Vor vierzig Jahren, am 16. Dezember 1985, suspendierte das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) seine britische Sektion, die Workers Revolutionary Party (WRP). Es zog damit die Konsequenzen aus dem Bericht seiner Internationalen Kontrollkommission, der nachwies, „dass die WRP einen historischen Verrat am IKVI und der Internationalen Arbeiterklasse begangen“ hatte, wie es in der Resolution über die Suspendierung der WRP heißt.
Die WRP hatte, wie die Kontrollkommission anhand zahlreicher bisher unbekannter Dokumente belegte, die Theorie der permanenten Revolution vollständig preisgegeben und – mit dem Ziel, Geld zu erhalten – hinter dem Rücken des IKVI prinzipienlose Beziehungen zu Teilen der kolonialen Bourgeoisie aufgebaut.
Der Suspendierung der WRP war eine tiefe Krise in der britischen Sektion vorausgegangen. Am 30. Juni 1985 hatte Aileen Jennings, die persönliche Sekretärin von Gerry Healy, in einem Brief an das Politische Komitee den Missbrauch weiblicher Kader durch den langjährigen WRP-Führer angeprangert. Healy, Cliff Slaughter und Mike Banda versuchten den Skandal zu vertuschen und vor dem IKVI und der Mitgliedschaft zu verheimlichen. Vorstandsmitglied Dave Hyland, der eine Untersuchung durch die Kontrollkommission der WRP verlangte, wurde massiv unter Druck gesetzt.
Doch die Krise ließ sich nicht mehr beherrschen. Die Partei brach in einem erbitterten Kampf auseinander, in dem sich beide Seiten – die Anhänger von Healy und die Anhänger von Banda und Slaughter – bemühten, eine Diskussion über die politischen Ursachen der Krise zu verhindern.
Das Internationale Komitee, das erst im Oktober über die Krise informiert wurde, weigerte sich, eines der kämpfenden Lager zu unterstützen. Es verurteilte Healys Machtmissbrauch und schloss ihn deshalb am 25. Oktober aus seinen Reihen aus. Aber es beharrte darauf, dass nicht – wie Slaughter und Banda behaupteten – Healys persönliche Verfehlungen, sondern die langjährige opportunistische und nationalistische Degeneration der gesamten Führung die Ursache der Krise der WRP war.
Das Internationale Komitee stützte seine Kritik der WRP auf klar definierte programmatische und prinzipielle Fragen, die die amerikanische Workers League bereits drei Jahre vorher aufgebracht hatte. David North, der Nationale Sekretär der WL, hatte 1982 und 1984 eine umfassende Kritik der theoretischen Konzeptionen und der politischen Linie der WRP vorgelegt. Er kritisierte, dass sich die britische Sektion im Laufe der 1970er Jahre mehr und mehr den nationalistischen und opportunistischen Standpunkten des Pablismus angenähert hatte, die sie in den 1950er und 1960er Jahren noch energisch bekämpft hatte.
Healy, Slaughter und – nach anfänglichem Schwanken – auch Banda unterdrückten North‘ Kritik, verhinderten ihre Diskussion im gesamten IKVI und drohten, die Workers League auszuschließen, falls sie daran festhalte.
Die erste Stellungnahme des IKVI zur Krise in der britischen Sektion vom 25. Oktober stellt deshalb klar fest, dass die Krise zwar mit der Entlarvung der korrupten Praktiken von G. Healy aufgebrochen sei, ihre Wurzel aber in der Tatsache liege, „dass die WRP-Führung sich über längere Zeit hinweg von der strategischen Aufgabe, die Weltpartei der sozialistischen Revolution aufzubauen, ab- und einer zunehmend nationalistischen Perspektive und Praxis zugewandt hat“.
Das IKVI schlug deshalb vor, die „Mitgliedschaft der WRP auf der Grundlage einer ausdrücklichen Anerkennung der politischen Autorität des IKVI und der Unterordnung der britischen Sektion unter seine Beschlüsse“ neu zu registrieren. Es richtete außerdem eine Internationale Kontrollkommission ein, um die Vorgänge in der WRP zu untersuchen.
Healy und seine Anhänger in der WRP, die von Savas Michael geleitete griechische Sektion und eine kleine, unerfahrene Gruppe in Spanien hatten zu diesem Zeitpunkt jeden Kontakt zum IKVI abgebrochen und weigerten sich, die Autorität eines Treffens zu akzeptieren, das nicht von Healy persönlich einberufen wurde. Savas Michael erklärte, Healy sei ein „historischer Führer“, dessen Autorität nicht in Frage gestellt werden könne.
Slaughter und Banda stimmten dem Vorschlag des IKVI zähneknirschend zu, weil sie zu schwach waren, um vor der Mitgliedschaft der WRP offen gegen das Internationale Komitee aufzutreten. Am 27. Oktober nahm eine außerordentliche Konferenz der WRP den Vorschlag des IKVI einstimmig an.
Doch weder Slaughter noch Banda waren bereit, die Unterordnung unter die Autorität der Internationale hinzunehmen. Slaughter, der eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung der Kritik der Workers League gespielt und im Sommer 1985 versucht hatte, eine Kontrollkommission zu Healys Missbrauch zu blockieren, nutzte nun den Sexskandal, um eine Diskussion über die aufgeworfenen politischen Fragen zu verhindern.
Am 26. November denunzierte er auf einer öffentlichen Versammlung in London vor führenden Stalinisten und Revisionisten die Untersuchung „Sicherheit und die Vierte Internationale“, die das IKVI initiiert hatte, um die Hintergründe von Trotzkis Ermordung aufzudecken. Er brachte die WRP auf einen Kurs der Zusammenarbeit mit Stalinisten, Pablisten und anderen erbitterten Feinden des Trotzkismus.
Am 16. Dezember traf sich das IKVI dann, um den Bericht der Internationalen Kontrollkommission zu diskutieren, die gegen den anfänglichen Widerstand Slaughters und Bandas eingerichtet worden war. Die WRP war auf diesem Treffen durch Slaughter, Simon Pirani, Tom Kemp und – als Vertreter der Minderheit, die das IKVI unterstützte – Dave Hyland vertreten. Für das IKVI waren David North, Peter Schwarz (Bund Sozialistischer Arbeiter, BRD), Keerthi Balsuryia (Revolutionary Communist League, Sri Lanka), Nick Beams (Socialist Labour League, Australien) und weitere Vertreter da.
Die Kontrollkommission legte ihren Zwischenbericht vor, der auf einer Untersuchung geheimer interner Dokumente basierte und akribisch die prinzipienlosen Beziehungen aufdeckte, die die Führung der WRP hinter dem Rücken des IKVI zu mehreren bürgerlichen Regimes im Nahen Osten aufgebaut hatte. Hätte das Internationale Komitee nicht auf der Untersuchung bestanden, wären die Dokumente und die darin offenbarten Beziehungen verborgen und unbekannt geblieben.
Die Mehrheit des IKVI reagierte auf diesen Bericht mit einer Resolution, die die Suspendierung der WRP verlagte. Die Mehrheit wies Slaughters Behauptung zurück, Healy trage die alleinige Verantwortung für den Verrat der britischen Sektion. In der Resolution heißt es: „Die politische Verantwortung für die nationalistische Degeneration, die diese Praktiken erlaubte, liegt bei der gesamten Führung der WRP.“
Die Resolution fährt fort:
Die WRP-Führer verhinderten sowohl in der britischen Partei als auch im Internationalen Komitee, dass politische Differenzen über die Linie der Partei diskutiert wurden.
Das IKVI beschuldigt keinen individuellen Führer, macht jedoch die Führung in ihrer Gesamtheit verantwortlich.
Um seine Prinzipien und seine Integrität zu bewahren, suspendiert das IKVI daher die WRP als britische Sektion bis zu einem Notkongress des IKVI, der nach dem 8. Kongress der WRP, spätestens am 1. März, stattfinden wird.
Die Resolution wurde mit Unterstützung der internationalen Delegierten und David Hylands angenommen. Slaughter, Kemp und Pirani stimmten dagegen.
Das Treffen des IKVI wurde am folgenden Tag, dem 17. Dezember, fortgesetzt. Slaughter und Kemp versuchten, die Sitzung durch ihr provokatives Verhalten zu stören. Kemp, der sich normalerweise wie ein zerstreuter Professor verhielt, griff Keerthi Balasuriya mit explizit rassistischen Beleidigungen an. Genosse Keerthi ignorierte Kemps Provokationen.
Die Mehrheit des Internationalen Komitees erklärte, die Suspendierung der WRP sei notwendig, um deutlich zu machen, dass das IKVI keinen Verrat an politischen Prinzipien durch eine Sektion tolerieren werde, unabhängig davon, wie groß sie sei. Sie legte eine zweite Erklärung vor, die die Suspendierung in den entsprechenden historischen und politischen Kontext stellte.
In diesem Kampf bestätigen wir unser Festhalten an den programmatischen Grundlagen des Trotzkismus, die im Internationalen Komitee verkörpert sind. Das Internationale Komitee ist die einzige historisch geschaffene Führung der Weltpartei der Sozialistischen Revolution, die 1938 von Leo Trotzki gegründet wurde. Diese Grundlagen sind: die Beschlüsse der ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale (1919-1922); die Plattform der Linken Opposition (1927); das Übergangsprogramm (1938); der Offene Brief (1953); und die Dokumente des Kampfs gegen die verlogene Wiedervereinigung der SWP mit den Pablisten (1961-1963).
Weiter heißt es in der Erklärung:
Das IKVI und die WRP bestätigen die historische Korrektheit des Kampfs gegen den pablistischen Revisionismus, auf den sich die Kontinuität der Vierten Internationale, aufgehoben und verkörpert im Internationalen Komitee, gründet. Wie das Nationalkomitee der Socialist Labour League 1961 feststellte, repräsentiert der pablistische Revisionismus keine „Strömung innerhalb des Trotzkismus“ und kann nicht als solche betrachtet werden. Seinem Ursprung nach repräsentierte der pablistische Revisionismus eine Kapitulation vor dem Druck des Weltimperialismus auf die trotzkistische Bewegung. Die volle historische Bedeutung seiner konterrevolutionären Rolle erwies sich 1964, als die LSSP in Sri Lanka in die bürgerliche Koalitionsregierung von M. Bandaranaike eintrat. Darüber hinaus bestätigt die Tatsache, dass die US-amerikanische SWP öffentlich die Theorie der permanenten Revolution zurückweist und die stalinistische Lehre von der Zweistufen-Revolution verteidigt, erneut die prinzipientreue Position, die das Internationale Komitee 1963 bezog. In allen Teilen der Welt ist der Aufbau von Sektionen der Vierten Internationale unter der Führung des Internationalen Komitees mit einem unversöhnlichen Kampf gegen die pablistischen Feinde des Trotzkismus verbunden.
Schließlich wurden in der Erklärung die Bedingungen dargelegt, unter denen die WRP wieder ins IKVI aufgenommen werden könne:
Das IKVI und das Zentralkomitee der WRP werden nun eng zusammenarbeiten, um die bestehenden Probleme so schnell wie möglich zu überwinden, die ein Erbe der nationalistischen Degeneration der WRP unter Healy sind, um die grundlegenden Prinzipien des Internationalismus in der WRP wieder zu festigen, und auf dieser Grundlage ihre volle Mitgliedschaft im Internationalen Komitee der Vierten Internationale wiederherzustellen. Die organisatorische Struktur dieser Beziehung soll sich stets auf die leninistischen Prinzipien des demokratischen Zentralismus gründen, die in den Statuten der Vierten Internationale ausgeführt sind.
Slaughter, Kemp und Pirani stimmten gegen die Erklärung. Sie waren nicht bereit, die programmatischen Grundlagen der IKVI zu bekräftigen. Hatte der WRP-Kongress sieben Wochen vorher noch einstimmig die Neuregistrierung der Mitgliedschaft auf der Grundlage der Anerkennung der politischen Autorität des IKVI beschlossen, wiesen sie die Autorität des IKVI nun kategorisch zurück.
Es war das letzte Treffen des IKVI, an dem Vertreter der WRP teilnahmen. In den folgenden Wochen schwenkte die WRP in rasantem Tempo nach rechts und wies die politische Autorität des IKVI zurück. Am 7. Februar 1986 veröffentlichte ihre Zeitung Workers Press die antitrotzkistische Hetzschrift Mike Bandas, „27 Gründe, weshalb das Internationale Komitee sofort begraben werden muss“, die David North in dem Buch „Das Erbe, das wir verteidigen“ beantwortet hat.
Am 8. Februar riefen Slaughter und Pirani die Polizei, um die Unterstützer des IKVI vom Achten Kongress der WRP auszusperren. Sie hätten auf dem Kongress die Mehrheit gehabt, wenn die Delegierten nach den im Oktober festgelegten Kriterien gewählt worden wären. Sie gründeten anschließend die neue britische Sektion des IKVI.
Als trotzkistische Organisation war die WRP endgültig am Ende. Sie zersplitterte in zahlreiche Gruppen, die sich in den folgenden Jahren alle vom Trotzkismus abwandten. Slaughter wurde zum Anarchisten, Banda zum Stalinisten und Anhänger der PKK von Abdullah Öcalan. Pirani wies den Trotzkismus zurück und verfolgte eine akademische Karriere.
Für die Vierte Internationale markierte die Suspendierung der WRP einen historischen Wendepunkt. Es war der Höhepunkt des langen Kampfes, den das Internationale Komitee seit 1953 gegen den pablistischen Opportunismus geführt hatte. Nun hatten die Trotzkisten nach 32 Jahren endlich wieder die vollständige Kontrolle über die Vierte Internationale.
Es folgte eine Blüte des Marxismus. Der Kader eignete sich das reichhaltige theoretische und historische Erbe des IKVI neu an, analysierte die objektiven Veränderungen, die der Krise der WRP zugrunde lagen, und bereitete sich so auf die Restauration des Kapitalismus in Osteuropa und der Sowjetunion vor. Während die gesamte kleinbürgerliche „Linke“ mit einer Welle des Zurückweisertums auf die Auflösung der Sowjetunion reagierte, den Sozialismus für gescheitert erklärte und ihren Frieden mit dem Kapitalismus schloss, zog das IKVI völlig andere Schlussfolgerungen.
Der Zusammenbruch der stalinistischen Regime war nur der schärfste Ausdruck des unversöhnlichen Widerspruchs zwischen dem internationalen Charakter der Weltwirtschaft und dem Nationalstaat, auf dem sowohl der Kapitalismus wie der Stalinismus mit seiner Perspektive des „Sozialismus in einem Land“ beruhen. Er leitete eine neue Epoche heftiger Krisen, von Kriegen und revolutionären Kämpfen ein, in denen die vom IKVI verteidigte Perspektive der permanenten Revolution die entscheidende Rolle spielen würde.
Das Internationale Komitee stützte seine gesamte Arbeit auf dieses Verständnis. Mitte der 1990er Jahre verwandelte es seine Sektionen aus Bünden in Parteien, in Anerkennung der qualitativen Degeneration der alten nationalen Organisationen und einer entsprechenden Veränderung im Verhältnis der Vierten Internationale zur Arbeiterklasse. 1998 gründete es die World Socialist Web Site als authentische Stimme des internationalen Sozialismus. Und am 12. Dezember 2025 präsentierte es Socialism AI als wegweisende Anwendung modernster Technologie für die politische Bildung und Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse.
Vor diesem Hintergrund wird die historische Bedeutung der Ereignisse vor vierzig Jahren deutlich. Der Klärungsprozess innerhalb der revolutionären Partei nimmt die Orientierung der Massen in großen revolutionären Kämpfen vorweg. Dank seines prinzipiellen Eingreifens in die Krise der WRP war das IKVI vor 40 Jahren in der Lage, die Weichen für den Aufbau einer wirklich internationalen, trotzkistischen Weltpartei zu legen, die dem globalen Charakter der modernen Arbeiterklasse entspricht. In den revolutionären Klassenkämpfen, die sich angesichts der tiefen Krise des Weltkapitalismus entwickeln, wird sie eine unverzichtbare Waffe für die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt sein.
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