Perspektive

Wie Autoarbeiter ihre Forderungen im UAW-Tarifkampf gegen die „Big Three“ durchsetzen können

Streikende Arbeiter vor dem General-Motor-Montagewerk in Bowling Green (Kentucky), Sept. 2019 [AP Photo/AP/Bryan Woolston]

Unter den Automobilarbeitern in den USA wächst eine explosive Stimmung der Wut und Kampfbereitschaft. Am Donnerstag sind es nur noch fünf Wochen bis zum Auslaufen der Tarifverträge zwischen 150.000 Mitgliedern der Gewerkschaft United Auto Workers und den Großen Drei, General Motors, Ford und Stellantis am 14. September.

Autoarbeiter sind zunehmend entschlossen, sich nicht nur gegen neue Angriffe zu wehren, sondern auch Zugeständnisse wettzumachen, die ihnen früher mit Unterstützung der UAW-Bürokratie aufgezwungen wurden. In den letzten beiden Jahren haben sie eine ganze Reihe von konzernfreundlichen Vorverträgen, die die UAW unterstützt hat, meistens mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.

Zuletzt stimmten die Beschäftigten des Lear-Werkes (Sitzsysteme) in Hammond, Indiana, am Sonntag mit 95 Prozent gegen einen von der UAW gebilligten Ausverkaufsvertrag. In der Versammlung vor der Vertragsabstimmung konfrontierten wütende Arbeiter die UAW-Vertreter und forderten lautstark Streikmaßnahmen.

Unter diesen Bedingungen kündigte UAW-Präsident Shawn Fain letzte Woche an, die UAW wolle die Aufnahme einiger Forderungen in die neuen Verträge der Großen Drei vorschlagen. Er nannte die Abschaffung des Lohnstufensystems, die Wiederherstellung des automatischen Inflationsausgleichs COLA, lohngebundene Rentenzahlungen, ein Ende der Ungleichbehandlung von Zeitarbeitern, die Wiedereinführung von Gesundheitsleistungen für Rentner und eine Anhebung der Rentenzahlungen. Späteren Medienberichten zufolge soll die UAW auch eine Lohnerhöhung von 46 Prozent vorgeschlagen haben und eine 32-Stunden-Woche bei einem 40-Stunden-Lohn „anstreben'.

Fain hat seine – in wichtigen Punkten verwässerte - Vorschläge weitgehend der Erklärung des Netzwerks der Aktionskomitees der Autoarbeiter „Was Autoarbeiter für einen Sieg im Tarifkampf mit den großen Autokonzernen brauchen“ entlehnt. Die darin aufgestellten Forderungen wurden von Arbeitern seit der Veröffentlichung der Erklärung Anfang Juli in den sozialen Medien und den Fabriken breit bekannt gemacht.

Die Forderungen des Autoworkers Rank-and-File Committee Network in seiner Erklärung vom 9. Juli

Fain und der UAW-Apparat verlieren aber kein Wort darüber, was das Aktionskomitee wirklich erklärt: Wie Arbeiter wirksam für diese Forderungen kämpfen und sie durchsetzen können.

Die UAW-Bürokratie spürt, dass sie schwach und von der Basis isoliert ist, und sah ihre einzige Möglichkeit darin, auf die Forderungen der Arbeiter defensiv zu reagieren. Sie gab sie als ihre eigenen aus in dem verzweifelten Versuch, einer unkontrollierbaren Rebellion die Spitze zu nehmen und ihre Glaubwürdigkeit irgendwie aufzuwerten. Der Apparat, der mit dem Rücken zur Wand steht, spielt dabei mit dem Feuer: Er weckt Erwartungen, die er unvermeidlich enttäuschen wird.

Es ist notwendig, diese Rebellion der Basis voranzutreiben, und Arbeiter müssen umso stärker in die Offensive gehen.

Niemand darf darauf vertrauen, dass Fain und seine Leute für irgendetwas kämpfen werden. Bei ihrem Ausverkauf des Streiks der Clarios-Autobatteriearbeiter haben sie bereits bewiesen, dass es ihnen darum geht, die Interessen der Unternehmen durchzusetzen. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wenn Arbeiter abwarten würden, was die Bürokratie tun wird.

Ein großer und unnachgiebiger Kampf muss geführt werden. Die Unternehmen werden alles, was die Arbeiter brauchen, rigoros ablehnen. Das wird schon deutlich daran, dass Stellantis erst diese Woche neue umfangreiche Zugeständnisse gefordert hat. Wie das Autoworkers Rank-and-File Committee Network erklärte: „Die Autoarbeiter werden diesen Kampf nicht durch Appelle an Unternehmensvorstände und Politiker des Großkapitals gewinnen, sondern durch harten und kompromisslosen Klassenkampf.“

Um diesen Kampf für die Forderungen der Arbeiter auf eine ernsthafte Grundlage zu stellen, sind die folgenden Sofortmaßnahmen erforderlich:

  • Anhebung des Streikgeldes auf 750 Dollar pro Woche. Der Streikfonds der UAW in Höhe von 825 Millionen Dollar, der aus den Beiträgen der Arbeiter gespeist wird, muss für eine angemessene Unterstützung der streikenden Arbeiter eingesetzt werden. Zusätzliche Ressourcen müssen verfügbar gemacht werden durch die sofortige Kürzung der sechsstelligen Gehälter von Hunderten von Bürokraten in der Gewerkschaftszentrale Solidarity House und den Verkauf von UAW-Vermögenswerten, die für die Beschäftigten keinen Nutzen haben.
  • Detaillierte Berichte und eine umfassende Kontrolle der Basis über alle Verhandlungen. Die Arbeiter können die Erklärungen Fains und der Verhandlungsführer der UAW nicht für bare Münze nehmen, denn der Gewerkschaftsapparat setzt bei seiner Zusammenarbeit mit dem Management schon lange Lügen und Lockvogeltaktiken ein. Die Belegschaft hat ein Recht darauf, den mündlichen und schriftlichen Austausch zwischen der Unternehmensleitung und den Gewerkschaftsvertretern in allen Einzelheiten zu erfahren.
  • Bereitet einen landesweiten Streik in der Autoindustrie am 15. September vor. Erfahrene Analysten der Automobilindustrie haben die Möglichkeit angedeutet, dass Fain nur einige wenige Motorenwerke in den Ausstand rufen wird, wodurch die Produktion zwar unterbrochen werden könnte, die UAW aber nicht verpflichtet wäre, Streikgelder für alle ihre Mitglieder zu zahlen - ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Verrat vorbereitet würde. Damit dieser Kampf erfolgreich sein kann, müssen alle UAW-Mitglieder in der gesamten Autoindustrie - bei den Großen Drei und im Teilesektor, wo die Beschäftigten mit den übelsten Ausbeutungsbedingungen konfrontiert sind - einbezogen werden.

Die Arbeiter können davon ausgehen, dass sich die UAW-Bürokratie diesen und anderen notwendigen Maßnahmen auf Schritt und Tritt widersetzen wird. Alles hängt daher von der - von der UAW-Bürokratie unabhängigen - Mobilisierung und der Initiative der einfachen Arbeiter ab.

In jeder Fabrik und an jedem Arbeitsplatz, in jeder Schicht und in jeder Abteilung müssen Aktionskomitees gebildet werden. Diese werden den Arbeitern die Möglichkeit bieten, Informationen über Fabriken und Unternehmen hinweg auszutauschen, gemeinsame Aktionen zu koordinieren und die gewaltige soziale Macht der Arbeiterklasse zu entfalten.

Schließlich ist neben neuen Organisationsstrukturen auch eine neue politische Strategie erforderlich.

  1. Der Kampf, den die Arbeiter führen, erfordert ihre völlige Unabhängigkeit von der Demokratischen und Republikanischen Partei, die die politischen Vertreter der Wall Street und des Großkapitals sind.

    Fain hat wahrheitswidrig behauptet, dass demokratische Senatoren und Kongressabgeordnete „wieder unsere [der Arbeiter] Unterstützung haben'. Dabei weiß er ganz genau, dass dieselben Politiker im vergangenen Jahr dem Streikverbot bei der Eisenbahn zugestimmt und einen Vertrag durchgesetzt haben, den die Arbeiter ablehnten.

    Der UAW-Präsident traf sich auch wiederholt privat mit Biden und Spitzenbeamten seiner Regierung. Das kann man nur als eine gegen die Arbeiter gerichtete Verschwörung verstehen, deren Hauptziel darin besteht, die Opposition einzudämmen und zu unterdrücken, während das Weiße Haus den Krieg mit Russland eskaliert und sich auf einen Krieg mit China vorbereitet.
  2. Um gegen die riesigen transnationalen Konzerne wie GM, Ford und Stellantis zu kämpfen, müssen Arbeiter eine internationale Strategie verfolgen.

    Die Beschäftigten in der gesamten Automobilindustrie sind objektiv in ein riesiges globales Netz von Produktion und Arbeitsteilung eingebunden. In Kanada laufen am 18. September die Verträge von 20.000 Beschäftigten der Big Three aus, die ebenfalls mit der Komplizenschaft der Gewerkschaftsbürokratie Unifor mit dem Management konfrontiert sind.

    Die Logik des Kampfes, den die Arbeiter führen, wird es erforderlich machen, dass jede Arbeitsniederlegung international ausgeweitet wird, auf ganz Nordamerika und darüber hinaus, um die Bemühungen der Unternehmen zu vereiteln, die Produktion in ihren Werken in anderen Ländern zu erhöhen und einen Streik zu brechen.

    Die wahren Verbündeten der Autoarbeiter in den Vereinigten Staaten sind nicht Biden, Bernie Sanders oder andere Politiker der Demokraten und Republikaner, sondern die unzähligen Arbeiter in ganz Amerika und weltweit, die in Kämpfe eintreten.

    In den USA führen 76.000 Schauspieler und Drehbuchautoren seit Monaten einen entschlossenen Streik; in Deutschland drohen Zehntausenden von Volkswagen-Beschäftigten Massenentlassungen und Kostensenkungen, die von der Unternehmensleitung und der IG Metall unterstützt werden; und in der Türkei wollen 150.000 Auto- und Metallarbeiter bei den Tarifvertragsverhandlungen im Herbst Zugeständnisse verhindern. Diese und andere Kämpfe müssen vereinigt und zum Ausgangspunkt einer Gegenoffensive der Arbeiterklasse für ihre eigenen Interessen gemacht werden.

Die Arbeiter werden der unerbittlichen Propaganda der Unternehmen und der Medien ausgesetzt sein, dass ihre Forderungen „unvernünftig“ oder „unrealistisch“ seien und die „Wettbewerbsfähigkeit“ der Unternehmen untergraben.

Aber das Letzte, worum sich Arbeiter sorgen sollten, ist die Verteidigung der Unternehmensgewinne. Der enorme Reichtum, der den reichsten Aktionären der Unternehmen zugeflossen ist, wurde von den Arbeitern geschaffen und gehört ihnen.

Die herrschende Klasse und alle ihre Anhängsel - von den Medien bis hin zum UAW-Apparat - sind vor allem zutiefst erschrocken über die wachsende Unterstützung für Aktionskomitees, Organisationsstrukturen außerhalb der Kontrolle der Bürokratie.

Trotz aller Bemühungen des UAW-Apparats, Arbeiter an der Stimmabgabe zu hindern und sie von der Wahl des UAW-Päsidenten im vergangenen Jahr auszuschließen, stimmten fast 5.000 für Will Lehman, einen Sozialisten und einfachen Arbeiter bei Mack Trucks. Lehman gewann beträchtliche Unterstützung für sein Programm zur Abschaffung der UAW-Bürokratie, zur Übertragung der Macht an die Arbeiter in den Betrieben und zum Aufbau einer weltweiten Massenbewegung von Arbeitern durch die International Workers Alliance of Rank-and-File-Committees (IWA-RFC).

Der Kampf um die Macht der Basis gewinnt immer mehr an Bedeutung und Dringlichkeit. Fünf Wochen vor dem Auslaufen der Verträge zwischen der UAW und den Großen Drei ist keine Zeit mehr zu verlieren. Die Arbeiter müssen jeden Tag nutzen, um sich vorzubereiten und zu organisieren, ihre unabhängige Initiative zu entwickeln, sich nicht überrumpeln zu lassen, wenn die UAW-Bürokratie den Kampf unweigerlich verrät, und stattdessen die gesamte Kraft der Arbeiterklasse zu mobilisieren, um durchzusetzen, was die Arbeiter brauchen.

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