USA und Mexiko mobilisieren kurz vor Auslaufen von Title 42 zehntausende von Polizisten und Soldaten gegen Migranten

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag lief um Mitternacht die Einwanderungsregelung Title 42 aus. Sie war während der Pandemie zuerst von der Trump- und später von der Biden-Regierung benutzt worden, um Millionen von Migranten ohne Anhörung abzuschieben – unter dem obskuren Vorwand, damit die Einschleppung von Covid-19 in die USA zu verhindern. Im Vorfeld wurden tausende von US-amerikanischen und mexikanischen Einwanderungspolizisten und Militärangehörige entlang der Grenze stationiert.

Die Biden-Regierung, die Bundesstaatsregierung von Texas und die mexikanische Regierung verwandeln die ohnehin schon hochgradig militarisierte Grenze faktisch in einen Polizeistaat.

Auf der US-Seite der Grenze hat die Zoll- und Grenzschutzbehörde CBP 24.000 Beamte mobilisiert. Am Dienstag gaben Vertreter des Weißen Hauses zu, dass zusätzlich „tausende“ andere Strafverfolgungsbeamte und Vertragskräfte des Heimatschutzministeriums an der Seite der CBP-Beamten eingesetzt wurden.

Ein Soldat der US Army in einem Geländefahrzeug auf einer Straße nahe des Rio Grande nach Überquerung der texanisch-mexikanischen Grenze, Brownsville (Texas), am 11. Mai 2023 (AP Photo/Julio Cortez) [AP Photo/Julio Cortez]

Zur Grenzpolizei und den Mitarbeitern des Heimatschutzministeriums kommen tausende von US-Soldaten, die mit Drohnen, Humvees und automatischen Maschinengewehren ausgerüstet sind. Bisher hat US-Präsident Joe Biden die Stationierung von 1.500 Soldaten im Süden von Texas genehmigt. Mit den 2.500 Soldaten der Nationalgarde von Texas, die bereits im Rahmen von Gouverneur Greg Abbotts „Operation Lone Star“ im Einsatz sind, befinden sich insgesamt 4.000 Militärangehörige in Texas.

Das militarisierte Durchgreifen der US-Regierung gegen Einwanderer wird auf der anderen Seite der Grenze vom mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador ergänzt, der 25.000 Soldaten entlang der Grenze stationiert hat. Damit liegt die Gesamtzahl der bewaffneten US-amerikanischen und mexikanischen Grenzschutzbeamten und Militärangehörigen bei weit über 50.000.

Die kapitalistischen Regierungen von Mexiko und den USA haben unbegrenzte Mittel zur Verfügung gestellt, um Beamte und Repressionsmittel einzusetzen, u.a. tausende Kilometer Stacheldraht. Für die Migranten, die die gefährliche Reise durch Dschungel, Berge und Wüsten in die USA unternommen haben, gab es dagegen nur äußerst spärliche Hilfe.

Bilder und Videos von der Grenze zeigen, wie Migrantenfamilien mit Kindern, Jugendliche, Erwachsene im arbeitsfähigen Alter sowie Senioren unter Bewachung durch schwer bewaffnete Grenzbeamte tagelang in glühender Sonne und Sandstürmen stehen und auf ihre „Abfertigung“ warten.

Die Zunahme der Immigration an der Grenze geht auf mehrere, miteinander verknüpfte Faktoren zurück. Millionen Menschen in ganz Lateinamerika, das seit langem vom US-Imperialismus unterdrückt wird, mussten aufgrund von Armut, Naturkatastrophen und Bandengewalt aus ihrer Heimat fliehen. Diese Bedingungen haben sich durch drei Jahre Pandemie und die damit einhergehende Inflation noch weiter verschlimmert.

Zudem fliehen viele tausende der Migranten, die sich derzeit an der amerikanisch-mexikanischen Grenze sammeln, aus Ländern, die seit langem im Fadenkreuz von US-Wirtschaftssanktionen stehen, u.a. aus Venezuela und Kuba. Nachdem Title 42 ausgelaufen ist, versuchen sie, in die USA zu gelangen, bevor der Title 8 der Einwanderungsgesetze in Kraft tritt, der die neue Rechtsgrundlage für die Verfolgung und Ausweisung von Migranten werden soll.

Biden hatte im Wahlkampf ein im Vergleich zu dem Faschisten Trump „humaneres“ Grenzregime angekündigt. Doch wie bei nahezu all seinen Versprechen hat er auch dieses nicht gehalten, sondern den Kurs seines Vorgängers fortgesetzt und ausgeweitet. Bis zum Auslaufen von Title 42 am Donnerstagabend hat die Biden-Regierung diesen mehr als zwei Millionen Mal angewandt, um Migranten abzuschieben.

Im Gegensatz zu Title 42, der keine Strafe für Immigranten bei wiederholtem Grenzübertritt vorsah, dürfen Immigranten gemäß Title 8 erst nach fünf Jahren erneut Asyl beantragen, wenn ihr Antrag abgelehnt wurde.

Jovanna Gomez, eine 40-jährige Immigrantin aus Kolumbien, erklärte gegenüber Reuters: „In meinem Land hört man, dass Einwanderung nur bis zum 11. Mai erlaubt ist, also haben wir ein Rennen gegen die Zeit geführt. ... Es war nicht leicht.“

Die CBP erklärte, sie habe in den letzten drei Tagen durchschnittlich mehr als 10.000 Verhaftungen pro Tag durchgeführt – mehr als doppelt so viele wie die durchschnittlich 4.000 bis 5.000 im letzten Winter. In Gewahrsam der CBP müssen die verhafteten Immigranten in überfüllten Einrichtungen warten, bis sie abgeschoben werden oder einen weiteren Termin für ein zukünftiges Treffen mit den Einwanderungsbehörden erhalten.

Ein US-Grenzschutzbeamter führt mehrere Frauen, die darauf warten, zwischen den beiden Grenzmauern Asyl zu beantragen, zu einem Kleintransporter. Aufgenommen am 11. Mai 2023 in San Diego. (AP Photo/Gregory Bull) [AP Photo/Gregory Bull]

Am Mittwoch gaben Vertreter der CBP zu, dass Überfüllung ein großes Problem in ihren Einrichtungen ist. Die Behörde hat derzeit Platz für 10.000 Immigranten, doch laut CBP befinden sich mehr als 28.000 in ihrem Gewahrsam. Anwälte der Biden-Regierung forderten am Mittwoch vor Gericht beschleunigte Verfahren zur Verlegung von Immigranten aus den CBP-Einrichtungen und erklärten, wenn nichts unternommen würde, könnten sich „bis Ende des Monats mehr als 45.000 Personen in Gewahrsam befinden.“

Ohne einen Gerichtsbeschluss, so argumentierte die Biden-Regierung, würde der erzwungene Verbleib der Immigranten in den Einrichtungen „die ohnehin schon sehr besorgniserregenden Haftbedingungen verschlimmern und vermutlich zu Bedingungen führen, die die CBP dazu veranlassen, gegen [andere] gerichtliche Anordnungen zu verstoßen... was äußerst schwerwiegende und katastrophale Folgen hätte.“

Vor weniger als zwei Monaten brach in einem überfüllten Haftzentrum in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez ein tödliches Feuer aus, bei dem über 40 Menschen ums Leben kamen. Jetzt werden entlang der gesamten US-mexikanischen Grenze die Bedingungen für ähnliche Katastrophen geschaffen.

Der Präsident der Grenzschützergewerkschaft, Brandon Judd, erklärte gegenüber Reuters, die am stärksten ausgelasteten Einrichtungen befänden sich im unteren Rio Grande Valley, in El Paso (Texas) und an der Grenze zwischen Arizona und Mexiko. Judd behauptete, die Immigranten verbrächten „durchschnittlich“ drei Tage in Einrichtungen der CBP, bevor sie mit einer Aufforderung entlassen werden, vor einem Einwanderungsgericht zu erscheinen.

Verzweifelte Familien von Asylsuchenden werden von der Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) streng kontrolliert. Ein anonymer ICE-Beamter erklärte am Mittwoch in einem Interview mit der Los Angeles Times, die Behörde setze einen neuen Plan um, der als „Management zur beschleunigten Abschiebung von Familien“ (FERM) bezeichnet wird.

Gemäß dem FERM-Plan müssen die „Oberhäupter“ von Immigrantenfamilien, d.h. Mütter und Väter, eine GPS-Fußfessel tragen und eine strenge Ausgangssperre zwischen 23 und 5 Uhr einhalten, die Reisen und Arbeit einschränkt. Sie müssen außerdem zu einer ersten Asylprüfung bzw. einem Interview über „glaubwürdige Angst“ erscheinen. Wenn sie bei dem Interview „versagen“, wird die gesamte Familie abgeschoben.

Der ICE-Beamte erklärte gegenüber der Times: „Es gibt Konsequenzen für Familienverbände. Wenn sie nicht berechtigt sind, in den USA zu bleiben, verlegen wir sie zur Abschiebung.“

Beide Parteien des Großkapitals unterstützen den Angriff auf Immigranten uneingeschränkt. Die Republikaner im Repräsentantenhaus verabschiedeten am Donnerstag den „Secure the Border Act“, der Millionen von Dollar bereitstellt, um tausende zusätzliche Grenzschutzbeamte einzustellen und an der südlichen Grenzmauer einzusetzen.

Biden hat zwar versprochen, sein Veto gegen das Gesetz einzulegen, wenn es ihm zur Unterschrift vorgelegt wird, allerdings nicht weil die Demokraten die Aufstockung der Grenzpolizei ablehnen. Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom, ein potenzieller künftiger Präsidentschaftskandidat, attackierte den Vorschlag des Sprechers des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, auf Twitter, weil sein Haushaltsplan nicht genug Geld für die CBP vorsieht.

Newsom schrieb am Donnerstag: „Die Wahrheit ist, dass der Haushalt des Sprechers des Repräsentantenhauses, McCarthy, den Etat der CBP um vier Milliarden Dollar kürzt und das zum Verlust von mehr als 2.400 Beamten führen wird.“

Im Gegensatz zu den Parteien des Kapitals verteidigt die Socialist Equality Party bedingungslos die demokratischen Rechte der Arbeiter, im Land ihrer Wahl zu leben und zu arbeiten. Während Republikaner wie Demokraten offene Grenzen ablehnen und eine protektionistische und wirtschaftsnationalistische Politik fordern, kämpft die SEP für das gesellschaftliche Eigentum an den Produktivkräften, die Abschaffung von Landesgrenzen und die Schaffung einer rational integrierten globalen Planwirtschaft, die zum Wohle aller statt zum Wohle einer winzigen Minderheit agiert.

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