Ukraine: Proteste fordern die Rückkehr der Soldaten von der Front

Protest von Freunden und Familien ukrainischer Soldaten gegen deren zwangsweise Einberufung und ihre Behandlung durch das ukrainische Militär

In der ukrainischen Bevölkerung wachsen die Müdigkeit und der Widerstand gegen den Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland. Am Freitag versammelten sich überall in der Ukraine Demonstrierende, um die Rückkehr von Freunden und Familienmitgliedern von der Front zu fordern. Einige der Soldaten sind seit Beginn des blutigen, von der Nato provozierten Kriegs am 24. Februar 2022 ununterbrochen im Einsatz.

Bei den Protesten in der Hauptstadt Kiew, aber auch in kleineren Städten im gesamten Land wie Ternopil, Odessa, Dnipro und anderen, äußerte sich die weit verbreitete Frustration in der Ukraine über die unaufhörliche Mobilmachung.

In Kiew hatten Familienmitglieder und Freunde von Frontsoldaten ein Dokument vorbereitet, in dem sie Präsident Wolodymyr Selenskyj und General Walerij Saluschnnyj auffordern, ihnen genau mitzuteilen, wie lange Soldaten an der Front bleiben müssten. Die Demonstranten versammelten sich auf dem Unabhängigkeitsplatz und zogen zum Büro von Präsident Selenskyj, um dort ihre Forderungen vorzulegen, die u.a. eine gesetzliche Begrenzung der Militärzeit auf 18 Monate enthalten.

Laut dem Aufruf dienten in der Ukraine trotz der zu Beginn des Kriegs ausgerufenen „Generalmobilmachung einige Soldaten, ohne dass ihnen die Bedingungen ihrer Entlassung bekannt sind, während andere überhaupt nicht dienen“.

Weiter heißt es: „Die Ungewissheit hinsichtlich der Bedingungen des Militärdienstes führt zur Verschlechterung der Moral und des psychologischen Zustands der Soldaten, zu sozialen Spannungen zwischen Militär und Zivilisten und zur Demoralisierung der Militärangehörigen.“

Die Teilnehmerin Anastasija Tschuwakina erklärte: „Unsere Angehörigen sind seit dem 24. Februar [2022] an der Front. Viele von ihnen waren seither nicht mehr zu Hause. Ihre Familien wachen auf und gehen schlafen mit einem einzigen Gedanken, dass sie den Satz hören wollen: ,Ich bin am Leben, ich komme nach Hause.‘ Wir haben einen kollektiven Aufruf geschrieben, in dem wir darum bitten, uns die Bedingungen für den Wehrdienst und die Demobilisierung mitzuteilen, die im Einklang mit dem Gesetz und der Verfassung der Ukraine stehen müssen.“

Die Demonstranten betonten, dass sie ihre Proteste in Kiew und im gesamten Land fortsetzen werden, bis die Regierung und das Militär die Bedingungen für den Militärdienst öffentlich bekanntgeben.

Die Frau eines Soldaten erklärte: „Wir werden versuchen, die Bedingungen der Demobilisierung zu klären. Sei es für anderthalb Jahre oder etwas länger, aber sie müssen die Bedingungen kennen. Sie müssen wissen, dass das Land, für das sie ihr Leben geben, hinter ihnen steht.“

Im Juli hatte das ukrainische Parlament beschlossen, das Kriegsrecht und die Mobilmachung um weitere 90 Tage bis November zu verlängern. Es war die achte Verlängerung seit Beginn des Kriegs. Viele Berichte aus der Ukraine schildern die kriminellen Methoden, mit denen Männer in die Armee zwangsrekrutiert werden, nachdem man sie auf der Straße und in Einkaufszentren regelrecht entführt hat.

Das Parlament wurde zwar aufgefordert, ein Gesetz zu verabschieden, das die Einsätze an der Front auf 18 Monate beschränkt, doch Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ verfügt über eine absolute Mehrheit im Parlament und wird ohne die Unterstützung des Präsidenten wohl kaum ein Gesetz einbringen, das die Kriegsanstrengungen beeinträchtigen könnte. Das Büro von Präsident Selenskyj hat sich noch nicht öffentlich dazu geäußert, wie lange Soldaten nach Ansicht der Regierung an der Front dienen sollen.

Selenskyjs viel gerühmte viermonatige „Gegenoffensive“ ist faktisch beendet. Während des Sommers wurden laut Berichten Zehntausende von ukrainischen Soldaten in einem Sperrfeuer sinnloser Angriffe auf russische Verteidigungsstellungen getötet. Laut der New York Times hat die Ukraine sogar insgesamt mehr an Boden verloren als gewonnen.

In einem Großteil der Ostukraine befinden sich die ukrainischen Truppen nun in der Defensive und versuchen, Städte wie Awdijiwka zu halten. Laut der Washington Post hat diese Stadt, die nur etwas mehr als 60 Kilometer von der Großstadt Donezk entfernt liegt, „wohl größeren strategischen Wert als Bachmut“. Bachmut, das umgangssprachlich als der „Fleischwolf“ bekannt ist, wurde im Mai nach monatelangen Kämpfen mit zehntausenden Toten auf beiden Seiten von Russland eingenommen.

Laut Zahlen der russischen Regierung hat die Ukraine in nur vier Monaten ihrer Gegenoffensive 90.000 Soldaten verloren.

Im August schätzte die USA, der wichtigste Unterstützer der Ukraine, die Gesamtzahl der ukrainischen Toten auf 70.000 und die der Verwundeten auf 100.000 bis 120.000. Laut Schätzungen des ehemaligen Colonel Douglas MacGregor von der US Army sind sogar bis zu 400.000 ukrainische Soldaten im Kampf gefallen. Doch unabhängig von der tatsächlichen Zahl ist klar, dass die ukrainischen Streitkräfte nach Selenskyjs gescheiterter Gegenoffensive dringend Soldaten brauchen, um den Krieg fortzusetzen. Vor dem Krieg lebten in der Ukraine weniger als 30 Millionen Menschen, und diese Zahl ist seither deutlich geschrumpft. Seit Beginn des Kriegs haben mindestens sechs Millionen Menschen das Land verlassen.

Angesichts des anhaltenden Gemetzels an der Front fliehen ukrainische Männer weiterhin illegal aus dem Land. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit rasant an, und die Wirtschaft der Ukraine, schon vor dem Krieg das ärmste Land Europas, wird weiter verwüstet.

Der Business Insider veröffentlichte vor kurzem einen Artikel, der das Dilemma verdeutlicht, vor dem viele Ukrainer aus der Arbeiterklasse stehen. Er erwähnte die Geschichte des Kriegsveteranen Bohdan, der seine Identität verheimlichen musste, weil er fürchtete, von den faschistischen Sicherheitskräften des Landes identifiziert zu werden. Er erzählte von dem Grauen an der Front, und dass er seinen 21-jährigen Sohn Artem jetzt dabei unterstütze, noch vor seiner Einberufung aus dem Land zu fliehen.

Bohdan erklärte, nicht nur drohe an der Front der Tod. „Im Krieg gibt es für junge Männer auch nicht viel Arbeit oder qualitativ hochwertige Ausbildung. Einige von ihnen würden das Land gerne verlassen, können das aber nicht tun.“

Die ukrainische Nachrichtenagentur Slowo y Delo berichtete vor kurzem, dass die Ukraine infolge des Kriegs zu den zehn Ländern mit der weltweit höchsten Arbeitslosenquote gehört.

Laut Daten der ukrainischen Nationalbank lag die Arbeitslosenquote des Landes im Jahr 2022 bei 21,1 Prozent, was sogar besser war als die zuvor prognostizierten 26 Prozent. Zu den anderen Ländern in der Top-10-Liste gehören die Demokratische Republik Kongo, Angola, Botsuana und Palästina.

Die Selenskyj-Regierung plant derweil eine weitere Ausweitung des Konflikts durch den Einsatz der neu eingetroffenen ATACMS-Raketen aus den USA, die mehr als 160 Kilometer Reichweite haben und Streumunition tragen können.

Letzte Woche warnte Selenskyj in einer Online-Ansprache beim parlamentarischen Gipfel der Krim-Plattform, sein Land werde die Angriffe auf die Krim und innerhalb Russlands verstärken. Das bedeutet eine weitere Eskalation des fast zwei Jahre andauernden Kriegs. Selenskyj erklärte: „Wir haben noch nicht die volle Feuerkontrolle über die Krim und die umliegenden Gewässer, aber wir werden sie bekommen. Das ist nur eine Frage der Zeit.“

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