Perspektive

Nobelpreis für Wegbereiter von mRNA-Impfstoffen gegen Corona

Die Verleihung des Nobelpreises für Medizin an Katalin Karikó und Drew Weissman ist hochverdient und in jeder Hinsicht gerechtfertigt. Die bahnbrechenden Erkenntnisse, zu denen Karikó und Weissman im Zuge ihrer 1997 begonnenen Forschung an der University of Pennsylvania gelangten, ermöglichten 2020 die rasche Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19. Millionen Menschenleben weltweit konnten dadurch gerettet werden.

Besondere Bedeutung gewinnt dieser Nobelpreis vor dem Hintergrund der wissenschaftsfeindlichen Kampagne der Rechten, die sich insbesondere gegen mRNA-Impfstoffe richtet.

Der große Durchbruch von Karikó und Weissman war die Entdeckung von Modifikationen der Nukleotid-Basen von mRNA, die eine sichere Immunantwort ermöglichen. Ihre Ergebnisse, die erstmals 2005 veröffentlicht wurden, haben das Verständnis, wie Zellen verschiedene Arten von mRNA erkennen und auf sie reagieren, grundlegend verändert.

Katalin Karikó und Drew Weissman an der University of Pennsylvania in Philadelphia am 2. Oktober 2023 [AP Photo/Matt Rourke]

In ihrer jahrzehntelangen Forschung haben Karikó und Weissman zahlreiche Hindernisse überwunden und sich von skeptischen Kollegen nicht beirren lassen.

Karikó wurde 1955 in Ungarn geboren und wanderte 1985 mit ihrem Mann und ihrer zweijährigen Tochter in die Vereinigten Staaten aus. Die Biochemikerin begeisterte sich für die mRNA-Forschung, der sie Nächte und Wochenenden opferte. Dabei musste sie ständig um Finanzierungen kämpfen und erhielt lange keine Festanstellung. Weissman, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Immunologie, erkannte, welches Potenzial der mRNA-Technologie innewohnte, wenn er sie mit seinen Erkenntnissen über dendritische Zellen kombinierte.

Wie alle wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften der Menschheit sind auch die Leistungen von Karikó und Weissman das Ergebnis der kollektiven Arbeit von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt.

Meilensteine dieses Prozesses sind die Forschungen zur Evolution von Charles Darwin und zur Vererbung von Merkmalen von Gregor Johann Mendel Mitte des 18. Jahrhunderts, die Isolierung der Nukleinsäure durch den Schweizer Chemiker Friedrich Miescher 1869, die Beschreibung der organischen Verbindungen der Nukleinsäure durch den deutschen Biochemiker Albrecht Kossel 1910, die Begründung der Biochemie durch Oswald Avery und Erwin Chargaff in den 1940er Jahren, die bahnbrechenden Erkenntnisse über die DNA von James Watson, Francis Crick und Rosalind Franklin in den 1950er Jahren, die Entdeckung der mRNA durch mehrere Gruppen von Wissenschaftlern 1961 und die immer schnelleren Fortschritte der Genetik und der biologischen Wissenschaften seit den 1970er Jahren, die auf die kollektive Arbeit von Tausenden von Wissenschaftlern zurückgehen.

Das Paper von Karikós und Weissman aus dem Jahr 2005 und weitere wichtige Ergebnisse, die sie 2008 und 2010 veröffentlichten, stießen in der wissenschaftlichen Community auf nahezu völliges Schweigen. Als die University of Pennsylvania Karikó 2013 die Finanzierung ihrer Forschung verweigerte, nahm die Biochemikerin ein Jobangebot der Firma BioNTech an. Das Unternehmen hatte 2019 mit der Entwicklung eines mRNA-Impfstoffs gegen Grippe begonnen, wurde jedoch bereits im Dezember desselben Jahres durch den Ausbruch der Coronapandemie in China eingeholt.

Wie frühere Krisen, die die medizinische, technologische und wissenschaftliche Entwicklung beschleunigten, gab die Pandemie den Anstoß zur praktischen Nutzung einer Forschung, die schon lange im Gange war. Das alte Sprichwort „Not macht erfinderisch“ sollte sich erneut bewahrheiten.

Kurz nachdem SARS-CoV-2 auf einem Markt für Lebendtiere in Wuhan auf den Menschen übergesprungen war, wurde das Genom des Virus sequenziert und am 11. Januar 2020 veröffentlicht. Innerhalb weniger Tage entwickelten sowohl Pfizer-BioNTech als auch Moderna Prototypen von mRNA-Impfstoffen, die kurz darauf klinisch getestet wurden. Diese beispiellose Geschwindigkeit war nur aufgrund der vorangegangenen Forschungen von Karikó, Weissman und anderen möglich.

Am 11. Dezember 2020 erhielt der mRNA-Impfstoff von Pfizer-BioNTech in den USA eine Notzulassung, eine Woche später folgte der mRNA-Impfstoff von Moderna. In den fast drei Jahren seit der Zulassung dieser und anderer Impfstoffe wurden weltweit über 13,4 Milliarden Dosen verabreicht.

Die lebensrettende Wirkung der Impfstoffe ist unbestreitbar und unterstreicht diese historische Leistung der modernen Wissenschaft. Aus einer Studie vom Juni 2022 geht hervor, dass die Corona-Impfstoffe im Einjahreszeitraum vom 8. Dezember 2020 bis 8. Dezember 2021 weltweit 14,4 bis 19,8 Millionen zusätzliche Todesfälle verhinderten. In den darauffolgenden zwei Jahren konnten Millionen Menschenleben gerettet werden, und vielen weiteren Millionen Menschen weltweit blieb ein Krankenhausaufenthalt erspart.

Allerdings wurde die Einführung der Impfstoffe gegen Corona von Anfang an durch den anarchischen Charakter des kapitalistischen Markts behindert. Anstatt zügig auf allen Kontinenten Produktions- und Verteilungsnetze aufzubauen, lieferten sich die Nationen Bieterkriege um die begrenzten Impfstoffvorräte, und für die Pharmamonopole war die Pandemie ein Riesengeschäft. Der Kurs der Moderna-Aktie an der NASDAQ stieg von 20 US-Dollar im Januar 2020 auf einen Höchststand von 484 US-Dollar im August 2021, also um das 24-fache. Die Hauptaktionäre scheffelten Milliarden.

Bis heute ist die Versorgung mit Impfstoffen ungleich verteilt. Große Teile der Menschheit in weniger entwickelten Ländern und sogar in wohlhabenderen Ländern wie Australien haben keinen Zugang zu den neuesten Auffrischungsimpfungen. Etwa 2,4 Milliarden Menschen sind noch nicht geimpft, vor allem in den ärmsten Ländern. Während in den wohlhabenden Ländern 66,4 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Auffrischimpfung erhalten haben, sind es in Ländern mit niedrigem Einkommen nur 4 Prozent.

Auffrischimpfungen pro 100 Einwohner in Ländern mit hohem (high income) und niedrigem Einkommen (low income) [Photo by Our World In Data / CC BY 4.0]

Darüber hinaus wurde bei der Einführung der Impfstoffe die falsche Vorstellung verbreitet, dass sie eine Art „Wunderwaffe“ seien, die die Pandemie von selbst beenden würde. Die Delta-Variante und mehrere Wellen von Omikron-Varianten sollten diese Behauptungen schnell widerlegen. Ohne eine umfassendere Strategie, durch umfassende Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit SARS-CoV-2 zu eliminieren, verloren die Impfstoffe angesichts der rasanten Übertragung und Evolution des Virus bald an Wirksamkeit.

Die seit 2021 weltweit verfolgte Strategie, ausschließlich auf Impfungen zu setzen, ist gründlich gescheitert. Derzeit sind schätzungsweise 28 Millionen zusätzliche Todesfälle auf die Pandemie zurückzuführen, und Hunderte von Millionen Menschen überall auf der Welt leiden an Long Covid.

Die Hauptvorteile der mRNA-Impfstoffe bestehen darin, dass sie skalierbar, schnell herstellbar und flexibel sind, aber dieses Potenzial zur Anpassung an neue Varianten von SARS-CoV-2 wurde bisher nicht ansatzweise ausgeschöpft. In den fast drei Jahren seit der Entwicklung der ersten Impfstoffe kam es in den meisten Ländern zu Masseninfektionen mit acht oder mehr Varianten, die schließlich dominant wurden. Dennoch wurden die mRNA-Impfstoffe nur zweimal aktualisiert und erst zur Verfügung gestellt, nachdem die Varianten, für die sie entwickelt wurden, längst nicht mehr vorherrschten.

Schuld an der verzögerten Bereitstellung der aktualisierten Booster-Impfungen ist einzig und allein der kapitalistische Markt. Die Hersteller rechneten sich keine zusätzlichen Gewinne aus.

Gleichzeitig nutzen bedeutende Teile der herrschenden Klasse die pandemiebedingte soziale und wirtschaftliche Krise zu Desinformationskampagnen gegen Impfungen, die darauf abzielen, rechtsextreme und faschistische Kräfte zu fördern. Diese Propaganda wird mit Unterstützung von Milliardären wie Elon Musk massenhaft über die sozialen Medien verbreitet.

Die Propaganda nimmt besonders mRNA-Impfstoffe ins Visier, um rechtspopulistische Schauermärchen zu verbreiten. Dem Publikum soll eingeredet werden, dass es eine riesige Verschwörung gibt, um seine Familien und Kinder mit „genverändernden“ mRNA-Impfstoffen umzubringen, und dass sie sich mit irgendeinem Unfug schützen könnten.

Die pseudowissenschaftliche Quacksalberei ist aus ihren Nischen in den politischen Mainstream vorgedrungen. Robert F. Kennedy Jr., der lange Zeit als Verschwörungstheoretiker verspottet wurde, weil er mit der Lüge hausieren geht, dass Impfstoffe Autismus verursachen, bewirbt sich mittlerweile um die Kandidatur für das Amt des US-Präsidenten bei den Wahlen 2024. Die Mittel für seine Anti-Impf-Organisation „Children’s Health Defense“ sind von 1,1 Millionen Dollar im Jahr 2018 sprunghaft auf 15,7 Millionen Dollar im Jahr 2021 gestiegen. Auch andere, ähnliche Anti-Impf-Gruppen haben massive Spenden erhalten.

In den USA, in Deutschland und in anderen Ländern ist dies eng mit einem Wiederaufleben von Antisemitismus und anderen Formen reaktionärer Politik verbunden. Diese aufgepeitschten faschistischen Kräfte hetzen gegen unbestechliche Wissenschaftler wie Dr. Peter Hotez, Dr. Peter Daszak und andere, und dies immer mit einem antisemitischen und antisozialistischen Subtext.

Tatsächlich spielt die Bewegung der Coronaleugner und Impfgegner für die Politik der Faschisten heute eine ebenso große Rolle wie der Antisemitismus in den 1920er und 1930er Jahren. Auffällig sind die Parallelen zur Nazi-Kampagne gegen die „jüdische Physik“.

Im Juni 1933, nur wenige Monate nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland, machte Leo Trotzki, neben Lenin der wichtigste Führer der Russischen Revolution, darauf aufmerksam, dass selbst im Zeitalter rasanter technischer Entwicklungen die rückständigsten Vorstellungen gedeihen. Diesen Widerspruch zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und sozialer Rückständigkeit in der Epoche des Todeskampfs des Kapitalismus kommentierte Trotzki mit den Worten:

Nicht nur in den Bauernhäusern, sondern auch in den Wolkenkratzern der Städte lebt neben dem 20. heute noch das 10. oder 13. Jahrhundert. Hunderte Millionen Menschen benutzen den elektrischen Strom, ohne aufzuhören, an die magische Kraft von Gesten und Beschwörungen zu glauben. Der römische Papst predigt durchs Radio vom Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein. Kinostars laufen zur Wahrsagerin. Flugzeugführer, die wunderbare, vom Genie des Menschen erschaffene Mechanismen lenken, tragen unter dem Sweater Amulette. Was für unerschöpfliche Vorräte an Finsternis, Unwissenheit, Wildheit! (Leo Trotzki, „Porträt des Nationalsozialismus“, in: Porträt des Nationalsozialismus, Essen 2023, S. 350.)

In der heutigen Zeit werden die enormen technologischen Fortschritte der Menschheit von einem bedeutenden Teil der Bevölkerung nicht verstanden, da ihnen Grundkenntnisse wissenschaftlicher Methoden vorenthalten werden. Die kapitalistischen Führungseliten profitieren von Angst und Unwissenheit und kultivieren sie entsprechend.

Der menschliche Fortschritt gewinnt jedoch an Kraft, sobald die Wissenschaft in der Arbeiterklasse Wurzeln schlägt. Das wissenschaftliche Potenzial der Menschheit ist unerschöpflich und alle Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, können überwunden werden. Das große Hindernis, das dem im Wege steht, sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Aufteilung der Welt in rivalisierende Nationalstaaten beruhen.

Der Konflikt mit den Impfgegnern ist keine Debatte innerhalb der wissenschaftlichen Community. Es ist ein Kampf echter Wissenschaftler und Vertreter fortschrittlicher Ideen gegen Unwissenheit, Angst, kulturelle Rückständigkeit und die gefährlichsten Formen politischer Reaktion.

Die Haltung von Marxisten gegenüber wissenschaftlichen Entdeckungen und Innovationen ist von Vertrauen in den Fortschritt der Menschheit geprägt. Auch das enorme Potenzial der mRNA-Technologie kristallisiert sich gerade erst heraus. In einem Bericht vom Mai 2022 in der Zeitschrift Nature heißt es: „Es ist zu erwarten, dass sich mRNA-basierte Therapeutika zu einer wirksamen Therapie für eine Vielzahl refraktärer Krankheiten entwickeln werden, darunter Infektionskrankheiten, genetische Stoffwechselkrankheiten, Krebs, kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Erkrankungen und andere Krankheiten.“

Damit sich dieses Potenzial voll entfalten kann, muss nicht nur die Wissenschaft in allen Bereichen vorangetrieben, sondern auch die Weltwirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes auf eine sozialistische Grundlage gestellt werden. Pfizer, Moderna und alle anderen Pharmariesen müssen internationalisiert und so umgerüstet werden, dass alle Menschen kostenlose Behandlungen erhalten können. Die Billionenbeträge, die für Kriege und die Finanzoligarchie verschleudert werden, müssen beschlagnahmt und umverteilt werden, um soziale Bedürfnisse zu befriedigen – in erster Linie die öffentliche Gesundheit, die Umkehr des Klimawandels und die Gewährleistung einer hochwertigen Bildung und eines hohen Lebensstandards für die gesamte Menschheit.

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