Erneut Ausnahmen von der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Ukraine

Im Zuge der Vorbereitungen auf eine neue Massenmobilisierung hat die ukrainische Regierung laut der Online-Zeitung Kyiv Independent vor kurzem die bisher schon existierenden Ausnahmen von der Europäischen Menschenrechtskonvention aktualisiert.

Als Mitglied des Europarats ist die Ukraine theoretisch dazu verpflichtet, die Artikel der Menschenrechtskonvention einzuhalten. Allerdings hat sie von ihren imperialistischen Unterstützern in der EU grünes Licht erhalten, aufgrund des Kriegs bestimmte Artikel auszusetzen. Ihr jüngstes Gesuch hat die Ukraine am 4. April eingereicht, allerdings wurde es erst Ende April veröffentlicht.

Der ukrainische Präsident Selenskyj mit seinem Generalstab am 10. Februar 2024 [Photo: Ukraine Presidential Office]

Medienberichten zufolge betreffen die Ausnahmen Menschenrechtsartikel zur „Beschränkung der politischen Aktivitäten von Ausländern“, der „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ und das „Recht auf wirksame Rechtsmittel“ sowie mehrere Artikel, die das Militär betreffen.

Einige der jüngsten Bestimmungen der Menschenrechtskonvention, um deren Aussetzung die Ukraine ersucht, betreffen die Befugnisse des Militärs, mit diktatorischen Vollmachten vorzugehen, um einen Teil der Hunderttausenden von getöteten ukrainischen Soldaten zu ersetzen.

Der Kyiv Independent schrieb: „Diese Maßnahmen umfassen neben anderen Beschränkungen die Beschlagnahme von Eigentum für den Bedarf des Staats, die Einhaltung der Ausgangssperre, das Verbot von friedlichen Massenveranstaltungen und das Verbot von Wohnsitzwechseln für Personen, die beim Militär oder in einem Sonderregister eingetragen sind.

Die Militärführung ist außerdem befugt, Eigentum, Fahrzeuge, Gepäck, Ladung, Büroräume und Wohnungen von Bürgern gemäß festgelegter Verfahren zu durchsuchen und die Sonderregelung für Bürger, Ausländer und Staatenlose sowie für die Bewegung von Fahrzeugen umzusetzen.“

Die Vertreter des westlichen Imperialismus verteidigten diese Maßnahmen erwartungsgemäß. Der EU-Sprecher Peter Stano erklärte auf die Fragen von Journalisten zu den Abweichungen der Ukraine von den Menschenrechtskonventionen im Wesentlichen, für die EU seien diese kein Thema.

Stano erklärte: „Wenn wir ein Problem oder ein potenzielles Problem mit unseren ukrainischen Partnern haben, besprechen wir das.

Wir gehen nicht davon aus, dass die ukrainischen Partner in böser Absicht handeln. Wir haben volles Verständnis für die schwierigen Umstände, in denen sie sich befinden. Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass sie Maßnahmen ergreifen werden, um ihre internationalen Verpflichtungen, Werte und Prinzipien zu verletzen, die für die EU und die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU sehr wichtig sind.“

Die offizielle Nato-Propaganda rechtfertigt diesen Krieg als Kampf zur Verteidigung der „Demokratie“ gegen die „Diktatur“ von Putins Russland. Gleichzeitig jedoch gewährt die EU der Ukraine Ausnahmen bei grundlegenden Menschenrechten und demokratischen Rechten, was erneut beweist, dass die Ukraine faktisch ein Polizeistaat ist, dessen Regierung abweichende Meinungen mit diktatorischen Maßnahmen unterdrückt.

In dem Land mit 40 Millionen Einwohnern wurde nach dem von der Nato provozierten Überfall durch Russland am 24. Februar 2022 das Kriegsrecht verhängt. Seither hat das ukrainische Parlament die Maßnahme auf Antrag von Präsident Wolodymyr Selenskyj mehrmals verlängert. Derzeit dürfen Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht verlassen, da sie zum Wehrdienst gezwungen werden könnten. Letzte Woche kündigte das ukrainische Außenministerium an, alle konsularischen Dienste für Männer im wehrfähigen Alter auszusetzen, um Hunderttausende von Männern, die vor dem Krieg fliehen, zurück ins Land zu holen.

Den offenen Krieg und das Kriegsrecht gibt es seit zwei Jahren, doch die Ausnahmen von der Europäischen Menschenrechtskonvention wurden der Ukraine bereits im Jahr 2015 gewährt. Das geschah nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Wiktor Janukowitsch durch einen rechtsextremen Putsch im Frühjahr 2014 und dem Ausbruch eines Bürgerkriegs in der ostukrainischen Region Donbass.

Hintergrund der neuesten Aktualisierung der Ausnahmeregelungen ist die Vorbereitung des Landes auf eine neue Mobilisierungswelle, nachdem ein von der Allgemeinheit abgelehntes Mobilisierungsgesetz verabschiedet wurde, durch das Hunderttausende neue Soldaten in die stark unterbesetzten ukrainischen Streitkräfte eingezogen werden sollen. Zudem herrscht nach der kürzlichen Verabschiedung eines 61 Milliarden Dollar schweren Militärhilfepakets durch die USA die dringende Notwendigkeit, mehr Soldaten zu rekrutieren, damit der erwartete Zustrom von Waffen auch zum Einsatz kommen kann.

Selenskyj hatte die diesjährige Mobilisierungskampagne erstmals letzten Dezember in seiner Rede zum Jahreswechsel vorgeschlagen. Er hatte erklärt, die ukrainischen Streitkräfte wollten für 13,3 Milliarden Dollar 500.000 neue Soldaten mobilisieren. Nach massivem Widerstand wurde ein erstes Mobilisierungsgesetz zurückgezogen, dann im Februar erneut vorgelegt und schließlich als Gesetz verabschiedet.

Nach dem neuen Gesetz müssen alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren innerhalb von 60 Tagen ihre persönlichen Daten bei den für die Einberufung zuständigen Behörden aktualisieren. Dies gilt auch für die im Ausland lebenden ukrainischen Staatsbürger, deren Zahl angesichts der Kriegsflüchtlinge inzwischen in die Millionen geht. Wie Maxim Goldarb der WSWS berichtete:

Personen, die die Vorgaben des neuen Gesetzes nicht erfüllen, können das Recht verlieren, ein Auto zu fahren, sie können von der Polizei verhaftet und zum TCR [territoriales Rekrutierungszentrum] gebracht sowie mit Geldstrafen belegt werden. Gleichzeitig setzt das Einlegen eines Rechtsbehelfs eines Bürger gegen eine gerichtliche Entscheidung über seine Bestrafung das Urteil nicht aus! Das ist eine offensichtliche juristische Absurdität, die zur Folge hat, dass Menschenschicksale durch oft rechtswidrige und nicht durchsetzbare juristische Entscheidungen vernichtet werden. Dieses Gesetz hat praktisch das Recht auf einen fairen Prozess und das Recht auf Berufung abgeschafft!

Ohne einen Militärausweis können Rekruten zudem keinen Pass für Auslandsreisen erhalten. Dies gilt auch für junge Männer, die 18 Jahre oder älter sind und die Ukraine vor Erreichen der Volljährigkeit verlassen konnten. Das bedeutet, um im Ausland ukrainische Dokumente zu bekommen, müssen sie in die Ukraine zurückkehren, um ein Dokument zur militärischen Registrierung zu erhalten. Doch da sie die Ukraine danach nicht mehr verlassen können, ergibt das keinen Sinn. Zudem legt das neue Gesetz fest, dass nicht nur Reisepässe, sondern auch alle konsularischen Dienste im Ausland für Männer zwischen 18 und 60 Jahren nur noch gegen Vorlage eines Militärausweises gewährt werden. Damit können Zehntausende von Ukrainern, die keinen Militärausweis besitzen, nur konsularische Dienste in Anspruch nehmen, wenn sie in die Ukraine zurückkehren.

Aus der endgültigen Fassung des Gesetzes wurde auf Ersuchen des neuen Oberbefehlshabers der Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj, in letzter Minute die Vorgabe gestrichen, Männer nach drei Jahren Dienst zu demobilisieren. Das bedeutet, dass auch Männer, die bereits seit zwei Jahren an der Front kämpfen, auf unbestimmte Zeit im Wehrdienst bleiben. Seit letztem Herbst haben die Frauen und Familien von Soldaten, die in vielen Fällen seit mehr als zwei Jahren an der Front kämpfen, in den großen ukrainischen Städten für die Rückkehr ihrer Männer, Väter, Söhne und Brüder demonstriert.

Angesichts dieser wachsenden Antikriegsstimmung und einer schweren militärischen Krise geht die ukrainische herrschende Klasse dazu über, auch die letzten Reste demokratischer Rechte in der Ukraine abzuschaffen. Alle Männer und Jugendlichen sollen in den Fleischwolf des Kriegs gezwungen werden, während jede Äußerung von Antikriegs- oder sozialistischen Ansichten brutal unterdrückt werden soll. Diese Dynamik zeigte sich vor kurzem am deutlichsten bei der Verhaftung des sozialistischen Kriegsgegners Bogdan Syrotjuk.

Die neuerlichen Ausnahmen der Ukraine von der Europäischen Menschenrechtskonvention mit voller Zustimmung der EU unterstreichen zwei grundlegende Dinge, die die World Socialist Web Site in ihrem Aufruf zur Freilassung von Bogdan Syrotiuk angesprochen hat: Erstens, dass sein Leben in Gefahr ist, angesichts der schrecklichen Bedingungen in den ukrainischen Gefängnissen und fehlender grundlegender Menschenrechte und demokratischer Rechte. Und zweitens, dass „die Biden-Regierung und ihre Amtskollegen in London, Paris, Berlin, Rom und anderen Hauptstädten, die sich am Stellvertreterkrieg beteiligen, für das Schicksal von Bogdan Syrotjuk genauso verantwortlich sind wie ihre Handlanger in Kiew.“ Die imperialistischen Mächte finanzieren und eskalieren nicht nur den Krieg, sondern billigen und überwachen de facto auch die Umsetzung immer offenerer diktatorischer Maßnahmen durch Kiew, um sein Fortbestehen zu erzwingen.

Dies verleiht der Kampagne für die Freilassung von Bogdan Syrotjuk höchste Dringlichkeit. Alle Leserinnen und Leser der WSWS, die die Petition noch nicht unterschrieben haben, sollten dies noch heute tun.

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