Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale
Wie die Workers Revolutionary Party den Trotzkismus verraten hat 1973 – 1985

1977: Die Labour-Regierung in der Krise

In ihrem vierten Amtsjahr war die Labour-Regierung mit zunehmender Opposition in der gesamten Arbeiterklasse konfrontiert. Es kam zu einer Reihe von wichtigen Massenkämpfen – besonders dem Kampf bei Grunwick, dem Leyland-Streik und dem Streik des Bodenpersonals beim Londoner Flughafen. Diese Streiks brachten das Callaghan-Regime in direkte Konfrontation mit den Gewerkschaften. Der sogenannte „Sozialvertrag“ zwischen dem TUC und der Labour-Regierung wurde durch die erneute Offensive der Arbeiterklasse ins Wanken gebracht. In dem Maße, wie diese Kämpfe mächtiger wurden, ging die Labour-Regierung ein informelles parlamentarisches Bündnis mit der bürgerlichen Liberalen Partei ein, um ihre Mehrheit zu sichern und im Amt zu bleiben. Dass die Liberalen sich mit diesem Bündnis einverstanden erklärten, hieß, dass die herrschende Klasse in Großbritannien die Zeit noch nicht für reif hielt, um die Tories an die Macht zu bringen. Stattdessen wollten sie die Labour Party noch ein bisschen länger ausnutzen, um mit ihrer Hilfe die Arbeiterklasse anzugreifen und zu demoralisieren.

Diese entscheidende Entwicklung der politischen Situation machte deutlich, dass die WRP seit 1975 ohne ein strategisches Konzept für ihren Kampf gegen die Sozialdemokratie in der Arbeiterbewegung gearbeitet hatte. Alles, was Trotzki über den Zusammenhang zwischen Strategie und Taktik, über die Notwendigkeit, bei kritischen Veränderungen der objektiven Situation eine richtige Orientierung zu finden, über die Notwendigkeit der ständigen Verschärfung und Konkretisierung der Politik der Partei geschrieben hatte, und wie sich diese politische Linie auf eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung des Klassenkampfs und des subjektiven Bewusstseins der Abeiterklasse zu stützen habe, all das war gründlich vergessen.

Hätte die Partei auf marxistische Art und Weise den Kampf geführt – und die Dialektik aus dem Klassenkampf statt aus der Bewegung von Healys Impressionen abgeleitet –, so hätte sie, spätestens Anfang des Jahres 1975, verstehen müssen, dass eine Periode unumgänglich war, in der die Arbeiterklasse auf eine günstige Gelegenheit wartete, die Labour-Regierung zu testen. Zugleich hätte sie erkannt, dass es nach dieser Periode von zunächst unbestimmter Dauer unvermeidlich zu einer erneuten Revolte der Arbeiterklasse gegen die Labour-Regierung kommen würde, und dann mit revolutionären Konsequenzen.

Die WRP hätte also ihre Politik darauf ausgerichtet, die Arbeiterklasse auf die unweigerlich kommende Konfrontation vorzubereiten – sie hätte die zur Entlarvung der rechten Sozialdemokraten notwendigen Parolen aufgestellt, die Arbeiterklasse gegen die Politik der Regierung mobilisiert, Forderungen an diejenigen in der Labour-Party und den Gewerkschaften gestellt, die angeblich mit der Regierungspolitik nicht einverstanden waren, und kritisch und unabhängig mit denjenigen in den Labour Party-Wahlkreisen zusammengearbeitet, die für den Ausschluss der Rechten aus der Partei kämpften. Gleichzeitig hätte sie die Arbeit der Partei in den Gewerkschaften, den Arbeitersiedlungen und unter der Jugend geduldig ausgeweitet. In jedem Stadium der Entwicklung dieser Arbeit hätte die Partei objektiv die Reaktion der Arbeiter auf ihre Politik registriert und die Höhe der politischen Entwicklung der Klasse eingeschätzt. Auf dieser Grundlage hätte die Partei dann entsprechend den politischen Veränderungen die notwendigen Berichtigungen und Konkretisierungen in ihrer Propaganda und Agitation vornehmen können. Eine solche Arbeit nennt man „geduldig aufklären“ und „die Massen gewinnen“.

Im Jahre 1930 analysierte Trotzki die von den Bolschewisten im Jahre 1917 angewandte Methode:

In meiner kurzen Arbeit über die österreichische Krise habe ich ganz bewusst in Klammern darauf hingewiesen, dass die Formel des ‚geduldigen Aufklärensʻ von Lenin im April 1917 in die Diskussion eingeführt wurde. Sechs Monate später hatten wir die Macht. Das heißt also, dass das geduldige Aufklären durch die revolutionäre Partei nichts mit Verzögerungstaktik, mit Etappendenken oder mit sektiererischem Abseitsstehen zu tun hat. ‚Geduldige Aufklärungʻ bedeutet keineswegs, dass man die Dinge unsystematisch erklärt, in lahmer Weise, jeden Tag einen Esslöffel voll. Mit dieser Formel wollte Lenin seiner Partei im April 1917 sagen: ‚Versteht, dass Ihr eine kleine Minderheit seid und erkennt dies offen an; stellt Euch keine Aufgaben, zu deren Durchführung Euch die Kraft fehlt, wie der sofortige Sturz der Provisorischen Regierung; stellt Euch furchtlos gegen die Landesverteidiger, denen heute noch die überwiegende Mehrheit der Massen folgt; versucht, die Psychologie der ehrlichen Landesverteidiger zu verstehen – und klärt sie geduldig auf, wie man von diesem Krieg loskommtʻ. Mit anderen Worten lautete Lenins Rat: ‚Glaubt nicht, dass es irgendwelche Patentrezepte oder Tricks gibt, durch die Ihr urplötzlich stärker werdet, ohne das Bewusstsein der Massen für Euch gewonnen zu haben; verwendet all Eure Zeit, all Eure revolutionäre Ungeduld auf die „geduldige Aufklärung“.ʻ

Das ist die wahre Bedeutung von Lenins Worten.

Man darf natürlich nicht in das andere Extrem verfallen und meine Worte dahingehend interpretieren, dass ich im Grunde genommen davon ausgehe, die österreichischen Kommunisten könnten innerhalb von sieben Monaten an die Macht kommen. Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, nicht sehr wahrscheinlich. Doch wenn man davon ausgeht, dass sich die Ereignisse in der kommenden Periode mit enormer Geschwindigkeit entwickeln (und das kann nicht ausgeschlossen werden), so heißt das nur, dass die Errungenschaften aus der ‚geduldigen Aufklärungʻ dann sehr schnell zunehmen.

Darum scheint mir der Satz ‚jetzt ist es zu spätʻ ein völliges Missverständnis zu sein. Welche anderen Methoden kann es für proletarische Revolutionäre geben? Schiere politische Ungeduld, die ernten will, bevor sie gesät hat, führt entweder zu Opportunismus oder zu Abenteurertum oder zu einer Kombination aus beidem, In den vergangenen fünf, sechs Jahren haben wir in jedem Land Dutzende von Beispielen sowohl für opportunistische wie abenteuerliche Versuche erlebt, künstlich die Stellung des Proletariats ohne die bewusste Mitwirkung des Proletariats selbst zu stärken. Alle diese Versuche sind fehlgeschlagen und haben den revolutionären Flügel nur geschwächt.

Ihr schreibt, die sozialdemokratischen Massen in Österreich befänden sich in einer revolutionären Stimmung , doch werde ihre Bereitschaft, die Revolution durchzuführen, durch den mächtigen Apparat der österreichischen Sozialdemokratie gelähmt. Den Massen, so schreibt ihr, fehle ‚nur eine entsprechende Führungʻ. ‚Nur!ʻ Doch dieses kleine Wort ‚nurʻ umfasst nichts weniger als die gesamte Tätigkeit der revolutionären Partei, von den ersten Propagandaversuchen bis zur Machteroberung. Wenn man nicht in der Erfahrung der Kämpfe selbst das Vertrauen der Massen gewinnt, kann es keine revolutionäre Führung geben. In manchen Perioden dauert es Jahrzehnte, bis man dieses Vertrauen gewinnt. In revolutionären Perioden können Monate (bei richtiger Politik) mehr bewirken als eine jahrelange friedliche Entwicklung. Doch die Partei kann nie über diese grundlegende Aufgabe hinwegspringen. Sie stellt sich in Österreich allen proletarischen Revolutionären. Die Forderung nach ‚geduldiger Aufklärungʻ bedeutet vor allem dies: ‚Gewinnt das Vertrauen der Arbeiter!ʻ Und sie warnt vor bürokratischem Selbstbetrug, der notwendigerweise zu Abenteurertum führt, vor Versteckspiel, vor Manövern hinter den Kulissen, die darauf abzielen, die Geschichte zu betrügen und der Klasse seinen Willen aufzuzwingen. (Writings of Leo Trotsky 1930, Pathfinder, S, 71-73, aus dem Engl.)

Wir haben aus diesem Brief so ausführlich zitiert, weil sich jedes Wort so liest, als sei es eine Antwort Trotzkis auf die WRP-Führung.

Healy und Banda hatten die entscheidende Übergangsperiode von 1975-77 verpasst. Sie kümmerten sich nicht um Fragen nach Entwicklungsstadien und Tempo und konnten nur immer wieder und zu jeder Gelegenheit das eine wiederholen: „Stürzt die Labour-Regierung“. So kam es, dass die WRP 1977, als die wirkliche Konfrontation zwischen den Gewerkschaften und der Labour-Regierung ausbrach, weit weg von der Arbeiterklasse war. Diese Offensive machte deutlich, welchen enormen Preis die WRP für ihre ultimatistische Politik gegenüber der Arbeiterklasse bezahlt hatte. Sie hatte sich als unfähig erwiesen, die notwendigen Positionen zu erobern, die die Grundlage für ein nennenswertes Eingreifen der Partei in den Massenkämpfen gewesen wären. Trotz einer bemerkenswert großen Mitgliedschaft und einer Tageszeitung konnte die WRP seit 1975 auf keinen einzigen Kampf mehr verweisen, in dem ihre Kader, außer den News Line-Reportern, eine bedeutsame Rolle spielten. Sie konnte keinen wachsenden Einfluss in den Gewerkschaften vorweisen, ganz zu schweigen von der Labour-Party, für die die WRP überhaupt keine Politik entwickelt hatte. Politisch konnte die WRP ihre Linie nur noch durch Adjektive bereichern. So hieß es in einem Perspektivdokument vom August 1977:

Die Workers Revolutionary Party ruft zum äußerst entschlossenen Kampf auf, die Koalition aus Liberalen und Labour Party zu stürzen, wie wir bereits seit Juli 1975 zum Sturz der Labour-Regierung aufrufen! (S. 7)

Weit davon entfernt, die politische Bedeutung des parlamentarischen Blocks mit den Liberalen herauszustreichen, konnte diese Erklärung bei Arbeitern nur zu Zweifeln führen, ob überhaupt eine entscheidende Veränderung stattgefunden habe. Ein Arbeiter, der die Linie der News Lineverfolgt hatte, hätte fragen können: „Ihr schreibt, wir sollen Labour stürzen, weil sie eine Koalition mit den Liberalen eingegangen sind. Aber dasselbe habt Ihr uns schon vor zwei Jahren gesagt, noch bevor diese Koalition gebildet wurde.“

Für eine marxistische Führung wäre die Hinwendung Callaghans zu den Liberalen mit Sicherheit eine Gelegenheit gewesen, um den Klassenstandpunkt gegenüber den sozialdemokratischen Verrätern dramatisch zu verschärfen. Sie hätte sofort die Gewerkschaften und die Labour Party aufgerufen, Callaghan und seinem rechten Kabinett das Misstrauen auszusprechen – und sich auf diese Weise mit der beträchtlichen Massenbewegung verbunden, die sich sehr schnell entwickelte. Es hätte natürlich nicht genügt, diese Forderung hier und dort aufzubringen. Im Gegenteil, eine beständige Arbeit auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung wäre erforderlich gewesen.

Wenn die Fortsetzung der alten Politik durch die WRP scheinbar mit der neuen Situation übereinstimmte, so nur in dem Maße, wie eine stehengebliebene Uhr, die zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt (wenn es dabei unerheblich ist, ob Tages- oder Nachtzeit gemeint ist). Eine falsche Politik, die im Gegensatz zur marxistischen Methode entwickelt wird, kann vom Standpunkt des revolutionären Handelns nicht lediglich auf Grund einer zufälligen Änderung der objektiven Situation richtig werden. Jede Ähnlichkeit zwischen der neuen politischen Entwicklung im Klassenkampf und der Politik der WRP, der vergangenen wie der heutigen, war rein zufällig.

Die Workers Revolutionary Party betrachtete den Pakt zwischen Labour und Liberalen vom 23. März 1977 lediglich als eine Bestätigung des Verrats der Sozialdemokraten und als eine Rechtfertigung ihrer vorherigen Aufrufe zum Sturz der Regierung. Sie unterließ es, die Veränderungen im Klassenkampf zu untersuchen, die Callaghan dazu zwangen, die Unterstützung der Liberalen zu suchen, und konnte deshalb auf dieser Grundlage keine neue Taktik entwickeln, die es der WRP ermöglicht hätte, in den sich schnell polarisierenden Massenorganisationen der Arbeiterklasse einzugreifen.

Am Vorabend des Pakts zwischen Labour und Liberalen lautete die Schlagzeile der News Line: „Labour bietet sich zum Verkauf an“. Diese sarkastische Schlagzeile lenkte von der politischen Krise innerhalb der Labour Party ab, die den Widerstand der Arbeiterklasse widerspiegelte. So ganz nebenbei wurde in dem Artikel die Äußerung eines Labour-Abgeordneten namens John Ryman wiedergegeben, der die Frage gestellt hatte:

Gibt es wirklich noch einen guten Grund, warum Labour-Abgeordnete weiter die Regierung unterstützen sollten?

Die Regierung betreibt in voller Absicht eine wirtschaftliche Strategie, die in meinem Wahlkreis zu Massenarbeitslosigkeit, niedrigen Löhnen, hohen Preisen, Schließungen ganzer Krankenhausabteilungen und Lehrerseminaren führt und die für 3 Millionen Witwen im ganzen Land unaussprechliche Not und Elend bedeutet.

Noch bedeutsamer war die Erklärung von Arthur Scargill, dem damaligen NUM-Vorsitzenden in Yorkshire, zum Pakt mit den Liberalen:

Meiner Auffassung nach dürfte sie (die Regierung) kein Abkommen mit den Liberalen schließen und nicht weiter mit einem Mandat im Amt bleiben, das dem von 1974 entgegengesetzt ist... Wenn wir wirklich bereit sind, eine Koalition mit den Liberalen einzugehen, dann müssen wir uns die Frage vorlegen: Würden wir noch weiter gehen, wenn es die Situation verlangen würde, und zu einer Koalition mit den Tories bereit sein? (News Line, 28. März 1977)

Bezeichnenderweise wurde diese Erklärung auf Seite 2 versteckt. Dies belegt, dass es keinerlei Perspektive gab, die Widersprüche in der Arbeiterbewegung zu verschärfen, die Linken zur Opposition gegen die Koalition herauszufordern und ihnen kritische Unterstützung in ihrem Kampf gegen die Callaghan-Regierung anzubieten.

Eine solche Kampagne hätte unermesslich an Stärke gewonnen und weite Betätigungsfelder eröffnet, wenn die Kader der WRP unter den einfachen Arbeitern in den Fabriken oder sogar in der Labour Party strategisch wichtige Positionen innegehabt hätten. Sie hätten eine politische Kampagne gegen die Haltung des TUC-Vorsitzenden Len Murray führen können, der erklärt hatte: „Der TUC wünscht, dass die gegenwärtige Regierung im Amt bleibt und die Arbeit zu Ende führt, die sie begonnen hat.“ (News Line, 22. März 1977)

Die Weigerung, überhaupt etwas zu tun, außer gegen den Lib-Lab-Pakt anzuschreien, wurde mit bombastischer Rhetorik verbrämt. Die WRP, erklärte Healy, „bereite“ sich nicht länger nur auf die Machtergreifung „vor“, sondern befinde sich jetzt mitten im „Kampf um die Macht“. Für die tatsächliche Praxis der WRP hatte diese veränderte Wortwahl überhaupt keine Bedeutung. Stattdessen diente sie als Formel, die trotz ihres dramatischen Beiklangs die politische Enthaltsamkeit der WRP und ihre sektiererische Isolation von der Arbeiterklasse rechtfertigte. In der Sprache des Bolschewismus ist die Vorbereitung auf die Machteroberung der Kampf, die Massen zu gewinnen. Wie der Dritte Kongress der Komintern 1921 erklärte, muss die Partei, um die Macht zu erobern, erst die Massen erobern. Nur auf dieser Grundlage kann sie den Kampf um die Macht aufnehmen. Obwohl sich dieser Rat hauptsächlich auf die Erfahrungen der Kommunistischen Partei Deutschlands bezog, die damals nur etwa eine halbe Million Mitglieder hatte, neigen wir zu der Annahme, dass Lenin ihn auch auf die Workers Revolutionary Party bezogen hätte, die 1977 nicht ganz so viele Mitglieder besaß.

Healy wollte jedoch Lenin übertrumpfen und beweisen, dass das Gewinnen der Massen („Vorbereitung auf die Machteroberung“) nur ein unnötiger Umweg auf der Schnellstraße des Kampfes um die Macht sei. In der Erklärung des WRP-Kongresses vom August 1977 stand: „Die Rolle der Partei kann nicht auf arithmetische Faktoren beschränkt werden“. Das stimmt schon – solche Faktoren, wie die politische Stählung des Kaders, die moralische Autorität der Partei und ihrer Führer und die geschichtlichen Traditionen, die sie repräsentiert, können enorme revolutionäre Bedeutung erlangen, die der Partei weit mehr Macht geben, als es gemessen an ihren Mitgliederzahlen erscheinen mag. Dennoch ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich die britische herrschende Klasse von einer Partei mit 600 Mitgliedern stürzen lässt. Nein, Zahlen allein entscheiden nicht über das Schicksal der Revolution. Doch wehe der revolutionären Partei, die die Macht zu erobern versucht, ohne die Wichtigkeit der Zahlenverhältnisse zu berücksichtigen!

Die politische Verwirrung der WRP im Sommer 1977 – auf dem Höhepunkt des Kampfes bei Grunwick – zeigt sich in einzigartiger Deutlichkeit in der Hauptresolution ihrer Augustkonferenz:

Bisher hatte die Partei dazu aufgerufen, ‚Labour an die Machtʻ zu bringen und ‚die Labour-Regierung zur Durchführung eines sozialistischen Programms zu zwingenʻ, um vor der Arbeiterklasse die Feigheit und den Verrat der Labour-Führer vor dem kapitalistischen Staat zu entlarven.

Jetzt aber ist es notwendig geworden, diese Formel aufzugeben, ebenso wie Lenin 1917 die Parole der ,Demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauern' aufgegeben hat und zum unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse im Bunde mit der armen Bauernschaft und unter Führung der bolschewistischen Partei aufrief. (Fünf Jahre WRP, S. 6)

Dies war ein extrem gefährliches Durcheinander – offensichtlich begriff Healy weder die „demokratische Diktatur“ noch die Labour Party. Die Zurückweisung dieser Formel durch Lenin gleichzusetzen mit der Änderung der alten WRP-Politik „Labour an die Macht“, das musste unabsehbare Folgen haben. Die welthistorische Bedeutung von Lenins Korrektur war, dass er die geschichtliche Unfähigkeit der Bauernschaft erkannt hatte, eine unabhängige Partei aufzubauen, mit der sie die Macht hätte ausüben können. Das Konzept einer demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft als unabhängiges Zwischenstadium vor der Diktatur des Proletariats wurde aus dem Programm der Bolschewistischen Partei und der künftigen Kommunistischen Internationale gestrichen (bis es dann in den zwanziger Jahren von Stalin und Bucharin wiederbelebt wurde). Diese Berichtigung mit der Frage der Labour Party in Verbindung zu bringen, konnte nichts anderes bedeuten, als dass die WRP aus geschichtlichen und soziologischen Gründen (die sie sich allerdings nicht zu erklären bemühte) zu dem Schluss gekommen war, dass es vor der Diktatur des Proletariats unmöglich noch einmal eine Labour-Regierung geben könne. Eine solche Perspektive entwaffnete die WRP-Kader völlig und schrieb die Arbeiterklasse ab. Darüber hinaus zeigte sich, dass Healy die politische Linie nicht ernsthaft erarbeitete, sondern frei improvisierte.

Im folgenden Jahr wurde der Lib-Lab-Pakt beendet – das war das Zeichen, dass die Tories inzwischen bereit waren, die Labour-Regierung zu stürzen. Mittlerweile war die Opposition gegen das Callaghan-Regime in der Arbeiterklasse derartig angewachsen, dass seine Lohnpolitik auf der Konferenz der Labour Party im Oktober 1978 mit einer Zweidrittelmehrheit abgelehnt wurde. Wieder unterstrichen die Ereignisse die Lähmung der WRP gegenüber der Labour Party und den breiten Arbeitermassen. Trotz des ungeheuren Aufruhrs in der Arbeiterklasse und der Unruhe in der Labour Party war die WRP völlig isoliert. Ja, schlimmer noch, die immer gleiche Forderung nach dem Sturz der Labour-Regierung brachte die WRP in eine bedrohliche Nähe zur Tory-Partei. Aber was tut das zur Sache, jetzt erst recht, stürzt die Labour-Regierung!

Hätte die WRP wie eine marxistische Partei gearbeitet, dann hätte sie eine taktische Linie entwickelt, die der aktuellen Situation entspricht; sie hätte betont, dass sich die Labour-Regierung im Todeskampf befinde und dass eine neue Tory-Regierung nur verhindert werden könne, wenn das Callaghan-Kabinett hinausgeworfen und ein sozialistisches Programm durchgesetzt werde. Stattdessen unternahm die WRP keinen Versuch, ihre Politik mit der Tory-feindlichen Stimmung der Massen in Übereinstimmung zu bringen.

Die politischen Veränderungen in der WRP zwischen 1973 und 1978 waren so groß, dass die Partei, deren stärkstes Wachstum durch das Aufbrechen Tory-feindlicher Stimmungen zustande gekommen war, jetzt völlig gleichgültig auf diese Grundstimmung in der Arbeiterklasse reagierte und keinen Versuch unternahm, sie für revolutionäre Zwecke zu benutzen.