Medien und Politik lancieren Hetzkampagne gegen Flüchtlinge

Wer geglaubt hat, die deutsche Bourgeoisie sei aus ihren historischen Verbrechen geläutert hervorgegangen, sieht sich in diesen Tagen erneut eines Besseren belehrt. 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust knüpft die herrschende Klasse in der Ukraine an die Kriegsziele der Nazis an, hetzt gegen Migranten und betreibt den Aufbau eines europaweiten Systems von Konzentrationslagern, in dem Menschen monatelang interniert, wirtschaftlich ausgebeutet und willkürlich deportiert werden.

Flüchtlingslager Moria in Griechenland 2020 [Photo by Faktengebunden / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Am Mittwoch stellte Bundeskanzler Olaf Scholz im Regierungskabinett klar, dass Deutschland eine weitere Verschärfung der Asylverordnung der Europäischen Union (EU) „nicht blockieren“ werde. Der Weg für den Beschluss einer Krisenverordnung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), über die die EU-Innenminister seit gestern beraten, ist damit frei. Der Entwurf sieht vor, die Rechte von Flüchtlingen im „Krisenfall“ erheblich einzuschränken, sodass „Versorgungsstandards gesenkt“ und noch mehr Menschen als bisher bis zu acht Monate lang in Lagern festgehalten werden dürfen.

Ein solcher Fall soll bereits dann eintreten, wenn andere Staaten versuchen, Migranten gegen Europa zu „instrumentalisieren“. Damit ist gemeint, dass sie ihre Grenzen nicht selbst hermetisch abschotten und Flüchtlinge passieren lassen, wie dies die Türkei 2020 sowie Marokko und Belarus 2021 kurzzeitig getan hatten. Flüchtende gelten in dieser perversen Logik als feindliche Waffen, nicht als hilfsbedürftige Menschen, und werden entsprechend behandelt.

Für Kinder enthält der Entwurf keine gesonderten Regelungen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gab am Donnerstag in Brüssel gegenüber der Presse an, dass sie der Krisenverordnung im Namen der Bundesregierung zustimmen werde. Damit nimmt die deutsche Regierung flächendeckend Verhältnisse wie in Abschiebelagern auf Lesbos oder in Libyen in Kauf, die sogar von bürgerlichen Medien und Politikern als „KZ-ähnlich“ beschrieben werden.

Die Grünen hatten sich in den Tagen zuvor gegen die EU-Krisenverordnung ausgesprochen, da sie „Chaos“ schüren könne und nicht geeignet sei, „Ordnung“ auf dem Kontinent zu schaffen. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, argumentierte im Duktus einer faschistischen AfD-Politikerin, dass die Außerkraftsetzung von Teilen des GEAS durch die Krisenverordnung dazu führen könne, „dass Anreize gesetzt werden für die Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge Richtung Deutschland“. Dies könne die Bundesregierung „nicht verantworten“. Fast wortgleich hatte sich Außenministerin Annalena Baerbock zuvor auf X/Twitter geäußert.

Das GEAS ist bereits in seiner jetzigen Form ein Schandmal der modernen europäischen Geschichte. Ein gemeinsames Statement von über 50 Menschenrechts- und Flüchtlingshilfsorganisationen spricht von einer „Entwertung europäischer Grund- und Menschenrechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze“, die die „Grundfesten des Rechtsstaates“ in Frage stellen. Die World Socialist Web Site stellte unlängst fest, dass die EU-Staaten mit dem Aufbau von Internierungslagern und der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl vollends den Boden der Genfer Flüchtlingskonvention verlassen.

Doch die Verfolgung von Migranten beschränkt sich nicht auf die EU-Außengrenzen, sondern wird auch innerhalb des Schengenraumes verschärft. Bereits am Mittwoch hatte Innenministerin Faeser verkündet, dass die Bundespolizei „ab sofort“ zusätzliche „flexible Schwerpunktkontrollen“ an den Grenzen zu Polen und Tschechien vornehmen werde – neben den stationären Grenzkontrollen, die bereits an der deutsch-österreichischen Grenze stattfinden. Die Kontrollen müssen nicht auf EU-Ebene beantragt werden und sollen vom deutschen Zoll mit bis zu 500 Vollzugsbeamten unterstützt werden. Sie würden „die laufende Schleierfahndung ergänzen“, die in den letzten Monaten bereits intensiviert wurde, so die Ministerin.

Es handelt sich um eine gezielte Kampagne der herrschenden Klasse, ihren Krieg gegen die Arbeiterklasse voranzutreiben und dafür die rechtesten Kräfte zu stärken.

Bereits bei der Ausrufung seines reaktionären „Deutschlandpaktes“ Anfang September hatte Bundeskanzler Scholz explizit einen verschärften „Kampf gegen die irreguläre Migration“ und eine „Ausweitung der Abschiebehaft“ gefordert. Auf einer Wahlveranstaltung in Nürnberg stellte Scholz nun weitere mögliche Maßnahmen zur Begrenzung der Migration in Aussicht und mahnte effektivere Abschiebungen an. Mit Blick auf mögliche Grenzkontrollen erklärte er, man werde je nach Lage „an den Grenzen möglicherweise weitere Maßnahmen ergreifen müssen, zum Beispiel an der polnischen“.

Erst vor wenigen Tagen hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Schulterschluss mit der faschistischen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni einen „Zehn-Punkte-Plan“ zur Flüchtlingsbekämpfung verkündet. Dieser sieht in Verbindung mit einem Erlass der italienischen Regierung vor, Geflüchtete unter der Aufsicht des italienischen Militärs „in abgelegenen, möglichst dünn besiedelten Gebieten“ zu internieren und die Einsätze der italienischen Marine in einem „integrierten Ansatz“ mit Frontex, Europol und den Regimes der Transitländer zu verzahnen.

Führende Politiker von Regierung und Opposition betreiben unverhüllte Volksverhetzung. So behauptete Oppositionsführer Friedrich Merz völlig faktenwidrig, dass Geflüchtete „sich kostenlos die Zähne neu machen“ ließen, während deutsche Staatsbürger lange auf einen Zahnarzttermin warten müssten.

Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge hatte Bundeskanzler Scholz in einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion am Dienstag behauptet, die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kämen, sei „viel größer, als was sich einfach verkraften lässt“. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschwor eine „Belastungsgrenze“, die durch Migranten erreicht werde.

Die steigende Zahl von Flüchtlingen und Vertriebenen ist dabei einzig und allein der Kriegs- und Klassenkriegspolitik der Ampel-Regierung selbst zuzuschreiben. Mit immer tödlicheren Waffenlieferungen an das ukrainische Militär treibt sie den brutalen Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung unbarmherzig voran und macht sich in Libyen, Marokko, der Türkei und anderen von Katastrophen heimgesuchten Gebieten der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Wenn Landes- und Kommunalpolitiker behaupten, keinen finanziellen Spielraum für die Versorgung von Asylsuchenden zu haben, dann ist das ein Ergebnis davon, dass Bund, Länder und Kommunen die Sozialsysteme ruinieren, um die Kosten des Krieges und der Aufrüstung zu finanzieren.

Die Hetzkampagne verfolgt insbesondere das Ziel, Flüchtlingsfeindlichkeit zum alles beherrschenden Thema der bevorstehenden Landtagswahlen zu machen. In Bayern und Hessen, wo am 8. Oktober gewählt wird, sowie in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, wo die Wahl im kommenden Jahr ansteht, wird so die AfD gestärkt, um den weiteren Rechtsruck aller anderen Parteien zu legitimieren.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte, Asylsuchende nur noch mit Sachleistungen zu unterstützen, eine „Integrationsgrenze“ von 200.000 Geflüchteten im Jahr festzulegen und die Liste sogenannter sicherer Herkunftsländer etwa um die Maghreb-Staaten und Indien zu erweitern. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (SPD) forderten stationäre Polizeikontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien.

Spiegel-Titel 39/23 und antisemitische Postkarte von 1901 gegen nach Wien kommende jüdische Flüchtlinge

Die Medien spielen eine zentrale Rolle dabei, die Öffentlichkeit mit dieser nationalistischen Hetze zu überfluten. Am 23. September erschien der Spiegel – das größte Nachrichtenmagazin des Landes – mit einem Cover, das unverkennbar einem antisemitischen Motiv entlehnt ist, welches ab dem Jahr 1901 von der rechtsextremen Wiener Stadtregierung unter Karl Lueger verbreitet wurde. Das Spiegel-Cover arbeitet mit Verfremdungen und Montagen, um das aus rechtsextremen Kreisen bekannte Bild von Flüchtlingen als einer bedrohlichen und anonymen Masse zu zeichnen. Darüber prangt der Titel: „Schaffen wir das noch mal?“

In der Titelstory behauptet das Blatt, dass inmitten von „steigenden Asylanträgen“ und „überlasteten Kommunen“ in Deutschland „von Willkommenskultur kaum noch etwas zu spüren“ sei. Als der Spiegel im Jahr 1991 unter dem Titel „Der Ansturm der Armen“ mit einer ähnlichen Hetzkampagne aufmachte, trug dies zu einer Pogromstimmung bei, auf deren Höhepunkt rechtsextreme Banden mörderische Brandanschläge auf Flüchtlinge in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Mölln verübten.

In Wirklichkeit zeigen Umfragen immer wieder, dass die Solidarität mit Flüchtlingen in der Bevölkerung sehr hoch ist. Eine repräsentative Befragung des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) ergab noch im Juli, dass „die Bevölkerung in Deutschland ganz überwiegend solidarisch mit Flüchtlingen“ und „ihnen gegenüber dementsprechend hilfsbereit“ sei. Demnach würden „drei von vier der über 4.000 Befragten spenden; zwei Drittel würden Flüchtlinge zu Behörden begleiten; knapp ein Drittel würde Flüchtlinge zuhause aufnehmen.“

Diese Solidarität ist der herrschenden Klasse ein Dorn im Auge, weil sie im Widerspruch zur kapitalistischen Ausbeutung steht, die auf der Aufspaltung der Welt in konkurrierende Nationalstaaten beruht. Eine vereinte Bewegung der internationalen Arbeiterklasse, die in den jeweiligen nationalen Eliten und Oligarchen ihren wahren Feind erkennt, soll um jeden Preis verhindert werden.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) kämpft unter Arbeitern für die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und fordert die sofortige Abschaffung der „Festung Europa“, verbunden mit dem allgemeinen Recht, Wohnort und Arbeitsplatz frei zu wählen. Allen Menschen, die durch die menschenverachtende Politik der EU-Staaten an den Außengrenzen und innerhalb ihrer Grenzen Schutz suchen, muss umfassend geholfen werden, indem die Vermögen der europäischen Kapitalisten beschlagnahmt und eingesetzt werden, um die sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse aller Arbeiter zu befriedigen.

Für diese Perspektive wird die SGP gemeinsam mit ihren europäischen Schwesterparteien auch bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament kämpfen.

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