Europäische Mächte bemühen sich, Krieg in der Ukraine zu verlängern

Nach vier Jahren Krieg, Hunderttausenden gefallenen Soldaten und Millionen Flüchtlingen steckt der Krieg der NATO gegen Russland in einer Sackgasse. Obwohl sie die Ukraine seit Beginn des Krieges mit 400 Milliarden Euro und militärischer Logistik unterstützt hat, ist es der NATO nicht gelungen, die russischen Truppen zurückzudrängen. Diese rücken zwar langsam, aber stetig vor.

Premier Starmer, Präsident Macron und Bundeskanzler Merz diskutieren den 28-Punkte-Plan Trumps auf dem G20-Gipfel in Südafrika [Photo by Bundesregierung/Jesco Denzel]

Das ukrainische Regime zerfällt unter dem Druck von Korruptionsskandalen. Präsident Selenskyj musste seinen engsten Vertrauten, Andrij Jermak, entlassen. Nur 20 Prozent würden ihn wieder zum Präsidenten wählen. Mehrere hundert Soldaten desertieren täglich aus der Armee. Trotz brutaler Methoden gelingt es der ukrainischen Armee nicht, das nötige Kanonenfutter für die Front zu beschaffen.

Die USA scheinen inzwischen entschlossen, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Präsident Trumps Emissär Steve Witkoff hat – über die Köpfe der ukrainischen Regierung und der europäischen Verbündeten hinweg – einen „Friedensplan“ mit Russland ausgehandelt, der die Abtretung von Gebieten durch die Ukraine mit lukrativen Geschäfte für die USA verbindet.

Trumps neue Nationale Sicherheitsstrategie, die letzte Woche veröffentlicht wurde, bezeichnet Russland nicht mehr als Gegner und attackiert stattdessen die Europäische Union. Sie wirft europäischen Politikern „unrealistische Erwartungen an den Krieg“ vor, bezeichnet den Aufstieg rechtsextremer Parteien in Europa als „Grund für großen Optimismus“ und tritt für die Spaltung der EU ein.

Am Montag trat Trump in einem langen Interview mit Politico nach. Europa sei eine „verfallende“ Gruppe von Nationen, angeführt von „schwachen“ Menschen, die nicht wüssten, was sie tun sollen, schimpfte er. „Sie reden, aber sie bringen nichts zustande, und der Krieg geht einfach weiter und weiter.“

Die europäischen Mächte, angeführt von Deutschland, Frankreich und Großbritannien, reagieren darauf, indem sie alles unternehmen, um das Blutbad in der Ukraine zu verlängern und Trumps Pläne auszubremsen. Sie sind nicht an einem Frieden, sondern an der Fortsetzung des Kriegs interessiert. Die letzten Tage waren erfüllt von Gipfelgesprächen mit Selenskyj, Telefonanrufen bei Trump, Gegenvorschlägen zum Trump-Plan und Bemühungen um militärische Eskalation.

Vor allem zwei Dinge wollen die Europäer erreichen. Sie wollen verhindern, dass die Ukraine Gebiete endgültig an Russland abtritt, die sie später, sollte das Kräfteverhältnis sich ändern, nicht wieder zurückfordern kann. Und sie wollen sogenannte „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine: Das Land soll, selbst wenn es auf eine formale NATO-Mitgliedschaft verzichtet, zu einem schwerbewaffneten Vorposten der NATO ausgebaut werden, der die Region in einem permanenten Spannungszustand hält und den Krieg jederzeit wieder anfachen kann.

Der französische Präsident Macron verfolgt seit langem Pläne, französische Truppen in der Ukraine zu stationieren, und auch die britische Regierung hat entsprechende Zusagen gemacht. Das Land soll außerdem zu einem Schwerpunkt der europäischen Rüstungsproduktion ausgebaut und mit Flugkörpern bewaffnet werden, die Ziele tief im Innern Russlands treffen können. Sowohl die EU-Kommission wie einzelne Mitgliedsstaaten haben dafür enorme Summen eingeplant.

Moskau kann derartige „Sicherheitsgarantien“ nicht akzeptieren, nachdem es vier Jahre Krieg geführt hat, um zu verhindern, dass sich die NATO weiter ausdehnt und in der Ukraine Fuß fasst. Die von Europa verlangten Garantien verfolgen das Ziel, ein Abkommen zu sabotieren und dafür zu sorgen, dass der Krieg weiter geht – mit Unterstützung oder zumindest Duldung der USA.

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass sich Washington auf die europäischen Manöver einlässt. Politische Beobachter gehen inzwischen davon aus, dass das Bündnis mit den USA unheilbar zerbrochen ist und Europa seine imperialistischen Interessen zukünftig aus eigener Kraft – und notfalls gegen die USA – verfolgen wird.

Spiegel-Titel vom 12.12.2025

Die Printausgabe des Spiegels erscheint an diesem Wochenende mit dem Titel: „Wie Trump und Putin Europa angreifen: Zwei Schurken, ein Ziel“. In der Titelgeschichte heißt es:

Solange die Kameras angeschaltet sind, loben die europäischen Staatschefs pflichtschuldig die Vermittlungsbemühungen Trumps. … Aber sobald die Chefs unter sich sind, machen sie keinen Hehl daraus, dass sie in Trump und seinen Leuten keine Verbündeten sehen, sondern Rivalen, die mehr Sympathie für Wladimir Putin hegen als für die Partner von einst.

Der Spiegel gelangt zum Schluss:

Europa wird nur bestehen können, wenn es Russland die Stirn bietet und sich von den USA unabhängiger macht. … Die EU ist nicht wehrlos, auch wenn es gerade so aussieht. Sie müsste nur willens sein, sich ihrer Kraft zu bedienen. In ihr leben mehr als 450 Millionen Menschen, sie ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von 18 Billionen Euro immer noch der zweitstärkste Wirtschaftsraum hinter den USA. Europa hat das Geld und technische Know-how, um Drohnen, Panzer und Kampfjets zu bauen. … Trump kann Europa nur demütigen, wenn Europa sich selbst kleinmacht.

Das ist ein Programm des hemmungslosen Militarismus. Vier Jahre lang hat die offizielle Propaganda die militärische Unterstützung der Ukraine mit der Lüge gerechtfertigt, es gehe um die Verteidigung von Demokratie und „westlichen Werten“ gegen einen willkürlichen Angriffskrieg, obwohl die NATO den Krieg durch ihre Ausdehnung nach Osten gezielt provoziert hatte.

Doch nun, da der Krieg in der Sackgasse steckt, die USA ein Abkommen mit Moskau anstreben, Selenskyj sich als korrupter Oligarch entpuppt und der Widerstand gegen das sinnlose Blutvergießen in der ukrainischen und europäischen Bevölkerung wächst, nennt der Spiegel das wahre Motiv: Europa soll „Drohnen, Panzer und Kampfjets“ bauen, damit es sich nicht „kleinmacht“ – d.h. damit es in einer Welt imperialistischer Konflikte als militärische Großmacht auftreten kann.

Ähnlich Kommentare finden sich zu Dutzenden. So heißt es im IPG-Journal der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung:

Aus dem wohlwollenden Hegemon auf der anderen Seite des Atlantiks wird nun eine Weltmacht, die ähnlich wie Russland versucht, die EU zu schwächen und die politischen Verhältnisse in Europa nach eigenem Gutdünken zu ordnen. Ein Kompromiss oder Mittelweg ist nicht erkennbar.

Als Antwort verlangt das IPG-Journal „einen europäischen Rütlischwur“. Es brauche „einen forcierten Abbau der sicherheitspolitischen Abhängigkeiten Europas, den Aufbau einer europäischen Rüstungsindustrie für zentrale Systeme, die Europa gemeinsam handlungsfähig machen, eine Stärkung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit anderen Regionen“ und die Festigung internationaler Institutionen „gegen Einflussnahme aus Washington“.

Und Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Ausländische Politik (DGAP) schreibt in der Zeit:

Nur ein handlungsfähiges Europa, das militärisch, finanziell und mit Blick auf eine Integration der Ukraine in die EU Verantwortung übernimmt, kann ein Akteur in Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges werden.

Das Beharren Europas auf unannehmbare „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine und eine Fortsetzung des Kriegs verlängert nicht nur das Leiden und Sterben in der Ukraine. Es droht ganz Europa in den Abgrund eines Kriegs mit der Atommacht Russland zu ziehen und ist mit heftigen Angriffen auf die sozialen Errungenschaften und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse verbunden. Im Kampf gegen den „Schurken“ Trump übernimmt die herrschende Klasse Europas dessen faschistische Methoden.

Bereits die Erhöhung der Militärausgaben auf 5 Prozent des BIPs, die in den kommenden Jahren erreicht werden sollen, zog heftige Angriffe auf Renten, Gesundheits- und Sozialausgaben nach sich. In Frankreich provozierte Macrons Rentenreform Massenproteste, der Präsident kann sich nur noch dank der Unterstützung der Sozialdemokraten an der Macht halten. In Belgien, Portugal und Italien fanden in jüngster Zeit Generalstreiks gegen die Sparhaushalte der Regierungen statt. In Deutschland entwickelt sich der Streit um die Rentenreform – d.h. eine massive Senkung der Altersbezüge – zur Bruchstelle der regierenden Koalition von Union und SPD.

Aber die Fortsetzung des Kriegs ohne US-Unterstützung und die Integration der Ukraine in die EU wird noch ganz andere Summen verschlingen. Bereits in diesem Jahr sind die Militärhilfen für die Ukraine stark zurückgegangen, weil Europa nicht in der Lage war, die ausbleibenden Zahlungen der USA zu ersetzen, die bisher für die Hälfte aufkamen.

Für die kommenden beiden Jahre wird der Finanzbedarf der Ukraine auf 136 Milliarden Euro geschätzt. Die EU will dafür die eingefrorenen russischen Zentralbankguthaben verwenden, die bei Euroclear in Belgien lagern. Die belgische Regierung hat sich aber bisher strikt widersetzt, da sie befürchtet, für den dreisten Diebstahl haftbar gemacht zu werden, der gegen das völkerrechtliche Prinzip der Staatenimmunität verstößt.

Hinzu kommen die Auswirkungen des globalen Handelskriegs. Vor allem die Industrie Deutschlands, des wirtschaftlich stärksten EU-Mitglieds, befindet sich im freien Fall. Vom Sommer 2024 bis zum Sommer 2025 wurden hier innerhalb eines Jahres 114.000 relativ gut bezahlte Stellen abgebaut – fast 10.000 jeden Monat.

Die herrschende Klasse bereitet sich auf die Verschärfung des Klassenkampfs vor, indem sie – wie Trump – die Hetze und Repression gegen Migranten verschärft, einen Polizeistaat aufbaut, rechtsextreme Parteien stärkt und politische Opposition verfolgt. Militarismus und Demokratie sind unvereinbar.

Arbeiter müssen sich auf heftige Klassenauseinandersetzungen vorbereiten. Die Verteidigung von Arbeitsplätzen, der Kampf gegen Sozialabbau sowie gegen Krieg und Militarismus fallen dabei untrennbar zusammen. Sie erfordern die Entwicklung einer unabhängigen Bewegung der internationalen Arbeiterklasse, die den Kapitalismus stürzt und eine sozialistische Gesellschaft aufbaut.

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