Tausende Studierende demonstrieren gegen Studiengebühren

In fünf deutschen Städten verließen am gestrigen Donnerstag die Studierenden ihre Universitäten, um gegen Studiengebühren und für freie Bildung zu demonstrieren. Die Veranstalter gehen von bundesweit etwa 27.000 Demonstranten aus. Der unmittelbare Anlass für die Studentenproteste ist ein Entscheid des Bundesverfassungsgerichts von letzter Woche, wonach die Bundesländer in eigenem Ermessen Studiengebühren erheben können. Das Gericht sprach dem Bund das Recht ab, ein Verbot von Studiengebühren gesetzlich zu verankern.

Das Urteil der Verfassungsrichter, das nicht überraschend kam, führte unmittelbar dazu, dass zahlreiche Ministerpräsidenten, Kultusminister sowie sonstige "Experten" und Entscheidungsträger sich zu Wort meldeten, um die schnellstmögliche Einführung von Studiengebühren in einer Einstiegshöhe von 500 Euro pro Semester zu fordern.

Unter der Prämisse, dass die Einführung von Studiengebühren nunmehr beschlossene Sache sei, kündigten auch sozialdemokratisch geführte Länderregierungen an, dass sie ihren CDU-Kollegen bald folgen und ab dem ersten Semester Gebühren kassieren wollen. Banken legen bereits Pläne für die Kreditvergabe vor, an den Unis wird schon ausgerechnet, was mit den eventuell demnächst vorhandenen Extra-Millionen gemacht werden könnte, und in den Medien war zu erfahren, wie "normal" Studiengebühren in anderen Ländern seien.

Proteste selbst der direkt Betroffenen fallen bislang eher gering aus - gerade auch wenn man sie mit den Studentenstreiks von 1997/98 vergleicht. Damals waren Zehntausende Studierende in ganz Deutschland über Wochen hinweg in den Ausstand getreten und hatten durch Massendemonstrationen und medienwirksame Aktionen auf die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen und die damit verbundenen schlechten Studienbedingungen aufmerksam gemacht. Dabei sprachen sie sich massiv gegen eine mögliche Einführung von Studiengebühren aus.

Nur wenige Monate bevor die konservative Kohl-Regierung abgewählt wurde, hatte der damalige Bildungsminister Jürgen Rüttgers die Einführung von Studiengebühren ins Gespräch gebracht, ohne dabei konkrete Pläne vorzulegen. Diese- im Vergleich zu heute wesentlich unkonkretere - Aussicht auf ein Ende der freien Bildung hatte nicht nur unter Studenten, sondern auch unter großen Teilen der Bevölkerung Empörung ausgelöst. Im Wahlkampf 1998, der die Schröder-Regierung an die Macht brachte, warben SPD und Grüne auch mit dem Versprechen erfolgreich um Stimmen, ein Verbot von Studiengebühren durchzusetzen.

Seitdem ist nicht etwa die Empörung über die unsoziale Politik geringer geworden. Die Menschen haben nicht mehr Geld in der Tasche und Studiengebühren werden zahlreichen Kindern aus armen Familien das Studium unmöglich machen. Verändert hat sich die Regierung und das Verhältnis der Bevölkerung zu den Parteien, die unter der Kohl-Regierung die offizielle Opposition darstellten und in die viele ihre Hoffnung auf gesellschaftlichen Fortschritt im Verbund mit mehr sozialer Gerechtigkeit setzten.

Seit Rot-Grün die Regierung stellt, ist ein Sozialabbau von zuvor ungekanntem Ausmaß im Gange, der mit einer drastischer Einschränkung demokratischer Rechte und der Aufrüstung von Militär und Polizei einhergeht. Während sich viele Menschen enttäuscht von SPD und Grünen abgewandt haben und ihnen mittlerweile feindlich gegenüberstehen, fehlt es den Protesten gegen die Politik der herrschenden Elite bislang allgemein an einer Perspektive. So verliefen die Massendemonstrationen gegen Hartz IV im Sande, ohne dass die Wut über die Gesetze nachgelassen oder die sozialen Härten akzeptiert worden wären. Ebenso wenig findet derzeit die tatsächliche Empörung über Studiengebühren einen Ausdruck.

Es ist allzu offensichtlich geworden, dass der reine Protest, die Mobilisierung an sich nicht ausreicht. Selbst diejenigen, die in diesen Tagen auf die Straße gehen, verbinden damit kaum Hoffnungen, etwas erreichen oder verhindern zu können. Was mehr als alles andere fehlt, um tatsächlichen Widerstand gegen Studiengebühren, Sozialabbau und die Einschränkung von demokratischen Rechten zu leisten, ist eine fortschrittliche soziale Perspektive, die Aussicht auf eine Alternative zum vorherrschenden Gesellschaftssystem, das der großen Bevölkerungsmehrheit nichts als sinkenden Lebensstandard und zunehmende Repression zu bieten hat. Das ist auf den Demonstrationen deutlich geworden.

Leipzig

An der Demonstration in Leipzig beteiligten sich insgesamt etwa 8.000 Personen, die überwiegend aus Sachsen, aber auch aus Sachsen-Anhalt und Thüringen kamen. Neben Studierenden konnte man auch Menschen aus anderen sozialen Schichten sehen, die sich mit den Protesten solidarisierten. Auf einem Transparenten war zu lesen: "Bildung braucht Zeit und Förderung" und "Bildung ist der Impfstoff gegen rechts". Andere machten auf die soziale Selektion im Bildungssystem aufmerksam.

In den Redebeiträgen wurden Illusionen in die SPD geschürt, die seit der letzten Landtagswahl in der sächsischen Regierung sitzt, obwohl sie weniger als 10 Prozent der Stimmen erhielt. So forderte der Vertreter der "Konferenz der Sächsischen Studierendenschaften" Benjamin Schulz, die sächsische SPD dazu auf, sich bundesweit gegen Studiengebühren einzusetzen. Vertretern der offiziellen Politik wurde ein Großteil der Redezeit gewidmet. So sprach der parlamentarische Geschäftsführer der SPD im sächsischen Landtag, Martin Dulig, der stellvertretende Vorsitzende der Grünen Landtagsfraktion Michael Weichert und eine Vertreterin der PDS.

Angesichts der Erfahrungen mit der rot-grünen Bundesregierung und der verheerenden Sozial- und Bildungspolitik aller Landesregierungen vom schwarzen Bayern bis zum rot-roten Berlin, konnten die demonstrierenden Studenten damit wenig anfangen. Sobald ein Redner der etablierten Parteien die Bühne betrat, waren immer wieder Buh-Rufe und Pfiffe zu hören.

Mannheim

In Mannheim marschierten rund 6.000 Studenten durch die Innenstadt. Schon eine Stunde vor offiziellem Demonstrationsbeginn füllte sich der Platz vor dem Hauptbahnhof. Die Teilnehmer kamen aus dem ganzen süddeutschen Raum mit Kontingenten aus Ludwigshafen, Karlsruhe, Heidelberg, Tübingen, Worms, Koblenz, Stuttgart, Ulm, Saarbrücken, Frankfurt, Darmstadt, Marburg und vielen anderen Städten. Aus Saarbrücken waren zehn Busse angereist. Auch aus dem Saarland und Hessen kamen zahlreiche Studierende angereist.

Auf den Transparenten wurde das Recht auf freie Bildung gefordert: "Bildung ist ein öffentliches Gut" oder "Für ein Recht auf Bildung!" Neben der Union wurde auch die Bundesregierung angegriffen: "Dank Rot-Grün: die soziale Bombe tickt".

Viele Banner und Reden richteten sich gegen den Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg, Peter Frankenberg (CDU), einen vehementen Vorreiter für die Einführung von Studiengebühren an Hochschulen. Frankenberg hatte den Schulen und Universitäten Baden-Württembergs im letzten Jahr 140 Millionen Euro gestrichen. Auf einem Transparent stand: "Frankenberg vs. Humboldt". 500-Euro-Scheine mit FrankenbergsKonterfei wurden verteilt, um die jeweiligen Proteste darauf zu notieren und in einen riesigen Hintern aus Pappmaché zu stopfen.

Auf der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz sprachen mehrere Asta-Vertreter, die immer wieder einen Bezug zur einmalig hohen Arbeitslosigkeit schufen. Ein Vertreter des Arbeitskreises Freie Bildung erklärte, am Wert der Bildung sei der Wert einer Gesellschaft zu messen. Hannes Brückner, Fachschaftssprecher des Studienzweigs Design, warnte vor der Anhäufung lebenslanger Schulden durch ein Studium. Er stellte den Bezug zur Arbeitslosigkeit und Hartz IV her und erklärte, diese Demonstration sei integraler Bestandteil einer größeren Protestbewegung. Der Kapitalismus sei unfähig, für eine freie Bildung zu sorgen, deshalb sei es Zeit, nach einer gesellschaftlichen Perspektive zu suchen.

Ein Kontingent von Brauereiarbeitern der Eichbaum-Brauerei Mannheim beteiligte sich an der Demonstration; ein Sprecher der Gewerkschaft NGG forderte die Studenten auf, ihren seit acht Tagen währenden Streik gegen Lohnkürzungen zu unterstützen, und erklärte, die Angriffe auf die Löhne seien mit den Angriffen auf die Bildung vergleichbar.

Hamburg

In Hamburg versammelten sich nach Angaben der Veranstalter rund 10.000 Studenten aus 21 Städten Norddeutschlands unter dem Motto "Studiengebühren stoppen, Bildung ist keine Ware". Auf Transparenten und Plakaten forderten die Studenten "Bildung für alle, und zwar umsonst" und "Subventioniert Bildung statt Kohle". Hamburg gehört zu den Ländern, die vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt haben und die Einführung von Studiengebühren konkret planen. In den vergangenen Monaten hat der Hamburger Senat den Universitäten schon zahlreiche Kürzungen verschrieben und das Hochschulsystem den Marktanforderungen angepasst.

Essen

In Essen zogen etwa 1.500 Studierende in einem mehrstündige Marsch durch die Innenstadt. Für die Demonstration war nur lokal mobilisiert worden, so dass nur wenige Teilnehmer aus benachbarten Universitätsstädten angereist waren, um an der größten Protestveranstaltung gegen Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen teilzunehmen. Auffällig war auch das Fehlen von Schülerinnen und Schülern, die mit der Aussicht konfrontiert sind, ab dem ersten Semester für den Hochschulbesuch zahlen zu müssen.

Die rot-grüne Regierung in Düsseldorf hält sich angesichts der kurz bevorstehenden Landtagswahlen mit der Verkündung von neuen Gebührenplänen zurück. Dennoch haben die Studierenden im bevölkerungsreichsten Bundesland schon im vergangenen Jahr einen Vorgeschmack erhalten, wie das Ende des freien Zugangs zu Hochschulen aussieht: Seit dem Sommersemester 2004 werden in NRW Gebühren in Höhe von 650 Euro pro Semester für ein Zweitstudium oder so genanntes Langzeitstudium verlangt. Tausende verließen daraufhin die Hochschulen, viele andere müssen Schulden machen oder noch mehr neben dem Studium arbeiten, um Ausbildung und Lebensunterhalt zu finanzieren.

Während bei früheren Studentenprotesten immer zahlreiche Anhänger und Vertreter von Grünen, SPD und den dazugehörenden Jugendorganisationen anwesend waren, fehlte diesmal im Demonstrationszug jeder Hinweis auf irgendwelche Sympathie mit den Regierungsparteien. Die Studenten trugen Plakate mit Slogans wie "Bildung und Demokratie sind Grundrechte", "Reiche Eltern für Alle und zwar umsonst", "Geld für Bildung! Nicht für Krieg!" und "Gegen Bildungsprivatisierung". In Sprechchören forderten sie "Konzerne besteuern - Unis erneuern" und "Bildung für alle".

Während der Demo kam es zur Blockade einer Kreuzung, die allerdings völlig friedlich verlief und nach kurzer Zeit wieder beendet wurde. Als die Demonstranten zum Arbeitsamt ziehen wollten, fingen Polizisten ohne ersichtlichen Grund an, Menschen aus der Demo herauszuziehen. Es kam zu Verhaftungen. Die Demonstration wurde daraufhin aufgelöst.

Berlin

Die Demonstration in der Hauptstadt war erst in den letzten Tagen spontan organisiert worden, nachdem Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) Studiengebühren auch für Berlin in Aussicht gestellt und Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) nicht ausgeschlossen hatte, die Studenten ab 2006 zur Kasse zu bitten. Knapp 2.000 Studenten folgten dem Aufruf und zogen vom Schlossplatz über die Friedrichstraße zum Potsdamer Platz. Neben Studierenden der drei Berliner Universitäten waren auch Teilnehmer aus Cottbus und Potsdam angereist.

Die Studierenden blieben weitgehend unter sich. Weder Schüler noch Mitglieder anderer sozialer Schichten, die von dem ständigen Sozialkahlschlag betroffen sind, hatten sich den Protesten angeschlossen. Auf den wenigen Transparenten wurde die Einführung von Studiengebühren mit der Vermarktung der Bildung und der kapitalistischen Verwertungslogik in Zusammenhang gebracht. In den Redebeiträgen wurde vor allem die sozial selektive Wirkung von Studiengebühren betont.

Obwohl die Demonstration friedlich verlief, fiel das aggressive Verhalten der Polizeikräfte auf. Gegen Ende der Veranstaltung gingen sie gegen einzelne Demonstranten vor, die angeblich gegen das Vermummungsverbot verstoßen hätten.

In Berlin hat es vor einem Jahr heftige Proteste gegen Pläne des rot-roten Senats gegeben, den Universitäten 40 Mio. Euro ihres Budgets zu kürzen. Trotz zahlreicher Aktionen, großer Demonstrationen und einem wochenlangem Streik an allen drei Universitäten hat der Senat die Kürzungen knallhart durchgesetzt. Viele Demonstranten glaubten daher nicht an einen Erfolg ihres Engagements.

Niklas Chimirri, Psychologiestudent an der Freien Universität Berlins, sieht die Erhebung von Studiengebühren als Teil einer größeren Entwicklung: "Die bisherige Politik, auch im rot-grünen NRW und rot-roten Berlin, läuft schon auf Elitebildung hinaus. Die Einführung von Studiengebühren steht im Zusammenhang mit der Vermarktung der Bildung, die schon durch die Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen, der Modularisierung oder der Verschulung des Unibetriebs vorangetrieben wurde."

Niklas hofft, mit der Demonstration Studiengebühren zumindest aufschieben zu können. "Vielleicht kann man die Politik noch einmal dazu bringen, die Sachen zu überdenken, bzw. radikal umzudenken. Aber ob sich das gegen die Wirtschaftslobby durchsetzen lässt, ist sehr zu bezweifeln."

Sebastian ist 23 Jahre alt und studiert ebenfalls an der FU. Er schätzt die Lage ähnlich ein: "Die Frage, ob solche Proteste etwas bringen, stelle ich mir gar nicht, weil ich dann wahrscheinlich zu dem Ergebnis käme, es hätte keinen Sinn. Wenn überhaupt, braucht man eine umfassendere Bewegung, die die internationale Ebene mit einbezieht."

Siehe auch:
Bundesverfassungsgericht ermöglicht Studiengebühren
(29. Januar 2005)
Bildung wird zur Ware: Die Debatte über Studiengebühren
( 31. August 2004)
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