Palästinensische Autorin Adania Shibli von Frankfurter Buchmesse verbannt

Adania Shibli 2020 [Photo by National Book Foundation / wikimedia / CC BY 3.0]

Eine prominente palästinensische Autorin wird auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, die am Dienstagabend eröffnet wurde, zensiert. Die palästinensische Romanautorin Adania Shibli sollte am 20. Oktober auf dieser weltgrößten Buchmesse mit dem LiBeraturpreis 2023 ausgezeichnet werden. Der Preis wird jährlich an Schriftstellerinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und dem arabischen Raum verliehen.

Am vergangenen Freitag erklärte der Verein LitProm, der den Preis vergibt, dass er die Preisverleihung „aufgrund des durch die Hamas begonnenen Kriegs, unter dem Millionen Menschen in Israel und Palästina leiden“, verschiebe.

Litproms feige Entscheidung, Shibli keine Plattform zu bieten, wurde durch den Direktor der Frankfurter Buchmesse, Juergen Boos, bekräftigt, der sich eindeutig hinter das ultrarechte israelische Regime stellte, das derzeit einen mörderischen Einmarsch in den Gazastreifen vorbereitet. In einer offiziellen Erklärung bezeichnete Boos im Namen der Buchmesseleitung das, was eine Reaktion der Hamas auf jahrzehntelangen israelischen Terror und Unterdrückung war, als „barbarischen Terrorkrieg gegen Israel“.

Boos erklärte: „Terror darf niemals siegen“, und versicherte, dass die Buchmesse „jüdische und israelische Stimmen auf der Buchmesse nun besonders sichtbar machen“ werde. Die Buchmesse habe sich „spontan entschlossen, zusätzliche Bühnenmomente für israelische und jüdische Stimmen zu schaffen“, so Boos weiter. „Zum Messeauftakt organisiert der PEN Berlin zusammen mit uns die Veranstaltung ‚Aus Sorge um Israel‘ im Frankfurt Pavillon, der kulturpolitischen Bühne der Messe.“ Boos' Erklärung endet mit den Worten: „Die Frankfurter Buchmesse steht mit voller Solidarität an der Seite Israels.“ Boos enthielt sich jeglicher Kritik an der Entscheidung von Litprom, Adania Shiblis Preisverleihung auf der diesjährigen Buchmesse zu verhindern.

Bei der Eröffnung am Dienstagabend widersprach der Philosoph Slavoj Žižek, der das Gastland Slowenien vertrat, dem Messedirektor. Er bezeichnete die Entscheidung, die Buchpreisverleihung an Adania Shibli von der Buchmesse zu verbannen, als „skandalös“. Diejenigen, die nicht in das allgemeine Bild von Diversität und Inklusion passten, würden ausgeschlossen. „Ich bin deshalb nicht nur stolz, hier zu sein, ich schäme mich auch ein bisschen“, so Žižek, der in seiner Rede zunächst Israel sein „Recht auf Selbstverteidigung“ zusprach, aber dann auch auf das Leid der im Gazastreifen lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser hinwies. Während er dafür von der großen Mehrheit der Zuhörer Applaus erhielt, verließen mehrere anwesende Politiker – darunter der Antisemitismusbeauftragte der hessischen Landesregierung Uwe Becker (CDU) – den Saal.

Die Entscheidung, israelischen Autoren eine große Plattform auf der Buchmesse zu bieten, während einer prominenten palästinensischen Schriftstellerin dasselbe Recht verweigert wird, hat zu einem Sturm der Entrüstung geführt. Ein offener Brief, der von mehr als 600 Autoren unterzeichnet wurde, verurteilt die Zensur von Shibli. Unterzeichnet haben ihn die Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah und Olga Tokarczuk sowie weitere Schriftsteller wie der amerikanisch–libysche Pulitzer-Preisträger Hisham Matar, die britisch–pakistanische Schriftstellerin Kamila Shamsie, der irische Autor Colm Toibin und der britische Historiker William Dalrymple. In dem offenen Brief wird die Entscheidung der LitProm kritisiert, die Preisverleihung an Adania Shibli auf der Buchmesse abzusagen. Die Frankfurter Buchmesse habe „die Verantwortung, Räume für palästinensische Schriftsteller zu schaffen, in denen sie ihre Gedanken, Gefühle und Überlegungen zur Literatur in diesen schrecklichen, grausamen Zeiten teilen können, und nicht sie zu schließen“.

Von der Reaktion der Buchmesseleitung alarmiert, haben mehrere arabische Verlage angekündigt, ihre Teilnahme an der diesjährigen Messe abzusagen. In einer Erklärung im Namen des arabischen Verlegerverbands schrieb Mohammad Rashad, sein Verband möchte sein „tiefes Bedauern über Ihre voreingenommene und ungerechte Haltung gegenüber den tragischen Ereignissen in der Region zum Ausdruck bringen. Das palästinensische Volk lebt unter der längsten Besatzung in der modernen Geschichte, einer Besatzung, die sich in ein System der Apartheid verwandelt hat, das maximalen Druck ausübt und den Gazastreifen zu einem offenen Gefängnis für mehr als 2,2 Millionen Menschen gemacht hat.“ Angesichts der Tatsache, dass die israelische Armee in nur sechs Tagen mehr als 1.900 Palästinenser, darunter zehn Prozent Kinder, getötet hatte, schloss Rashad: „Wir verurteilen jeden Angriff auf eine Zivilperson, egal von welcher Seite, aber es ist ein großer Fehler, den Fall nur aus einem Blickwinkel zu betrachten und diese Ungerechtigkeit, der das palästinensische Volk seit Jahrzehnten ausgesetzt ist, zu akzeptieren.“

Shiblis englischer Verleger, Jacques Testard von Fitzcarraldo, kritisierte ebenfalls die Haltung der Buchmesse und erklärte: „Die Literatur hat auch die Aufgabe, das Verständnis und den Dialog zwischen den Kulturen zu fördern. In einer Zeit so schrecklicher Gewalt und grausamen Leids hat die größte Buchmesse der Welt die Pflicht, sich für literarische Stimmen aus Palästina und Israel einzusetzen.“

Adania Shibli ist die Autorin des Romans „Tafṣīl Ṯānawī“, der in den USA für die National Book Awards sowie für die International Book Awards nominiert worden ist. LitProm lobte zunächst den Roman, der 2022 in deutscher Sprache unter dem Titel „Eine Nebensache“ veröffentlicht wurde, und bezeichnete ihn als „formal wie sprachlich streng durchkomponiertes Kunstwerk, das von der Wirkmacht von Grenzen erzählt und davon, was gewalttätige Konflikte mit und aus Menschen machen“.

Der Roman, der eine eigene Rezension verdient, thematisiert in fiktionaler Form die wahre Geschichte der Vergewaltigung und Ermordung eines Beduinenmädchens durch eine israelische Armeeeinheit im Jahr 1949. Die Schilderung der historischen Ereignisse wird dann mit der fiktiven Geschichte einer palästinensischen Journalistin aus Ramallah kontrastiert, die auf den Artikel eines israelischen Kollegen über den Fall stößt. Sie fährt mit dem Auto an den Ort des Geschehens in der Negev-Wüste, in die Nähe des Kibbuz Nirim, wo sie eine militärische Barrikade übersieht und von israelischen Soldaten erschossen wird.

Nach anfänglich breiter positiver Kritik geriet der Roman zunehmend unter Beschuss von pro-israelischen Zeitungen wie beispielsweise der taz, die den Grünen nahesteht. Die taz kritisierte den Roman, weil er israelische Soldaten als „Vergewaltiger und Killer“ und Palästinenser als „Opfer von vergifteten bzw. schießwütigen Besatzern“ darstelle.

Die Kampagne gegen Adiana Shibli und ihr Buch muss vor dem Hintergrund der beispiellosen Maßnahmen gesehen werden, die die deutsche Regierung mit voller Unterstützung der Oppositionsparteien ergriffen hat, um jeglichen Widerstand gegen die jahrzehntelange Besetzung Palästinas durch Israel und die derzeitige mörderische Militäroffensive des Regimes in Tel Aviv gegen die Palästinenser in Gaza zum Schweigen zu bringen.

Nachdem alle Abgeordneten des deutschen Bundestags – von der Linkspartei bis zur faschistischen AfD – einstimmig beschlossen haben, Netanjahus völkermörderische Belagerung des Gazastreifens zu unterstützen, haben die deutsche Polizei und Justiz pro-palästinensische Proteste im ganzen Land verboten. Die Schulen verbieten es den Schülern, Zeichen der Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen, während normale Bürger, darunter Deutsche, Araber und Juden, schon verhaftet werden können, wenn sie friedlich für die belagerten Palästinenser in Gaza demonstrieren. In einem aktuellen Fall trug eine jüdische Frau ein Plakat mit der Aufschrift: „Als Jüdin und Israelin – Stoppt den Völkermord in Gaza“. Die Polizei nahm sie fest, während sie mit dem Plakat über einen öffentlichen Platz in Berlin-Neukölln schritt.

Der aktuelle Angriff auf die demokratischen Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit findet vor dem Hintergrund einer ohrenbetäubenden Kakophonie von Politikern aller Couleurs und praktisch der gesamten deutschen Medien statt, die jede Opposition gegen die rechtsextreme israelische Regierung als „Antisemitismus“ bezeichnen.

Führende Politiker, allen voran die Grünen (z.B. die Staatsministerin für Kultur und Bildung Claudia Roth), haben in den letzten Monaten wiederholt bösartige Kampagnen gegen Künstler vom Zaun gebrochen, die sich gegen die israelische Unterdrückung aussprechen. Dies betraf beispielsweise den Rocksänger Roger Waters und die Künstler, die bei der Documenta in Kassel auftraten.

Die völlige Heuchelei der Abgeordneten im Bundestag, überall Antisemitismus zu erkennen, wird durch ihre Bereitschaft entlarvt, mit der rabiat antisemitischen AfD gemeinsame Sache zu machen, um demokratische Grundrechte auszuhebeln. Sie geben der Justiz und der Polizei freie Hand, jede Opposition zu unterdrücken – nicht nur gegen die Regierung in Tel Aviv, sondern auch gegen die zunehmend verhasste Regierung in Berlin.

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