„Wenn die Regierung nicht nachgibt, wird das hier explodieren“

Bauernproteste legen Frankreich lahm und breiten sich über Europa aus

In Frankreich und Belgien errichteten protestierende Bauern am Montag Dutzende von Straßenblockaden auf wichtigen Autobahnen rund um Städte. Zeitgleich kam es in Deutschland zu neuen Massenprotesten der Bauern.

In Hamburg, dem größten Hafen des Landes, blockierten Bauern mit 1.500 Traktoren die Straßen rund um die Stadt, um gegen die Kürzung von Treibstoffsubventionen zu protestieren. Die deutsche Regierung erhöht angesichts des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine die Militärausgaben und kürzt dafür die Agrarsubventionen.

In Belgien errichteten französisch- und flämisch-sprachige Bauern Straßensperren um Brüssel, Lüttich und Namur. In Frankreich kam es u.a. in Lyon, Marseille, Toulouse, Bordeaux, Lille und vielen weiteren Städten zu Blockaden, die die Versorgung unterbrachen und Verkehrsstaus auslösten. Verstärkt wurden sie durch Bummelstreiks der Taxifahrer, die gegen eine von der französischen Regierung angekündigte plötzliche Steuererhöhung auf Einnahmen aus Krankenfahrten protestierten.

Mitglieder der Fédération nationale des syndicats d'exploitants agricoles (FNSEA) haben eine „Belagerung“ von Paris angekündigt. Sie weisen die geringfügigen Zugeständnisse zurück, die der neu eingesetzte Premierminister Gabriel Attal letzte Woche gemacht hatte. Attals Regierung befindet sich in einer schweren Krise und hat die Mobilisierung von 15.000 Polizisten angeordnet, um für Recht und Ordnung zu sorgen. An den Flughäfen im Raum Paris und dem wichtigen Großmarkt in Rungis wurden am Montag gepanzerte Fahrzeuge der französischen Militärpolizei stationiert.

Traktoren-Blockade auf einer Autobahn, Argenteuil nördlich von Paris (WSWS Media)

Reporter der WSWS sprachen mit protestierenden Landwirten an den Straßenblockaden außerhalb von Paris, und sie wiesen auf die unmögliche Lage hin, in der sich ihre kleinen Betriebe durch Krieg, Wirtschaftskrise und die „Green-Deal“-Reformen der EU im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) befinden.

Vincent, der nördlich von Paris einen Hof hat, erklärte der WSWS: „Ich glaube nicht, dass wir den ersten Stellungnahmen trauen sollten, mit denen sie uns beruhigen wollen. Dann ist da die Vorgabe, dass vier Prozent der Fläche brach liegen sollen. Heute verhungern überall auf der Welt viele Menschen, und in Frankreich lässt sich Weizen sehr leicht anbauen. Vier Prozent der Fläche nicht zu bestellen, ist verrückt. Der Staat sollte uns Weizen für die Lebensmittelhilfe, für die Lebensmittellager und so was anbauen lassen.“

Vincent (WSWS Media)

Er verwies auf die verheerenden Auswirkungen der steigenden Inflation auf die europäischen Landwirte nach den Pandemie-Rettungspaketen und dem Beginn des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine: „Unsere Betriebskosten steigen insgesamt. Pflanzenschutzprodukte, Fungizide, und dann zahlen wir so viele Steuern. Die Kosten für Düngemittel schießen in die Höhe, und man sieht ja, dass die Lebenshaltungskosten allgemein steigen. Und wenn wir Leute einstellen, werden die Löhne und Sozialleistungen teurer.“

Vincent kritisierte auch das französische Rentensystem, nach dem einige Bauern mit nur 400 Euro pro Monat in Rente gehen: „Das Rentensystem für Bauern ist ein Skandal. Es gibt gute und schlechte Ernten, wir zahlen ein, und wir bekommen Punkte für unsere Rente. Aber wenn wir ein gutes Jahr haben, ist die Zahl der Punkte, die wir bekommen können, begrenzt, selbst wenn wir viel einzahlen. Also bekommen wir nie eine gute Rente, auch wenn wir eine gute Ernte haben.“

Traktoren-Blockade auf einer Autobahn nördlich von Paris (WSWS Media)

Er fügte hinzu: „Frankreich ist Spitzenreiter dabei, strengere Normen als andere Länder durchzusetzen.“ Weiter kritisierte er, dass es unlogisch sei, gentechnisch veränderte Pflanzen und Düngemittel in Frankreich zu verbieten, während Lebensmittel importiert werden, die anderswo damit angebaut wurden. Dass vor kurzem Freihandelsabkommen mit Lateinamerika unterzeichnet wurden, habe unter französischen Bauern große Verärgerung ausgelöst.

Er erklärte: „In Marokko, den USA, Brasilien oder Israel gibt es weniger Verordnungen in Bezug auf Gesundheit, Düngemittel und Personal. Sie dürfen Dinge, die wir nicht dürfen. In Argentinien gibt es industrielle Landwirtschaftsbetriebe mit 50.000 Kühen. In Frankreich ist ein Hof mit 1.000 Kühen sofort ein Skandal. Da drüben sind es 50.000. Und direkt daneben Sojabohnenfelder für Futtermittel mit genetisch modifizierten Pflanzen. Wenn es das ist, was wir essen wollen, sollte es in Frankreich erlaubt sein. Wenn wir das nicht essen wollen, dann macht es keinen Sinn, Freihandelsabkommen zu unterzeichnen.“

Vincent kritisierte die „Green-Deal“-Richtlinien der EU, welche die europäische Agrarproduktion und den Fleischkonsum verringern sollen: „Meine Tochter ist 18. Sie hat gesagt: ,Vater wir sollten weniger Fleisch essen.‘ Ich habe geantwortet: ,Schauen wir uns einmal an, welche Fleischmenge die WHO empfiehlt.‘ Tatsächlich haben wir kaum die empfohlene Menge gegessen. Also sollten sie nicht sagen: ,Alle sollten weniger Fleisch essen.‘ Die Leute, die das sagen, essen in schicken Restaurants in den Ministerien. Aber du und ich, wir essen kleine Portionen, weil die Kantinen weniger Fleisch verarbeiten, um die Kosten zu senken.“

Er betonte, die immense Wut, die sich gegen die französische Regierung aufbaut: „Wenn die Regierung nicht nachgibt, wird es zur Explosion kommen. Es könnte noch viel, viel weiter gehen. ... Unsere Gewerkschaften versuchen, mit der Regierung zu verhandeln, um die sinnlosen bürokratischen Hürden so weit wie möglich zu begrenzen. ... Aber wenn das, was sie bekommen, nicht ausreicht, wird es in der Tat eine Rebellion von unten geben.“

Slogan an dem Wagen eines Landwirts: „Unser Ende wird euer Hunger sein“ (WSWS Media)

Auf die Frage der WSWS-Reporter, ob er einen breiteren Kampf der Arbeiterklasse und einen Generalstreik zum Sturz der französischen und der EU-Regierungen unterstützen würde, zuckte Vincent mit den Schultern und sagte: „Das ist der Traum der Kommunisten, alle Kämpfe zu vereinen und das System zu stürzen.“

Die WSWS-Reporter sprachen auch mit Grégoire Bouillon, dem FNSEA-Regionalsekretär für den Raum Paris. Bouillon erklärte: „Das Modell der bäuerlichen Familienbetriebe verschwindet immer mehr ... Wir brauchen Mittel, damit die Bauern weiter von der Landwirtschaft leben können.“ Die derzeitigen Richtlinien der EU, die Agrarsubventionen an umfangreiche Umweltschutzauflagen knüpfen, bezeichnete er als „zu restriktiv und wirtschaftlich nicht realisierbar“.

Bouillon betonte, dass die Bauern die Umwelt und den Klimawandel wichtig nehmen, aber mehr Koordination und Ressourcen brauchen, um sich damit zu befassen: „Der Klimawandel hat jeden Tag Auswirkungen auf uns. Was wir wollen, sind die Instrumente, um uns anzupassen, Produktionsmethoden, klimaresistente Pflanzen, chemische Schutzmethoden gegen Insekten und Pilze und mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung.“

Grégoire Bouillon, FNSEA-Vertreter (WSWS Media)

Zur Ausbreitung der Proteste von Polen und Deutschland nach Belgien, Frankreich und Spanien erklärte Bouillon: „Die EU ist zu schnell vorgegangen, und zu weit bei der Verringerung der landwirtschaftlichen Produktion. Und das können die Bauern nicht mehr hinnehmen. Wenn man uns sagt, dass wir unsere Produktionsmengen verringern sollen, müssen die Preise, die wir bekommen, steigen. Andernfalls bricht unsere Rentabilität zusammen. ... Ich glaube also, das europäische System hat das Ende der Fahnenstange erreicht. Es existiert eine europäische Argrarbewegung, die diesen Wahnsinn enthüllt und verurteilt.“

Präsident Emmanuel Macron hielt am Montagabend eine Krisensitzung seines Kabinetts ab. Attal traf sich am selben Abend für dreieinhalb Stunden mit Spitzenvertretern der FNSEA und anderer Gewerkschaftsbürokratien der Bauern, ohne dass hinterher weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Bauern ankündigt wurden.

Berichten zufolge wird Attal am Dienstagabend bei seiner formellen Erklärung zur künftigen Regierungspolitik vor der Nationalversammlung weitere Maßnahmen für die Landwirtschaft ankündigen.

Neben Taxifahrern erwägen auch Lastwagenfahrer und breite Schichten der Arbeiterklasse, an der Seite der Bauern den Kampf gegen Macron aufzunehmen. Am Montag kündigten die Gewerkschaften des öffentlichen Nahverkehrs in Paris an, dass es ab dem 1. Februar zum Streik kommen könne. Ein Jahr, nachdem Millionen von Arbeitern gegen Macrons illegitime Rentenkürzungen die größten Streiks seit dem Generalstreik im Mai 1968 geführt hatten, steht Frankreich und Europa erneut vor einer sozialen Explosion.

Die rechtsextreme Gewerkschaft Unité-SGP, die die Bereitschaftspolizei repräsentiert, veröffentlichte am Montag auf ihrer Website einen Appell an die Regierung, die Lage zu beruhigen. Ihr Gewerkschaftssekretär Jean-Christophe Couvy forderte „die Regierung auf, einen sozialen Feuerlöscher zu finden, das Feuer zu löschen und zu versuchen, die Lage zu beruhigen“. Er warnte: „Andere Berufsgruppen könnten sich daran beteiligen, und [das könnte] das System lahmlegen.“

Die Krise in Frankreich und Europa kann nur auf der Grundlage der Mobilisierung der Arbeiter in ganz Europa und der Welt gegen den Nato-Krieg gegen Russland gelöst werden. Der Kampf für den rationalen Einsatz der Ressourcen der Menschheit auf der Grundlage des Prinzips der sozialen Gleichheit muss aufgenommen werden. Dies erfordert vor allem die Vorbereitung eines Generalstreiks der Arbeiterklasse zum Sturz der Macron-Regierung und ihrer Verbündeten in der EU. Die Perspektive, die eine solche Bewegung leiten muss, ist der Kampf zur Übertragung der Macht an die Arbeiterklasse und zum Aufbau der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

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