Der Marxismus und die politische Ökonomie Paul Sweezys

Teil 3: Die Zusammenbruchstheorie

Teil 1: Frühe Einflüsse
Teil 2: Die Theorie der kapitalistischen Entwicklung
Teil 3: Die Zusammenbruchstheorie
Teil 4: "Monopolkapital"

Dies ist der dritte Teil einer Artikelserie von Nick Beams, einem Mitglied der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site , die sich mit Leben und Werk des radikalen politischen Ökonomen Paul Sweezy befasst. Der Gründer und erste Herausgeber der Monthly Review ist am 27 Februar 2004 in Larchmont, New York, gestorben.

Die intellektuelle Atmosphäre der dreißiger Jahre auf dem Gebiet der Ökonomie wurde in erster Linie durch die Katastrophe der Großen Depression und der ihr folgenden Ausarbeitung der Theorien von John Maynard Keynes (1883-1946) in seinem Buch "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" von 1936 bestimmt. Keynes unterzog die herrschende ökonomische Lehre, die einen Zusammenbruch wie den gerade erlebten nicht für möglich gehalten hatte, einer scharfen Kritik. Er erklärte, dass eine unzureichende effektive Nachfrage zu einer Situation führen könne, in der die Wirtschaft keine Vollbeschäftigung mehr gewährleistet.

Die wachsende Anziehungskraft der Keynes’schen ökonomischen Theorie führte zu einem neuen Interesse an den Erklärungen der Krisen des kapitalistischen Systems aufgrund der sogenannten "Unterkonsumtion". Diese Theorien waren ursprünglich von dem französischen Historiker Sismondi (1773-1842) während des ersten großen konjunkturellen Abschwungs nach den napoleonischen Kriegen entwickelt worden und lebten seither immer wieder auf. Sie besagten, dass die Konsumtion der Lohnarbeiter, deren Nachfrage letztlich den Markt für die von der kapitalistischen Industrie hergestellten Waren ausmache, durch die Akkumulation des Profits begrenzt werde, und die Wirtschaft deswegen krisenanfällig sei.

Auf der Grundlage dieser Theorien versuchte im 19. Jahrhundert der englische politische Ökonom Malthus (1766-1834) die Interessen sozialer Klassen zu verteidigen, die Adam Smith und andere als unproduktiv kategorisiert hatten - der Großgrundbesitzer, der Geistlichkeit, deren Einkommen sich aus der Grundrente speiste, oder der Staatsbeamten. Malthus behauptete, dass diese Klassen, die konsumierten ohne zu produzieren, eine notwendige gesellschaftliche Rolle für das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft spielten. Keynes Theorie fußte auf dieser Tradition, wobei der Staat die Schlüsselrolle bei der Herstellung der Vollbeschäftigung zu spielen hatte - die nicht automatisch durch das Wirken des freien Marktes garantiert war.

Seine Theorien waren für "linke" Ökonomen und sogar für selbsternannte Marxisten attraktiv, weil sie die Möglichkeit für ein reformistisches Programm eröffneten, das eine Ausweitung der ökonomischen Rolle des Staates vorsah und schließlich zur Eroberung der "Kommandohöhen" der kapitalistischen Wirtschaft führen sollte.

Diese intellektuelle Atmosphäre spielte bei der Ausbildung von Sweezys Ansichten sicherlich eine wichtige Rolle. Er erklärte später. "Ich und meine ganze Generation waren sehr stark von Keynes, von der Allgemeinen Theorie, beeinflusst." [13] Inwieweit sich dieser Einfluss auch auf seine Kritik an der Marxschen Analyse des tendenziellen Falls der Profitrate erstreckte, kann man nicht sagen. Man kann aber festhalten, dass Sweezy die Theorie des "Zusammenbruchs" des Kapitalismus aufgrund des Wirkens dieser Tendenz ablehnte.

Grundlegende Widersprüche

Die "Zusammenbruchstheorie" hat im vergangenen Jahrhundert immer wieder im Zentrum von Konflikten über historische Perspektiven gestanden. In den späten neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann Eduard Bernstein, eine der führenden Persönlichkeiten der deutschen Sozialdemokratie, seinen Angriff auf Marx mit der Behauptung, die Zusammenbruchstheorie von Marx sei durch die Ereignisse widerlegt. Die Herausbildung von Kartellen und des Kreditsystems hätten der kapitalistischen Wirtschaft eine neue Stabilität gebracht.

Karl Kautsky, der führende Theoretiker der SPD, entgegnete Bernstein, dass Marx eine solche Theorie gar nicht vertreten habe. Rosa Luxemburg ging Bernsteins Herausforderung jedoch frontal an. In ihrer brillanten Broschüre "Sozialreform oder Revolution?" erklärte sie, entweder werde die sozialistische Transformation das Ergebnis der inneren Widersprüche des kapitalistischen Systems sein, die zu seinem Zusammenbruch führen würden, oder die von Bernstein behaupteten "Anpassungsmittel" könnten einen Zusammenbruch verhindern. In dem letzteren Fall wäre der Kapitalismus in der Lage, sich dauerhaft zu halten, und der Sozialismus höre auf, eine historische Notwendigkeit zu sein.

1913 versuchte sie in ihrem Buch "Die Akkumulation des Kapitals" die Grundlage für den kapitalistischen Zusammenbruch im Prozess der "Realisierung" des Mehrwerts nachzuweisen. Sie behauptete, Marx habe in seiner Analyse der Reproduktion des Kapitals im zweiten Band des "Kapital" mit seiner Annahme falsch gelegen, dass die Gesellschaft einzig aus Kapitalisten und Arbeitern bestehe. Wenn das so wäre, dann könne der im Produktionsprozess entstandene und in den Waren eingeschlossene Mehrwert nicht realisiert werden. Die Realisierung des Mehrwerts hänge von der Existenz nicht-kapitalistischer Märkte ab, an die die Waren verkauft werden müssten. Aber die Ausbreitung des Kapitalismus über die ganze Welt - die Entwicklung des Imperialismus - bedeute, dass diese nicht-kapitalistischen Gebiete schließlich dem kapitalistischen Markt einverleibt würden, was schlussendlich im Zusammenbruch gipfele, weil der Mehrwert nicht mehr realisiert werden könne.

Hier ist nicht der Ort, auf Luxemburgs Theorie näher einzugehen, die von vielen Seiten kritisiert wurde. Es soll genügen, darauf hinzuweisen, dass der Kernfehler ihrer Analyse darin bestand, die Rolle neuer Investitionen kapitalistischer Betriebe für die Realisierung schon produzierten Mehrwerts nicht zu beachten, wodurch die Möglichkeit der Ausdehnung der kapitalistischen Wirtschaft sichergestellt wurde.

Die Debatte über die Zusammenbruchstheorie wurde vom Ausbruch des ersten Weltkriegs, der Spaltung der zweiten Internationale und der Russische Revolution in den Hintergrund gedrängt. 1929 wurde sie von Henryk Grossmann mit der Veröffentlichung seines Buches "Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems" wieder aufgenommen. Grossmann erklärte, es sei der "große historische Beitrag" Rosa Luxemburgs gewesen, dass sie im Wesentlichen der Methode des "Kapital" treu blieb und zu beweisen versuchte, dass "der Entwicklung des Kapitalismus absolute innewohnende Grenzen gesetzt sind". [14] Allerdings verschob Luxemburgs Analyse die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus aus der Produktionssphäre in die Zirkulationssphäre. Die "Realisierung" war nicht das Problem für die langfristige Entwicklung des Kapitalismus, sondern das Problem bestand in der unzureichenden Gewinnung von Mehrwert, um die kapitalistische Akkumulation gewährleisten zu können - was sich in dem tendenziellen Fall der Profitrate ausdrückte.

Sweezy war der erste, der Grossmanns Werk in seiner "Theorie der kapitalistischen Entwicklung" einem englischsprachigen Publikum zugänglich machte. Aber er lehnte Grossmanns Analyse unter anderem deswegen ab, weil dieser die Probleme der Realisierung wegargumentiert hatte.

Sweezys Kritik widerspiegelte ohne Zweifel seine eigenen Sympathien für die "Unterkonsumtionstheorie". Aber auch andere Faktoren spielten eine Rolle. Die Zusammenbruchstheorie ist im vergangenen Jahrhundert gerade deswegen auf soviel Ablehnung gestoßen, weil sie die politischen Aufgaben der Marxisten so deutlich macht. Im Gegensatz zu der von ihren Gegnern so oft lancierten Karikatur der Zusammenbruchstheorie vertritt sie nicht die Vorstellung, der Kapitalismus werde irgendwann von allein zusammenbrechen, woraufhin die Arbeiterklasse quasi automatisch die Macht von der Bourgeoisie übernähme. Vielmehr erklärt sie die objektive Grundlage für die sozialistische Revolution. Sie zeigt auf, dass die Verschärfung der Widersprüche des Profitsystems zu einer Krise führt, die die Arbeiterklasse unausweichlich mit der Aufgabe der Machteroberung konfrontiert.

Das bedeutet, dass Marxisten die Arbeiterklasse an jedem Punkt des historischen Prozesses politisch auf ihre historische Aufgabe vorzubereiten versuchen. Das erfordert einen kompromisslosen Kampf, ihre politische Unabhängigkeit von allen anderen Klassen herzustellen.

Sweezys Ansichten hatten damit nicht viel zu tun. Die mit dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg veröffentlichte "Theorie der kapitalistischen Entwicklung" schloss mit einem Szenarium, in dem nach der militärischen Niederlage Deutschlands in ganz Europa die kapitalistische Herrschaft zusammenbrechen und der Sozialismus siegen würde. Das beinhaltete die Möglichkeit der Entstehung einer Situation, in der Großbritannien und die Vereinigten Staaten dann friedlich in den Sozialismus hätten hineinwachsen können. 

Anmerkungen:

13. Interview mit Paul Sweezy, ibid.

14. Henryk Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Verl. Neue Kritik (1967)

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