Aktionskomitees des Öffentlichen Dienstes und der Post verabschieden Resolution zur Unterstützung der Kämpfe in Frankreich

Das erste gemeinsame Treffen der Aktionskomitees der Post und des Öffentlichen Dienstes stand unter dem Eindruck der Millionenproteste in Frankreich am Tag zuvor. Am 1. Mai reagierte die Regierung von Präsident Emmanuel Macron auf die Millionen Arbeiter und Studierenden auf den Straßen, die gegen die Rentenkürzungen protestierten, mit Polizeigewalt und Massenverhaftungen. In den sozialen Medien veröffentlichten zahlreiche Protest-Teilnehmende Videos von den Straßenschlachten und der brutalen Polizeigewalt.

Die auf dem Treffen versammelten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und der Post diskutierten die Bedeutung der französischen Ereignisse und verabschiedeten folgende Resolution:

Wir solidarisieren uns mit den Kämpfen der französischen Arbeiter gegen die Rentenkürzungen und für den Sturz der verhassten Macron-Regierung. Wir verurteilen das brutale Vorgehen der Polizei gegen die friedlichen Millionenproteste aufs Schärfste.

Das aggressive Vorgehen der Macron-Regierung zeigt, dass Arbeiter nicht nur mit einer unbliebsamen Reform, sondern mit der Regierung, dem bürgerlichen Staat und dem ganzen kapitalistischen System konfrontiert sind. Es geht um die grundlegende Frage, ob die Kosten der Kriegspolitik und der Bereicherungsorgien der Reichen auf die Arbeiter abgewälzt werden.

In unseren Kämpfen in Deutschland geht es um die gleichen Fragen und die französischen Arbeiter sind unsere natürlichen Verbündeten. Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir zusammen kämpfen. Unsere Solidaritätsadresse ist Ausdruck davon, dass wir unsere Auseinandersetzungen als ein und denselben Kampf verstehen. Notwendig ist ein umfassender europäischer Streik gegen die Kürzungs- und Kriegspolitik.

Auf beiden Seiten des Rheins sind Arbeiter dabei mit der Gewerkschaftsbürokratie konfrontiert, die aufs engste mit der Regierung zusammenarbeitet, die Streiks national isoliert und sabotiert. Eine europäische Bewegung kann nur gegen diese Apparate durchgesetzt werden und erfordert die unabhängige Organisation in Aktionskomitees, die die Streiks in die eigene Hand nehmen und international verbinden.

Die Diskussion des Online-Treffens drehte sich vor allem um die Frage, wie hier in Deutschland die Arbeit der Aktionskomitees entwickelt werden muss, um sich der Zwangsjacke des Verdi-Apparats zu entledigen. Dietmar Gaisenkersting, der selbst im öffentlichen Dienst arbeitet, betonte in seiner Einleitung, dass dies die entscheidende Frage sei. Nur so „können wir den Kampf für unsere berechtigten Forderungen selbst in die Hand nehmen“.

Im Grunde seien Beschäftigte hier „mit sehr ähnlichen Fragen wie die Kolleginnen und Kollegen in Frankreich konfrontiert“. Verdi arbeite eng mit der Bundesregierung zusammen und unterstütze die Kriegspolitik der Ampel-Koalition, deren Kosten auf die Arbeiter abgewälzt werden. Deshalb versuche Verdi mit allen Mitteln Reallohnsenkungen durchzusetzen und einen Vollstreik zu verhindern.

Alle Anwesenden waren sich einig, dass das Tarifergebnis abgelehnt werden muss. Verdi hat eine vierzehnmonatige Nullrunde bis Februar nächsten Jahres vereinbart. Erst im März 2024 werden die Löhne tabellenwirksam erhöht und dann auch nur sehr gering, nämlich um 200 Euro plus 5,5%. Mehrere Beschäftigte im öffentlichen Dienst schilderten in der Diskussion die Folgen dieses Tarifergebnisses.

Frank, Pfleger in einem öffentlichen Krankenhaus, empfindet „die Tariferhöhungen als eine Frechheit und einen Schlag ins Gesicht gerade derjenigen, die in niedrigen Entgeltgruppe eingestuft sind“. Er selbst benötige das Mehr an Geld, das er durch den Tarifabschluss bekommen würde, vollständig für die gestiegenen Spritkosten. Da keine Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmittel existiere, sei er zwingend auf das Auto angewiesen.

Charlotte, die ebenfalls im Gesundheitswesen arbeitet, verwies vor allem auf die sich stets verschlechternden Arbeitsbedingungen. „Die Leute laufen am Limit. Der Druck wird nach unten weitergegeben. Man hat teilweise ein schlechtes Gewissen, wenn man krank ist, weil dann die Kollegen einspringen müssen. Alles ist sehr knapp besetzt.“ Frank ergänzte: „Das ist Wahnsinn. Bei uns in der Pflege sterben täglich Menschen, weil das Gesundheitssystem marode und kaputtgespart ist.“

Ulrich Rippert, langjähriger Vorsitzender der Sozialistischen Gleichheitspartei, zeigte in der Diskussion die identischen Probleme von Arbeitern in Deutschland und Frankreich auf. In Frankreich riefen die Gewerkschaften zwar aktuell noch zu Demonstrationen auf, weil sie befürchteten, ansonsten die Kontrolle völlig zu verlieren. „Aber während Arbeiter den Sturz der Regierung und einen Generalstreik fordern, fordern die Gewerkschaften Verhandlungen und versichern ständig, dass sie bereit sind, mit der Regierung zusammenzuarbeiten“, so Rippert.

Macron könne nur derart aggressiv auftreten und brutal seine Polizei einsetzen, weil er in Verbindung mit den Gewerkschaften stehe, die ihm versicherten, dass sie alles versuchten, um diese Bewegung unter Kontrolle zu halten.

Hier stelle sich die Frage der Aktionskomitees sehr unmittelbar. „Die Frage, dass man sich unabhängig organisiert, ist jetzt die Schlüsselfrage, um wirkliche Kampfmaßnahmen vorbereiten zu können“, erklärte Rippert.

Daraufhin meldete sich Felix, der in der Sozialarbeit im öffentlichen Dienst tätig ist. Er sei seit Jahren Mitglied bei Verdi und lehne das Tarifergebnis ab. „Ich bin aber der Meinung, man kann die Gewerkschaft ja nur verändern und beeinflussen, wenn man Teil dieser Gewerkschaft ist.“ Wenn er jetzt austrete, wie das gerade viele täten, „dann habe ich ja gar keine Chance irgendwas zu beeinflussen“. Es höre sich super an, etwas „Neues zu machen, was viel besser ist“, pflichtete er bei. „Aber wie realistisch ist das denn wirklich?“ Die meisten Arbeiter wollten nicht kämpfen.

Mehrere Beschäftigte antworteten Felix darauf aus verschiedenen Blickwinkeln und betonten, dass Arbeiter sehr wohl kämpfen möchten, aber Verdi das verhindere. Bei der Post hatten die Verdi-Mitglieder sich zu 86 % für einen Vollstreik ausgesprochen, Verdi hat das einfach ignoriert und einen Tarifvertrag durchgeboxt, der Reallohnsenkungen bedeutet. Die anderen Teilnehmenden hielten es für völlig unrealistisch und illusionär, dass Verdi dazu gezwungen werden könne, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. „Die stehen auf der anderen Seite.“

Gaisenkersting ging auf die Verwandlung der Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten ein, in denen sie sich von reformistischen Organisationen in verlängerte Arme der Konzerne und Regierungen verwandelten. „Je größer die Krise, desto mehr tendieren die Gewerkschaften dazu, mit dem Staat zu verschmelzen.“ Das ging 1933 so weit, dass die Gewerkschaften noch am 15. April 1933, dreieinhalb Monate nach Hitlers Machtübernahme, dazu aufriefen, am 1. Mai unter der Hakenkreuzfahne zu marschieren. Am 2. Mai stürmten die Nazis dann die Gewerkschaftshäuser.

Stanislaw, Pfleger und in der Sowjetunion aufgewachsen, erinnerte an die Bürokratie in der ehemaligen UdSSR. Die verkrusteten Strukturen in der Gewerkschaft seien ähnlich. „Auch die Gewerkschaften kann man nicht von innen verändern.“ Entweder man wird Teil von ihnen und „assimiliert“ sich, oder man tritt aus und baut etwas Neues auf. Er selbst war 14 Jahre Mitglied von Verdi, bevor er „die Reißleine“ zogt und austrat.

Rippert antwortete: „Das größte Gegenargument gegen deine Einschätzung, Felix, ist die Wirklichkeit selbst, die Realität.“ Es sei nicht so, wie Verdi selbst auch behaupte, dass niemand außer den Gewerkschaften aktiv sei. „Gerade haben Hunderttausende an Warnstreiks im öffentlichen Dienst teilgenommen, mit großer Initiative, großer Begeisterung. Jetzt sollen sie von einer korrupten Bürokratie gezwungen werden, einen Tarifvertrag zu akzeptieren, der Reallohnsenkungen bedeutet.“

Noch deutlicher werde das in Frankreich. Millionen Arbeiter kämpfen und wollen einen Generalstreik gegen Macron führen. Doch die Gewerkschaften bremsen. „Frankreich zeigt, was hier kommt oder besser: was hier begonnen hat“, sagte Rippert. Diese Entwicklung finde in ganz Europa und international statt. „Wir sind mitten in einem Kampf, in dem man sich jetzt unabhängig organisieren muss, um den Unternehmern, aber auch dem ganzen Staatsapparat und der Regierung entgegenzutreten.“

Darauf müsse man sich vorbereiten. Der Aufbau der Aktionskomitees und die unabhängige Organisation der Arbeiterklasse sei dabei zentral.

Der Beitrag des Vorsitzenden der französischen Sektion der Vierten Internationale, die Parti de l’egalité Socialiste (PES), Alex Lantier, von der Internationalen Mai-Kundgebung, der als Video eingespielt wurde, unterstrich diese zentralen Aussagen.

Die Teilnehmenden beschlossen diese Diskussion weiter zu führen und sich an den beiden nächsten Dienstagen erneut zu treffen. Am 9. Mai sind es drei Tage vor dem Ende der Mitgliederbefragung zum Tarifergebnis. Am übernächsten Dienstag, dem 16. Mai hat dann tags zuvor die Bundestarifkommission Verdis (BTK) abschließend über das Tarifergebnis entschieden. Verdi hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die BTK nicht an das Votum der Mitgliedschaft gebunden ist.

Wir laden alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst ein, an diesen Treffen teilzunehmen und sich dazu bei uns zu melden, entweder per Whatsapp-Nachricht an folgende Nummer: +491633378340 oder über das Formular weiter unten.

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