Umbau der Autoindustrie: Bei ZF in Saarbrücken über 7000 Arbeitsplätze in Gefahr

Dem Saarland und seinen rund eine Million Einwohnern droht nach dem Bergbau und der Stahlindustrie ein weiteres Arbeitsplatzmassaker in der Autoindustrie. Im Ford-Werk in Saarlouis und den Zulieferern im Industriepark werden derzeit rund 6000 Arbeitsplätze abgewickelt, nun droht auch beim Autozulieferer ZF Friedrichshafen in Saarbrücken die Vernichtung von mehr als 7000 Arbeitsplätzen.

ZF-Werk in Saarbrücken [Photo by ZF]

ZF ist mit weltweit 165.000 Beschäftigten einer der größten Autozulieferkonzerne der Welt, in Deutschland der zweitgrößte nach Bosch. In Saarbrücken fertigen die rund 10.000 Beschäftigten Antriebstechnik, fast ausschließlich Getriebe für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Das Werk ist der größte Industrie-Konzern im Saarland. Anfang letzter Woche warnte die dortige IG Metall, dass bis 2030 die Belegschaft auf 2830 Beschäftigte abgebaut werden könnte. Das könne das Ende des Werks bedeuten.

Die Zahlen gingen aus einem Szenario hervor, das der Konzern für seine Umrüstung auf die Elektromobilität entwirft. Verbrennungsmotoren sowie viele damit zusammenhängende Bauteile werden für die Elektro-Fahrzeuge nicht mehr benötigt. Hunderttausende, weltweit Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter, die in der Produktion arbeiten, sind nach Auffassung der Konzerne entbehrlich.

Erst vor ziemlich genau einem Jahr, im Herbst 2022, hatte ZF angekündigt, das Werk in Saarbrücken zum Leitstandort für elektrische Antriebssysteme aufzustellen. Das Management ließ sich dafür von der Landesregierung viele Millionen an Zuschüssen zusichern. Über zehn Jahre könnte der Betrag eine dreistellige Millionenhöhe erreichen, erklärte Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) damals. Das Geld wolle sie teilweise aus dem Landeshaushalt zahlen, aber auch Mittel der Bundesagentur für Arbeit sollten genutzt werden.

Mit einem erwarteten Umsatz von rund 45 Milliarden Euro in diesem Jahr strebt ZF einen Jahresgewinn von über 2 Milliarden Euro an.

Während die SPD dem ZF-Konzern Steuer- und Sozialversicherungsgelder verspricht, sorgt der IG-Metall-geführte Betriebsrat seit 2019 dafür, dass auch aus den Beschäftigten Millionen herausgepresst werden. In Saarbrücken gilt bis Ende 2025 eine Beschäftigungssicherung, betriebsbedingte Kündigungen seien damit ausgeschlossen. ZF tat sich leicht mit dieser Zusicherung, da die Auftragsbücher prall gefüllt sind und der Betriebsrat massive Zugeständnisse machte.

Erst im Juli dieses Jahres unterzeichnete der Saarbrücker Betriebsrat unter dem Vorsitz von Mario Kläs eine Betriebsvereinbarung zwecks Veränderung der Schichtmodelle, vor allem eine Flexibilisierung der Wochenendarbeit. Diese Flexibilisierung und die Bewilligung von Sonderschichten sind nötig, um die aktuell hohe Nachfrage im Bereich der Getriebe bedienen zu können.

„Wir arbeiten hier unter Volldampf jedes Wochenende an den klassischen Produkten, die wir noch fertigen“, so Werksleiter Matthias Gratz. Zuletzt sei sogar noch Personal aufgestockt worden.

Die konkreten Zugeständnisse der Belegschaft, die der Betriebsrat ihr abverlangt, werden eingetauscht gegen vage Versprechen auf Zukunftsprodukte. So produzieren momentan 200 Beschäftigte, also 2 Prozent der Belegschaft, elektrische Achsantriebe. Der Konzern habe versprochen, die Produktion ab 2024 auszubauen und weitere Produkte für den Standort zu akquirieren.

Die Standortvereinbarung sei ein weiterer Meilenstein, um Arbeitsplätze in Saarbrücken zu sichern, wenn die Getriebeproduktion am Standort ab 2024/25 zurückgehen werde, erklärte der Betriebsratsvorsitzende Kläs im Sommer dieses Jahres. Wie viele Arbeitsplätze angeblich gesichert sind, steht nirgends geschrieben.

Konkret sind immer nur die Zugeständnisse der Belegschaft. Schon vor gut einem Jahr hatte der Betriebsrat eine „zweistufige Senkung der Entgelte über alle Hierarchieebenen hinweg“ verordnet, indem „bei Tariflohnerhöhungen übertarifliche Bestandteile von maximal vier Prozentpunkten angepasst werden“.

So werden der Belegschaft bis 2030 pro Jahr zuerst 10 bis 15 Millionen, später 25 bis 30 Millionen Euro vorenthalten. ZF hatte keine Probleme, das blumige Versprechen abzugeben, diese Millionen in einen sogenannten Zukunftsfonds fließen zu lassen, der für Investitionen in neue Technologien genutzt werde.

IG Metall und Betriebsrat behaupten, dies sichere die Arbeitsplätze. Doch die Zukunftsfonds und -verträge sind genauso wie die Standortsicherungsverträge nicht das Papier wert, auf dem sie stehen.

Jetzt geht ZF davon aus, dass die Belegschaft spätestens 2025 massiv reduziert wird, bis 2030 womöglich bis auf einen Restbestand von weniger als 3000.

Das Leben von 10.000 Arbeiterinnen und Arbeitern mitsamt ihren Familien wird vollständig den Profitinteressen von ZF im globalen Konkurrenzkampf untergeordnet. Eine Konzernsprecherin äußerte vorletzte Wochen gegenüber der Saarbrücker Zeitung, die Zukunft der deutschen Standorte hänge von deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit ab: „Wir sprechen seit Jahren transparent über die Tatsache, dass der Standort Saarbrücken aufgrund der geringeren Wertschöpfung bei den Produkten der E-Mobilität nicht mehr wachsen, sondern sich verkleinern wird. Aufgrund der mittelfristig sehr guten Auslastung mit den elektrifizierten Automatgetrieben der neuesten Generation können wir die verbleibende Zeit aktiv nutzen, um diesen Prozess sozialverträglich zu gestalten.“

Der Betriebsrat unterstützt diese „sozialverträgliche Gestaltung der Verkleinerung“ – sprich Arbeitsplatzvernichtung. Diese geschehe im engen Schulterschluss „mit unserer Arbeitnehmervertretung“, so die ZF-Sprecherin. An Zahlenspekulationen bezüglich der weiteren Entwicklung werde sich ZF nicht beteiligen. „Im Mittelpunkt steht die Zukunftssicherung des Standorts über neue Technologien und globale Wettbewerbsfähigkeit.“

Gewerkschaft IG Metall und ZF-Betriebsrat praktizieren dabei ihre sattsam bekannte Arbeitsteilung. Der Betriebsrat arbeitet mit dem Management in vertraulichen Gesprächen die Angriffe auf die Beschäftigten aus, die IG Metall schwingt die Phrasenkeule und schießt vor allem gegen „osteuropäische“ Standorte.

Der erste Bevollmächtigte der IG Metall Patrick Selzer erklärt, er verfolge mit Skepsis erkennbare Bestrebungen von ZF, seine osteuropäischen Standorte zu stärken. „Wir wissen von vielen Auslandsstandorten, dass sie defizitär sind, weil sie eben nicht die hohe Flexibilität, das Wissen der Beschäftigten, ihren hohen Erfahrungsschatz und die Qualität der Produkte vorweisen können, wie es bei den deutschen Standorten ist“, so Selzer. „Wir werden Druck aufbauen. Zumal der ZF-Konzern noch bis 2030 eine hohe Abhängigkeit von unserem Standort in Saarbrücken hat. Und wenn es der Konzern darauf anlegt, dann werden wir auch härtere Bandagen anlegen.“

Wer soll das nach den Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen im nur wenige Kilometer benachbarten Ford-Werk in Saarlouis ernst nehmen? Dort haben der Betriebsrat unter Markus Thal und die IG Metall gleichlautende Ankündigungen herausposaunt. Nichts dergleichen ist passiert. Solche Ankündigungen dienen einzig und allein der Vorbereitung des massiven Arbeitsplatzabbaus, womöglich sogar der Abwicklung des gesamten Werks, die hinter dem Rücken der Belegschaft vorbereitet wird.

Im Saarland droht ein regelrechtes Massaker in der Autoindustrie. Die Arbeitsplätze, die Löhne und die Arbeitsbedingungen sind nur zu verteidigen, wenn sich die Beschäftigten unabhängig in Aktionskomitees organisieren und mit ihren Kolleginnen und Kollegen an anderen ZF-Standorten zusammenschließen, in Deutschland, aber vor allem auch in Osteuropa. Vor allem aber müssen sie Kontakt mit ihren Ford-Kolleginnen und -Kollegen aufnehmen.

Diejenigen, die nicht zusehen möchten wie Betriebsrat und IG Metall ihre Arbeitsplätze und Werke abwickeln, registrieren sich über das folgende Formular oder schreiben eine Nachricht über Whatsapp an +491633378340.

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