„Es ist auch Zeit für Waffen“: Evangelischer Kirchentag im Zeichen des Krieges

Der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT), der vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg stattfand, stand eindeutig im Zeichen der Kriegspropaganda. Hochrangige Vertreter des Staates, der Regierung und der Bundeswehr erhielten in Nürnberg eine Plattform, um sich gegen die vorherrschende Anti-Kriegs-Stimmung zu stellen und die Bevölkerung auf den offiziellen Kriegskurs einzuschwören.

Abendveranstaltung am Hauptmarkt zum Kirchentag in Nürnberg am 10. Juni 2023 [Photo by Kasa Fue / CC BY-SA 4.0]

Dafür hatten die Veranstalter schon im Vorfeld gesorgt. Die Theologin Margot Käßmann, die bis dahin das Aushängeschild der christlichen Friedensbewegung gewesen war, hatte ihre Teilnahme abgesagt, nachdem ihre Vorschläge abgelehnt worden waren. An ihrer Stelle wurde der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, als Redner eingeladen. Das war an sich schon ein deutliches Statement, das durch das Auftreten des „ranghöchsten Soldaten“ unterstrichen wurde: Er zeigte sich in hochdekorierter Uniform, den grün-gelben Kirchentagsschal um die Schultern.

Die FAZ kommentierte: „Der Schulterschluss [des Kirchentags] mit der alten Friedensbewegung ist vorbei.“ Ganz ähnlich die Tageszeitung (taz), die erklärte, dem Pazifismus sei „der Boden unter den Füßen weggebrochen“.

Ein Blick auf den Trägerverein des Kirchentags macht dies deutlich: Der Verein verfügte über ein Veranstaltungsbudget von 20 Millionen Euro, das sich vor allem aus Zuwendungen aus Nürnberg, Bayern und der Berliner Ampel-Regierung speiste. Präsident des Kirchentags ist seit Oktober 2021 der CDU-Politiker Thomas de Maizière. Er war bereits Bundesverteidigungsminister sowie zweimal Bundesinnenminister und bekannt für seine drakonische Abschiebepolitik. Sein Vater Ulrich de Maizière hatte nach einer Offizierslaufbahn in Reichswehr und Wehrmacht nach dem Krieg die Bundeswehr mit aufgebaut.

Ungewöhnlich hoch war die Zahl der offiziellen politischen Vertreter auf dem Nürnberger Kirchentag. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war auch Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) ein prominenter Redner. Weitere Teilnehmer waren: Wirtschaftsminister Robert Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock, Familienministerin Lisa Paus (all drei Bündnis 90/Die Grünen), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Bundestagsvizepräsidentinnen Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Petra Pau (Linkspartei), der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sowie die Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), Winfried Kretschmann (Grüne), Manuela Schwesig (SPD) und Markus Söder (CSU).

Die Losung des Kirchentags lautete in Anlehnung an ein Bibelwort aus dem Markus-Evangelium: „Jetzt ist die Zeit.“ Steinmeier griff das Motto gleich zu Beginn mit dem Satz auf: „Es ist auch Zeit für Waffen“. Bei der Eröffnung des Kirchentages zitierte der Bundespräsident das angebliche christliche Dilemma: Ja, Frieden schaffen ohne Waffen, das sei der Anspruch. Auf der anderen Seite stehe die „Solidarität mit der Ukraine“. Dazu Steinmeier: „Auch ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich einmal sagen würde: Neben all den anderen Anstrengungen: Es ist auch Zeit für Waffen!“

Zwar bezeichnete der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm den Kirchentag als „Krafttankstelle“ für den weiteren Weg nicht nur der Kirche, sondern der ganzen Gesellschaft. Tatsächlich aber lag die Besucherzahl mit rund 70.000 Dauerteilnehmern in diesem Jahr deutlich unter dem Durchschnitt früherer Kirchentage. Einschließlich der Besucher kostenloser Veranstaltungen waren es maximal 130.000. Dies ist wenig überraschend, da die Zahl der Mitglieder der evangelischen Landeskirchen seit Jahren stark rückläufig ist. Sie betrug Ende 2022 in Deutschland etwa 19 Millionen Menschen (22,7 Prozent der Gesamtbevölkerung).

Trotzdem brach die Stimmung gegen den Krieg, die in der Arbeiterklasse und in großen Teilen der Bevölkerung vorherrscht, auch auf dem Kirchentag immer wieder durch. Eine Demonstration führte am Samstag Transparente mit, auf denen stand: „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“, „Keine Waffenlieferungen an die Ukraine“, „Es gibt keinen gerechten Krieg“ oder schlicht: „Schwerter zu Pflugscharen.“ Solche Initiativen wurden auf dem Kirchentag jedoch stark an den Rand des Geschehens gedrängt. Die Kirchenführer und geladenen Sprecher ergingen sich in Kriegspropaganda.

Olaf Scholz bekam am ersten Tag eine besondere Plattform für seine militaristischen Aufrufe, doch sein Auftritt wurde, genau wie der von Annalena Baerbock, immer wieder von Buhrufen unterbrochen. Wenige Tage zuvor hatte ein Wutausbruch von Scholz und seine aggressive Kriegsrede gegen Russland Erinnerungen an die finstersten Zeiten der deutschen Geschichte wachgerufen. David North, Vorsitzender der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, kommentierte dies auf Twitter mit den Worten: „Der letzte deutsche Kanzler, der so wetterte, war Hitler. Und wie bei seinem Vorgänger ist auch der Feind von Scholz Russland.“

Auf der zentralen Podiumsdiskussion zum Thema „Welchen Frieden wollen wir?“ lautete eine Teilnehmerfrage: „Wie viel mehr Tote sind unsere ‚Werte‘ wert?“ Die Frage war vollkommen berechtigt, denn die „Sommeroffensive“ der Ukraine hatte gerade begonnen, die seither täglich allein auf ukrainischer Seite mehr als 1000 Tote fordert. Doch auf diesen horrenden Blutzoll gingen die Protagonisten des Kirchentags nicht ein, geschweige denn auf die Frage, wie er beendet werden kann.

Die Antwort des Bundeswehrvertreters war besonders entlarvend: Er habe „geschworen, Recht und Freiheit tapfer zu verteidigen“, sagte Breuer. „Und Tapferkeit heißt für uns Soldaten auch: unter Einsatz unseres Lebens.“ Demnach kann, ihm zufolge, das Sterben weitergehen – und auf dem Podium war keiner, der ihm entgegentrat.

Der Evangelische Kirchentag fiel in eine Zeit akuter Krisen des deutschen Imperialismus. Der Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine hat im Innern zu Inflation und Kriegswirtschaft geführt, und die arbeitende Bevölkerung reagiert darauf mit wachsender Wut. Eine Welle von Klassenkämpfen ist die Folge, und sie könnte sich leicht mit den Kämpfen von Arbeitern in ganz Europa verbinden. In dieser Situation ist die herrschende Klasse auf der Suche nach dem Rückhalt, den ihr die Kirche bieten kann.

Was die evangelische Kirche betrifft, so ist sie keineswegs erst in letzter Zeit so stark nach rechts gerückt. Sie blickt vielmehr auf eine Geschichte voller Anpassung und Unterstützung für diktatorische und militaristische Regime zurück. Schon in der Kaiserzeit zog die evangelische Kirche begeistert mit Wilhelm II. in den Ersten Weltkrieg. Später hat sie das Dritte Reich aktiv mitgetragen.

Im November 1938 begrüßte der evangelische Landesbischof von Thüringen, Martin Sasse, die brennenden Synagogen und berief sich dabei auf Martin Luther, dessen Geburtstag auf den 10. November fiel; Sasse bezeichnete Luther als „Warner seines Volkes vor den Juden“. Und der Oberkirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs lobte die „gute und saubere Sache des Freiheitskampfes der deutschen Nation gegen den jüdischen antichristlichen Weltbolschewismus“.

Die Verbindung der evangelischen Kirche mit der Friedensbewegung – im Osten und im Westen Deutschlands – geht vor allem auf die 1980er Jahre zurück. Damals sorgte die Kirche mit ihrem pazifistischen Kurs dafür, dass sich die Opposition gegen Krieg und Aufrüstung nicht mit dem Widerstand der Arbeiterklasse gegen das stalinistische SED-Regime und die Regierung Helmut Kohls (CDU) verband und keine antikapitalistische Richtung einschlug. Viele Politiker, die bei der Einführung des Kapitalismus in der DDR eine führende Rolle spielten – darunter Manfred Stolpe und Joachim Gauck – waren hohe Kirchenfunktionäre oder Pastoren. Heute wendet sich die Kirche wieder ihrer ursprünglichen Aufgabe zu.

Die Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine ist ein Beleg für die Bereitschaft der herrschenden Eliten, für ihre Profitinteressen bis zum Äußersten zu gehen. Dies zu bekämpfen, erfordert jedoch andere Methoden als den christlich geprägten Pazifismus. Sozial gesehen ist der Pazifismus die Politik eines Teils der Mittelschichten, der von den schlimmen Auswüchsen imperialistischer Aggression abgestoßen ist, aber gleichzeitig die revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse ablehnt.

Der Kampf gegen den Krieg erfordert aber ein aktives Eingreifen der Arbeiterklasse gegen seine Akteure. Anders kann er nicht gewonnen werden. Er erfordert, dass Arbeiter ihre Kräfte auf internationaler Ebene bündeln, unabhängig von allen nationalistischen Agenturen des Kapitals: den Gewerkschaften, den pseudolinken Parteien und den Kirchen. Die Arbeiterklasse muss der Logik des Krieges, die zum alles vernichtenden Atomkrieg führt, die Logik des Klassenkampfs entgegensetzen.

„Wenn der Imperialismus bereit ist, im Krieg Blut zu vergießen und alle grundlegenden demokratischen Rechte anzugreifen, die durch die revolutionären Kämpfe der Vergangenheit errungen wurden, dann haben wir die Pflicht, Widerstand zu leisten“, – diese Worte stammen aus einer Erklärung, die ukrainische und russische Trotzkisten gemeinsam geschrieben haben.

Sie haben sich in der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten zusammengeschlossen und beweisen damit, dass das Potential für die notwendige internationale Einheit der Arbeiterklasse vorhanden ist. In ihrem Brief heißt es auch: „Jeder Krieg muss bezahlt werden, aber unser Ziel muss sein, dass dieses Mal nicht die Arbeiterklasse, sondern der Kapitalismus dafür bezahlt und ein für alle Mal abgeschafft wird.“

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