CDU-Chef Merz nähert sich der AfD

Im traditionellen Sommerinterview der Spitzenpolitiker kündigte CDU-Chef Friedrich Merz am Sonntag eine engere Zusammenarbeit mit der rechtsextremen AfD an. Im ZDF-Gespräch in seiner Heimatstadt Arnsberg sagte er, das „Tabu einer Beteiligung der AfD an einer Regierung“ beziehe sich nur auf „gesetzgebende Körperschaften – vom Europa-Parlament bis zu den Landtagen“.

CDU-Chef Friedrich Merz [Photo by DBT / Tobias Koch]

Auf kommunaler Ebene sei die Situation anders. Wenn in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt worden sei, dann seien das demokratische Wahlen: „Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“

Am Montag nahm Merz seine Aussage teilweise zurück, nachdem er auch in der eigenen Partei auf erheblichen Widerspruch gestoßen war. Mehrere Landesfürsten – darunter Hendrik Wüst (NRW), Boris Rhein (Hessen), Tobias Hans (Saar), Kai Wegner (Berlin) und der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) – hatten sich öffentlich von Merz‘ Aussage distanziert.

Merz behauptete nun, er sei missverstanden worden. Eine politische Zusammenarbeit mit der AfD „bleibe auf allen Ebenen ein Tabu“. Doch das ist reine Augenwischerei. Seine Interview-Äußerung ist Bestandteil eines massiven Rechtsrucks, den alle Bundestagsparteien gegenwärtig vollziehen. Wenn sich einige CDU-Vertreter trotzdem gegen eine offene Zusammenarbeit mit der AfD aussprechen, dann weil sie den Zeitpunkt für zu früh halten. Es gibt in der Bevölkerung eine breite Opposition gegen die Rechtsextremen, die bis in die Wählerschaft der CDU hineinreicht. Kaum jemand will die Nazis zurückhaben.

Doch die Behauptung, es gäbe ein „Tabu“ oder eine „politische Brandmauer“ der „demokratischen Parteien“ gegen die AfD, ist absurd. In Wahrheit wurde die AfD, die vor zehn Jahren als nationalistische Anti-Euro-Partei ins Leben gerufen wurde, vom Staatsapparat, den Geheimdiensten und den Medien genutzt und gefördert, um die Rückkehr von Militarismus und deutscher Großmachtpolitik zu promoten und durchzusetzen.

Ungeachtet ihres offen faschistischen Flügels und ihrer Relativierung der Nazi-Verbrechen –Gaulands Verniedlichung der Nazi-Herrschaft als „Vogelschiss“ in einer ruhmreichen deutschen Geschichte ist noch gut in Erinnerung – wurde die AfD systematisch ins politische System integriert. Ihre Abgeordneten sitzen im Bundestag und – bis auf Schleswig-Holstein – in sämtlichen Länderparlamenten. Rechnet man Diäten, Fraktionszuschüsse, Kostenpauschalen und staatliche Parteienfinanzierung zusammen, wird die AfD jedes Jahr mit einer dreistelligen Millionensumme aus der Staatskasse finanziert.

AfD-Vertreter leiten wichtige Parlamentsausschüsse, werden von den Medien ausführlich zitiert und sind regelmäßige Gäste in politischen Talkshows. Die Bundesregierung und alle Bundestagsparteien haben in wichtigen Fragen der militärischen Aufrüstung und der Flüchtlingspolitik die Standpunkte der AfD übernommen.

Jetzt wird ein neues Stadium der Zusammenarbeit in Form einer direkten Regierungsbeteiligung der AfD vorbereitet. Merz‘ Vorstoß diente nicht zuletzt dazu, das Terrain zu sondieren. Teil dieses Rechtsrucks ist die Ablösung von Mario Czaja durch Carsten Linnemann als CDU-Generalsekretär. Der Sprecher der erzkonservativen CDU-Wirtschafsvereinigung Linnemann vertritt eine radikale Law-and-Order-Politik und befürwortet Polizeistaatsmaßnahmen.

Unmittelbar nach seiner Ernennung zum zweiten Mann an der Spitze der CDU forderte Linnemann juristische Schnellverfahren gegen Jugendliche (teils mit Migrationshintergrund), die sich in einem Berliner Schwimmbad geprügelt hatten. „Es braucht Schnellverfahren gegen Gewalttäter, das Justizsystem muss entsprechend organisiert werden“, sagte Linnemann der Bild-Zeitung. „Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muss abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden. Auch am Wochenende.“ Die Strafprozessordnung gebe das her. Auch das Strafmaß müsse voll ausgeschöpft werden, bis hin zu Haftstrafen.

In derselben Zeitung forderte Linnemann auch eine „Überarbeitung“ der Arbeitslosenunterstützung, genannt Bürgergeld. Wer arbeiten könne und Bürgergeld beziehe, müsse auch eine Arbeit annehmen. „Sonst kann er keine Hilfe vom Staat erwarten. Deswegen werden wir uns, wenn wir an die Regierung kommen, das Bürgergeld vornehmen“, erklärte er. Mit anderen Worten: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Die AfD klatschte Beifall.

Auch auf europäischer Ebene wird die Zusammenarbeit mit Faschisten vorangetrieben. Der Vorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), versucht im Europa-Parlament ein Parteienbündnis mit der rechtspopulistischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und der rechtsextremen Fraktion ID (Identität und Demokratie) aufzubauen.

Die EKR ist ein Bündnis rechter und faschistischer Parteien, zu denen neben der AfD auch die faschistischen Fratelli d’Italia gehören, deren Vorsitzende Giorgia Meloni seit vergangenem Herbst italienische Regierungschefin ist. Zur ID-Fraktion gehören rechtsextreme und separatistische Parteien wie die belgische Vlaams Belang, die Dänische Volkspartei, die italienische Lega und die französischen Faschisten von Marine Le Pen (Rassemblement National).

EVP-Chef Weber umwirbt vor allem die italienische Ministerpräsidentin Meloni und ihre faschistischen Fratelli d’Italia. Bei der Abwehr von Flüchtlingen hat er weitgehend die Position der Faschisten übernommen und mehrfach Gespräche mit Meloni geführt. Er handelt dabei in Absprache mit der EU-Kommission unter Leitung von Ursula von der Leyen (CDU), die gemeinsam mit Meloni den schmutzigen Deal gegen Flüchtlinge mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied vereinbart hat.

Dem Tagesspiegel sagte Weber: „Wenn Frau Meloni weiter auf Zusammenarbeit und europäische Lösungen wie beim Tunesien-Abkommen setzt, ist sie für uns genauso Ansprechpartner wie Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala und viele Liberale“.

Melonis Bewunderung für Mussolini und den italienischen Faschismus ist bekannt. Schon als Jugendliche hatte sie sich dem Movimento Sociale Italiano (MSI) angeschlossen, das in der Kontinuität von Mussolinis Faschisten steht und in die rechtsextremen Terroranschläge der 1960er und 70er Jahre verwickelt war. Nachdem sich das MSI 1994 in Alleanza Nazionale umbenannt und schließlich in Silvio Berlusconis Forza Italia aufgelöst hatte, gründeten Meloni und andere 2012 die Fratelli d’Italia, um die Tradition des MSI fortzusetzen.

Aber nicht nur CDU und CSU suchen die Partnerschaft mit Meloni und den italienischen Faschisten. Anfang des Jahres rollte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den roten Teppich für Meloni aus und versicherte ihr seine „feste Entschlossenheit“ zur Zusammenarbeit.

Die Stärkung der AfD und die Vorbereitungen darauf, sie in die Regierung einzubinden, haben tiefe objektive Ursachen. Sie wurzeln in der ausweglosen Krise des Kapitalismus und dienen der Vorbereitung von massiven sozialen und politischen Angriffen auf die Arbeiterklasse. Die extreme Zunahme der sozialen Ungleichheit, die Eskalation des Stellvertreterkriegs gegen Russland und wachsende internationale Rivalitäten zerstören die Mechanismen der Demokratie und der sozialen Kompromisse.

1933 holte eine Verschwörung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Eliten Hitler an die Macht, weil sie die Nazis brauchten, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen und einen Krieg zur Eroberung von „Lebensraum“ – d.h. von Rohstoffen und Ausbeutungsmöglichkeiten für das deutsche Kapital – zu führen. Aus denselben Gründen werden heute überall wieder faschistische Parteien aufgebaut und gefördert.

In den USA hat Präsident Donald Trump am 6. Januar 2021 versucht, die Wahl seines Nachfolgers Joe Biden mit einem Putsch zu verhindern. Inzwischen werden die Republikaner, eine der beiden großen bürgerlichen Parteien, von Faschisten dominiert. Trotzdem beharrt Biden auf der Zusammenarbeit mit seinen „republikanischen Freunden“.

In Frankreich wurde das rechtsextreme Rassemblement National in den letzten beiden Präsidentenwahlen zweitstärkste Partei. In Italien stellen die Nachfolger Mussolinis die Ministerpräsidentin. Und auch in zahlreichen kleineren europäischen Ländern – Österreich, Schweden, Dänemark, Finnland – waren oder sind rechtsextreme Parteien an der Regierung beteiligt.

Aber wenn CDU-Chef Merz oder EVP-Chef Weber glauben, sie könnten die rechtsextreme AfD in die Regierung holen, ohne dass es dagegen einen Aufstand gibt, haben sie sich getäuscht. Die Nazi-Verbrechen sind in diesem Land tief im Bewusstsein großer Teile der Bevölkerung verankert. Und die Forderung „Nie wieder Faschismus!“ ist weiter lebendig.

Während die herrschende Klasse mit Krieg und Diktatur an ihre reaktionäre Großmachtpolitik anknüpft, beginnt die Arbeiterklasse weltweit gegen Lohnsenkungen und Sozialabbau zu kämpfen. Diese Bewegung muss mit dem Kampf gegen Krieg und Diktatur verbunden werden und an die revolutionären, sozialistischen Traditionen anknüpfen.

Es ist nicht möglich, den Faschismus mit staatlichen Repressionsmaßnahmen oder im Bündnis mit angeblich demokratischen, bürgerlichen Parteien zu bekämpfen. Notwendig ist der Aufbau einer Partei, die die internationale Arbeiterklasse im Kampf gegen soziale Ungleichheit, Faschismus, Krieg und ihre Ursache, den Kapitalismus, vereint und damit dem rechten Spuk ein Ende bereitet: der Sozialistischen Gleichheitspartei und der Vierten Internationale.

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