Ruf nach Freiheit für Palästina wird als Straftat verfolgt

Die Verbreitung der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free” wird in Deutschland ab sofort als Straftat verfolgt, die mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet wird. Der Müchner Oberstaatsanwalt Andreas Franck, der auch Antisemitismusbeauftragter der bayrischen Justiz ist, hat bereits angekündigt, die Parole genauso zu verfolgen wie verbotene Nazi-Sprüche und Symbole.

Als juristische Grundlage dient das Verbot der Hamas, das Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am 2. November erlassen hat. Die Hamas galt zwar schon bisher als illegale terroristische Vereinigung, doch nun hat Faeser noch einmal eigens ein Vereinsverbot ausgesprochen, obwohl Hamas in Deutschland offiziell gar keine Organisation hat.

Palästina-Demonstration am 4. November 2023 in Berlin

In der fünfseitigen, im Bundesanzeiger veröffentlichten Verbotsverfügung werden „Kennzeichen“ der Hamas aufgelistet, deren öffentliche Verwendung verboten ist. Auf der Liste steht auch „die Parole ‚Vom Fluss bis zum Meer‘ (auf Deutsch oder in anderen Sprachen)“. Damit, so Oberstaatsanwalt Franck, könne der Satz gestützt auf Paragraph 86a Strafgesetzbuch, „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“, bestraft werden.

Bislang hatten deutsche Staatsanwaltschaften den Satz als legitim gewertet. Er sei grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt, hatten die Staatsanwaltschaften in Berlin, München und anderen Städten erklärt, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Wer sich wünsche, dass Palästina „frei“ sei, rufe nicht dringend zur Gewalt auf, sondern könne auch eine friedliche Änderung des Status quo meinen. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte erst im August entschieden, dass die Parole für sich genommen nicht strafbar sei.

Doch mit der Verbotsverfügung haben sich die juristischen Voraussetzungen geändert. Statt als „Volksverhetzung“, was eindeutige Anstachelung zu Gewalt voraussetzt, kann die Verwendung der Parole nun allein aus dem Grund bestraft werden, dass die Innenministerin sie zum „Kennzeichen“ einer verbotenen Organisation erklärt hat.

In Wirklichkeit handelt es sich um einen willkürlichen Akt der Zensur und der Unterdrückung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.

In den vergangenen Wochen sind weltweit Millionen Menschen aller Religionen und Nationalitäten, darunter auch Israelis und viele Juden, auf die Straße gegangen und haben gegen das israelische Massaker in Gaza protestiert. Darauf reagieren die Regierungen, die die israelischen Verbrechen unterstützen, mit Zensur, Einschüchterung und Unterdrückung.

In Deutschland werden friedliche Demonstrationen von den Medien als „antisemitisch“ verleumdet und von der Polizei reihenweise verboten oder mit strengen Auflagen versehen. Große Polizeiaufgebote schüchtern die Demonstrationsteilnehmer ein, zensieren jedes gesprochene und geschriebene Wort, nehmen Teilnehmer reihenweise fest und beschlagnahmen Flugblätter und Transparente.

Die Kriminalisierung des Rufs nach Freiheit für Palästina ist eine weitere Stufe in dieser Repressionsspirale. Dabei ist die Behauptung, der Ruf „from the river to the sea“ sei ein „Kennzeichen“ der Hamas, schlicht gelogen.

Die Wurzeln der Parole gehen mindestens bis zur Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO im Jahr 1964 zurück. In der Palästinensischen Nationalcharta wurde Palästina als das historische britische Mandatsgebiet von 1947 definiert, das vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer reichte. Ausdrücklich wurde zwischen Juden als Religionsgruppe und dem Zionismus als „rassistische“ und „mit dem internationalen Imperialismus“ verbundene „politische Bewegung“ unterschieden. Die Charta erklärte zudem ausdrücklich, dass auch Juden Palästinenser sein können.

Als Ziel der Palästinenser galt traditionell ein säkulares, demokratisches Palästina ohne Besatzung und Diskriminierung. So erklärte die Fatah von Jassir Arafat, die lange Zeit größte und dominierende Fraktion innerhalb der PLO, im Jahr 1969: „Die Fatah, die Nationale Befreiungsbewegung Palästinas, verkündet feierlich, dass das Endziel ihres Kampfes die Wiederherstellung eines unabhängigen, demokratischen Staates Palästina ist, in dem alle Bürger unabhängig von ihrer Religion die gleichen Rechte genießen werden.“

Die Hamas entstand dagegen erst 1987 als palästinensischer Zweig der Muslimbruderschaft. In ihrer revidierten Charta von 2017 bekennt sie sich ebenfalls zu einem Palästina „vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer“. Damit hat sie nichts Neues erfunden, sondern lediglich eine jahrzehntelange Orientierung palästinensischer Organisationen übernommen.

In der Charta der Hamas von 1988 war die Formulierung noch nicht aufgetaucht. Anders als in dieser ersten Charta unterscheidet in der drei Jahrzehnte später entstandenen Fassung auch die Hamas zwischen Judentum und Zionismus. Es heißt dort: „Die Hamas bekräftigt, dass ihr Konflikt mit dem zionistischen Projekt und nicht mit den Juden aufgrund ihrer Religion besteht.“

Auch in der israelischen Politik gab es schon lange vor Gründung der Hamas immer wieder Bezüge auf die Formel „vom Fluss bis zum Meer“. Anders als in der Interpretation der PLO war damit allerdings kein säkularer, demokratischer Staat gemeint, sondern „Eretz Israel“, ein Staat unter jüdischer Vorherrschaft.

Die heute regierende Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanjahu wurde ausdrücklich auf dieser Grundlage gegründet. Es heißt in ihrer ursprünglichen Plattform von 1977: „Das Recht des jüdischen Volkes auf das Land Israel ist ewig und unbestreitbar und ist mit dem Recht auf Sicherheit und Frieden verbunden; daher werden Judäa und Samaria keiner ausländischen Verwaltung übergeben; zwischen dem Meer und dem Jordan wird es nur israelische Souveränität geben.“

Der heutige Finanzminister Bezalel Smotrich von der Partei „Religiöser Zionismus“, dem auch weitgehend die Siedlungen im Westjordanland unterstehen, hat für einen rechten israelischen Thinktank 2017 einen Aufsatz mit dem Titel „Israel’s decisive Plan“ verfasst, in dem es heißt: „Wir werden deutlich machen, dass unser nationales Streben nach einem jüdischen Staat vom Fluss bis zum Meer eine vollendete Tatsache ist, eine Tatsache, die nicht diskutiert oder verhandelt werden kann.“

Die Anhänger vom Netanjahu und Smotrich in Deutschland müssen allerdings nicht fürchten, dass sie deshalb Besuch von der Staatsanwaltschaft bekommen. Mit einer israelischen Regierung, die die Politik, die Palästinenser zu töten und zu vertreiben, gerade mit mörderischer Gewalt in die Praxis umsetzt, erklärt die Bundesregierung ihre volle Solidarität und unterstützt sie dabei auch militärisch. Wer dagegen dafür protestiert, dass es „zwischen dem Fluss und dem Meer“ Freiheit und Gleichberechtigung statt Besatzung und Apartheid gibt, wird kriminalisiert.

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