Verbot des Palästina-Kongresses: Ein weiterer Schritt zum Polizeistaat

Seit am vergangenen Freitag in Berlin hunderte Polizisten einen Palästina-Kongress auflösten, gelangen täglich neue Einzelheiten darüber ans Licht, mit welcher Willkür und Rücksichtslosigkeit sie sich dabei über geltendes Recht hinwegsetzten und demokratische Rechte mit Füßen traten.

Die Polizei verhaftet Udi Raz, Sprecherin der Jüdischen Stimme, auf dem Palästina-Kongress [Photo: @AliAbunimah]

Die deutsche Regierung geht mit derselben Polizeiwillkür gegen Gegner des von ihr unterstützen Genozids in Gaza vor, die sie sonst ihren Feinden, wie dem russischen Präsidenten Putin, vorwirft. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte sich noch am Freitag hinter das brutale Vorgehen der Polizei. Auf Twitter schrieb sie, dass es „richtig und notwendig“ gewesen sei, „dass die Berliner Polizei hart durchgreift beim sogenannten Palästina-Kongress“.

Ein Kollektiv von Anwälten, das die Veranstalter des Kongresses berät, hat am 13. April eine Erklärung veröffentlicht, die die Vorbereitung des Kongresses und den Ablauf der Ereignisse detailliert schildert. Daraus geht hervor, dass es bereits im Vorfeld des Kongresses mehrere Sicherheitsgespräche von Veranstaltern mit der Polizei gegeben hatte. Noch am Morgen des Kongresses wurden das Programm und die vorgesehenen Redner mit der Polizei besprochen und von dieser bestätigt.

Doch obwohl die Veranstalter auf alle Bedingungen der Polizei eingingen, auch wenn diese mehr als fragwürdig waren, verbot diese die auf vier Tage anberaumte Versammlung nach zwei Stunden und löste sie auf.

SGP-Spitzenkandidat Christoph Vandreier zum Angriff auf den Palästina-Kongress

Als Vorwand diente ihr eine im Programm angekündigte Video-Botschaft des 86-jährigen Dr. Salman Abu Sitta, der sich seit Jahrzehnten für die Sache der Palästinenser einsetzt. Obwohl Abu Sitta auch nach Ansicht des anwesenden Vertreters der Staatsanwaltschaft nichts Illegales sagte, unterbrach die Polizei das Abspielen des Videos nach wenigen Minuten.

Zur Begründung führte sie an, der Redner habe ein Betätigungsverbot in Berlin erhalten. Davon hatten allerdings weder die Veranstalter noch die Öffentlichkeit – und bis kurz vorher offensichtlich auch nicht die Polizei – Kenntnis gehabt. Außerdem war bereits in früheren Fällen gerichtlich geklärt worden, dass sich ein Betätigungsverbot nicht auf das Abspielen von Videos bezieht.

Selbst als die Veranstalter anboten, auf das Abspielen des Videos zu verzichten, gab sich die Polizei nicht zufrieden. Nun behauptete sie, dass durch den Live-Stream der Veranstaltung womöglich strafbare Äußerungen in die ganze Welt transportiert werden könnten. Die Veranstalter erklärten sich sogar bereit, auf den Livestream zu verzichten. Doch auch das half ihnen nicht.

Die Entscheidung, die Veranstaltung aufzulösen, war offensichtlich längst gefallen, auch wenn es dafür keine gesetzliche Grundlage und noch nicht einmal einen plausiblen Vorwand gab. Der Gesamteinsatzleiter rechtfertigte das Verbot mit der kafkaesken Begründung, das zeigen der Video-Botschaft einer Person, gegen die ein Betätigungsverbot erlassen worden sei, gebe ihm hinreichenden Anlass zur Vermutung, dass bei Fortsetzung des Kongresses strafbare Äußerungen erfolgen würden.

Das ist reine Gesinnungsjustiz, wie sie unter den Nazis herrschte. Nicht eine Straftat oder eine strafbare Äußerung werden hier geahndet; es genügt die bloße Vermutung, die Betroffenen könnten Dinge äußern, die nicht mit der Linie der Bundesregierung übereinstimmen.

Es gab noch zahlreiche weitere Repressionsmaßnahmen gegen den Kongress. So wurden gegen weitere angekündigte Redner Betätigungsverbote verhängt. In mindestens zwei Fällen gab es Kontaktverbote, die jeden Kontakt zu und die Beherbergung von Teilnehmern des Kongresses untersagten.

Das Bundesinnenministerium verhängt ein Betätigungsverbot gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister und Vorsitzenden der paneuropäischen Partei DiEM25, Yanis Varoufakis, das auch ein Einreise- und Online-Zuschaltungsverbot umfasst. Varoufakis darf sich also in Deutschland praktisch nicht mehr öffentlich äußern.

Dem Mediziner und Rektor der Universität Glasgow, Dr. Ghassan Abu Sittah, erteilte die Bundespolizei ebenfalls kurzfristig ein Einreiseverbot. Er wurde bei der Ankunft am Berliner Flughafen festgehalten, drei Stunden lang verhört und dann in ein Flugzeug zurück nach London gesetzt. Ihm wurde auch untersagt, seinen Redebeitrag online zu halten.

Ghassan Abu Sittah hatte während des Krieges mehrere Wochen lang mit den Ärzten ohne Grenzen in Gaza-Krankenhäusern gearbeitet und unter anderem vor dem Internationalen Gerichtshof, wo Deutschland wegen Beihilfe zum Genozid angeklagt ist, darüber ausgesagt. Er wollte auf dem Kongress über seine erschütternden Erlebnisse in Gaza berichten.

Bereits im Vorfeld des Kongresses hatten die Behörde mit verschiedenen Einschüchterungsmethoden versucht, ihn zu verhindern.

So wurde das Bankkonto des Vereins Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden, auf dem Spenden für den Kongress gesammelt wurden, gesperrt. Es gab „Sicherheitswarnungen“ gegen das Cafe MadaMe, wo ein Spendenabend für den Palästina-Kongress stattfinden sollte. Er wurde schließlich unter Druck abgesagt.

Und auch der Vermieter des Veranstaltungssaals wurde unter Einsatz verschiedener Behörden unter Druck gesetzt, um angebliche Mängel des Brandschutzes und der Nutzungserlaubnis zu finden. Es ist kaum möglich zu sagen, ob derartige Methoden eher aus dem Repertoire der Mafia stammen oder dem einer autoritären Diktatur.

Als alle Einschüchterungsmaßnahmen nicht fruchteten, wurde der Kongress ohne jede rechtliche Grundlage verboten. Das Anwältekollektiv schließt seine Erläuterungen mit der Feststellung:

Jegliche rechtsstaatlichen Versuche, die Versammlung und die Versammlungsteilnehmenden zu schützen und für störungsfreien und rechtmäßigen Ablauf zu sorgen, wurden von der Polizei torpediert. Der Eindruck wurde geschaffen, dass hier jenseits aller bewährten versammlungsrechtlichen Erfahrungen, Rechtsprechung und verfassungrechtlicher Verankerung, Rechtsschutz verkürzt werden sollte.

Sichtlich ermutigt durch das Verbot ging die Berliner Polizei in den folgenden Tagen gegen weitere pro-palästinensische Proteste vor.

Am Samstag versammelten sich rund 1900 Menschen zu einer Demonstration, um gegen das Verbot des Kongresses zu protestieren. Die Demonstration wurde von einem Großaufgebot bewaffneter Polizisten begleitet. In großer Hitze stoppte die Polizei den Demonstrationszug für knapp eine halbe Stunde, um dann ohne Ankündigung hineinzustürmen und eine Gruppe von Teilnehmern herauszuziehen. Insgesamt wurden im Verlauf der Demonstration sechs Personen festgenommen.

Noch brutaler ging die Polizei am Tag darauf gegen das Protestcamp „Occupy against Occupation“ vor dem Reichstag vor. Das Protestcamp war am Montag der Vorwoche angemeldet worden, um über mehrere Tage gegen die aktive Rolle Deutschlands beim anhaltenden Völkermord zu protestieren.

Am Sonntag griff die Polizei den friedlichen Protest brutal an. Mehrere Leute – darunter auch Juden – wurden unter dem Einsatz von Schlägen, Würgen und Pfefferspray zu Boden geworfen und verletzt. Mehrere mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Vier Menschen wurden verhaftet, darunter auch ein Mitglied der Jüdischen Stimme.

Während des Kongresses gab es noch weitere Vorfälle, bei denen demokratische Rechte mit Füßen getreten wurden. So berichtet die taz von einem Kongressteilnehmer, der eine Anzeige erhielt, weil er ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Free Palestine“ und einer stilisierten Faust in den palästinensischen Farben trug. Das T-Shirt musste er ausziehen und der Polizei als Beweisstück überlassen. Mehrere Teilnehmer und Journalisten berichteten, dass sie auf dem Nachhauseweg von der Polizei verfolgt, beobachtet, überprüft und durchsucht wurden.

Es sind Methoden, wie man sie von diktatorischen Regimen kennt. Sie richten sich gegen jeden, der die deutsche Kriegspolitik ablehnt. Das zeigt auch, welch große Angst die herrschende Klasse vor der Opposition gegen ihre Kriegspolitik hat. Die Arbeiterklasse muss mobilisiert werden, um den Völkermord, die Kriegspolitik und die Angriffe auf demokratische Rechte zu stoppen.

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