Führende Filmemacher protestieren gegen Claudia Roths Angriff auf die Berlinale

Führende internationale Filmemacher und Schauspieler haben die Art und Weise verurteilt, in der die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) versucht, Einfluss auf die Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale) zu nehmen.

In einem offenen Brief im US-amerikanischen Fachblatt Variety haben sie erklärt, Roth schädige damit das wichtigste Filmfestival des Landes.

Anfang Juli hatte Roth angekündigt, den Etat der Berlinale um über zwei Millionen Euro zu kürzen. Das würde bedeuten, die Zahl der gezeigten Filme um mehr als ein Drittel zu reduzieren und ganze Teile des Berlinale-Programms zu streichen. Einen Monat später forderte Roth die Abschaffung der derzeitigen Leitung des Festivals durch eine Doppelspitze zugunsten eines einzigen Intendanten. Außerdem gab sie bekannt, dass der Vertrag des derzeitigen künstlerischen Leiters, des gebürtigen Italieners Carlo Chatrian, nicht mehr verlängert werde.

Carlo Chatrian im Jahr 2020 [Photo by Harold Krichel / CC BY 3.0]

Chatrian äußerte in einem Interview mit Variety  die Befürchtung, dass ein solches Diktat die Freiheit der Festivalleitung beeinträchtigen könnte, Filme auf Grundlage ihrer Leistung auszuwählen: „Ich habe immer gesagt, dass ich mit anderen Formen der Leitung einverstanden bin, solange meine Freiheit bei der Zusammenstellung des Programms gewahrt bleibt. Die öffentliche Ankündigung vom 31. August hat mir völlig bewusst gemacht, dass die Bedingungen für meine weitere Arbeit als künstlerischer Leiter nach März 2024 nicht mehr gegeben sind.“

Der offene Brief wurde von mehr als 470 Regisseuren und Schauspielern unterzeichnet, darunter Martin Scorsese, Radu Jude, Joanna Hogg, Claire Dennis, Bertrand Bonello, M. Night Shyamalan, Kristen Stewart, Ryusuke Hamaguchi und Margarethe von Trotta. In dem Brief, der die Besorgnis und Wut der Filmschaffenden ausdrückt, heißt es: „Wir, eine breitgefächerte Gruppe von Filmemachern aus der ganzen Welt, die großen Respekt von den Filmfestspielen Berlin als Ort für großes Kino jeder Art haben, protestieren gegen das schädliche, unprofessionelle und unmoralische Verhalten der Staatsministerin Claudia Roth, den geschätzten künstlerischen Leiter Carlo Chatrian zum Rücktritt zu zwingen trotz des Versprechens, seinen Vertrag zu verlängern.“

Weiter heißt es, trotz schwieriger Umstände (genannt werden die Pandemie, finanzielle Einschränkungen und der schlechte Zustands des Festivalzentrums am Potsdamer Platz) sei die letzte Berlinale unter Chatrians Leitung „sehr lebendig, voller positiver Überraschungen und trotz der geringeren Zahl gezeigter Filme sehr populär und auf dem Niveau der Vor-Pandemie-Zeit“ gewesen. Der Brief bezeichnet Roths „Forderung nach einer starken Hand“, d.h. einem einzigen Intendanten, als „politisch rückwärtsgewandt“. Zuletzt heißt es: „Wir fordern nachdrücklich eine Verlängerung von Carlo Chatrians Anstellung und die Behebung des Schadens, der diesem wichtigen Filmfestival zugefügt worden ist.“

Etwa ein Drittel des Etats der Berlinale stammt vom Kulturstaatsministerium, der Rest von kommerziellen Sponsoren und aus dem Verkauf von Eintrittskarten an das Publikum. Die Berlinale ist berühmt dafür, ein großes Publikum aus Cineasten, Kritikern und der Presse anzuziehen.

Genau wie andere Filmfestspiele auf der Welt steht auch die Berlinale vor zahlreichen Herausforderungen durch den Rückzug wichtiger Sponsoren (im Falle der Berlinale die führenden deutschen Autokonzerne und der französische Kosmetikriese L'Oréal). Auch die wiederauflebende Corona-Krise und die Konkurrenz durch Streaming-Dienste machen den Filmfestivals zu schaffen.

Die meisten Kommentare in der deutschen Presse erwähnten diese Faktoren und beklagten die rüde Art, mit der Roth Chatrian abserviert hat. Eine Zeitung beschrieb Chatrian abschätzig als Filmnerd, der eindeutig lieber im Kino sitze, als mit Filmbossen einen Cappuccino zu trinken, um künftige Galapremieren vorzubereiten.

Claudia Roths „Grüne Kultur“: Krieg statt Kunst!

Tatsächlich steht viel mehr auf dem Spiel. Vor zwei Wochen hatte Roth erklärt, die Berlinale müsse ihrem Anspruch, das größte Publikumsfestival und politische Filmfestival zu sein, gerecht werden. Christian Goiny, der medienpolitische Sprecher der rechten CDU, die Berlin zusammen mit der SPD regiert, äußerte sich ähnlich. Goiny erklärte gegenüber der Berliner Zeitung, der Senat könne die Berlinale möglicherweise mit „einem unteren Millionenbetrag“ unterstützen, „allerdings müsse man eine solche Förderung konzeptionell und inhaltlich begleiten“.

Claudia Roth bei der Berlinale 2022 [Photo: Berlinale]

Mit anderen Worten: Die Berlinale soll von der Regierung stärker auf ihre politischen Inhalte hin kontrolliert werden. Angesichts der reaktionären Politik Berlins, und besonders von Roths Kulturpolitik, ist das eine ernste Warnung.

Nach ihrem Amtsantritt erklärte die erste grüne Kulturstaatsministerin Roth ihr Programm der „grünen Kultur“, das angeblich eine vielfältige, freie und unabhängige Kultur- und Medienlandschaft sicherstellen sollte. Dies war nichts als Propaganda. Die wirklichen Prioritäten von Roths Ministerium und der Bundesregierung werden immer deutlicher sichtbar: massive Kürzungen bei Kunst und Kultur, um Milliarden für die größte militärische Aufrüstung Deutschlands seit Hitler freizumachen. Abgesehen von den Kürzungen bei der Berlinale im nächsten Jahr sieht der Entwurf des Kulturetats für 2024 Einsparungen von mehr als zehn Prozent oder 254 Millionen Euro vor.

Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock und ihre Kollegen im Bundestag unterstützen die massive Steigerung des Verteidigungshaushalts und haben Waffenlieferungen an die Ukraine im Wert von 22 Milliarden Euro bewilligt - für den „Krieg gegen Russland“ (wie Baerbock es vor dem Europäischen Rat formulierte). Hinzu kommt das 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, das allein beinahe  das 50-Fache des Kulturetats für 2024 beträgt.

Roth war eine der ersten deutschen Abgeordneten, die nach Beginn des Kriegs die Ukraine besuchten und dem Regime von Wolodymyr Selenskyj ihre Unterstützung versprachen. In einem Interview mit der Grünen-nahen Taz antwortete Roth am 26. Dezember 2022 auf die Frage, ob sie Waffenlieferungen an die Ukraine befürworte, zunächst: „Also diese Frage richten Sie an eine grüne Politikerin, die für Kultur zuständig ist. Die an den großen Friedensdemonstrationen der Vergangenheit mit großer Überzeugung teilgenommen hat. Die sich für eine restriktive Rüstungsexportpolitik stark machte. Und die davon überzeugt war, dass es keine deutschen Rüstungsexporte in Krisengebiete geben darf.“

Nach diesen Worten gesellte sie sich zu all denjenigen, die die Rolle der USA und der Nato bei der Provokation des Kriegs völlig ausblenden, und kam zu dem Schluss: „Von daher ist es richtig, die Ukraine so gut, wie es geht, mit Rüstungsgütern auszustatten.“

Auf der diesjährigen Berlinale hielt Roth die Eröffnungsrede ebenfalls mit Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Sie betonte: „Wer Filme dreht und zeigt in finsteren Zeiten, der widersteht der Unfreiheit.“ Anschließend wohnte sie gemeinsam mit dem damaligen ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, einem offenen Bewunderer des ukrainischen Faschisten und Antisemiten Stepan Bandera, einer Vorführung des üblen Nato-Propagandafilms „Superpower“ von Sean Penn bei.

Im Einklang mit der Unterstützung der Grünen für die Nato und das rechtsextreme Regime in Kiew hat Roths Ministerium versucht, führende russische und osteuropäische Künstler sowie Musiker wie den Dirigenten Waleri Gergijew, die Opernsängerin Anna Netrebko und den Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschcowici zu bestrafen und zu denunzieren. Darüber hinaus waren bei den Feierlichkeiten zur Befreiung Europas von der Nazi-Herrschaft am 8. und 9. Mai russische Flaggen in Deutschland verboten. Im Museum Berlin-Karlshorst versuchen Grünen-Politiker außerdem, die Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung Deutschlands vom Hitler-Faschismus herunterzuspielen. Das Museum hält die Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Imperialismus während des Zweiten Weltkriegs wach.

Roths hochgradig selektive Interpretation der Verteidigung von Kultur zeigte sich auch im Februar dieses Jahres, als sie versuchte, den Rockmusiker und prinzipientreuen Kritiker des Ukraine-Kriegs, Roger Waters, zum Schweigen zu bringen. Sie behauptete, Waters sei ein „Verschwörungstheoretiker“, und verurteilte seine Unterstützung für BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) sowie seine Kritik an Israel. Roth (in jüngeren Jahren selbst Managerin einer alternativen Rockband), rief die Konzertveranstalter dazu auf, Waters Hausverbot zu erteilen. Wenn die Konzerte aber dennoch stattfänden, solle er vor leeren Hallen spielen. Waters' Tournee in Deutschland war äußerst erfolgreich.

Auf diese Breitseite gegen Waters ließ Roth eine Kampagne bei der diesjährigen Kunstausstellung Documenta folgen. Dort bezichtigte sie das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa des Antisemitismus. Aufgrund Roths Kampagne, die in breiten Teilen der deutschen Medien aufgegriffen wurde, sollte jede Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichgesetzt werden. Der Ausstellungsbereich von Ruangrupa wurde Opfer von Vandalismus; die Gruppe selbst erhielt Morddrohungen.

Die Liste der Angriffe, die Roths Kulturministerium auf das demokratische Recht auf freie Meinungsäußerung und Kultur führte, ließe sich noch lange fortsetzen. In Zusammenhang mit der politischen Zensur des mauretanischen Schriftstellers und ehemaligen Guantánamo-Häftlings Mohamedou Ould Slahi schrieb die WSWS:

In der deutschen Kulturpolitik und Presse entwickelt sich eine üble Form der politischen Zensur. Fortschrittliche und/oder kritische Persönlichkeiten der Kulturszene werden fälschlicherweise des Antisemitismus bezichtigt und dann gnadenlos verfolgt. Das Kulturstaatsministerium unter der Grünen Claudia Roth betätigt sich dabei als Zensurbehörde.

Claudia Roths jüngste Offensive gegen die Berlinale muss in diesem breiteren Kontext gesehen werden. Die ehemals pazifistischen Grünen haben sich in vehemente Befürworter von Krieg und Militarismus verwandelt. Aus ihrer Sicht müssen die Schotten dichtgemacht werden, um die Interessen des deutschen Imperialismus durchzusetzen. Die Mittel für Kunst und Kultur sollen gekürzt und den Kriegsanstrengungen untergeordnet, kritische Stimmen zum Schweigen gebracht werden.

Diese Entwicklung ist nicht auf Deutschland beschränkt. Der Kampf für die Freiheit von Kunst und Kultur ist zunehmend Sache der Arbeiterklasse. Wie die Streiks der Schauspieler und Drehbuchautoren in den USA zeigen, gehen auch die Kulturschaffenden an der Seite von Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter aller Branchen weltweit gegen das kapitalistische Profitsystem auf die Straße.

Loading