In der Autoindustrie entwickelt sich ein gewaltiges Jobmassaker

In der deutschen Autoindustrie entwickelt sich ein Arbeitsplatzmassaker, wie es die Branche seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat. Seit längerem nutzen die Hersteller und ihre Zulieferer die Umstellung auf Elektromobilität, um Arbeitsplätze abzubauen und die Ausbeutung zu verschärfen. Inzwischen sind sie im globalen Konkurrenzkampf ins Hintertreffen geraten, weil die Konkurrenz preiswertere und technisch ausgereiftere Modelle anbietet.

Demonstration der Ford-Arbeiter nach Verkündung der Schließung des Werks in Saarlouis, 22. Juni 2022

Am Freitag meldete das Münchener Ifo-Institut gestützt auf eine Unternehmensumfrage weiter sinkende Geschäftserwartungen in der deutschen Autoindustrie. Die Aktionäre fordern nun unmissverständlich: Damit ihre Renditen weiter steigen, müssen die rund 800.000 bei den Herstellern und ihren Zulieferern Beschäftigten noch stärker zur Ader gelassen werden.

Kein Arbeitsplatz, keine soziale Absicherung, keine Arbeitsbedingung, kein Lohn ist sicher. Studien rechnen damit, dass im Zuge der Umstellung auf Elektromobilität bis zu 40 Prozent der Arbeitsplätze entfallen, das wären über 300.000 Arbeitsplätze.

Die Vorboten dieses Bebens werden immer deutlicher. Das Statistische Bundesamt meldete im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr einen Beschäftigungsrückgang von gut einem Prozent oder 11.800 Beschäftigten in den Betrieben der Hersteller von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen. Dort waren zuletzt 774.300 Personen beschäftigt, 60.000 weniger als im Rekordjahr 2018.

Besonders betroffen ist die Zulieferindustrie. Dort beträgt der Beschäftigungsrückgang 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, der prozentual stärkste Rückgang seit 2005. Mit durchschnittlich 273.900 Beschäftigten fiel das Beschäftigungsniveau der Zulieferer auf das niedrigste Niveau seit 1997.

Die Meldungen der letzten Wochen kündigen eine Verschärfung dieser Entwicklung an.

Volkswagen

Der Volkswagen-Konzern hat Absatzprobleme, speziell bei den E-Modellen. Anfang der Woche erklärte VW-Markenchef Thomas Schäfer bei einer Vollversammlung in Wolfsburg, „als Marke VW“ sei man „nicht mehr wettbewerbsfähig“.

Das von VW-Konzernchef Oliver Blume forcierte Effizienzprogramm soll bis 2026 zehn Milliarden Euro einsparen und die Umsatzrendite der Kernmarke VW von zuletzt 3,4 auf 6,5 Prozent steigern. Das geht nur über massiven Arbeitsplatzabbau. Schäfer betont, deshalb müsse man „ran an die kritischen Themen, auch beim Personal“.

Bei der VW-Softwaretochter Cariad werden in den nächsten zwei Jahren 2.000 der 6.500 Arbeitsplätze abgebaut.

Der Standort Zwickau mit 10.000 Beschäftigten, der als erster ausschließlich Elektro-Autos produziert, drosselt wegen schwächelnder Nachfrage die Produktion. Die Herstellung des ID.3 und des Cupra Born pausiert für den Rest des Jahres, da die Produktionszahl abgearbeitet sei. Nachdem bereits in diesem Jahr die befristeten Verträge von 269 Beschäftigten nicht verlängert wurden, sollen im kommenden Jahr 500 befristete Jobs wegfallen.

Die IG Metall und Betriebsrat arbeiten unterdessen auf Hochtouren an neuen Mechanismen zum Abbau Tausender Arbeitsplätze. VW-Personalvorstand Gunnar Kilian von der IG Metall mahnt: „Wir müssen unsere Kosten senken und mit weniger Personal auskommen.“ Er will gezielt die Altersteilzeit zum Stellenabbau einsetzen.

Betriebsratschefin Daniela Cavallo unterstützt den Abbau und will diesen „sozialverträglich“ umsetzen. VW-Markenchef Schäfer drängt: „Jetzt müssen wir die Eckpunkte der Vereinbarung gemeinsam mit der Arbeitnehmerseite bis Jahresende unter Dach und Fach bringen.“

Ford

Bei Ford in Köln ist bis heute nicht klar, wann genau welches Elektro-Modell in der komplett umgebauten Fabrik gebaut wird. In Forschung und Entwicklung sowie Verwaltung werden Tausende Arbeitsplätze abgebaut. Allein in der Entwicklung sollen von rund 3600 Beschäftigten etwa 1700 in den kommenden drei Jahren das Unternehmen verlassen. Das Forschungszentrum in Aachen mit zuletzt gut 200 Beschäftigten wird in gut einem halben Jahr geschlossen.

Am Donnerstag wurde auf einer Betriebsversammlung mitgeteilt, dass die gesamte Produktentwicklung am Standort Köln-Merkenich in eine eigene GmbH ausgelagert wird. Dies ist in der Regel der erste Schritt, einen Betriebsteil zu schrumpfen oder abzustoßen.

Derweil wickelt der Betriebsrat in Saarlouis das dortige Ford-Werk ab. Seitdem der Konzern vor eineinhalb Jahren angekündigt hat, dass das Werk geschlossen werde, vertröstet der Betriebsrat die Belegschaft auf Investoren und baut gleichzeitig Arbeitsplätze ab. Allein in diesem Jahr waren es 650. Zum 1. Januar sinkt die Zahl der Beschäftigten um weitere 250 auf dann 3850.

An einen Investor glaubt inzwischen keiner mehr. Der Betriebsrat unter Leitung von Markus Thal arbeitet einen Sozialtarifvertrag für 2850 Beschäftigte in Saarlouis aus, die spätestens Mitte 2025 ihren Job verlieren. 1000 sollen in einem Rumpfbetrieb bis 2032 weiterarbeiten können.

Opel

Inzwischen zeichnet sich ab, dass Opel eher kurz- als mittelfristig vom Markt verschwindet. Der Absatz von Opel und der britischen Schwestermarke Vauxhall hat sich in den letzten sieben Jahren in Europa auf 428.000 Fahrzeuge nahezu halbiert. Seit der Übernahme von Opel durch den französischen Konzern PSA (Peugeot/Citroën) – inzwischen Stellantis – im August 2017 wurden bei dem Autobauer viele Tausend Arbeitsplätze abgebaut.

Insbesondere das Entwicklungszentrum sowie die Verwaltung in Rüsselsheim werden nach und nach abgewickelt. Ende 2021 arbeiteten dort noch 7000 Menschen, inzwischen sind Teile verkauft und Tausende Arbeitsplätze abgebaut. Letzte Woche wurde den etwa 100 Beschäftigten des Bereichs „Computer Aided Design“ (CAD) teilweise in Videokonferenzen mitgeteilt, dass ihr Bereich geschlossen werde.

In Italien will der Stellantis-Konzern, der 2021 durch die Übernahme von Fiat Chrysler Automotive (FCA) durch PSA entstand, 15.000 der noch etwa 45.000 Stellen abbauen.

ZF Friedrichshafen

Der nach Bosch größte deutsche Zulieferer ZF Friedrichshafen spielt derzeit alle möglichen Abbau-Szenarien durch, um die weltweit 165.000 Beschäftigten unter Druck zu setzen. In diesem Zusammenhang droht der Vorstand mit der Vernichtung von mehr als 7000 Arbeitsplätzen im Werk Saarbrücken. Dort fertigen derzeit noch rund 10.000 Beschäftigte fast ausschließlich Getriebe für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.

Diese Droh-Szenarien nutzen Werksleitungen und Betriebsräte, um so genannte „Zielbild-Prozesse“ über zukünftige Aufträge zu entwickeln. Aufgrund dieser fiktiven Pläne werden den Beschäftigten dann massive Zugeständnisse abgepresst und angebliche „Standortsicherungsverträge“ vereinbart, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. So geschah es etwa für die 5.500 Beschäftigten in der Nutzfahrzeug-Sparte am Traditionsstandort Friedrichshafen. Dort werden u. a. Lkw-, Bahn- und Marine-Getriebe hergestellt.

Die 590 Arbeiterinnen und Arbeiter am nordrhein-westfälischen Standort Eitorf nahe Bonn sowie deren 350 Kolleginnen und Kollegen in Gelsenkirchen werden ihre Arbeitsplätze in den nächsten Jahren verlieren. Der Konzern-Betriebsrat geht davon aus, dass spätestens 2027 im Stoßdämpferwerk in Eitorf die Tore schließen.

Noch schneller geht es beim bereits lange von Schließung bedrohten ZF-Standort in Gelsenkirchen. Da nun die Produktion der verbliebenen Lenkungen und Kabelbäume auslaufe, falle laut ZF-Management „die Basis für die Produktion am Standort in den kommenden Monaten weg“. In diesen beiden ZF-Werken enden Beschäftigungssicherungen mit Ende des Monats.

Mahle

Auch der Kolbenspezialist Mahle (knapp 72.000 Beschäftigte Ende 2022) baut seine Produktion um. Erst im August hatte das Unternehmen mit Sitz in Stuttgart seine gesamte Thermostat-Sparte mit rund 600 Arbeitsplätzen verkauft. Thermostate regeln die Kühlwassertemperatur von Verbrennungsmotoren und werden dementsprechend weniger nachgefragt.

Mahle hat mit der IG Metall erst vor wenigen Wochen einen neuen Zukunftstarifvertrag abgeschlossen, der betriebsbedingte Kündigungen bis 2025 an den deutschen Standorten ausschließt. Aber in Deutschland werden in großen Unternehmen Jobs selten mit betriebsbedingten Kündigungen vernichtet. Ein Heer von Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten arbeiten Pläne und Mechanismen aus, um dies anders zu bewerkstelligen.

Auch Mahle geht nun andere Wege. Im brandenburgischen Wustermark, wo Pumpensysteme produziert werden, hat der Konzern den Standort in eine GmbH umgewandelt. Die IG Metall teilte mit, dass Mahle den gesamten Standort aus dem Konzern herauslösen und verkaufen könnte.

Vibracoustic

Den 410 Beschäftigten von Vibracoustic in Weinheim (weltweit rund 12.000 Beschäftigte) wurde Mitte November mitgeteilt, dass ihre Arbeitsplätze nach Frankreich und Indien verlagert werden. Sie stellen Antivibrationssysteme aus Gummi sowie Luftfedersysteme zur Reduzierung von Geräuschen und Vibrationen her.

Reifenhersteller

Auch der Reifenindustrie in Deutschland droht ein Kahlschlag. Aktuell gibt es zwölf Reifenfabriken im Land, vier davon sollen in den kommenden Jahren geschlossen werden.

Der US-Konzern Goodyear beendet seine Produktion in Fulda und Fürstenwalde mit insgesamt 1800 Beschäftigten. Der französische Hersteller Michelin schließt bis Ende 2025 seine LKW-Reifenwerke in Karlsruhe und Trier. Zusätzlich wird in Homburg die Produktion von Neureifen und Halbfertig-Produkten eingestellt. Das Kundenzentrum verlagert Michelin von Karlsruhe nach Polen. Betroffen davon sind mehr als 1.500 Beschäftigte.

Der Autozulieferer und Reifenhersteller Continental hatte schon zuvor bekannt gegeben, dass er weltweit 5500 Jobs im Verwaltungsbereich vernichten werde, davon 1000 in Deutschland. Ab 2025 sollen jährlich 400 Millionen Euro eingespart werden. Continental beschäftigt im Automobilgeschäft insgesamt mehr als 100.000 Menschen, etwa ein Viertel davon in der Verwaltung.

Diese Ankündigungen sind nur die Spitze des Eisbergs. Doch bei all diesen Hiobsbotschaften können die Manager und Vorstände fest auf die Unterstützung der „Sozialpartner“, sprich der Gewerkschaften und Betriebsräte, zählen, mit denen sie sich „abstimmen“.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte übernehmen die Aufgabe, die Opposition in den Betrieben zu unterdrücken und jeden Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu sabotieren. Sie vertreten den reaktionären Standpunkt, dass die Arbeiter und ihre Ausbeuter dieselben Interessen haben und dass Standorte nur erhalten werden können, indem sie gemeinsam mit der Konzernleitung die „Kosten“ senken und Löhne und Arbeitsplätze abbauen.

Die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte spalten die Belegschaften und spielen die Kolleginnen und Kollegen eines Landes und Standorts gegen die aller anderen aus, wie die Ford-Betriebsräte im sogenannten Bieterwettbewerb zwischen Saarlouis und Valencia. Am Schluss bleibt auf beiden Seiten nichts übrig. Während die Beschäftigten mit einem Almosen in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, verdienen sich die Aktionäre eine goldene Nase, und auch die Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre verdienen kräftig mit.

Um die Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und die Löhne zu verteidigen, müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, in denen die Basis entscheidet und die über die Standorts-, Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten. Sie müssen vom Grundsatz ausgehen, dass die sozialen Interessen der Arbeiter höher stehen als die Profitinteressen der Konzerne, und zum Ausgangspunkt für den Aufbau einer sozialistischen Massenbewegung werden, die Gesellschaft und Produktion nach den Bedürfnissen der Mehrheit statt nach den Profitinteressen einer kleinen Minderheit organisiert.

Wir rufen alle Beschäftigten der Autohersteller und -zulieferer auf, sich dazu mit uns in Verbindung zu setzen. Schreibt uns eine Whatsapp-Nachricht an folgende Nummer: +49 163 33 78 340 und registriert euch über das untenstehende Formular.

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