Ukraine benutzt erstmals britische Langstreckenraketen für Angriff auf russisch kontrolliertes Gebiet

Russland bestätigte am Samstag, dass Marschflugkörper des Typs Storm Shadow aus dem Vereinigten Königreich zwei Industrieanlagen in der von Russland kontrollierten Stadt Luhansk in der Ostukraine getroffen hatten. Laut dem russischen Verteidigungsministerium schlugen die Raketen am Freitag in einer Polymerfabrik und in einer fleischverarbeitenden Fabrik ein.

Andere Quellen, darunter der britische Telegraph, berichteten unter Berufung auf „lokale Medien“, die Angriffe hätten „ein russisches Versorgungsdepot und eine 128 Kilometer hinter der Front gelegene militärische Kommandozentrale getroffen“.

Storm Shadow/SCALP EG [Photo by David Monniaux / CC BY-SA 3.0]

Laut dem Telegraph ist mindestens ein weiteres Raketensystem einsatzbereit, von dem bisher nicht bekannt war, dass die ukrainischen Streitkräfte es verwenden:

Analysten erklärten außerdem, dass mindestens ein US-MALD-Täuschflugkörper bei den Angriffen eingesetzt wurde. Die MALD trägt keinen Sprengkopf, sondern ist mit hochmoderner Elektronik ausgestattet, die Verteidigungssysteme ablenkt.

Die Medien hatten bereits berichtet, Großbritannien sei bereit, die Lieferung von Langstreckenraketen zu bewilligen. Am Donnerstag erklärte Verteidigungsminister Ben Wallace vor Abgeordneten: „Ich kann nur sagen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sie der Ukraine zu schenken, nachdem die technischen Hürden genommen wurden und alle über eine erwartete Gegenoffensive sprechen. Sie sind jetzt auf dem Weg oder bereits im Land.“ Das technische Problem, von dem Wallace sprach, war die Frage, wie die Storm Shadow angesichts ihrer Größe und ihres Gewichts an ukrainische Kampfflugzeuge montiert werden könne, da diese nicht für den Transport dieser Waffe ausgelegt sind.

Zu der Anzahl der gelieferten Langstreckenraketen machte Wallace keine Angaben. Allerdings wird davon ausgegangen, dass Großbritannien zwischen 700 und 1.000 dieser Raketen besitzt.

Der Verteidigungsminister sprach in einer Anhörung vor Abgeordneten seiner eigenen konservativen Fraktion und der Labour-Opposition, die allesamt eine Aufstockung der Militärlieferungen gefordert hatten.

Labours Schattenverteidigungsminister John Healey erklärte: „Wir wollen, dass das Vereinigte Königreich die Geschwindigkeit, in der es die Ukraine unterstützt, beibehält und noch steigert.“ Wallace entgegnete, es seien mittlerweile britische Challenger-Kampfpanzer in der Ukraine: „Ich weiß, dass alle unsere Kampfpanzer im Land angekommen sind, und dazu noch viele unserer Spartans [Transportpanzer] und andere gepanzerte Fahrzeuge.“

Die Lieferung der Raketen könnte unabsehbare Konsequenzen haben. Die Ukraine ist jetzt in der Lage, die von Russland kontrollierte Krim anzugreifen, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist. Die Reichweite der Rakete beträgt offiziell mehr als 250 km, doch laut anderen Schätzungen, u.a. des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, könnte sie eine maximale Reichweite von 400 oder sogar 560 Kilometer haben.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, er habe sich beim britischen Premierminister Rishi Sunak für die „beträchtliche Verbesserung unserer Fähigkeiten durch Storm-Shadow-Langstreckenraketen und andere unersetzliche militärische Unterstützung“ bedankt. Weiter sagte er:

Wir diskutierten über die weitere Kooperation in Verteidigungsfragen und stimmten unsere Positionen im Vorfeld der bevorstehenden internationalen Ereignisse ab. Insbesondere brauchen wir klare Signale über die Zukunft der Ukraine in der Nato.

Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksi Resnikow erklärte in einem provokativen Tweet nur wenige Stunden vor den ersten Storm-Shadow-Angriffen: „Der Wetterdienst sagt einen Zyklon voraus, der sich von Großbritannien in Richtung Ukraine bewegt und Stürme mit sich bringt. Durch den Schatten des Sturms [the Shadow of the Storm] wird die Sonne unserer Freiheit durchbrechen und Licht auf unseren Sieg werfen.“

Das russische Außenministerium erklärte daraufhin am Freitag: „Wir erachten diese Entscheidung als äußerst feindseligen Schritt Londons mit dem Ziel, weitere Waffen in die Ukraine zu pumpen und die Situation in sehr ernster Weise zu eskalieren.“ Ein Sprecher des Kreml erklärte: „Das wird eine angemessene Reaktion unseres Militärs erfordern, das definitiv die in militärischer Hinsicht erforderlichen Entscheidungen treffen wird.“ Weiter erklärte er, der russische Präsident Wladimir Putin habe „sehr negativ“ auf die Nachricht reagiert.

Einige Kommentatoren und Medien erklärten als Reaktion auf die Lieferung der Storm Shadows an die Ukraine, dies bedeute nicht, dass die USA nun ihre weitaus leistungsstärkeren und moderneren Boden-Boden-Langstrecken-Raketen ATACMS [Army Tactical Missile System] schicken würden.

Die Financial Times schrieb: „Die USA zögern, taktische Systeme wie ATACMS zu liefern.“ Die Zeitung zitierte den derzeitigen britischen Militärattaché in Moskau, John Foreman, mit den Worten:

Es ist wahrscheinlich, dass Großbritannien und die USA ausführliche Diskussionen über die Entsendung von Storm Shadows geführt haben. Allerdings deutet bisher nichts darauf hin, dass Washington seine eigenen Langstreckenraketen schicken wird ... Wenn die USA das vorhätten, hätten sie sich in Erwartung dieser Ankündigung anders geäußert.

Der britische Telegraph veröffentlichte eine Kolumne von Liam James mit dem Titel „Storm Shadow-Raketen an die Ukraine werden den Charakter des Kampfs ändern“, in dem es hieß:

Großbritannien hat wieder einmal eine Vorreiterrolle eingenommen. Wir beliefern die bedrängten Ukrainer mit unserer berühmten Storm-Shadow-Rakete, die von allen bisher gelieferten Waffen die größte Reichweite hat. Das ist wirklich ein Moment, der alles ändert.

Er fügte hinzu, das Vereinigte Königreich liefere ein recht veraltetes Raketensystem, das „wie jedes andere Unterschallflugzeug ... von der normalen Luftabwehr abgeschossen werden kann“. Der Punkt sei, „dass jemand den Ukrainern jetzt eine Angriffswaffe mit einer nominellen Reichweite von fast 300 Kilometern gegeben hat. Das setzt die anderen westlichen Staaten unter Druck, es uns gleichzutun, und macht es ihnen politisch und diplomatisch viel leichter, das zu tun.“ Und weiter:

Wie die Ukrainer bereits oft gesagt haben, wollen sie in Wirklichkeit das Army Tactical Missile System (ATACMS) aus amerikanischer Produktion. Sie haben bereits amerikanische GMLRS-Raketen (Guided Multiple Launch Rocket System) und Himars-Raketenwerfer, mit denen sie 96 Kilometer entfernte Ziele treffen können. Alternativ können die Ukrainer ihre neuen bodengestützten SDBs 144 Kilometer weit schießen. Aber der Himars-Raketenwerfer kann auch die ATACMS abfeuern, deren Reichweite mehr als 300 Kilometer beträgt.

James fügte hinzu, die „USA müssen vielleicht keine eigenen Waffen liefern: Sie könnten einfach anderen mitteilen, dass es ihnen frei stehe, ihre Waffen zu schicken. Polen und Rumänien besitzen bereits ATACMS-Raketen. Andere Länder, wie Estland, Litauen und Taiwan, haben sie bestellt.“ Er schrieb auch, Taiwan habe den USA bereits erlaubt, die bodengestützten Small Diameter Bombs, die es bei den USA bestellt hatte, an die Ukraine weiterzureichen.

Der britische Verteidigungsminister Wallace bestätigte:

Was den Einsatz, das Spenden oder Schenken von Storm Shadows angeht, so haben die USA die Entscheidung des Vereinigten Königreichs in unglaublicher Weise unterstützt.

Die Nato hat bisher den Konflikt in jedem Stadium des Kriegs durch die Lieferung von Waffen eskaliert, obwohl US-Präsident Joe Biden und mehrere Nato-Sprecher genau dies zuvor ausgeschlossen hatten. Die Financial Times schrieb:

Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs vom Januar, Challenger-2-Kampfpanzer zu schicken hat einen Präzedenzfall geschaffen, dem eine Vereinbarung Deutschlands und der USA folgte, ihre eigenen Kampfpanzer Leopard 2 und M1 Abrams zu schicken.

Im Nato-Krieg gegen Russland gibt es keine Einschränkung für die Lieferung von Waffen, um einen Regimewechsel in Moskau herbeizuführen.

Der Tory-Abgeordnete Mark Francois erklärte als Reaktion auf Wallace:

Wir haben in Westeuropa die Führungsrolle dabei eingenommen, die Ukrainer auszurüsten ... Aber wir haben noch keine Kampfflugzeuge geschickt, obwohl wir eine Staffel Typhoons der ersten Generation im Hangar stehen haben, und obwohl Präsident Selenskyj uns kürzlich in der Westminster Hall öffentlich aufgefordert hat, sie ihm zu liefern.

Francois erklärte, die ukrainischen Luftstreitkräfte seien denen Moskaus nicht gewachsen, und er richtete sich an Wallace:

Darf ich Sie daher explizit fragen, was wir tun, erstens um Kampfflugzeuge zu schicken, zweitens um andere westliche Verbündete dazu zu ermutigen, der Ukraine Mig-29, F-16 oder sogar A-10 zu schicken? Es wäre wirklich eine Tragödie, wenn die Gegenoffensive wegen fehlender Luftunterstützung ins Stocken geriete.

Der Abgeordnete Tobias Ellwood, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Unterhauses, erklärte:

Es herrscht große Erwartung in Bezug auf die vermutlich bald beginnende Gegenoffensive. Allerdings gibt es auch eine Botschaft, der Minister Wallace hoffentlich zustimmen wird: dass möglicherweise eine zweite, dritte oder vierte Gegenoffensive notwendig ist. Das wird nicht einfach enden, wenn die Ukrainer beschließen, vorzurücken. Wir sollten damit rechnen, dass Russland unangenehm wird, und dass es als Reaktion unkonventionelle Systeme benutzt ... Werden die Amerikaner mit dem ATACMS - dem Army Tactical Missile System - mithalten? Es gibt immer noch die Bitte, auch Flugzeuge zu liefern.

Die Tories und Labour bilden eine einzige große Kriegspartei, und Labour versichert der herrschenden Klasse und den USA im Vorfeld der Parlamentswahl 2024, dass sie „die Partei der Nato“ sei. Schatten-Verteidigungsminister Healey erklärte: „Der Verteidigungsminister weiß, dass die Regierung bei der Bereitstellung von Militärhilfe an die Ukraine und bei der Stärkung unserer Nato-Verbündeten die volle Unterstützung der Labour Party hatte und auch weiterhin haben wird.“

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