Globalisierung: Die sozialistische Perspektive

Teil 2

Nick Beams, Mitglied der internationalen Redaktion des World Socialist Web Site und nationaler Sekretär der australischen Socialist Equality Party, hielt kürzlich eine öffentliche Vorlesungsreihe an sechs australischen Universitäten in Sydney, Melbourne, Newcastle und Canberra. Sie stand unter dem Titel "Globalisierung: Die sozialistische Perspektive". Das WSWS veröffentlicht die Vorlesung fortlaufend in drei Teilen.

Erster Teil | Zweiter Teil | Dritter Teil

Der Ausbruch der sogenannten Asienkrise von 1997/98 versetzte den Fürsprechern des "freien Marktes" einen vernichtenden Schlag. Schließlich wurde noch 1993 das Wachstum in dieser Region von der Weltbank als "asiatisches Wirtschaftswunder" bezeichnet und diente als Beweis für die Fähigkeit des kapitalistischen Marktes, der Armut ein Ende zu bereiten.

Von dem offensichtlichen Widerspruch zwischen ihren Behauptungen und deren Überprüfung durch die Wirklichkeit zeigten sich die führenden Vertreter des globalen Kapitalismus jedoch unbeeindruckt und antworteten mit einer noch schärferen Verteidigung des "freien Marktes".

Im April 1998, als die Asienkrise in vollem Gange war, behauptete Alan Greenspan, der Chef der amerikanischen Notenbank, in einer längeren Rede, die Krise wäre "ein wichtiger Meilenstein für eine zweifellos bedeutende und scheinbar unerbittliche Entwicklung zum Markt-Kapitalismus gewesen". Laut Greenspan entspringt der Markt "tief verankerten, unveränderlichen Werten in der menschlichen Natur", und die "Geschichte ist voll mit Beispielen von wirtschaftlichen und sozialen Systemen, die versucht haben sich der menschlichen Natur entgegenzustellen oder sie zu verändern, daran aber gescheitert sind".

Offensichtlich sind die ideologischen Verteidiger des Kapitalismus nicht weit über den konservativen englischen Philosophen des 18. Jahrhunderts Edmund Burke hinausgekommen, der von der kapitalistischen Gesellschaft behauptete, dass sie sowohl natürlich als auch heilig sei. "Die Gesetze des Handels", schrieb er vor mehr als 200 Jahren, "sind Naturgesetze und folgerichtig Gesetze Gottes."

Oder mit Greenspans Worten: "Die Lehre, die sich uns aufdrängt, ist, dass nur die Systeme des freien Marktes die Flexibilität und Robustheit an den Tag legen, um die menschliche Natur und die sich schnell entwickelte Technologie in Einklang zu bringen und den Lebensstandard fortschreitend zu erhöhen."

Die Aufgabe dieser Vorlesung besteht jedoch nicht darin, lediglich empirisch aufzuzeigen, welch schreiender Widerspruch sich zwischen der wirklichen Lage der Mehrheit der Weltbevölkerung und den Erklärungen der Verteidiger des Kapitals über die Wunder des freien Marktes und die Vorzüge des Profitsystems auftut.

Es ist notwendig aufzudecken, warum die sich vertiefende Polarisierung nach Marx die "Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ... also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Bestialisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol" [MEW Bd. 19, S. 218] in der dem Profitsystem eigenen Logik verankert ist. Weiterhin muss herausgestellt werden, inwiefern die Entwicklung des globalen Kapitalismus nicht nur den Übergang zu einem neuen und höheren System, das die menschlichen Bedürfnisse befriedigt, notwendig macht, sondern auch tatsächlich die objektive Grundlage hierfür schafft.

Die Akkumulation des Profits

Für diese Analyse müssen einige grundlegende Fragen aufgegriffen werden. Kapitalismus als gesellschaftliches Produktionssystem zielt nicht auf die Produktion von Wohlstand als solchem und ist, anders als seine Verteidiger behaupten, kein Produktionssystem, dessen Ziel darin besteht, die Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten zu erfüllen.

Die treibende Kraft der kapitalistischen Produktionsweise ist die Akkumulation von Profit - die endlose Vergrößerung des Wertes, dessen Quelle die Arbeitskraft der Arbeiterklasse ist.

Jede Klassengesellschaft gründet sich letztendlich auf die Extraktion von Mehrarbeit aus der Klasse der direkten Produzenten zu Gunsten der Besitzer der Produktionsmittel. Aber Klassengesellschaften unterscheiden sich grundlegend in ihrer Struktur. Diese Unterschiede werden letztendlich von gesellschaftlichen Mechanismen definiert, mittels derer die Extraktion von Mehrarbeit stattfindet. In früheren Formen der Klassengesellschaft - wie der Sklaverei und dem Feudalismus - wurde die Extraktion von Mehrarbeit durch die Anwendung politischer Gewalt verwirklicht. Im Kapitalismus geschieht das durch ein System gesellschaftlicher Beziehungen auf der Grundlage des freien Marktes, das im Lohnsystem seine höchste Entwicklung durch den Arbeitsmarkt erreicht.

Mehrarbeit nimmt im Kapitalismus die Form von Mehrwert an. Der Ursprung des Mehrwerts ist die Differenz zwischen dem Wert der Ware, die der Arbeiter mit dem Lohnvertrag dem Kapital verkauft - das ist seine Arbeitskraft oder seine Fähigkeit zu arbeiten - und dem Wert, den der Gebrauch seiner Arbeitskraft im Produktionsprozess erzeugt. Der Wert der Arbeitskraft und der Wert, den der Arbeiter im Laufe eines Arbeitstages im Produktionsprozess erzeugt, sind zwei vollkommen verschiedene Größen. Die Differenz zwischen ihnen ist die Quelle des Mehrwerts, der an der Oberfläche der Gesellschaft in Form von Profit, Gewinn und Rendite erscheint.

Aber die Extraktion des Mehrwerts ist von einem tiefen Widerspruch gekennzeichnet, der die treibende Kraft bei der Entwicklung der Produktivkräfte innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft ist.

Die einzige Quelle des Profits ist der Mehrwert, der aus der lebendigen Arbeit der Arbeiterklasse geschöpft wird. Aber die Profitrate - das Maß, in dem sich das Kapital vergrößert - berechnet sich über die absolute Menge des Kapitals, das im Produktionsprozess eingesetzt ist. Dieses Kapital setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: einerseits dem Kapital, das zum Kauf von Arbeitskraft eingesetzt wird und die Quelle des Mehrwerts ist (variables Kapital), und andererseits dem Kapital, das in Rohstoffe und Maschinen gesteckt wird und im Produktionsprozess lediglich seinen Wert behält (konstantes Kapital).

Da die Akkumulation des Kapitals gekennzeichnet ist von einer anhaltenden Tendenz des konstanten Kapitals, seinen Anteil in Relation zum variablen Kapital zu vergrößern - ein Ausdruck der wachsenden Arbeitsproduktivität - kommt es zum tendenziellen Fall der Profitrate. Anders ausgedrückt: Expandiert das Kapital als Ganzes, tendiert die relative Größe der mehrwertproduzierenden Komponente dieses Kapitals dazu, kleiner zu werden. Folgerichtig tendiert die Profitrate, das Verhältnis des Mehrwerts zur absoluten Menge an Kapital, zu fallen.

Marx bezeichnete dieses Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate, vor allem vom historischen Standpunkt aus betrachtet, als das wichtigste Gesetz der politischen Ökonomie. Und zwar nicht, wie manchmal irrtümlich behauptet wird, weil es darauf hinausliefe, dass das kapitalistische System eines Tages zu funktionieren aufhört, weil die Profitrate bei Null angekommen ist. Sondern im Gegenteil zeigt dieses Gesetz, wie die ständige Revolutionierung der Produktionskräfte den ihr innewohnenden Widersprüchen der kapitalistischen Ökonomie selbst entspringt.

Das Kapital versucht den tendenziellen Fall der Profitrate durch die Entwicklung neuer Produktionsmethoden zu bezwingen, indem neue Technologien eingesetzt werden, die es möglich machen, einen höheren Mehrwert aus der Arbeiterklasse herauszuziehen. Die Entwicklung solcher Methoden kann Bedingungen schaffen, unter denen die Profitrate gleich bleibt oder sogar gesteigert wird. Aber unvermeidlich verursacht die Akkumulation des Kapitals selbst einen Fall der Profitrate und veranlasst dadurch das Kapital zur weiteren Revolutionierung der Produktivkräfte, um diesen Effekt zu überwinden.

Das Ende der Nachkriegsexpansion

Auf der Grundlage dieser theoretischen Überlegungen wenden wir uns nun der jüngsten Phase der kapitalistischen Entwicklung zu, die mit der Globalisierung der Produktion verbunden ist.

Ihre Ursprünge liegen in dem Wiederauftreten fallender Profitraten zu Beginn der 70er Jahre. Im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg durchlief das kapitalistische System über 25 Jahre hinweg eine beispiellose Periode der Expansion. Viele Faktoren trugen hierzu bei: die politischen und ökonomischen Vereinbarungen der Nachkriegszeit, die von den Vereinigten Staaten durch den Marshall-Plan initiiert wurden, die Übernahme keynesianischer Politik der stimulierten Nachfrage durch die wichtigsten kapitalistischen Regierungen und soziale Zugeständnisse an die Arbeiterklasse, die der Angst entsprangen, dass eine Rückkehr zu den Bedingungen der 30er Jahre große soziale Erhebungen und revolutionäre Kämpfe in den großen kapitalistischen Ländern provozieren könnte.

Aber letztendlich beruhte die Nachkriegsperiode auf der Steigerung der Mehrwertakkumulation in der gesamten kapitalistischen Wirtschaft. Dies war möglich durch die Verbreitung der ergiebigeren Fließbandproduktion, die in den Vereinigten Staaten in den 20er und 30er Jahren entwickelt und von den anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern übernommen worden war.

Die Akkumulation des Kapitals selbst, die durch diese Produktionsmethoden ermöglicht wurde, führte jedoch unvermeidlich zum Fall der durchschnittlichen Profitrate, so dass die Menge des Mehrwerts sich schließlich als unzureichend erwies, um das Kapital im gleichen Umfange wie zuvor expandieren zu lassen.

Erhebungen über die US-amerikanische Wirtschaft belegen deutlich diesen Prozess. 1946 lag die Profitrate in den Vereinigten Staaten bei 22 Prozent und betrug 1966 immer noch 21 Prozent, begann dann aber stark zu fallen, ging auf 12 Prozent im Jahre 1974 zurück und erreichte 1980 schließlich 10 Prozent. Mit anderen Worten, die Profitrate fiel im Zeitraum von 1966 bis 1974 um rund 45 Prozent, nachdem sie über etwa zwei Jahrzehnte hinweg relativ konstant geblieben war. Statistiken über andere große kapitalistische Länder zeigen eine ähnliche Entwicklung.

Der Fall der durchschnittlichen Profitrate kündigte sich mit der globalen Rezession 1974/75 an, dem schlimmsten ökonomischen Abwärtstrend seit der großen Depression 40 Jahre zuvor. Aber das wichtigste Anzeichen für den Beginn einer neuen Ära war die Tatsache, dass, nachdem die Rezession vorbei war, die ökonomischen Bedingungen nicht mehr dieselben waren wie in den 50er und 60er Jahren. Dass die durchschnittliche Profitrate nicht auf ihr vorheriges Niveau zurückkehrte, fand seinen Ausdruck in niedrigen Wachstumszahlen und der sogenannten Stagflation - der Kombination von anhaltend hoher Arbeitslosigkeit mit einem hohen Inflationsniveau.

Die 70er Jahre waren ein Jahrzehnt des wirtschaftlichen und politischen Aufruhrs - sie erstreckten sich von den Ereignissen des Mai/Juni 1968 in Frankreich über die Absetzung der Tory-Regierung durch den Bergarbeiterstreik 1974 in Großbritannien bis zu den revolutionären Unruhen in Portugal 1974/75. Allerdings war die Bourgeoisie durch die Kollaboration der sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Als sie ihre Position wieder stabilisiert hatte, begann sie eine Offensive gegen die Arbeiterklasse und eine breite Umorganisierung der kapitalistischen Produktion.

Diese Konterrevolution ist unmittelbar mit den Regierungen von Reagan und Thatcher verbunden. Vom ökonomischen Standpunkt aus war das bedeutendste Ereignis 1979 die Ernennung von Paul Volcker zum Chef der US-Notenbank und die Einführung eines Programms zur Zinserhöhung in den 80er Jahren. Effektiv bedeutete dies das Diktat des Finanzkapitals, neue Maßnahmen anzuwenden, um die Extraktion von Mehrwerts aus der Arbeiterklasse zu erhöhen. Durch die Rezession, die Volckers Regime der hohen Zinssätze verursachte, wurden ganze Industriezweige geschlossen und das Industriekapital gezwungen, eine breitangelegte Umorganisierung der Produktion vorzunehmen.

Dies ist der Ursprung der globalisierten Produktion und der Entwicklung einer Reihe von anhaltenden Veränderungen in der Produktion auf der Grundlage von Computertechnologien. Angesichts der fallenden Profitrate reagierte das Kapital mit einem unaufhörlichen Streben die Arbeitsproduktivität zu steigern, um die Aneignung des Mehrwerts von der Arbeiterklasse zu vergrößern. Gleichzeitig strebte das Kapital die Einführung Kosten sparender Technologien und die Trennung und Auslagerung von vormals zusammenhängenden Produktionsprozessen an, um sich die billige Arbeitskraft in anderen Teilen der Welt nutzbar zu machen.

Zwei von Marx identifizierte Entwicklungstendenzen

In seiner Analyse des tendenziellen Falls der Profitrate wies Marx auf zwei wichtige Konsequenzen hin.

Er schrieb: "Sinkt die Profitrate, so [folgt] einerseits Anspannung des Kapitals, damit der einzelne Kapitalist durch bessre Methoden etc. den individuellen Wert seiner einzelnen Waren unter ihren gesellschaftlichen Durchschnittswert herabdrückt und so, bei gegebnem Marktpreis, einen Extraprofit macht; andrerseits Schwindel und allgemeine Begünstigung des Schwindels durch leidenschaftliche Versuche in neuen Produktionsmethoden, neuen Kapitalanlagen, neuen Abenteuern, um irgendeinen Extraprofit zu sichern, der vom allgemeinen Durchschnitt unabhängig ist und sich über ihn erhebt." [2]

Die Entwicklung der globalisierten Produktion und die Einführung von computergestützten Technologien, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten den Produktionsprozess revolutioniert haben, stellen den Versuch des Kapitals dar, dem ersten Weg zu folgen, der hier von Marx aufgezeigt wird. Jede Abteilung des Kapitals versucht ihren Anteil am vorhandenen Mehrwert, der aus der Arbeiterklasse gezogen wird, zu vergrößern, indem sie neue Produktionsmethoden entwickelt, die die Kosten unter den gesellschaftlichen Durchschnitt drücken.

Aber die daraus erfolgte Steigerung der Arbeitsproduktivität hat keine Grundlage für eine neue Ära von Expansion im Umfang der 50er und 60er Jahre geschaffen. Trotz des allgemeinen Sinkens der Reallöhne und den Umbrüchen in allen Bereichen der Industrie in den Vereinigten Staaten beispielsweise, erlangte die Profitrate nur ungefähr ein Drittel ihres vorangegangenen Verlustes zurück und liegt immer noch um 35 bis 40 Prozent unter ihrem Höchststand in der Nachkriegszeit.

Es stellt sich die folgende Frage: Ist das Kapital in der Lage, bei ausreichend fortschreitender technologischer Innovation eine neue Periode einzuleiten, die sich durch expandierende Profite, mehr Arbeitsplätze und höhere Löhne auszeichnet? Oder wohnen dem Prozess der Mehrwertakkumulation Widersprüche inne, so dass ein sinkender Lebensstandard keine zeitweilige Abweichung darstellt, sondern ein permanentes Merkmal der kapitalistischen Ökonomie zu Beginn des 21. Jahrhunderts?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir weiter in den Prozess der Mehrwertakkumulation eindringen.

Steigerungen der Arbeitsproduktivität bedeuten eine Steigerung der Menge an produziertem Wohlstand. Aber für das Kapital liegt die Bedeutung der Technologie in den Auswirkungen, die diese auf die Extraktion von Mehrwert hat.

Wir haben gesehen, dass Mehrwert der Differenz zwischen dem Wert der Arbeitskraft, die der Arbeiter dem Kapital im Lohnvertrag verkauft, und dem Wert, der durch die Nutzung dieser Arbeitskraft im Laufe eines Arbeitstages hinzugefügt wird, entspringt.

Dementsprechend ist der Arbeitstag selbst zweigeteilt - zwischen der Zeit, die der Arbeiter braucht, um den Wert seiner Arbeitskraft zu reproduzieren, und der Zeit, in der er Mehrarbeit für das Kapital leistet. Die Auswirkungen der Technologie auf die Akkumulation des Mehrwerts hängen letztendlich davon ab, inwiefern sich diese auf die Teilung des Arbeitstages in notwendige Arbeit und Mehrarbeit auswirkt.

Gesetzt den Fall, dass der Arbeiter an einem achtstündigen Arbeitstag den Wert seiner Arbeitskraft in vier Stunden reproduziert und vier Stunden lang Mehrarbeit für das Kapital leistet. Weiter nehmen wir an, dass infolge von technologischer Innovation (in der Gesellschaft als Ganzer) sich die Zeit, die der Arbeiter zur Reproduktion seiner Arbeitskraft benötigt, von vier auf zwei Stunden verkürzt. Folglich ergibt sich bei einem achtstündigen Arbeitstag eine Mehrarbeit von sechs Stunden, eine Steigerung um 50 Prozent.

Angenommen, die Arbeitsproduktivität verdoppelt sich weiter, so dass sich die notwendige Arbeit nunmehr von zwei auf eine Stunde reduziert. Die Mehrarbeit steigt von sechs auf sieben Stunden. Aber, verglichen mit dem vorangegangenen Anstieg von 50 Prozent, ist dieses nur eine Steigerung um 16,7 Prozent. Wir sehen, dass bei jeder Verdopplung der Arbeitsproduktivität der Anstieg des herausgeholten Mehrwerts im Verhältnis immer kleiner wird.

Mit anderen Worten: Je mehr die Arbeitsproduktivität bereits durch Technologie gesteigert wurde, d.h. je stärker die notwendige Arbeit bereits reduziert wurde (und dies zieht sich durch die gesamte Geschichte des Kapitalismus), um so schwieriger wird es für neue Technologien, egal wie produktiv sie sind, die Mehrwertrate in dem Maße anzuheben, dass die allgemeine Profitrate wiederhergestellt und die Expansion des Kapitals insgesamt sichergestellt ist.

Natürlich kann jedes kapitalistische Unternehmen versuchen, und ist durch den Druck der Konkurrenz tatsächlich dazu gezwungen, seinen individuellen Profit beizubehalten oder zu steigern, indem es neue, Kosten sparende Technologien einführt. Aber welchen Effekt hat dieser Prozess auf die Akkumulation der Gesamtmenge des Mehrwerts?

Neue Produktionsmethoden reduzieren die Kosten durch die Ausradierung ganzer Arbeitsbereiche. Aber Arbeit ist die einzige Quelle des Mehrwerts und letztlich des Profits. Daher tendiert die Entwicklung dieser Methoden dazu, die Gesamtmasse des Mehrwerts in der kapitalistischen Wirtschaft zu verkleinern. Dieser Tendenz zuwider läuft andererseits in gewissem Umfang die Steigerung des Mehrwerts, der aus der verbliebenen Arbeit gewonnen wird. Da jedoch die notwendige Arbeit bereits auf einen relativ kleinen Anteil des Arbeitstags reduziert worden ist - Folge aller früheren technologischen Entwicklungen - kann dieser nicht in dem Ausmaß gesteigert werden, der für die Expansion der Gesamtmenge des Mehrwerts notwendig wäre.

Dies ist der Grund dafür, dass neue Technologien nicht länger für eine Steigerung der Mehrwertmenge sorgen, wie es in der Vergangenheit der Fall war, sondern eine Stagnation oder sogar einen Niedergang bewirken, was zu hektischer Konkurrenz, Kostensenkungen und der Vernichtung von Arbeitsplätzen führt und somit die Akkumulation des Mehrwerts weiter einschränkt.

Indem wir diese Widersprüche im Prozess der Mehrwertakkumulation offen legen, können wir erkennen, warum das Kapital zunehmend den zweiten Weg wählt, den Marx aufgezeigt hat. Das ist der Versuch, den Fall der Profitrate durch Finanzoperationen zu überwinden, die zunehmend mit dem Produktionsprozess selbst nichts zu tun haben.

Die Zahlen, die diese Entwicklung markieren, sind geradezu schwindelerregend. Beispielsweise lag das Volumen des Devisenhandels (zu großen Teilen ein Versuch, Profit aus den Wertschwankungen einer Währung zu schlagen) Ende der 90er Jahre bei etwa 1,5 Billionen Dollar pro Tag, was eine Steigerung um das Achtfache seit 1986 bedeutet. Im Gegensatz dazu lag das weltweite Exportvolumen (was sowohl Waren wie auch Dienstleistungen umfasst) 1997 bei 6,6 Billionen Dollar, das entspricht 25 Milliarden Dollar pro Tag. Mitte der 90er Jahre erreichte in den Vereinigten Staaten die Kapitalmenge in Form von Investmentfonds, Rentenfonds und ähnlichem 20 Billionen Dollar, das Zehnfache der Menge von 1980. Dies ist wahrlich ein globaler Prozess. Grenzüberschreitende Transaktionen von Wertpapieren und anderen Werten steigerten sich zwischen 1970 und 1996 gemessen am Bruttoinlandsprodukt um den Faktor 54 für die Vereinigten Staaten, Faktor 55 für Japan und fast 60 für Deutschland.

Eine der dramatischsten Erscheinungen dieses Prozesses - dem Versuch, Kapital durch rein finanzielle Manipulationen und Transaktionen zu vergrößern - war der weltweite Anstieg in den Aktienmärkten. Der amerikanische Schriftsteller Robert Shiller schildert in seinem jüngsten Buch Irrational Exuberance(Irrationale Überschwänglichkeit) detailliert die Eskalation auf dem US-amerikanischen Markt.

Er schreibt: "Der Dow Jones Aktienindex stand Anfang 1994 bei 3.600. 1999 hatte er die 11.000er Marke überschritten, sich also in fünf Jahren mehr als verdreifacht, was einer absoluten Steigerung der Aktienmarktpreise um 200 Prozent entspricht. Anfang 2000 hat der Dow Jones die Marke 11.700 überschritten. Die grundlegenden Wirtschaftsindikatoren haben sich im selben Zeitraum allerdings nicht annähernd verdreifacht. Die Privateinkommen und das Bruttoinlandsprodukt in den Vereinigten Staaten wuchsen um weniger als 30 Prozent, und beinahe die Hälfte dieser Steigerung ist der Inflation geschuldet. Die Unternehmensprofite stiegen um weniger als 60 Prozent, und dies vor einem zeitweilig durch Rezession gedrückten Hintergrund." [3]

Wie sind diese außergewöhnlichen Entwicklungen zu bewerten, und welche Auswirkungen haben sie auf die zukünftige Entwicklung des globalen Kapitalismus?

Es wird vielfach angenommen, dass die Rolle des Aktienmarktes darin besteht, neues Kapital für Investitionen in die Produktion bereitzustellen. Er erfüllt diese Funktion, aber dies ist nicht seine Hauptrolle. Zum Beispiel parkten US-Unternehmen, die nicht im Finanzbereich aktiv sind, zwischen 1981 und 1987 813 Milliarden Dollar mehr in Aktienanlagen, als sie bei Übernahmen und Aktienrückkäufen ausgaben.

Der Aktienhandel hat mit der Beschaffung von neuem Kapital wenig zu tun. Es ist der Handel mit Vermögensrechten, Ansprüche auf die Akkumulation von zukünftigen Einnahmen und Profiten. Das heißt Aktien und Wertpapiere sind fiktives Kapital und als solches kein produktives Kapital, das direkt an der Extraktion des Mehrwerts aus der Arbeiterklasse beteiligt ist. Sie sind Rechte an Einkommen und Vermögen - Ansprüche auf Mehrwert, der von anderen Abteilungen des Kapitals gewonnen wird.

Die Entwicklung des Kreditsystems und das Aufkommen von Aktienmarktkapital wird manchmal so dargestellt, als ob es sich hierbei lediglich um einen überflüssigen, parasitären Auswuchs handeln würde, der dem ansonsten gesunden kapitalistischen System entspringt. Tatsächlich entstammen die verschiedenen Formen von fiktivem Kapital dem Prozess der Mehrwertakkumulation und sind historisch aus der Entwicklung des kapitalistischen System selbst entstanden.

Das Kapital ist, wie Marx nicht müde wurde zu betonen, kein Ding, sondern eine gesellschaftliche Beziehung. Es ist ein sich selbst vergrößernder Wert, der verschiedene Formen annimmt. An einem Punkt die Form von Geld, dann von Produktionsmitteln, von Waren und wieder von Geld, um den Kreislauf der Wertsteigerung wiederaufzunehmen.

In diesem unendlichen Akkumulationsprozess ist das Kapital dazu gezwungen, alle Hindernisse zu überwinden. Zu einem früheren Zeitpunkt in seiner Geschichte waren der Akkumulation durch die Grenzen des privaten Vermögens und Einkommens Grenzen gesetzt. Um die Beschränkungen des Familienbetriebs oder der begrenzten Zusammenarbeit zu überwinden, musste es Zugang zu den Ressourcen der gesamten Gesellschaft erhalten. Die Entwicklung des Kredits auf der einen und die der Aktiengesellschaft auf der anderen Seite waren die Mittel, mit denen dieses Ziel erreicht wurde.

Des Weiteren konzentrierte sich das produktive Kapital in stärkerem Ausmaß, als die Kapitalproduktion expandierte. Feste Kapitalinvestitionen - Fabriken, Gebäude, große Maschinen, umfangreiche chemische Prozesse und Veredelungen - können ihre Funktion als Produktionsmittel, die an der Extraktion des Mehrwerts aus der Arbeiterklasse beteiligt sind, nur über einen langen Zeitraum erfüllen. Das heißt der Produktionsprozess selbst verlangt vom Kapital, über einen langen Zeitraum diese Form zu behalten. Aber gleichzeitig wird Kapital benötigt, das sich frei von einem Bereich der Wirtschaft zum nächsten bewegen kann, um die auftretenden Gelegenheiten im schonungslosen Kampf um die Aneignung von Mehrwert vorteilhaft zu nutzen.

Dieser Widerspruch zwischen dem Bedürfnis der kapitalistischen Produktion nach langfristigen Investitionen einerseits und dem Bedürfnis nach hoher Kapitalmobilität andererseits wurde durch die Entwicklung von Aktien gelöst. Durch die Ausgabe von Aktien wird Kapital bereitgestellt, das in den Produktionsprozess gesteckt wird. Die Existenz des Aktienmarktes ermöglicht es den Anteilseignern (darunter auch denjenigen, die ursprünglich ihr Kapital bereitgestellt haben), ihr Kapital durch Verkauf von Aktien in andere Bereiche zu verlegen, ohne das produktive Kapital effektiv zu liquidieren. Mit anderen Worten waren die Entwicklung der Aktiengesellschaft und des Aktienmarktes die historischen Mittel, durch die das Kapital den Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach großen Mengen von festem Kapital einerseits und der Notwendigkeit der Kapitalmobilität andererseits löste.

Somit entsteht fiktives Kapital als Mittel zur Lösung der Widersprüche, die im Prozess der Mehrwertakkumulation auftreten. Aber es wird selbst wieder zur Quelle von neuen Widersprüchen. Das Auftreten eines Marktes, auf dem Eigentumsrechte und Ansprüche auf Mehrwert gehandelt werden, gibt dem Kapital die Möglichkeit, seinen Wert durch Handel auf diesem Markt zu steigern.

Und diese Aussicht wird zunehmend verlockend - und tatsächlich auch notwendig - wenn die Mehrwertakkumulation durch produktives Kapital stärker eingeschränkt wird. Das heißt unter den Bedingungen stagnierender oder fallender Profitraten wendet sich das Kapital immer spekulativeren Unternehmungen zu, um eine Steigerung zu erzielen.

Hierin liegt der Ursprung der fantastischen Eskalation der Aktienmarktwerte, die wir seit den 80er Jahren beobachten konnten und die sich in den letzten fünf Jahren beschleunigt hat, und des enormen Wachstums des Aktienmarktes im Vergleich zur Wirtschaft als Ganzer.

Anmerkungen:

[2] Karl Marx: Das Kapital; Bd. 3; Berlin 1976; Seite 269,

[3]Robert Shiller: Irrational Exuberance; Seite 4.

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