Streikende Bus- und Tramfahrer fordern Ausweitung des Streiks

Am Freitag sprachen Reporter der World Socialist Web Site mit Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in Wilmersdorf über die Perspektive, die bundesweiten Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr zum Ausgangspunkt eines gemeinsamen Kampfs aller Arbeiterinnen und Arbeiter gegen Lohnkürzung und Kriegspolitik zu machen.

Die Gewerkschaft Verdi, die mit den kommunalen Verkehrsbetrieben über einen „Manteltarif Entlastung“ verhandelt, hatte vor dem Omnibus-Betriebshof Cicerostraße einen Pressetermin organisiert, zu dem auch einige Studierende aus dem Umfeld von Verdi und „Fridays For Future“ erschienen. Angesichts weitverbreiteter Skepsis gegenüber der Verdi-Bürokratie – die erst im vergangenen Sommer Reallohnsenkungen für Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes und der Post erwirkt hatte – trat auch Grünen-Politikerin Luisa Neubauer auf, um die Funktionäre bei ihren Geheimverhandlungen mit der BVG medial zu unterstützen.

Verdi-Versammlung am Betriebshof Cicerostraße, Berlin Wilmersdorf, 02.02.2024

Das von den WSWS-Reportern verteilte Flugblatt warnte, dass Verdi und alle anderen Gewerkschaftsbürokratien es als ihre Aufgabe erachten, „die breite soziale, betriebliche und politische Mobilisierung, die sich abzeichnet, abzuwürgen und zu verhindern“. Ein Busfahrer reagierte darauf mit den Worten: „Der Sieben-Stunden-Warnstreik ist ein Witz. Sogar unsere Fahrgäste haben unsere Aktion schon als ‚Frühstücksstreik‘ belächelt.“ Ein anderer Kollege kritisiert Verdis Alibi-Maßnahmen in Berlin ebenfalls und sagt:

„Bei der GDL wurde richtig gestreikt, aber bei uns ist es noch nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein – eher ein halber Tropfen, wenn überhaupt. Wir haben keinen Einfluss auf das Verhandlungsergebnis, sind aber auch nicht in der Gewerkschaft, weil wir von ihnen sowieso nicht viel erwarten.“

Die Gewerkschaft der Deutschen Lokführer (GDL) hatte in der vergangenen Woche einen zunächst für sechs Tage angekündigten Streik nach fünf Tagen abgebrochen und einem Ausverkauf zugestimmt. Verdi und GDL stimmen darin überein, dass ein gemeinsamer Kampf von Lokführern und anderen Verkehrsarbeitern unter allen Umständen verhindert werden muss.

Das von der World Socialist Web Site initiierte Aktionskomitee der Bahn-Beschäftigten hatte am Dienstag hingegen einstimmig eine Resolution verabschiedet, „den Kolleginnen und Kollegen im Nahverkehr und bei den Flughäfen die Hand zu reichen“ und „die Kontrolle der gewerkschaftlichen Apparate zu durchbrechen“. In der Resolution heißt es weiter: „Unsere Verbündeten sind weder die Gewerkschaftsapparate noch die Bundestagsparteien. Unsere Verbündeten sind die Beschäftigten aller Branchen in allen Ländern.“

Das Flugblatt stellt fest, dass die Rechte und Bedürfnisse von Arbeitern und ihren Familien „höher stehen müssen als die Profitinteressen der Unternehmen, Aktionäre und Spekulanten und die Kriegspolitik der Bundesregierung“.

Verdi-Versammlung am Betriebshof Cicerostraße, Berlin Wilmersdorf, 02.02.2024

Obwohl es den Beschäftigten untersagt ist, bei Streikveranstaltungen mit der Presse zu sprechen, berichteten mehrere Tram- und Busfahrer der WSWS von ihren Arbeitsbedingungen und forderten einen gemeinsamen Kampf aller Verkehrsarbeiter, der auch die Fahrgäste einbezieht.

„Ich habe 16 Jahre im Hotelgewerbe gearbeitet, aber was ich in den letzten vier Jahren im Verkehr bei der BVG erlebt habe, stellt das noch in den Schatten“, sagt ein Arbeiter, der anonym bleiben möchte: „Die BVG erstellt Fahrdienstpläne, bei denen sie schon weiß, dass du bei dem Verkehr in Berlin mit Verspätung ankommen wirst und deine Pause opfern musst, um sie aufzuholen. Gleichzeitig ist man aber ‚selbst verantwortlich‘ dafür, Pausenzeiten einzuhalten.“ Unter diesen Bedingungen bleibe Fahrern nur die Wahl, permanent mit Verspätung zu fahren oder unter Erschöpfung zu fahren und so „auf eigene Verantwortung“ das Unfallrisiko zu erhöhen. Er schließt:

„Es muss ein Miteinander kreiert werden. Wir streiken nicht gegen die Fahrgäste, es hat Gründe, warum so viele Busse ausfallen. Leute, die hochmotiviert sind, verlassen das Unternehmen, weil der Frust so groß ist. Deshalb sind wir heute hier – wenn es so bleibt, ist das hier ein einziger Fleischwolf: Die BVG packt sie oben hinein, dreht sie einmal durch den Fleischwolf und dann sind sie weg. Sie sind gut darin, Statistiken zu schönen und sich gut darzustellen. Aber anstatt in die Leistungsfähigkeit des Systems zu investieren, lässt der Vorstand lieber ein BVG-Musical produzieren. Von 50 Leuten, die mit uns anfangen, sind nach fünf Jahren noch 5 dabei.“

Malik (Mitte 50) ist ebenfalls Busfahrer, hat bereits für die Wahlteilnahme der SGP bei den Europawahlen unterschrieben und den Artikel der WSWS bereits am frühen Morgen gelesen. Er sagt:

„Ich habe kein Vertrauen in Verdi. Sie haben keine Versammlung gemacht, um unsere Forderungen festzulegen oder unsere Streiktaktik abzustimmen. Es ist wie mit der IG Metall, die Gewerkschaften sind heute nicht mehr das, was sie vor Jahrzehnten einmal waren – im Gegenteil: Verdi wird wie ein Unternehmen geführt, wie ein Versicherungskonzern. Die Meinung der Bus- und Tramfahrer fällt unter den Tisch. Die Kompromisse, die in Tarifverhandlungen ausgehandelt werden, haben unsere Arbeitsbedingungen immer weiter verschlechtert.“

„Ich war früher in einem Metall-Unternehmen acht Jahre lang Betriebsrat und Mitglied der IG Metall. Aber nachdem wir dort keine Unterstützung von der Gewerkschaft bekommen hatten und alles über die regionale Zentrale der IG Metall lief, bin ich ausgetreten. Auch in anderen Ländern wie in der Türkei sind die Gewerkschaften fast nichts anderes mehr als Witzfiguren. Ich habe hier als Busfahrer noch keinen Betriebsrat zu Gesicht bekommen, der sich um meine Situation gekümmert hätte.“

„Das ganze politische System in Deutschland ist nach meinem Gefühl irgendwie auf dem Rückweg. Noch nicht einmal eine Berliner Wahl kann ordentlich durchgeführt werden, wie man an der Wiederholungswahl sehen kann.“

Ritchie, der 2019 als Busfahrer angefangen hat und zuvor viele Jahre in der Gastronomie gearbeitet hat, sagt: „Ich wünsche mir mehr Solidarität in der Gesellschaft. Theoretisch müssten nicht nur die Arbeitnehmer der BVG streiken, es müssten auch die Fahrgäste mit auf die Straße gehen. Es müsste ein Revolutionsvolk mit der Mentalität der Franzosen entstehen. Dann würde ein größerer Druck entstehen und dann würde auch etwas passieren. Das Unternehmen ist Kapitalist – wenn der Hof einfach nur ein paar Stunden zu ist, spart das Unternehmen vielleicht noch Geld. Wir müssen schon alle auf die Straße gehen, sonst passiert hier gar nichts.“

Darauf angesprochen, dass das Bundeswehr-Sondervermögen über 100 Milliarden Euro als erster Schritt eigentlich zur Finanzierung des Bildungs-, Sozial- und Verkehrssystems herangezogen werden müsste, sagt Ritchie: „Das ist ein interessanter Punkt. Ich war bei der Bundeswehr und habe mich damals sogar freiwillig für einen Auslandseinsatz gemeldet. Meine Person hat sich aber so geändert, dass ich dem zustimmen würde. Durch Waffengewalt kann man keinen Frieden herstellen und es geht immer nur darum, die Rohstoffe günstig zu bekommen. In Afrika werden Menschen bombardiert und Häuser angezündet, um hinterher dort eine Mine zu bauen, in der Kinder arbeiten. Manche beuten das aus, sitzen zuhause in ihren Stadtvillen und machen sich einen schönen Reibach.“

Ritchies Kollege Marcel stimmt ihm zu: „Ich war zwei Jahre bei der Bundeswehr und denke, jede Art von Krieg darf nicht sein. Es gibt immer Leute, die daran verdienen.“ Marcel ist beim BVG-Subunternehmen Berlin Transport (BT) beschäftigt, das 1999 vom Konzern gegründet wurde, um Arbeitsverträge mit niedrigeren Löhnen abschließen zu können. Er fährt fort: „Früher wurde mehr Leistung gefahren. Jetzt haben sie die Taktung etwas zurückgenommen, aber mit dem gleichen Personal. Ich habe hier mit 1600 Euro netto angefangen. Letztes Jahr haben wir eine Lohnerhöhung von 1,4 Prozent bekommen, das war nicht einmal der Inflationsausgleich. Viele Kollegen haben nachzahlen müssen. Die zweite Tranche kommt erst diesen Monat und ich glaube, wenn sich nicht etwas grundsätzlich ändert, werden viele gehen.“

Über Verdis Rolle sagt Marcel: „Die Streikkassen von Verdi sind voll, sie könnten für ein halbes Jahr streiken, wenn sie wollten. Als wir 2019 das letzte Mal gestreikt haben, sagte das Unternehmen in der letzten Woche zu uns: Mit jedem Tag, an dem ihr streikt, sparen wir Geld. Was für eine Art Streik ist das?“

Wir rufen alle Beschäftigten der BVG und darüber hinaus auf: Baut in euren Betrieben mit vertrauenswürdigen Kolleginnen und Kollegen unabhängige Aktionskomitees auf. Verbindet euch mit dem Aktionskomitee der Verkehrsarbeiter in Berlin. Schreibt dazu eine Whatsapp-Nachricht an +491633378340 und füllt unten stehendes Formular aus.

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