Rund 75.000 Beschäftigte von Kaiser Permanente, einem US-amerikanischen Unternehmen in der Gesundheitsbranche, sind am Mittwoch in den Streik getreten. Es ist die größte Streikmaßnahme der Beschäftigten im Gesundheitswesen in der Geschichte der USA. Der Streik soll bis Samstagmorgen dauern und betrifft Pflegekräfte und andere Beschäftigte in den US-Bundesstaaten Kalifornien, Oregon, Washington, Colorado, Virginia und dem District of Columbia.
Reporter der World Socialist Web Site besuchen die Streikposten und verteilen Hunderte von Flugblättern, darunter auch den jüngsten WSWS Healthcare Workers Newsletter. Dieser fordert die Arbeiter auf, Aktionskomitees aus den Reihen der Beschäftigten zu bilden, um einen Generalstreik zu organisieren. Rajwinder, eine examinierte Krankenpflegerin in Los Angeles, sagte unseren Reportern: „Wir streiken für bessere Bezahlung, bessere Personalausstattung und bessere Leistungen. Wir verdienen es, für unsere Familien sorgen zu können. Wir wollen uns etwas leisten können. Wir wollen dort leben, wo wir arbeiten.“
Dieser historische Streik ist ein weiterer Schritt im zunehmenden Klassenkampf in den USA und international. Ähnlich wie die Beschäftigten des Gesundheitswesens auf der ganzen Welt kämpfen die Kaiser-Beschäftigten für deutliche Lohnerhöhungen, eine sichere Personaldecke, ein Ende der obligatorischen Überstunden und bessere Maßnahmen zur Infektionskontrolle in den Gesundheitseinrichtungen. An dem Arbeitskampf beteiligen sich stationäre und ambulante Pflegekräfte, technisches Personal, Pharmazeuten und Notfallsanitäter. In dem Konflikt treffen Rechte und Bedürfnisse der gesamten Arbeiterklasse auf eine kapitalistische Gesellschaftsordnung, die mit der öffentlichen Gesundheit und dem Wohlergehen der Gesellschaft grundlegend unvereinbar ist.
Die Streiks bei Kaiser sind ein weiterer Arbeitskampf der zahlreichen jüngsten und laufenden Ausstände im Gesundheitswesen. In der letzten Zeit haben auch die Apothekenangestellten in Oregon und Washington, die Krankenpfleger am Robert Wood Johnson University Hospital in New Brunswick, die Pflegekräfte und die Radiologietechniker am Ascension Providence Rochester Hospital, die leitenden Ärzte und Zahnärzte in Neuseeland und die Röntgenassistenten, Berater und leitenden Ärzte des National Health Service in Großbritannien die Arbeit niedergelegt.
Die Forderungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen sind lebensnotwendig und verdienen die Unterstützung der gesamten Arbeiterklasse. Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie war das Gesundheitssystem in den Vereinigten Staaten schwer beschädigt. Hunderte von Krankenhäusern, insbesondere in ländlichen Gebieten, wurden seit 2000 geschlossen. Die Löhne stagnieren weitgehend, vor allem in der Patientenversorgung, während die Preise und Lebenshaltungskosten kontinuierlich ansteigen. Einem Bericht der American Medical Association zufolge arbeitet eine große Mehrheit der Beschäftigten im Gesundheitswesen, nämlich 86 Prozent, mehr als 40 Stunden pro Woche, und 23 Prozent arbeiten sogar mehr als 60 Stunden pro Woche.
Seit dem Ausbruch der Pandemie haben Hunderttausende Beschäftigte im Gesundheitswesen den Beruf verlassen. Die Politiker und Medienvertreter, die sie noch vor kurzem als „Helden“ gepriesen haben, sind dabei, die Zustände noch zu verschlimmern. In der Pandemie mussten die Beschäftigten des Gesundheitswesens weitgehend ohne angemessenen Schutz arbeiten, und in vielen Einrichtungen fehlt es noch heute an persönlicher Schutzausrüstung, hochwertigen Luftfiltern oder anderen Sicherheitsmaßnahmen.
Infolgedessen sind die Beschäftigten im Gesundheitswesen international mit am stärksten von der Pandemie betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass bis Mai 2021 bis zu 180.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen an Corona gestorben sind. Rechnet man von damals bis heute, einem Zeitraum, in dem die Zahl der Übersterblichkeit von 9,4 auf 27,5 Millionen gestiegen ist, so haben möglicherweise eine halbe Million Beschäftigte im Gesundheitswesen weltweit ihr Leben im Kampf gegen das Coronavirus verloren.
Bei der Durchsetzung ihrer Forderungen stehen die Kaiser-Beschäftigten in einem Zweifrontenkrieg. An der einen Front steht Kaiser selbst, das größte „gemeinnützige“ Gesundheitsunternehmen in den Vereinigten Staaten. Der Vorstandsvorsitzende und CEO von Kaiser, Gregory Adams, verdient nach eigenen Angaben rund 16 Millionen Dollar pro Jahr, während die unter ihm platzierten 35 Führungskräfte jeweils mehr als eine Million Dollar verdienen. Das gesamte Kaiser-Netzwerk verfügt über eine Barreserve von schätzungsweise 44,5 Milliarden Dollar und verzeichnete in der ersten Hälfte des Jahres 2023 einen Nettogewinn von 3,3 Milliarden Dollar.
Es ist absurd, zu behaupten, es sei nicht genug Geld vorhanden, um bessere Gehälter zu zahlen und mehr Personal einzustellen. Allein die bisherigen Gewinne von Kaiser im Jahr 2023 reichen aus, um jedem der streikenden Beschäftigten eine einmalige Prämie von etwa 44.000 Dollar zu zahlen. Die gigantische Barreserve könnte zudem dazu verwendet werden, wesentlich bessere Löhne zu zahlen und zehntausende dringend benötigte Neueinstellungen vorzunehmen.
Auf der anderen Seite stehen die Kaiser-Beschäftigten einer Koalition von Gewerkschaftsbürokraten der SEIU, United Healthcare West und mehrerer anderer kleinerer Gewerkschaften gegenüber, die sich in der Coalition for Kaiser Permanente Unions (CKPU) zusammengeschlossen haben. Die CKPU hat den Streik nur unter enormem Druck der Beschäftigten ausgerufen und versucht, ihn so weit wie möglich einzudämmen. Die CKPU rief den Streik drei Tage nach dem Auslaufen der Tarifverträge und nur für drei Tage aus, und sie führt ihn auf der begrenzten Grundlage von „unlauteren Arbeitspraktiken“ durch Kaiser. Durch dieses verfahrenstechnische Manöver wird die Belegschaft daran gehindert, im Streik direkte Forderungen bezüglich der Personalausstattung und der Vergütung zu stellen, und die Gewerkschaft kann den Streik jederzeit beenden, wenn sie behauptet, Kaiser verhandele wieder in „guter Absicht“.
Darüber hinaus sind die Forderungen, die der Gewerkschaftsverband aufgestellt hat, bestenfalls minimal zu nennen: Die CKPU fordert eine 7-prozentige Erhöhung in den Jahren eins und zwei des Vertrags und eine 6,25-prozentigen Erhöhung in den Jahren drei und vier, bei einem Mindestlohn von 25 Dollar bei Kaiser Permanente. Solche Erhöhungen führen dazu, dass die überwältigende Mehrheit der Kaiser-Beschäftigten in Armut leben muss, da die weiter steigenden Lebenshaltungskosten in keiner Weise dadurch aufgefangen und die unerträglichen und unsicheren Arbeitsbedingungen nicht angegangen werden.
Die CPKU hat keine substanziellen Forderungen erhoben, um den Personalmangel im gesamten Netzwerk zu beheben, der die Versorgung der Patienten immer stärker infrage stellt. Dazu sagte uns Jeff, der in San Diego arbeitet: „Manchmal haben wir auf einer bestimmten medizinisch-chirurgischen Station nur eine examinierte Pflegekraft, und das ist nicht genug! Diese Pflegekräfte brauchen Unterstützung, sie brauchen uns alle. Damit die Patienten sicher sind, müssten wir mindestens zwei oder drei Examinierte auf jeder Station haben, so wie wir es vor Covid hatten. Sie müssen uns mindestens in die Vor-Corona-Zeit zurückversetzen, als wir in der Lage waren, uns gegenseitig zu helfen.“
Die Entfremdung zwischen dem Gewerkschaftsapparat und der Basis zeigte sich in einer Erklärung, die SEIU-Präsidentin Mary Kay Henry am Mittwochmorgen auf Twitter/X veröffentlichte. Dort heißt es: „Zwei Millionen SEIU-Mitglieder halten euch den Rücken frei.“ Henry, die selbst ein Jahreseinkommen von mehr als einer Viertelmillion US-Dollar aus den Gewerkschaftsbeiträgen der Beschäftigten erhält, erläutert nicht weiter, wie es zusammenpasst, dass die meisten der 2 Millionen SEIU-Mitglieder während des Streiks weiterarbeiten und gleichzeitig den Streikenden „den Rücken freihalten“.
Indem die CKPU-Bürokratie den Kampf der Kaiser-Beschäftigten auf einen dreitägigen Streik wegen „unlauterer Arbeitspraktiken“ beschränkt, macht sie deutlich, dass sie keinen echten Kampf zur Durchsetzung der wichtigsten Forderungen der Beschäftigten führen will. Kaiser-Beschäftigte, die von dem Gewerkschaftsverband vertreten werden, arbeiten in den US-Bundesstaaten Maryland, Hawaii und Teilen Washingtons noch immer weiter. Zur Unterstützung der Hauptforderungen wurde landesweit zu keinen nennenswerten Solidaritätsstreiks aufgerufen, obwohl die Kaiser-Beschäftigten die Gesundheitsversorgung für schätzungsweise 13 Millionen Menschen im ganzen Land sicherstellen. Außerdem erhalten die streikenden Kaiser-Beschäftigten nicht einmal Streikgeld.
In ihrem Video-Statement spricht SEIU-Präsidentin Henry von der Covid-19-Pandemie in der Vergangenheitsform, aber die Beschäftigten im Gesundheitswesen wissen, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Viele Pflegekräfte, die an den Streikposten mit der WSWS sprachen, trugen Masken und äußerten ihre Verachtung für die Lügen der kapitalistischen Politiker hinsichtlich der Pandemie.
Gegenwärtig zeigen die Abwasserdaten, dass sich die USA inmitten einer neuen Corona-Welle befinden. In den USA infizieren sich täglich schätzungsweise 500.000 Menschen, und weltweit gibt es Millionen weitere Infizierte. Die Hospitalisierungsrate ist sehr hoch, die Notaufnahmen sind einmal mehr überfüllt, und zusammen mit Influenza und RSV droht Corona in diesem Herbst und Winter eine „Dreifach-Epidemie“ zu verursachen. Überall auf der Welt gibt es weiterhin täglich Tausende Todesfälle, die auf die Pandemie zurückzuführen sind.
In einer Branche nach der anderen und bei einem Streik nach dem anderen treten privilegierte Gewerkschaftsbürokraten auf, um die Arbeiter, die gegen die Konzernleitungen kämpfen, zurückzuhalten. Arbeiter setzen sich gegen das kapitalistische System und die feindlichen Oberschichten zur Wehr, aber die Gewerkschaften predigen „Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern“. Sie versuchen, die Arbeiter davon zu überzeugen, dass ihre Forderungen im Rahmen der so genannten „Sozialpartnerschaft“ erfüllt werden könnten.
Die SEIU, die UHW und die CPKU sind keine Arbeiterorganisationen. Sie sind der verlängerte Arm des Managements, nur dazu da, die Kämpfe der Arbeiter zu sabotieren und zu unterdrücken. Diese Organisationen werden einen echten Kampf für Löhne, Personal und Sicherheit verhindern. Sie werden nur sicherstellen, dass die Arbeiter mit ihren Beiträgen ihnen weiter die Taschen füllen.
Streikende Kaiser-Beschäftigte können nur wirksam für ihre Forderungen kämpfen, wenn sie ihre eigenen Kampforganisationen bilden. Im Gegensatz zu der erzwungenen Top-Down-Koalition der Gewerkschaftsspitzen müssen die Arbeiter in jedem Betrieb unabhängige betriebliche Aktionskomitees gründen. Diese werden auf demokratische Weise Forderungen diskutieren und feststellen, was sie brauchen. Sie dürfen nicht als gesetzt betrachten, was die Gewerkschaft oder die Unternehmensleitung als „realistisch“ bezeichnet.
Diese Aktionskomitees werden sich mit anderen unter dem Dach der International Workers Alliance of Rank-and-File Committees (IWA-RFC) zusammenschließen und sie mit anderen Teilen der Arbeiterklasse verbinden, die eben solche Aktionskomitees bilden, darunter Automobilarbeiter, Erzieherinnen, Hafenarbeiter, Postangestellte, Logistikbeschäftigte und Arbeiterinnen und Arbeiter anderer Branchen.
Wie bei allen sozialen Missständen, vor denen die Menschheit heute steht, kann die tieferliegende Krankheit, welche die Leiden des Gesundheitssystems verursacht, klar benannt werden: Das Kernproblem ist das kapitalistische Privateigentum. Das Gesundheitswesen kann erst dann wirklich aufblühen, wenn es sozialisiert, d.h. unter die Kontrolle der Gesellschaft gestellt wird. Dies kann nur durch den Kampf der Arbeiterklasse in Einheit mit den Arbeitern auf der ganzen Welt geschehen. Hilfe und Unterstützung ist nicht von den etablierten Parteien zu erwarten – in den USA weder von den kriegstreibenden Demokraten und ihre Lakaien in den Gewerkschaften noch von den faschistischen Republikanern – sondern vielmehr von den Millionen Arbeitern weltweit, die den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen.
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