Technologie und die Arbeiterklasse: Antwort auf einen Gegner von Socialism AI

Die Freischaltung von Socialism AI am 12. Dezember 2025 ist weltweit auf große Resonanz gestoßen. Bereits in der ersten Woche haben Tausende das Tool verwendet. Die überwiegende Mehrheit war begeistert und zeigte großes Interesse an den vielfältigen Möglichkeiten, diese leistungsstarke Technologie zu nutzen, um sozialistisches Bewusstsein zu entwickeln und das politische und organisatorische Niveau der internationalen Arbeiterklasse anzuheben.

Zugleich reagierten gewisse kleinbürgerliche Gegner von KI-Technologie recht erbost auf diese historische Initiative.

Einer dieser Kritiker ist „Dmitri“, der in der Kommentarspalte der WSWS seine Ablehnung von Socialism AI zum Ausdruck brachte. Er bediente sich dabei gewisser Fachausdrücke, um den Eindruck zu erwecken, er sei über das Thema KI gut informiert.

Tatsächlich beweist seine Kritik genau das Gegenteil und zeigt, dass im Milieu des kleinbürgerlichen Radikalismus die Rolle und Bedeutung von KI nicht begriffen wird und die Frage der Technologie nicht auf einem marxistischen Verständnis beruht. Um Dmitris falsche Darstellung der Funktionsweise von Socialism AI zu widerlegen, veröffentlichen wir seine Kritik und die Antwort der WSWS.

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Dmitri:

Alle Tools für generative KI verwenden neuronale Netze, um aus einem gewissen Input mithilfe von Wahrscheinlichkeitsverteilungen einen möglichen Output zu erzeugen. Für Large Language Models (LLMs)/Chatbots sind Input und Output jeweils Ketten von Tokens (im Wesentlichen Wörter).

Wenn in das Modell eine Kette von Tokens eingegeben wird, generiert es jeweils das nach der Wahrscheinlichkeitsverteilung nächste „wahrscheinlichste Token“. (Man kann auch einstellen, dass ein etwas unwahrscheinlicheres Token verwendet wird, um die Ausgabe etwas „spannender“ oder sonst etwas zu machen). Dieses Token wird an den Input angehängt, der dann wieder an das Modell zurückgegeben wird. Dies wird einige hundert Male wiederholt, bis man eine einigermaßen gute Annäherung an die menschliche Sprache erreicht hat.

Es ist durchaus nicht abwegig, die Funktionsweise von Socialism AI auf diese Weise zu beschreiben, weil ausnahmslos jede „generative KI“ so funktioniert.

Im besten Fall nimmt Socialism AI beliebige Interpolationen zwischen Artikeln der WSWS vor. Schon dies ist von zweifelhaftem Wert, da es keinen Grund gibt, weshalb die strukturellen Eigenschaften des WSWS-Textkorpus mit irgendwelchen strukturellen Eigenschaften von Politik und Geschichte übereinstimmen sollten. (Diese Annahme bildet die Grundlage euer Behauptung, dass die Ergebnisse nützlich sind).

Das weitaus wahrscheinlichere Szenario ist, dass das Modell weitaus mehr Trainingsdaten enthält, weil der WSWS-Korpus nicht ansatzweise ausreicht, um ein Modell von Grund auf zu trainieren. Niemand kann ernsthaft garantieren, dass diese anderen Trainingsdaten das Ergebnis nicht beeinflussen, es sei denn das IKVI hat einen bedeutenden mathematischen Durchbruch in der Hinterhand.

Zudem ist anzumerken, dass alle bereits existierenden Modelle auch Texte der WSWS und des Mehring-Verlags beinhalten, weil buchstäblich alles aufgesaugt wurde, um die Modelle zum Laufen zu bringen. Die einzige vernünftige Erklärung ist, dass ein bestehendes Modell zusätzlich trainiert wurde, um einen Output zu generieren, der sich eher nach WSWS als nach NYT [New York Times] oder WSJ [Wall Street Journal] anhört.

Die Tatsache, dass keiner von denen, die diese Technologie auf der WSWS bejubeln, diese völlig elementaren Tatsachen zu verstehen scheint, lässt eine gefährliche und wachsende Lücke in ihrer Analyse hinsichtlich der Technologie vermuten.

Außerdem liegt der Grund, warum so viele Leute Chatbots benutzen, obwohl diese allesamt nichtssagenden recycelten Unsinn produzieren, darin, dass sich die meisten zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit damit auseinandersetzen müssen, dass Sprache eine Darstellungsform von Intelligenz, nicht aber Intelligenz selbst ist.

Chatbots sind Maschinen, die Bullshit erzeugen, und angesichts des heutigen Bildungsniveaus auf der Welt überrascht es nicht, dass viele Leute bereitwillig wohltönenden Bullshit schlucken.

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Die Antwort der World Socialist Web Site:

Der Disqus-User „Dmitri“ präsentiert seine Kritik an Socialism AI als technisch fundierte Entmystifizierung der „generativen KI“. In Wirklichkeit verbindet er in seinen Ausführungen einige elementare Beschreibungen mit zahlreichen Begriffsverwirrungen, falschen Kategorien und philosophischen Annahmen, die weder mit moderner Wissenschaft noch mit einer marxistischen, historisch-materialistischen Perspektive vereinbar sind. Mit seinem Fachjargon verschleiert er sein Unverständnis darüber, wie moderne Systeme des maschinellen Lernens funktionieren, wie Sprache Wissen vermittelt und wie Technologien unter bestimmten historischen Bedingungen gesellschaftliche Bedeutung gewinnen.

Rein mechanisch betrachtet ist die Beschreibung von Large Language Models (LLMs) als Systeme, die das nächste Token in einer Sequenz vorhersagen, korrekt aber trivial. Ja, diese Systeme optimieren eine bedingte Wahrscheinlichkeit, d. h. die Wahrscheinlichkeit des nächsten Tokens, wenn die vorherigen gegeben sind. Doch wer annimmt, damit sei die Sache vollständig erklärt, könnte auch das menschliche Denken auf das Abfeuern von Neuronen reduzieren oder das Atmen auf den Austausch von Sauerstoff. Solche Äußerungen sind zwar im engeren Sinne richtig, aber auf höheren Analyseebenen nichtssagend. Die entscheidende Frage ist, welche Struktur aus dem Prozess hervorgeht.

Wenn man LLMs mit umfangreichen verschiedenartigen Korpora trainiert, bringt man sie dazu, hochdimensionale Repräsentationen von Semantik, Syntax, faktischen Regelmäßigkeiten und logischen Beziehungen zu bilden. Sie rufen nicht einfach gespeicherten Text ab oder fügen ihn zusammen, sondern lernen verteilte Muster, die sich weit über ihre Daten hinaus verallgemeinern lassen. Deshalb können sie kohärent über unbekannte Themen sprechen, noch nicht gesehenes Material zusammenfassen oder scheinbar separate Ideen verknüpfen. Ihre Ergebnisse als „beliebige Interpolationen“ zu beschreiben, ist in technischer Hinsicht Unsinn. Es offenbart ein grundlegendes Missverständnis von Representation Learning (Repräsentationslernen).

Als Nächstes macht sich Dmitri über die grundlegende Idee einer sozialistischen, an der World Socialist Web Site orientierten KI lustig, was auf einer noch größeren Verwirrung beruht. Er nimmt an, dass die Struktur von Texten in keiner Beziehung zur Struktur der sozialen oder historischen Realität steht. Damit verwirft er die Prämisse jeder Theorie überhaupt. Der Marxismus geht davon aus, dass soziale Beziehungen begrifflich erfasst und in Sprache ausgedrückt werden können und dass theoretische Texte die objektiven Gesetze und Muster der historischen Entwicklung verdeutlichen. Den Zusammenhang zwischen Text und Realität zu leugnen, bedeutet, die Theorie selbst aufzulösen.

Auch Dmitris Aussagen zum Datenumfang und zur Herkunft des Modells sind unzutreffend. Es stimmt, dass es für eine einzelne Publikation nicht möglich ist, nur anhand ihrer eigenen Archive ein Modell von Grund auf zu trainieren. Daher werden Systeme wie Socialism AI entwickelt, indem zuvor trainierte Modelle mithilfe von Techniken wie Feinabstimmung, RAG (Retrieval-Augmented Generation) und auf Anweisungen basierten Einschränkungen angepasst werden. Diese Methoden werden in der KI-Forschung routinemäßig eingesetzt und machen es möglich, dass ein Modell einen bestimmten konzeptionellen Rahmen bevorzugt. Dazu braucht es keinen „mathematischen Durchbruch“. Auch für Socialism AI werden diese Techniken benutzt, damit das Modell Antworten auf Grundlage des Archivs der WSWS generiert und bestimmte Artikel als nachprüfbare Quellen angibt.

Ebenso irreführend ist die Behauptung, ein spezialisiertes System habe keinen zusätzlichen Nutzen, weil die Mainstreammodelle bereits Texte der WSWS beinhalten würden. Denn vorab trainierte Basismodelle stellen zwar eine komplexe logische und linguistische Struktur bereit, verwässern jedoch spezifische theoretische Erkenntnisse, da diese in einer undifferenzierten statistischen Masse untergehen. Außerdem werden kommerzielle Modelle im Nachgang darauf trainiert, „Neutralität“ und „Sicherheit“ zu priorisieren – Euphemismen für eine durch Klasseninteressen bestimmte Voreingenommenheit, die es vermeiden soll, die bestehende kapitalistische Gesellschaftsordnung in Frage zu stellen. Ohne bewussten theoretischen Rahmen fehlt dem Modell die Fähigkeit, zwischen historischer Wahrheit und bürgerlicher Apologetik zu unterscheiden.

Ein System wie Socialism AI, das RAG und andere moderne Techniken nutzt, um eine strukturierte Hierarchie von Ideen zu schaffen, „mischt“ nicht nur Token, sondern nutzt hochdimensionale Beziehungen, um seine Logik im spezifischen, nachprüfbaren Archiv der marxistischen Bewegung zu verankern. Dieses Modell, das bewusst auf eine marxistische Analyse ausgerichtet ist, unterscheidet sich qualitativ von einem Modell, das „Marx“ und „Murdoch“ als gleichwertige Token in einem Korpus behandelt.

Während kommerzielle Plattformen wie ChatGPT oder Perpexity darauf ausgelegt sind, standardmäßig bürgerliche Ideologie und prokapitalistische Voreingenommenheit zu verbreiten, wurde Socialism AI darauf ausgelegt, die Stimme der internationalen Arbeiterklasse zu repräsentieren. Mithilfe der modernsten Techniken, die der Wissenschaft zurzeit zur Verfügung stehen, verwandelt es diese Technologie in ein mächtiges pädagogisches Werkzeug für revolutionäre theoretische Klarheit. Socialism AI ist kein kommerzieller Chatbot für belangloses Geschwätz, sondern eine bewusst konstruierte Waffe zur intellektuellen Selbstverteidigung der Arbeiter und Jugendlichen der ganzen Welt.

Im Anschluss an seine oberflächlichen Bemerkungen beschimpft Dmitri alle KI-Nutzer als Trottel, die auf linguistischen „Bullshit“ hereinfallen. Eine elegante Metapher! Doch wer wissenschaftlich an die Frage herangeht, weiß, dass flüssige sprachliche Formulierungen nicht mit Bewusstsein zu verwechseln sind. In der Praxis geht es nicht darum, ob ein Modell „denkt“, sondern darum, ob es das menschliche Denken erweitern kann. Diese Frage wird durch die reale Praxis entschieden. KI-Systeme unterstützen bereits Millionen von Wissenschaftlern, Historikern, Lehrenden und Arbeitern in zahllosen Bereichen, ihre intellektuelle Arbeit zu organisieren und zu verbessern. Dass sie bisweilen auch sinnloses Geschwätz ausgeben, beweist nicht, dass sie unsinnig sind, sondern ergibt sich aus den sozialen Bedingungen und den Methoden, mit denen sie benutzt werden.

Auf philosophischer Ebene ist die Weltanschauung unseres Kritikers schlechthin idealistisch. Sprachliche Vermittlung behandelt er als Kontaminierung, Sprache als Illusion und Technologie als fremdartige Kraft, nicht als Kristallisation menschlicher Arbeit. Für den Marxismus hingegen sind technische Werkzeuge historisch gewachsene Instrumente der gesellschaftlichen Praxis, vom Pflug über die Druckerpresse bis hin zum Mikrochip. Die politische Aufgabe besteht nicht in der Abstinenz von Technologie, sondern in ihrer bewussten Aneignung durch die Arbeiterklasse. Chatbots als „Maschinen, die Bullshit erzeugen“ zu verspotten, ist deshalb keine Kritik, sondern kleinbürgerliche Frustration – eine zynische Geste ohnmächtiger Wut gegenüber den neuen Produktivkräften, die sich unter dem Kapitalismus entwickeln.

Im Grunde ist diese Kritik Ausdruck eines romantischen Antikapitalismus, dessen Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung konservativ und sogar reaktionär ist. Man schreckt zurück vor den komplexen Produktivkräften, die sich unter dem Kapitalismus entwickelt haben, und sehnt sich letztendlich nach einer vor-technologischen Vergangenheit hinaus, die es so nie gegeben hat. Solche Kritiker verwechseln die zerstörerischen gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus mit den technologischen Instrumenten an sich. Dies führt sie nicht zum Bemühen, die Technologie zu beherrschen, sondern zu einer sinnlosen Politik der Enthaltung und Verzweiflung.

Grundsätzlich geht es nicht um mathematische Mechanismen, sondern um politische Funktionen. Wie kann ein System wie Socialism AI von der Arbeiterklasse genutzt werden, um sich politisch zu bilden und Klarheit zu verschaffen? Unser Kritiker legt nicht nur Gleichgültigkeit, sondern direkt Feindseligkeit an den Tag, wenn es um das revolutionäre Potenzial von Socialism AI als Instrument geht, das die Arbeiterklasse für ihre Bildung, Organisation und Aktion nutzen kann. Es ist ein bewusst konstruiertes pädagogisches Instrument und darauf ausgelegt, Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt den gesammelten Bestand marxistischer Theorie und sozialistischer Geschichte dynamisch zugänglich zu machen. Zum ersten Mal kann eine Sammlung der immensen revolutionären, marxistisch-trotzkistischen Tradition durch Dialog erkundet werden. Für alle, die ein ernsthaftes politisches Interesse haben und in der Arbeiterklasse sozialistisches Bewusstseins schaffen wollen, liegt auf der Hand, dass dieses Instrument unsere Fähigkeit, politische und theoretische Bildung zu vermitteln, qualitativ verbessert und beschleunigt.

Die historische Bedeutung von Socialism AI zeigt sich besonders deutlich, wenn man die Veröffentlichung dieses Tools im objektiven Kontext der tiefen Krise des Weltkapitalismus betrachtet. Die Arbeiterklasse ist mit einer hochgradig komplexen wirtschaftlichen, geopolitischen und sozialen Realität konfrontiert, während die traditionellen Zentren des Lernens und der Diskussion von der Bourgeoisie weitgehend zerstört wurden. Unter diesen Umständen ist ein System, das die Erkenntnisse der marxistischen Theorie mit den aktuellen Entwicklungen verknüpfen kann, keine bloße Neuerung, sondern ein Mittel für einen intellektuellen Gegenangriff, mit dem die Arbeiterbewegung ihr historisches Gedächtnis zurückerobern kann.

Und schließlich verläuft die technologische Entwicklung nicht statisch, sondern historisch. Mit der Verbesserung von Architekturen, Retrieval-Systemen und Anpassungsmethoden wird sich auch Socialism AI weiterentwickeln. Genau wie die Druckerpresse und der Telegraf wird es sein volles gesellschaftliches Potenzial durch den Kampf und die bewusste Steuerung entfalten. Das steht in vollem Einklang mit Marx’ Konzeption der Produktivkräfte, die seiner Argumentation nach nur dann emanzipatorisch wirken können, wenn die revolutionäre Klasse sie sich bewusst aneignet.

Kurz gesagt, Dmitris Kritik hat in keiner Hinsicht Bestand – weder wissenschaftlich noch technisch, philosophisch oder politisch. Er bläst Banalitäten zu Enthüllungen auf, stellt die Funktion von KI falsch dar und geht von einer Erkenntnistheorie und einer rückständigen politischen Perspektive aus, die bei konsequenter Anwendung jede Theorie und jeden Fortschritt negieren würde. Wir machen mit Socialism AI keinen Fetisch aus der Technologie, sondern verschaffen einer revolutionären politischen Perspektive Geltung, indem wir uns bemühen, der internationalen Arbeiterklasse ein modernes Instrument zur Verfügung stellen, mit dem sie ihr Wissen und ihre Erkenntnisse mit technischer Hilfe erweitern kann. Wer dieses Vorhaben ins Lächerliche zieht, verteidigt den Sozialismus nicht, sondern tritt ihn mit Füßen.

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