Über 120.000 Menschen haben am Samstag in London erneut gegen den Völkermord in Gaza demonstriert.
Reporter der World Socialist Web Site sprachen mit dem ungarischen Holocaust-Überlebenden Stephen Kapos, der mit mehreren Familienangehörigen an der Demonstration teilnahm.
„Ich bin aus mehreren Gründen hier. Erstens, um meine Solidarität mit den Menschen in Palästina und insbesondere in Gaza zu bekunden, die so sehr leiden. Zweitens, um gegen den anhaltenden Völkermord zu protestieren, der im einundzwanzigsten Jahrhundert ein Ding der Unmöglichkeit sein sollte.
Ich bin auch gegen die fortgesetzte Lieferung von Rüstungsgütern durch die jetzige Labour-Regierung. Die angekündigte geringfügige Reduktion um acht Prozent ist keine Antwort auf das Problem: Wenn wir weiterhin Waffen in jeglichem Umfang liefern, unterstützen wir den Völkermord – ebenso wie durch die Nutzung des Luftwaffenstützpunkts auf Zypern.
Auch um zu zeigen, dass Juden die Taten der israelischen Führung nicht unterstützen; wir protestieren dagegen. Es gibt viele linke und linksorientierte Juden, die gegen den Völkermord und die Politik Israels protestieren.
Schließlich protestiere ich als Holocaust-Überlebender dagegen, dass die Erinnerung an den Holocaust als Deckmantel für den laufenden Völkermord benutzt wird, der eine Art Holocaust der Neuzeit ist. Wir sagen: ‚Nicht in unserem Namen‘.“
Es sei, so Stephen, „völlig empörend“, dass die Netanjahu-Regierung und auch „die rechte jüdische Führung in diesem Land“ vorgäben, „im Namen aller Juden zu sprechen. Sie sind weder demokratisch noch repräsentieren sie wahrheitsgemäß, was Juden fühlen.
Das Board of Deputies ist im Grunde eine rechte Tory-freundliche Organisation, die vorgibt, für eine Art homogene, einheitliche jüdische Gemeinschaft zu sprechen, die es nicht gibt.“
Auf die Frage nach seiner Haltung zum Zionismus antwortete Stephen: „Ich zitiere gewöhnlich meinen verstorbenen Cousin; er war Metallurge, Jude und ein sehr intelligenter Mann. Er sagte: ‚Wenn es ein Volk gibt, das überall auf der Welt oft missbraucht wird, ist das Letzte, was man tun möchte, es zu sammeln und an einem Ort als Zielscheibe zu platzieren.‘ Ich habe also das zionistische Projekt nie unterstützt, und die meisten Menschen, die ich kenne, haben dies auch nicht.
Das zionistische Projekt war von Anfang an völlig fehlerbehaftet, denn es war kein leerer Ort, den sie besetzten; sie kamen in die Heimat einer anderen Nation, eines anderen Volkes, und das war ein grundlegend unlösbares Problem, mit dem sie begannen. Ich stimme leider zu, dass das zionistische Projekt von Anfang an ein rassistisches Projekt war, ein koloniales Siedlerprojekt, das im einundzwanzigsten Jahrhundert keinen Platz hat. Nicht einmal im zwanzigsten Jahrhundert, geschweige denn im einundzwanzigsten Jahrhundert.“
Zu seinen persönlichen Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Stalinismus erklärte er: „Ich habe als Kind den Holocaust überlebt. Ich war sieben Jahre alt, als er meine Heimatstadt Budapest ergriff. Ich musste einen gelben Stern tragen, ich musste mich mit falschen Papieren verstecken, um die Zeit zu überleben, in der die faschistische Jugend – die Partei der so genannten Pfeilkreuzler und ihre Milizen – die Macht übernahm und auf Menschenjagd ging.
Das ging einige Monate lang so, bis im Januar/Februar 1945 die sowjetischen Truppen Budapest befreiten. Das waren ein paar Jahre echter Demokratie, dann gab es eine kommunistische Machtübernahme und die ganze Frage des Antisemitismus und der Geschichte des Holocaust wurde unter den Teppich gekehrt, nicht konfrontiert, nicht diskutiert und nicht gelehrt.“
Stephen beschrieb auch seine Erfahrungen mit dem ungarischen Aufstand von 1956 und stellte fest, dass „der Westen mitschuldig war an dem, was geschah“, als eine sowjetische „Truppe unter Führung des sowjetischen Marschalls Konew, der die Deutschen in der Kursk zerschlug“, den Arbeiteraufstand niederschlug. Kurz darauf ging Stephen „illegal nach Österreich über“.
Sein Sohn Peter betonte den „imperialistischen Charakter“ des andauernden Krieges und Völkermordes und wies darauf hin, dass Einfluss in der Region das „Motiv hinter der fortgesetzten Unterstützung Europas und Amerikas“ sei und „derzeit einen Völkermord ermöglicht“.
Er fügte hinzu: „Protest ist das Einzige, was ihn stoppen kann. Denn die Politik ist inzwischen völlig bankrott, völlig unfruchtbar, eigentlich faschistisch.“
Sahr Fasuluku, der im Bereich der internationalen Entwicklung arbeitet, sagte, er sei nicht überrascht über die Taten der konservativen und der Labour-Regierung, die Israels Völkermord unterstützen. „Beide Parteien, die beiden großen Parteien, sind dafür da. Sie sind nicht dazu da, uns zu dienen. Ich denke, die Rolle kommt den Menschen zu; es ist ihre Aufgabe, so etwas nicht zuzulassen.“
Er beschrieb die Rolle der Konzernmedien bei der „Reinhaltung der Öffentlichkeit“ und fügte hinzu: „Im Zeitalter des Internets gibt es meiner Meinung nach keine Ausrede mehr: Man kann sich seine Informationen selbst beschaffen. Junge Leute tun es, ältere Leute tun es. Die Informationen sind da, trotz aller Zensur“.
Die Demonstrationen des letzten Jahres waren „ein großer Schritt. Zunächst einmal geht es darum, den Lärm aufrechtzuerhalten, ihn laut zu machen, ihn in den Gesprächen der Menschen zu halten. Es geht darum, das Thema lebendig zu halten, aber auch zu verhindern, dass es zu einer Tatsache im Hintergrund wird, die man einfach akzeptiert.
Meine Sorge ist, was passiert, wenn diese Leute dort drüben [die israelische Regierung] aufhören, so blutrünstig zu sein, und wieder anfangen, ‚anständig‘ zu sein, die Geige zu spielen und sich aufzupolieren und besser auszusehen – die Leute werden weniger empört sein. Aber [die israelischen Führer] sind nur Symptome; sie tun nur etwas, was sie schon immer tun wollten.“
Zum weiteren Weg für Palästina sagte Sahr: „Ein Staat, keine Apartheid. Eine ähnliche Situation wie in Südafrika. Und wir müssen normale Israelis, die sich vielleicht nicht als Zionisten sehen, davon überzeugen, dass sie tatsächlich mit dem palästinensischen Volk existieren und zusammenleben können, ohne es zu dominieren. Aber es sollte egalitärer sein als das, was in Südafrika passiert, denn die Umverteilung von Reichtum und Macht hat nicht so stattgefunden, wie es hätte sein sollen. In gewisser Weise wird sie [die Apartheid] also fortgesetzt.“
Auf die Frage nach der Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde und der arabischen Regierungen antwortete er: „Was kann ich über die Palästinensische Autonomiebehörde sagen? Das ist meine Aussage.
Ihre Rolle [jene der Regierungen der umliegenden arabischen Staaten] sollte Solidarität sein, die ganze Region sollte solidarisch sein. Aber das steht im Widerspruch zu dem, was sie sich selbst auf die Fahnen geschrieben haben. Sie kollaborieren mit Amerika, mit den westlichen Machtblöcken, und das wird so weitergehen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Ihre Rolle soll Solidarität sein, aber ich glaube nicht, dass es ihnen darum geht. Sie verlangen von der Führung, Dinge zu tun, die ihren Interessen zuwiderlaufen. Ich habe oft gesagt, dass die Führer verschiedener Länder mehr miteinander gemeinsam haben als mit ihrem Volk. Und das scheint der Fall zu sein.“
Angela aus Harlow, Greater London, wurde von der Überschrift auf dem Flugblatt der Socialist Equality Party angezogen: „Proteste und Generalstreik in Israel zeigen die Notwendigkeit, mit dem Zionismus zu brechen.“
Sie sagte unserem Reporter: „Beide Seiten, Labour und Tories – oder ob es Amerika ist, Demokraten oder Republikaner – sie unterstützen beide den Zionismus, also gibt es im Grunde keine Demokratie. Wir können all diese Proteste haben und die Botschaft verbreiten, aber in Bezug auf das politische System ist es ein echter Kampf, eine Partei zu haben, die die Menschen wirklich vertritt.“ Sie fügte hinzu, es sei „das erste Jahr, in dem ich nicht Labour gewählt habe“.
Auf die Frage „Wo ist das Gesetz?“, antwortete sie: „Es ist im Wesentlichen dazu da, Kriminelle zu schützen.
Die Medien machen sich mitschuldig an der Unterstützung von Völkermord, weil sie dies nicht aufdecken, was Teil der BBC-Charta ist, die Neutralität vorschreibt. Dennoch sind sie zusammen mit den IDF im Al-Shifa-Krankenhaus aufgetaucht, weil sie ‚verlässliche‘ Quellen sind und nicht die Menschen vor Ort in Palästina.“
Angela fuhr fort: „Unsere Wirtschaft ist auf Tod aufgebaut, und die Palästinenser sind das offensichtlichste und anschaulichste Beispiel dafür. Ich war mir immer bewusst, dass, wenn wir Palästina nicht heilen, Palästina der Weg der Welt sein wird, weil unsere Regierungen uns nur als Kollateralschaden betrachten, als Menschen, die manipuliert werden können.
„Es muss eine Antikriegsbewegung geben, weil der Krieg eskaliert. Auf beiden Seiten, in Europa und im Nahen Osten, wird er eskaliert. Wir müssen uns zusammentun, und nur wenn wir uns zusammentun, können wir es mit Leuten aufnehmen, die im Vergleich zu uns wirklich wenige sind.“
Kurz nachdem sie mit der WSWS gesprochen hatte, wurde Angela von der Polizei verhaftet, wobei der einzig mögliche Vorwand ihr Plakat war. In einer Erklärung der Metropolitan Police nach der Demonstration hieß es, dass sechs Personen verhaftet worden seien, unter anderem wegen „rassistisch motivierter Verstöße gegen die öffentliche Ordnung im Zusammenhang mit Schildern und einer Geste“.
Die WSWS hat über viele ähnliche eklatante Verstöße gegen die Redefreiheit bei früheren Protesten berichtet.
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