaktionär sich diese auch erwiesen hat. Nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Globalisierung, des Krieges und der immer größeren sozialen Ungleichheit, und angesichts der Tatsache, dass Europa nun in der Ukraine in einem Krieg zwischen der Nato und Russland steht, würde sie noch weit rechts davon stehen. Die Erfahrungen von Regierungen unter Mélenchons Verbündeten – wie Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien – müssen als Warnung vor einer hypothetischen „Regierung der nationalen Einheit“, wie sie von der POID unterstützt wird, verstanden werden.

Im Jahr 2015 verbündete sich Syriza mit der rechtsextremen Partei der Unabhängigen Griechen, verwarf ihre Wahlversprechen, die EU-Sparpolitik zu beenden, und senkte erneut die Renten und Lebensstandards. Sie baute EU-Gefangenenlager für Flüchtlinge und belieferte Saudi-Arabien im Krieg gegen den Jemen mit Waffen. Die Syriza-Regierung brach in Schande zusammen und machte den Weg für die Regierungsübernahme der zuvor diskreditierten rechten, EU-freundlichen Partei Neue Demokratie frei.

Podemos regiert Spanien jetzt im Bündnis mit der vom Großkapital beherrschten Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE). Die Regierung hat sich vollumfänglich am Nato-Krieg in der Ukraine beteiligt, indem sie das neonazistische Asow-Bataillon bewaffnet hat, und hat Streiks von Arbeitern brutal angegriffen, die während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie wissenschaftlichen Schutz forderten. Sie hat darüber hinaus Streiks von Lkw-Fahrern und Stahlarbeitern skrupellos niedergeschlagen und verabschiedet derzeit ihre eigenen Rentenkürzungen, die denen von Macron ähneln.

Die PES warnt vor jedem Versuch, Arbeiter in die politische Falle von Appellen an die Gewerkschaftsbürokratie oder der Bildung einer neuen kapitalistischen Regierung zu locken. Sie erklärt, dass der Kampf gegen Macron nur durch eine Rebellion der Arbeiterklasse gegen die von der POID unterstützten Bürokratien geführt werden kann. Dazu müssen Arbeiter ihre eigenen Massenorganisationen aufbauen, um einen Generalstreik zum Sturz Macrons vorzubereiten.

Die Partei, die in diesem Kampf für den Aufbau der trotzkistischen revolutionären Führung der Arbeiterklasse eintritt, ist die PES – und nicht die prokapitalistischen Agenten, die die lambertistische POID führen.

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