Vier Wochen vor der Bundestagswahl kennen die etablierten Parteien nur noch ein Thema: Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten. Die Spitzenkandidaten überbieten sich gegenseitig mit Forderungen nach Abschiebungen und Abschottung der Grenzen.
Der Angriff eines 28-jährigen Flüchtlings aus Afghanistan auf eine Kindergartengruppe in Aschaffenburg, bei dem ein zweijähriges Kind und ein 41-jähriger Mann getötet und drei weitere Personen verletzt wurden, bot ihnen dazu einen gelegenen Anlass.
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer „Terror-Tat“ und erklärte: „Ich bin es satt, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen.“ Er schob die Verantwortung der CDU und der CSU zu, die das repressive Sicherheitspaket seiner Regierung im Bundesrat aus parteipolitischen Gründen blockiert hätten.
Der Spitzenkandidat der CDU, Friedrich Merz, verkündete: „Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen.“ Faktisch käme dies einem Einreiseverbot für alle ohne gültige Einreisedokumente gleich und wäre ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz und geltendes EU-Recht.
Der bayrische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder forderte eine „Null Toleranz“-Politik. Solche Taten seien kein Zufall mehr. „Wer es nicht kapiert, der kapituliert.“
Der grüne Agrar- und Bildungsminister Cem Özdemir erklärte im Spiegel, die Migrationsfrage sei der entscheidende Hebel für die Mobilisierung von Wählern. „Wir Grünen setzen auf Humanität und Ordnung, das ist richtig. Aber das allein reicht nicht. Wir müssen die Wörter Begrenzung und Machbarkeit hinzufügen.“
Die AfD kann sich vor Freude darüber kaum halten, dass ihre Migrationshetze von den anderen Parteien kopiert wird. Die rechtsextreme Partei spürt Rückenwind. AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel wandte sich in einem offenen Brief an CDU-Chef Friedrich Merz. Sie bezeichnete es als „gutes Zeichen, dass Sie sich offenkundig dringend gebotene Lösungsvorschläge meiner Fraktion zur Herbeiführung eines migrationspolitischen Kurswechsels zu eigen gemacht haben“. Weidel forderte Merz auf, noch vor der Wahl gemeinsam mit der AfD die „überfälligen Migrationswende“ im Bundestag einzuleiten.
Sahra Wagenknecht durfte da nicht fehlen. Sie machte das „Versagen des Kanzlers und seiner Innenministerin“ für den Anschlag in Aschaffenburg verantwortlich und bezeichnete es als „asylpolitischen Skandal“, dass die Regierung nicht mehr Flüchtlinge abschiebe. „Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, sollte in Deutschland keinen Anspruch auf Leistungen haben,“ forderte sie.
Die Ermordung eines Kleinkinds ist eine furchtbare Tat, die emotional berührt. Doch niemand sollte sich davon politisch beirren lassen.
Der Täter war offensichtlich psychisch krank und benötigte dringend eine entsprechende Behandlung. Enamullah O. war im November 2022 aus Afghanistan über die Balkan-Route nach Deutschland gekommen und hatte Asyl beantragt. Nach den Dublin-Regeln sollte er umgehend nach Bulgarien abgeschoben werden, was aus bisher nicht bekannten Gründen scheiterte. Seither wurde er drei Mal in psychiatrische Kliniken eingewiesen, aber immer wieder entlassen.
Um einer Abschiebung zuvorzukommen, erklärte sich O. schließlich zur freiwilligen Ausreise bereit. Am 11. Dezember 2024 forderte ihn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge deshalb auf, das Land zu verlassen. Sechs Wochen später beging er den tödlichen Anschlag. Hätte er die dringend benötigte psychische Betreuung erhalten, wäre es vermutlich nicht dazu gekommen.
Doch ein solche humanitäre Überlegung wird von den etablierten Parteien und Medien noch nicht einmal erwogen. Sie kennen auf das wachsende Flüchtlingselend nur eine Antwort: Abschotten, Ausweisen und Unterdrücken.
Dabei teilt O. das Schicksal von Hunderttausenden Flüchtlingen, die schwer traumatisiert aus Kriegsgebieten fliehen, dringend Unterstützung brauchen und stattdessen durch eine unmenschliche Asylpolitik noch mehr unter Druck gesetzt werden – die aber deshalb weder gewalttätig noch kriminell werden.
Der unmenschliche Umgang mit Flüchtlingen ist Ausdruck einer tiefkranken Gesellschaft. Milliarden wurden und werden ausgegeben, um ganze Länder – Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Gaza, Ukraine – in Schutt und Asche zu bomben. Doch die Opfer, denen unter Lebensgefahr die Flucht aus diesem Inferno gelingt, werden behandelt wie Ungeziefer. Donald Trump bezeichnet sie als Kriminelle, Psychopathen und Invasoren, die Nazis sprachen von „unwertem Leben“.
Hinzu kommt, dass Misshandlung und Tod von Kindern in Deutschland zum Alltag gehören. Nur wird darüber kaum berichtet, wenn es sich bei den Verantwortlichen nicht um Migranten oder Flüchtlinge handelt.
So kamen 2020 laut Polizeilicher Kriminalstatistik in Deutschland 152 Kinder gewaltsam zu Tode, bei 134 weiteren Kindern kam es zu einer versuchten Tötung. Im selben Jahr wurden fast 5000 Fälle körperlicher Misshandlung und 14.500 Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder zur Anzeige gebracht.
Zwischen der Misshandlung von Kindern und der ständigen Kürzung der Ausgaben für Kitas, Schulen und soziale Dienste sowie dem Anwachsen von Armut besteht ein enger Zusammenhang. Doch anstatt dieser Entwicklung durch höhere Steuern für die Reichen und die Enteignung der Milliardäre entgegenzutreten, werden Flüchtlinge zum Sündenbock für die soziale Krise gemacht und als Blitzableiter für soziale Spannungen benutzt.
Der revolutionäre Marxist Leo Trotzki charakterisierte die Agitation der Nazis 1933 mit den Worten: „Was wäre zu tun, damit alles besser werde? Vor allem die niederdrücken, die unten sind.“ Das hat sich seither nicht geändert.
Mit der Hetze gegen Flüchtlinge, die jetzt im Mittelpunkt ihres Wahlkampfs steht, verfolgen die etablierten Parteien zwei Ziele: Die Spaltung der Arbeiterklasse und den Aufbau eines Polizeistaats. Die massive Aufrüstung von Polizei, Geheimdiensten und Grenztruppen, die heute im Namen der Abwehr von Flüchtlingen betrieben wird, richtet sich morgen gegen protestierende und streikende Arbeiter und Jugendliche.
Seit Donald Trump in den USA ins Weiße Haus zurückgekehrt ist, verschwinden alle Hemmungen. Trump selbst vergeudet keine Zeit. Er hat Razzien gegen Millionen Migranten, den Bau von Internierungslagern und die Entsendung tausender Soldaten an die Grenze zu Mexiko angeordnet. Es sind die ersten Schritte zum Aufbau eines Polizeistaats und zur Errichtung einer Militärdiktatur. Von der offiziellen Opposition, den Demokraten, gibt es dagegen keinen Widerstand. Sie arbeiten mit Trump zusammen.
Die deutschen Parteien eifern Trump nach. Sie schimpfen zwar über seine Drohung mit Strafzöllen und fürchten, er werde die EU spalten und den Ukrainekrieg auf ihre Kosten beenden. Doch Kritik an seiner faschistischen Politik und seinem brutalen Vorgehen gegen Flüchtlinge sind weitgehend aus dem offiziellen Diskurs verschwunden. Hier trifft Trump mit seinen faschistischen Tiraden und seiner gangsterhaften Politik auf offene Bewunderung.
Exemplarisch zeigte sich das in Davos beim jährlichen Treffen der Mächtigen und Reichen, dem Weltwirtschaftsforum. Als Trump per Video eine bizarre Rede hielt, die schamloses Eigenlob mit Drohungen und Angeboten im Mafiastil verband, krochen einige der mächtigsten Konzernlenker buchstäblich vor ihm im Staub und lobten ihn in den Himmel.
Trump verkörpert die Herrschaft der Oligarchen. Er zeigt, dass Demokratie und unbegrenzter Reichtum Weniger unvereinbar sind. Die etablierten Parteien in Deutschland gehen denselben Weg.
Ein Rückfall in Faschismus und Krieg kann nur die Arbeiterklasse verhindern, indem sie ins politische Geschehen eingreift, ihre sozialen und demokratischen Rechte verteidigt und Banken, Großkonzerne und Oligarchen enteignet. Die Verteidigung der Rechte von Flüchtlingen und Migranten ist ein untrennbarer Bestandteil dieses Kampfs.