Am 6. Dezember berichtete die WSWS über die wachsende Opposition gegen die IG Metall im Mercedes-Werk Berlin-Marienfelde und rief zum Aufbau eines Aktionskomitees auf, um den Kampf gegen Entlassungen und Sozialabbau unabhängig vom Apparat der IG Metall zu führen.
„Arbeiter müssen den Kampf für ihre Rechte und Forderungen selbst in die Hand nehmen,“ schrieben wir. „Dazu sind neue Kampforganisationen notwendig; Organisationen, die Arbeiterrechte höher stellen als Profitinteressen und die durch Vernetzung über Standorte, Unternehmen, Branchen und Ländergrenzen hinweg die nationalistische Politik der IG Metall durchbrechen.“
Kurz nachdem der Artikel erschienen war, erreichte uns der verärgerte Kommentar eines Lesers, der sich „Frenchie“ nennt. Er verteidigt die IG Metall und wirft uns vor, die Arbeiter zu spalten. Er vergleicht unseren Vorschlag, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, mit den italienischen Richtungsgewerkschaften und mit der RGO-Politik, die die stalinistische KPD anfangs der 1930er Jahre in Deutschland verfolgte. Die KPD hatte damals einen Keil zwischen sozialdemokratische und kommunistische Arbeiter getrieben, indem sie unter dem Namen „Revolutionäre Gewerkschaftsopposition“ eigenständige Gewerkschaften aufbaute.
„Frenchie“ spricht für jene pseudolinken Gewerkschafter, die sich gern als „kämpferisch“ bezeichnen, aber in Wirklichkeit nur für eines kämpfen: für die Verteidigung der diskreditierten IG Metall. Während Arbeiterinnen und Arbeiter in Scharen aus der Gewerkschaft austreten, tun sie alles, um sie in die Zwangsjacke des bürokratischen Apparats zurückzustopfen.
Angesichts der Bedeutung dieser Frage nehmen wir die Gelegenheit wahr, unseren Standpunkt nochmals zu erklären.
Verschmelzung von Gewerkschaft, Staat und Unternehmen
„Frenchie“ schreibt:
Man muss erstmal mit dem arbeiten, was man hat. Vielleicht kommt der Tag, an dem neue ernstzunehmende Gewerkschaften entstehen, aber die Situation haben wir noch nicht. Und selbst wenn, wichtig wäre, trotzdem zusammenzuarbeiten. Oder wollt ihr eine Situation wie z. B. Italien, wo die verschiedenen Richtungsgewerkschaften gegeneinander kämpfen?! In Marienfelde gibt es bereits ein Aktionskomitee, angesagt wäre, mit diesem zusammenzuarbeiten, um die Situation der Arbeiter zu verbessern, auch wenn man politisch unterschiedliche Ansichten hat (Stichwort: unabhängig). Eure Herangehensweise riecht stark nach RGO (nicht unabhängig), und die ist bekanntlich krachend gescheitert.
Jeder einzelne Satz dieses Kommentars ist falsch. Das beginnt mit der Behauptung: „Man muss erstmal mit dem arbeiten, was man hat.“ Die Arbeiter haben nichts, mit dem sie „arbeiten“ – d.h. ihre Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen verteidigen – können. Das gilt nicht nur für das Mercedes-Werk in Marienfelde, sondern für alle Betriebe, in denen gegenwärtig jeden Monat rund zehntausend Arbeitsplätze vernichtet werden.
Die IG Metall tritt diesem industriellen Aderlass nicht entgegen, sondern nutzt ihren aufgeblähten Apparat aus Funktionären, Betriebsräten und Vertrauensleuten, um ihn reibungslos abzuwickeln und jeden Widerstand dagegen ins Leere laufen zu lassen.
Mit den reformistischen Massenorganisationen des 19. und 20. Jahrhunderts, die in teilweise erbitterten Klassenschlachten bessere Löhne, Arbeitsbedingungen und Rechte erkämpften, haben die IG Metall und die anderen heutigen Gewerkschaften außer dem Namen nichts mehr gemein. Sie sind in Jahrzehnten der „Sozialpartnerschaft“ und der gesetzlich geregelten „Mitbestimmung“ vollständig mit dem Staat und den Konzernen verschmolzen und wirken als deren verlängerter Arm.
Ihre Funktionäre wechseln (wie die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi) reibungslos von Partei- in Regierungs- und von dort in Gewerkschaftsämter. Sie werden Minister oder (wie der ehemalige IGM-Bezirksleiter von NRW, Oliver Burkhard) Chef eines großen Rüstungskonzerns.
Die Gewerkschaftsmitglieder können dagegen weder mitbestimmen, noch haben sie Rechte. Es gibt in den Gewerkschaften keine Demokratie. In der IG Metall werden die mächtigen Regionalfürsten vom Bundesvorstand ernannt und bezahlt und sind an seine Weisungen gebunden. Diese regionalen Bevollmächtigten wiederum bestimmen, wer die Karriereleiter hochsteigt und einen aussichtsreichen Platz bei Betriebsratswahlen oder einen gutbezahlten Aufsichtsratsposten bekommt. Wer nicht spurt, fliegt raus.
Wer spaltet die Arbeiter?
„Frenchies“ Vorwurf, der Aufbau eines Aktionskomitees spalte die Belegschaft, stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Tatsächlich ist es die IG Metall, die die Belegschaften systematisch spaltet und gegeneinander ausspielt – Gewerkschaftsmitglieder gegen Nicht-Mitglieder, Vollbeschäftigte gegen Leiharbeiter, Standort gegen Standort und Land gegen Land.
Bei Ford haben die IGM und ihre Betriebsräte den schäbigen Bieterwettbewerb organisiert, der die Beschäftigten in Saarlouis gegen ihre Kollegen im spanischen Almussafes ausspielte. Nun werden beide Standorte schrittweise stillgelegt. Auch die Belegschaften von Opel Bochum, ThyssenKrupp Stahl und zahlreichen anderen Unternehmen sind von der IG Metall systematisch verraten und verkauft worden.
Der Aufbau von Aktionskomitees überwindet die Spaltung der Arbeiter – nicht unter der Kasernenhofdisziplin des Gewerkschaftsapparats, sondern auf der Grundlage des gemeinsamen Kampfs. Aktionskomitees beruhen auf dem Prinzip, dass die gesellschaftlichen Interessen der Arbeiterklasse – der großen Mehrheit der Bevölkerung – höher stehen als die Profitinteressen einer kleinen Minderheit von Milliardären. Das Recht auf auskömmliche Einkommen und Renten ist nicht verhandelbar.
Jeder, der ernsthaft für die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Löhnen, sozialen Errungenschaften und Rechten kämpfen will, ist im Aktionskomitee willkommen. Ob er ein Gewerkschaftsbuch oder einen deutschen Pass besitzt, wo er geboren wurde und welche Muttersprache er spricht, ob er fest eingestellt oder Leiharbeiter ist, spielt dabei keine Rolle. Nicht willkommen sind dagegen gewerkschaftliche Funktionäre, weil freie Diskussion und demokratische Entscheidungen nur ohne die Unternehmensvertreter aus der Gewerkschaft möglich sind.
Anders als in den Gewerkschaften haben in den Aktionskomitees die Mitglieder das Sagen. Verantwortliche werden von den Mitgliedern gewählt und sind ihnen rechenschaftspflichtig. Sie erhalten weder Sondervergütungen noch Aufsichtsratstantiemen.
Die Aktionskomitees bekämpfen sich nicht gegenseitig, sondern vernetzen sich grenzüberschreitend, um die Kämpfe gegen global agierende Konzerne effektiv zu koordinieren. Zu diesem Zweck wurde die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) gegründet.
All das lehnt „Frenchie“ offensichtlich ab. Er will die Beschäftigten des Mercedes-Werks an die IG Metall fesseln, bis „vielleicht“ der Tag kommt, „an dem neue ernstzunehmende Gewerkschaften entstehen“. Wie dieses Wunder geschehen soll, verrät er uns nicht.
Auch „Frenchies“ Behauptung, es gäbe in Marienfelde bereits ein Aktionskomitee, ist falsch. Er meint offenbar die Gruppe „Autoarbeiter für eine kämpfende IG Metall“, mit der wir uns im Artikel vom 6. Dezember ausführlich auseinandergesetzt haben. Sie versucht unter dem Deckmantel „kämpferischer Phrasen“ Arbeiter, die der IG Metall den Rücken kehren, in die Gewerkschaft zurückzuholen. Sie sammelt Unterschriften für Petitionen, die die IG Metall bitten, doch etwas kämpferischer zu sein.
Degeneration der Gewerkschaften
Die Degeneration der Gewerkschaften, die sich in jedem Land der Welt beobachten lässt, ist nicht nur das Ergebnis der weitverbreiteten Korruptheit ihres Führungspersonals. Sie ist in der gewerkschaftlichen Form selbst begründet. (Siehe dazu den Vortrag „Weshalb lehnen die Gewerkschaften den Sozialismus ab?“ von David North.) Weil die Gewerkschaften das kapitalistische Profitsystem rechtfertigen und verteidigen, auf dem ihre Tätigkeit beruht, ordnen sie die Interessen der Arbeiter den Profitinteressen unter. Daraus entspringt ihr grenzenloser Opportunismus.
Hatten die Gewerkschaften in den Jahren des Nachkriegsaufschwungs noch soziale Zugeständnisse erkämpft, ist das unter den Bedingungen der Globalisierung nicht mehr möglich. Der globale Charakter der Produktion und der Finanzmärkte hat allen nationalen, reformistischen Programmen den Boden entzogen. Die Unternehmen können die Produktion jederzeit verlagern, während sich die Gewerkschaften an den nationalen Rahmen fesseln.
Sie sehen ihre Aufgabe nun darin, die „Wettbewerbsfähigkeit“ des „Standorts Deutschland“ gegen seine Konkurrenten zu verteidigen – mit allem, was das nach sich zieht: Entlassungen, niedrige Löhne und Arbeitshetze. Sie spalten die Arbeiter und spielen sie nach Standort, Unternehmen und Nation gegeneinander aus. Sie stehen im internationalen Handelskrieg hinter den deutschen Konzernen, fordern Zölle für Produkte aus China und Steuererleichterungen für hiesige Konzerne. Sie unterstützen die Aufrüstung der Bundeswehr, den Krieg in der Ukraine und den Genozid in Gaza.
Deshalb führt die Perspektive, die Gewerkschaften zu erneuern, in eine Sackgasse. In Wirklichkeit dient sie nur dazu, Arbeiter ruhig zu stellen, auf eine bessere Zukunft zu vertrösten und ihre Kampfkraft zu lähmen. Aktionskomitees sind keine „neuen Gewerkschaften“. Sie ordnen sich nicht den Profitinteressen unter. Sie sind – in Betrieben, Wohnvierteln und anderswo – Keimzellen, mit denen die Arbeiterklasse die Kontrolle über Wirtschaft und Gesellschaft übernehmen kann.
Vergleich mit RGO – eine Geschichtsfälschung
„Frenchies“ Behauptung, unser Aufruf zum Aufbau von Aktionskomitees, rieche „stark nach RGO“, ist eine üble Geschichtsfälschung. Sie ist ein Standardargument aller „linken“ Verteidiger der Gewerkschaftsbürokratie.
Der Aufbau eigenständiger „revolutionärer“ Gewerkschaften durch die KPD zu Beginn der 1930er Jahre war Bestandteil ihrer ultralinken „Sozialfaschismus“-Politik, die die SPD mit den Nazis gleichsetzte und eine Einheitsfront gegen die faschistische Gefahr strikt ablehnte. Die daraus resultierende Spaltung der Arbeiterklasse trug maßgeblich zu Hitlers Sieg bei.
Der Fehler der KPD lag aber nicht darin, dass sie die Gewerkschaften schwächte, sondern dass sie sich selbst schwächte, wie Leo Trotzki, der wichtigste marxistische Gegner des Stalinismus, damals betonte. Im ADGB waren viele sozialdemokratischen Arbeiter organisiert, die die KPD kampflos dem Einfluss der SPD überließ, indem sie ihre eigenen Verbände gründete. Trotzki machte keinen Fetisch aus der Einheit des ADGB, über dessen prokapitalistischen Orientierung er keine Illusionen hegte. Aber anders als in den heutigen korporatistischen Gewerkschaftsapparaten waren damals im ADGB noch viele Arbeiter aktiv.
Trotzki zögerte keinen Augenblick, neue Initiativen vorzuschlagen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. In Frankreich trat er Mitte der 1930er Jahre für den Aufbau von Aktionskomitees ein, um den lähmenden Einfluss der „Volksfront“ aus Stalinisten, Sozialdemokraten und bürgerlichen Radikalen zu durchbrechen.
Im Gründungsprogramm der Vierten Internationale schrieb Trotzki 1938:
Die Sektionen der Vierten Internationale müssen unablässig bestrebt sein, nicht nur den Apparat der Gewerkschaften zu erneuern, … sondern auch überall da, wo es möglich ist, eigenständige Kampforganisationen zu schaffen, die den Aufgaben des Massenkampfes gegen die bürgerliche Gesellschaft besser entsprechen und nötigenfalls auch vor dem offenen Bruch mit dem konservativen Apparat der Gewerkschaften nicht zurückschrecken.
„Frenchies“ Kommentar, der den Gewerkschaftsapparat und seine täglichen Machenschaften in den Betrieben rechtfertigt, weil man ja nichts anderes habe, ist eine jämmerliche Bankrotterklärung. Die Mercedes-Arbeiter in Marienfelde und anderswo, sollten dieses pessimistische und unterwürfige Gejammer mit Verachtung zurückweisen. Natürlich ist es möglich und auch absolut notwendig, neue Kampfstrukturen in den Betrieben aufzubauen.
Wir laden alle Autoarbeiterinnen und -arbeiter, weit über Mercedes und Marienfelde hinaus, ein, mit uns Kontakt aufzunehmen und die notwendigen nächsten Schritte zu diskutieren. Schreibt uns eine Whatsapp unter +491633378340 und füllt das untenstehende Formular aus.
