Hunderttausende demonstrieren in ganz Deutschland gegen Rechtsruck und AfD

Die Entscheidung im Bundestag, die AfD als Mehrheitsbeschafferin zuzulassen, hat ein politisches Erdbeben ausgelöst. Zu hunderttausenden strömen seither die Menschen auf die Straße, um gegen die Rückkehr des Faschismus zu protestieren.

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Am 29. Januar hatten die CDU/CSU- und FDP-Fraktionen im Bundestag gemeinsame Sache mit der AfD gemacht, um die Abschottungs- und Abschiebepolitik weiter zu verschärfen. Damit hatten sie deutlich gemacht, dass die „Brandmauer“ gegen die rechtsextreme Partei mit ihrem faschistischen Flügel eine Illusion ist.

Demonstration gegen die Rückkehr des Faschismus, Berlin 2. Februar 2025

Schon am Mittwochabend, Donnerstag und Freitag zogen tausende Menschen vor die CDU/CSU-Parteizentralen, um gegen die Rückkehr des Faschismus zu protestierten. „Wer schweigt, stimmt zu“, stand auf Plakaten, oder: „In unserem Geschichtsbuch ist kein Platz für Wiederholungen“.

Am Samstag und Sonntag kam es zu Demonstrationen und Kundgebungen in praktisch jeder größeren Stadt. Die größten Versammlungen fanden mit 250.000 und 80.000 Teilnehmern in Berlin und Hamburg statt. In Stuttgart gingen am Samstag 44.000, in Köln 40.000, und in Bremen und Leipzig über 10.000 auf die Straße. Meist übertrafen die Teilnehmerzahl die Anmeldungen bei weitem, wie in Essen, wo statt der erwarteten 3.000 mehr als 14.000 Menschen kamen.

In Bayern versammelten sich 20.000 am Sonntag in Regensburg, um gegen rechts zu demonstrieren. Auch in Würzburg, Augsburg, Passau, Kempten und Ingolstadt gingen tausende auf die Straße. In München hatten sich schon gleich nach der Bundestagssitzung am Mittwoch über 6.000 Menschen vor der CSU-Zentrale versammelt.

In Göttingen, Hildesheim, Mannheim, Karlsruhe, Koblenz, Mainz, Trier und Aachen protestierten jeweils etwa 5.000 gegen die Einbindung der AfD in die Bundespolitik. In Frankfurt wurde eine geplante Gewerkschaftsdemo gegen Sozialabbau in einen Protest gegen rechte und rassistische Politik umfunktioniert, während über 10.000 zu einer Kundgebung nach Neu-Isenburg, südlich von Frankfurt kamen, um gegen eine Wahlveranstaltung der AfD zu protestieren. Auch im thüringischen Apolda gingen fast 2.000 gegen ein Treffen des AfD-Jugendverbands Junge Alternative auf die Straße.

Überall wurden Plakate und Transparente mit Aufschriften wie „Nie wieder ist JETZT“, „Kein Mensch ist illegal“ oder „Bunt statt braun“ mitgetragen. Neben Sprüchen gegen die Abschiebungen und gegen Rassismus waren auch sehr viele Texte gegen den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten gerichtet, wie zum Beispiel: „Kein Merz ab März“, „schMerz lass nach“ oder „Menschenrechte statt Merz und Rechte“. Friedrich Merz hatte am Freitag zum zweiten Mal versucht, gemeinsam mit der AfD die letzten Reste des Asylrechts zu schreddern.

Teilnehmerin in Leipzig mit ihrem Slogan: „Wir haben alle rotes Blut“

Reporter der World Socialist Web Site sprachen mit zahlreichen Teilnehmern, die sich ausdrücklich mit Migranten und Flüchtlingen solidarisch zeigten. So sagte Johannes, ein Berliner Student: „Hier wird seit Jahren gezielt gegen Minderheiten geschossen. Ich stelle mir dann immer vor, was wäre, wenn ich selbst auf der Flucht wäre. Wenn ich irgendwo ankomme, würde ich doch gerne willkommen sein und eingebunden werden.“ Auch fand er es falsch, dass „dauernd irgendwelche Anschläge instrumentalisiert werden“.

Unter den Teilnehmern waren viele sehr jung, und ihre Aussagen und die zahlreichen selbstgemalten Pappschilder zeugten von großer Kampfbereitschaft und Wut. Die Besorgnis über die Rückkehr des Faschismus war mit Händen zu greifen.

Berlinerin gegen die AfD

Gleichzeitig war jedoch eine gewisse Ratlosigkeit zu spüren. „Wir müssen wach werden“, sagte ein Teilnehmer in Berlin. „Die Demokratie läuft in die falsche Richtung.“ Nadine, eine Krankenschwester, sagte: „Es macht mich stolz, dass so viele zur Demonstration gehen. Aber ich überlege mir schon, dass diese Demos gar nicht reichen werden.“

Die SPD-, Grünen- und Linkspartei-Politiker, die überrascht herbeieilten, taten ihr Möglichstes, um die Kampfbereitschaft gegen rechts auf die Mühle ihres jeweiligen Wahlkampfs zu lenken. Sie hatten nur Plattitüden und Heuchelei anzubieten. Vor dem Hintergrund ihrer rechten Politik waren diese Auftritte der Gipfel des Zynismus.

In Köln marschierte der SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach neben Politikern der Grünen im Demonstrationszug mit. Jan van Aken von der Linken trat in seiner Rede gegen „Milliardäre wie Elon Musk“ auf. In Berlin war die SPD-Spitze um Lars Klingbeil und Saskia Esken vor Ort, und der Frankfurter Publizist Michel Friedman, der erst drei Tage zuvor aus der CDU ausgetreten war, erinnerte schwammig an den Satz im Grundgesetz, dass „die Würde des Menschen unantastbar“ sei.

Die Frage blieb offen, wie es soweit kommen konnte, und was es heute bringen soll, SPD, Grüne oder auch Die Linke zu wählen, wo dieselben Parteien seit Jahren selbst die Migrationspolitik verschärfen, für „Abschieben im großen Stil“ (Scholz) eintreten, sowohl den Krieg in der Ukraine als auch den Genozid im Gaza aktiv finanziell und politisch unterstützen und so der AfD Tür und Tor öffnen.

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„Merz ist nicht vom Himmel gefallen“, sagte Christoph Vandreier in Berlin dazu. Er sprach es deutlich aus: „SPD, Grüne und Linkspartei sind keine Bündnispartner im Kampf gegen die Faschisten.“ Tatsächlich war es ja die Ampel, die erstmals wieder deutsche Panzer gegen Russland geschickt, im Gazastreifen einen Völkermord unterstützt und das Asylrecht praktisch abgeschafft hatte. Eindringlich rief Vandreier zu einer internationalen Mobilisierung der Arbeiter auf und sagte: „Die Arbeiter sind diejenigen, die den ganzen gesellschaftlichen Reichtum schaffen und die ganze Bürde von Krieg und sozialer Polarisierung zu tragen haben. Sie sind die gesellschaftliche Kraft, die den Faschismus stoppen kann.“

Und er warnte: „Die Herrschenden setzen in wachsendem Maße auf faschistische und autoritäre Methoden, um Krieg und sozialen Kahlschlag durchzusetzen.“ Wirklich war die Sozialistische Gleichheitspartei an diesem Wochenende die einzige politische Kraft, die vor diesem allgemeinen Kurs warnte, seine Ursachen erklärte und aufzeigte, wie man ihn stoppen kann.

Kundgebung der Sozialistischen Gleichheitspartei in Duisburg, 1. Februar 2025

Auf drei eigenen Kundgebungen in Leipzig, Duisburg und Berlin warnten die SGP-Kandidaten: „Wer gemeinsam mit einer rechtsextremen Partei Anträge und Gesetzestexte verabschiedet, kann auch gemeinsam mit ihr regieren“. Sie appellierten an die Teilnehmer, selbst politisch aktiv zu werden und die einzige internationale und sozialistische Partei, die SGP, mit aufzubauen.

Zu Tausenden wurde in vielen Städten die SGP-Erklärung mit der Überschrift: „Kampf gegen Faschismus erfordert Kampf gegen Kapitalismus und Krieg!“ verteilt. Sie wurde den SGP-Mitgliedern manchmal fast aus der Hand gerissen. Darin heißt es zu SPD und Grünen: „Diese Parteien tragen eine zentrale Verantwortung für den Aufstieg der AfD. SPD und Grüne treten der Flüchtlingshetze von AfD und CDU und ihrer rassistisch aufgeheizten Law-and-Order-Kampagne nicht entgegen, sondern feuern diese an.“

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Auf die Frage nach dem „Warum?“ ging in Stuttgart auch das SGP-Vorstandsmitglied K.Nesan ein. Er betonte, dass achtzig Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes mit der Abstimmung im Bundestag vom Mittwoch die Weichen für eine Wiederholung der Deportationen gestellt worden seien. „Die AfD, die in ihrem Wahlprogramm die ‚Remigration‘ von Flüchtlingen und Ausländern fordert, steht zur Bildung der nächsten Regierungskoalition bereit“, sagte Nesan.

Er sprach an einer Gedenkveranstaltung am Stuttgarter Nordbahnhof zur Erinnerung an die vielen tausenden jüdischen Männer, Frauen und Kinder, die von hier aus in die Vernichtung deportiert worden waren. Zu der aktuellen Rückkehr des Faschismus warf er die Frage auf: „Wie ist das möglich?“ Und er beantwortete sie: „Die offene Koalition von Friedrich Merz und der CDU mit der AfD ist die Krönung der jahrelangen Politik von SPD und Grünen, die die einwanderungsfeindliche, arbeiterfeindliche Politik der AfD umsetzen. Inmitten der immensen kapitalistischen Weltkrise wendet sich die herrschende Klasse faschistischen Herrschaftsformen zu, um die aufkommenden internationalen Klassenkämpfe zu unterdrücken.“

Nesan rief: „Das muss gestoppt werden, und es ist möglich, das zu stoppen! Voraussetzung dafür ist die Zurückweisung der Anmaßungen von SPD, Grünen und ihren Komplizen in der Linkspartei und den Pseudolinken, sie würden angeblich die Demokratie verteidigen. Krieg und Faschismus können nur durch die Intervention der Arbeiterklasse gestoppt werden, die dafür kämpft, das kapitalistische System auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive zu beenden.“

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