Hofreiter und Röttgen leugnen Nuklearkriegsgefahr

Der in Medien und Politik ausgetragene Wettbewerb „Wer ist der waghalsigste Kriegstreiber“ erreicht täglich neue Höhepunkte. In einem wütenden Kommentar in der Montagsausgabe der F.A.Z. fordern die Außenpolitiker Anton Hofreiter (Grüne) und Norbert Röttgen (CDU) eine massive Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine.

Anton Hofreiter [Photo: DBT / ThomasKöhler / photothek]

Unter der Überschrift „Der katastrophale Defätismus des Kanzlers“ greifen die beiden notorischen Kriegstreiber Olaf Scholz (SPD) dafür an, „dass er bereit ist, sich von Putin unter Druck setzen zu lassen“. Gepaart „mit zu geringen und immer zu späten Waffenlieferungen“ sei „das fatal“. Scholz habe bereits bei vergangenen Waffenlieferungen gezögert und wiederhole das nun bei den Taurus-Marschflugkörpern. „Dabei bräuchte die Ukraine dringend Langstreckenraketen, um den akuten Munitionsmangel an der Front wenigstens etwas auszugleichen und russische Munitionsdepots in den besetzten Gebieten zu zerstören.“

Nicht nur die Stoßrichtung – direkte Angriffe auf Russland mit deutschen Raketen – sondern auch die Rhetorik erinnern an den Kriegswahnsinn im Ersten und Zweiten Weltkrieg. „Es ist doch unser Europa. Wir müssen es verteidigen und wenn die USA ausfallen, ihre Hilfen notfalls kompensieren.“ An dem „unbedingten Willen, dass wir die Ukraine und damit unsere Werte und Interessen nicht aufgeben“, dürfe „nicht der geringste Zweifel entstehen“, verlangen Hofreiter und Röttgen.

Und sie fügen drohend hinzu: „Wenn wir die Ukraine jetzt nicht konsequent unterstützen, fühlt sich Putin ermutigt, weitere Länder zu überfallen. Nur wenn klar wird, dass dieser Krieg militärisch nicht gewonnen werden kann, wird Russland zu Verhandlungen bereit sein.“

Auch die herrschenden Kreise des Kaiserreichs und des Nazis-Regimes hatten die Entfesselung des deutschen Militarismus mit der Mär vom russischen Sturm auf Europa und der zynischen Argumentation gerechtfertigt, der totale Krieg sei der schnellste Weg zum Frieden. Tatsächlich diente die Propaganda dazu, die Verfolgung der räuberischen Interessen des deutschen Imperialismus mit immer brutaleren und massenmörderischen Methoden zu rechtfertigen.

Der rassistische Vernichtungskrieg der Wehrmacht gegen die Sowjetunion, dessen Beginn sich am 22. Juni zum 83. Mal jährt und der auf die Eroberung des gesamten europäischen Teils der Sowjetunion zielte, brachte mindestens 27 Millionen Sowjetbürgern den Tod. Heute würde ein umfassender Krieg mit der Atommacht Russland noch weitaus mehr Menschenleben kosten. Eine nukleare Eskalation hätte das Potential, nicht nur ganz Europa zu zerstören, sondern die gesamte menschliche Zivilisation auszulöschen.

Das ficht die Kriegswahnsinnigen vom Schlage eines Hofreiters und Röttgens nicht an. Ihre Tirade gipfelt in der Aussage, dass man sich auch von der Gefahr einer nuklearen Eskalation nicht abschrecken lassen darf. Denn eine solche bestünde gar nicht, behaupten sie. „Atomkrieg. Eskalation. Kriegspartei“ seien lediglich „Schlagworte“, die der Kanzler geprägt habe, und „die Putin nur eines signalisieren: Er kann weiterhin Völkerrecht und internationale Verträge brechen und Länder überfallen ohne ernsthafte Konsequenzen“.

„Ein Kanzler, der von Atomkrieg spricht? Das ist ungeheuerlich“, ereifern sich die beiden. Denn „selbstverständlich“ wisse man „im Kanzleramt genauso gut wie im Parlament und auf der Straße, dass auch Putin an einer atomaren Auseinandersetzung kein Interesse hat. Dass er diese Karte gar nicht in der Hand hält, weil er damit China als wichtigsten Verbündeten verlieren würde und die Reaktion der USA gewaltig wäre.“ Es gehe also „um konventionellen Krieg“, und den habe „Putin bereits voll eskaliert“.

Hofreiter und Röttgen wissen, dass sie lügen. Nur einen Tag vor ihrem Kommentar in der F.A.Z. veröffentlichte die New York Times einen Artikel mit dem Titel „Biden’s Armageddon Moment: When Nuclear Detonation Seemed Possible in Ukraine” (Bidens Armageddon-Moment: Als eine nukleare Detonation in der Ukraine möglich schien). Der Artikel detailliert sehr konkret Diskussionen, die Ende 2022 innerhalb der Biden-Regierung über die Möglichkeit geführt wurden, dass sich der Ukrainekrieg zu einem atomaren Konflikt mit Russland ausweitet.

Der Autor des Artikels, David Sanger, schreibt, die CIA habe Biden mitgeteilt, dass „in einem außerordentlichen Szenario, in dem die ukrainischen Streitkräfte die russischen Verteidigungslinien dezimierten“ und planten, die von Russland annektierte Krim anzugreifen, „die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Einsatzes auf 50 Prozent oder sogar noch höher steigen könnte“. Sanger berichtet, dass die Biden-Regierung ihrerseits „dringende Vorbereitungen ... für eine US-Reaktion“ auf einen möglichen russischen Nuklearschlag traf.

Sanger berichtet auch über Scholz’ Rolle in dem nuklearen Schlagabtausch. Er sei „auf dem Weg zu einem geplanten Besuch in Peking“ gewesen und „sollte den chinesischen Präsidenten Xi Jinping über die Geheimdienstinformationen informieren und ihn zu öffentlichen und privaten Erklärungen gegenüber Russland drängen, in denen er davor warnte, dass im Ukraine-Konflikt kein Platz für den Einsatz von Atomwaffen sei“.

Wie die WSWS festgestellt hat, ist ein Artikel von Sanger – einem bekannten Sprachrohr des US-Militärs und der Geheimdienste – „weniger ein Nachrichtenartikel als eine kontrollierte Veröffentlichung von Informationen durch die US-Geheimdienste“. Ziel des Artikels sei es, „die Öffentlichkeit an die Möglichkeit eines Atomkriegs zu gewöhnen“ und „Russland die Schuld in die Schuhe zu schieben, obwohl es in Wirklichkeit die USA und die Nato-Mächte sind, die sich an einer massiven Eskalation des Krieges beteiligen, die eine mögliche direkte Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine beinhaltet.“

Dem gleichen Ziel dient der Kommentar von Hofreiter und Röttgen. Um den Krieg zu eskalieren und die Interessen des deutschen Imperialismus gegen Russland mit allen verfügbaren Mitteln zu verfolgen, leugnen sie wider besseres Wissen die Gefahr einer nuklearen Eskalation. Dies auch nur anzusprechen, gilt ihnen als Ausdruck von Schwäche. „Scholz’ Rhetorik macht uns schwächer, als wir sind“, toben sie. „Seine Weigerung, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern, gab er erst auf, als die USA zusagten, selbst Abrams Panzer zu liefern. Die Botschaft an Putin: Ohne die USA geht es in Deutschland nicht.“ Dies sei „katastrophaler Defätismus“.

Dass sich Hofreiter und Röttgen und die anderen führenden Kriegstreiber in Politik und Medien auf Scholz’ einschießen, zeigt nur wie aggressiv sich die herrschende Klasse 78 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reichs wieder gebärdet. Scholz ist alles andere als ein „Friedenskanzler, über den Putin lacht“ (Der Spiegel), sondern der Kriegskanzler der Zeitenwende, der die Offensive des deutschen Militarismus systematisch vorantreibt.

Scholz’ aktuelle Beteuerungen, keine Taurus zu liefern und keine deutschen Soldaten in die Ukraine zu entsenden, folgen einem bekannten Prozedere. Auch die Lieferung von Kampfpanzern wurde lange hinter den Kulissen vorbereitet und mit Washington koordiniert, bevor sie öffentlich verkündet wurde. Mittlerweile ist Deutschland der führende Panzerlieferant.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich erst am Sonntag erneut für Taurus-Lieferungen aus. Zuvor hatte bereits das geleakte Gespräch der deutschen Luftwaffenführung gezeigt, wie konkret Scholz’ Generäle darüber diskutieren, ob und wie die Marschflugkörper an Kiew geliefert und auf russische Ziele abgefeuert werden können.

Wie um zu unterstreichen, dass auch er fest im Lager der Kriegstreiber steht, stellte sich Scholz am Montag an die Spitze der Kampagne gegen den Papst. Dieser hatte am Wochenende Friedensverhandlungen angemahnt und erklärt, stark sei derjenige, „der den Mut der weißen Fahne hat zu verhandeln“. „Wie Sie sich vorstellen können, ist der Bundeskanzler in dieser Frage nicht der Meinung des Papstes,“ ließ Scholz daraufhin über seinen Sprecher verkünden. Mit anderen Worten: über dem Kanzleramt weht die Kriegsflagge.

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