Frankreich: CGT versucht Streik abzuwürgen

Die französischen Pressekommentare vom Donnerstag lassen keinen Zweifel daran, dass die Gewerkschaft CGT einen Verrat von historischem Ausmaß vorbereitet.

CGT-Führer Bernard Thibault hatte am Dienstag kurz vor Beginn der Streiks zur Verteidigung der "régimes spéciaux", der Sonderrenten in öffentlichen Unternehmen, Arbeitsminister Xavier Betrand um ein Gespräch gebeten und den Weg für die Aufnahme von Verhandlungen geebnet. Die Regierung ist auf Thibaults Initiative eingegangen und hat den Gewerkschaften einmonatige Verhandlungen auf Branchen- oder Betriebsebene angeboten. Sollte es nach einem Monat keine Einigung geben, will sie die Rentenreform einseitig festlegen.

Thibaults Vorstoß wird von der Presse nicht nur als Beitrag zur schnellen Beendigung einer Streikbewegung betrachtet, die sich zum größten sozialen Konflikt seit zwölf Jahren auszuweiten droht, sondern auch als Beginn einer "neuen Sozialkultur", in der militante Streiks der Vergangenheit angehören und die Gewerkschaften "verantwortungsvoll" mit Unternehmen und Regierung zusammenarbeiten.

Libération weist darauf hin, dass Thibaults Vorstoß "eine Premiere" darstelle: "Nie zuvor hat ein Generalsekretär der CGT, wie es Bernard Thibault am Dienstag getan hat, persönlich den Arbeitsminister einer Rechtsregierung angerufen, ihn um ein Treffen am selben Tag gebeten, die Einleitung von Verhandlungen vorgeschlagen und, als Zeichen des guten Willens, ein wichtiges Zugeständnis gemacht."

Laut Libération hat die Führungsmannschaft der CGT mit der "Öffnung gegenüber der Regierung eine strategische Wahl getroffen, nämlich die Absage an die Haltung des ‚Alles oder Nichts’."

Die Zeitung macht deutlich, dass Thibault der Regierung mit seiner Initiative aus der Patsche geholfen hat. Die Mannschaft von Präsident Nicolas Sarkozy habe befürchtet, schreibt Libération, "dass sich die Krise in die Länge zieht und der Streik der ‚régimes spéciaux’ mit dem der Staatsbediensteten am kommenden Dienstag zusammenfällt. Denn Sarkozy hat in ökonomischen Fragen an Glaubwürdigkeit verloren. Alle jüngeren Umfragen beweisen, dass ihm die Franzosen keine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zutrauen. Es musste daher verhindert werden, dass sich die aktuellen Konflikte auf andere Bereiche ausdehnen und sich neben den ‚régimes spéciaux’ die Unzufriedenen alle Richtungen auf der Straße wiederfinden."

Ähnliche Kommentare finden sich auch in anderen Zeitungen.

Jean-Marcel Bouguereau, Chefredakteur des Nouvel Observateur, meint: "Mit dem Verhandlungsvorschlag an die Regierung vom Dienstagabend hat der Chef der CGT ein Tabu gebrochen, wie dies wenige Stunden vor einem großen Streik noch nie geschehen ist."

Liest man das Editorial des Figaro, so hört man förmlich die Sektkorken in den Salons der Reichen und Mächtigen knallen. Das konservative Blatt feiert bereits den "Sieg" Sarkozys und bezeichnet diesen als "wichtige Entwicklungsetappe unseres ‚Sozialmodells’, als entscheidendes Datum in der Geschichte der sozialen Beziehungen unseres Landes, als Rückgang der gewerkschaftlichen Streikkultur, der Macht, systematisch Nein zu sagen, und des Rückgriffs auf Blockaden." Er liefere den Beweis, "dass man Frankreich mit Willen und Methode reformieren kann."

Unter "reformieren" versteht das Sprachrohr der Wirtschaft den Abbau von Sozialleistungen und Arbeitnehmerrechten sowie die Beseitigung aller Hindernisse, die der hemmungslosen Bereicherung einer Minderheit im Wege stehen. Laut einer soeben veröffentlichten Sozialstatistik verdienen die reichsten zehn Prozent der Franzosen "nur" 3,15 Mal so viel wie die ärmsten zehn Prozent. Das ist weniger als vor zehn Jahren, als der Faktor noch 3,35 betrug. In anderen Ländern, wie Deutschland und den USA, weist die Kurve der Einkommensunterschiede dagegen steil nach oben.

Man kann am Wahrheitsgehalt dieser Statistik zweifeln, da die krassen sozialen Unterschiede auch in Frankreich nicht zu übersehen sind. Dennoch sind diese Zustände für die herrschenden Kreise unhaltbar. Sie fühlen sich durch die Forderungen der Arbeiter in ihrem Bereicherungsdrang behindert und wittern nun endlich eine Chance, dies zu verändern. Sarkozy, der soeben sein eigenes Präsidentengehalt um 172 Prozent erhöht hat und mit einigen der reichsten Männern des Landes persönlich befreundet ist, teilt diese Stimmungen.

Ihnen gibt auch der Figaro Ausdruck, wenn er schreibt: "Die Franzosen haben sich verändert. Man sieht bei ihnen das Erwachen eines wirklichen Verantwortungsbewussteins an Stelle der simplen Wiederholung veralteter Parolen: Französisches Sozialmodell, unveränderliches Pensionsrecht, unbeschränktes Streikrecht, kostenlose Gesundheitsversorgung für alles und alle, unwandelbares Recht auf Arbeit. Sie wissen, dass man einer Realität nicht ausweicht, der sich unsere Nachbarn schon gestellt haben."

Alle Pressekommentare sind sich einig, dass das Hauptproblem für Thibault und Sarkozy im Widerstand der Gewerkschaftsmitglieder und Streikenden besteht, bei denen die Kapitulation der CGT auf Ablehnung stößt.

Die CGT "muss nun noch ihre Truppen überzeugen, ihr auf diesem Weg zu folgen" schreibt Libération. "Das steht nicht von vornherein fest, nachdem die politische Kultur jahrzehntelang über den gewerkschaftlichen Realismus vorgeherrscht hat."

Und Le Figaro meint: "Die von der Regierung vorgeschlagenen Verhandlungen auf Betriebsebene zu akzeptieren, ohne gleichzeitig die Kontrolle über die eigenen Truppen zu verlieren, lautet die Herausforderung, vor der die Gewerkschaftsführer und insbesondere Bernard Thibault bei den Eisenbahnern stehen."

Ursachen für den Verrat

Der Verrat der CGT kommt für viele ihrer Mitglieder als Schock. Wer den Charakter und die Wurzeln dieser Organisation kennt und ihre Geschichte verfolgt hat, kann dagegen kaum überrascht sein.

Der 1895 gegründete Gewerkschaftsbund stand nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Kontrolle der Kommunistischen Partei. Ihr Generalsekretär saß in der Regel im Zentralkomitee der KP. Die CGT organisierte die militantesten Teile der Arbeiterklasse. Kurz nach dem Krieg zählte sie vier Millionen Mitglieder (heute sind es noch rund 700.000). Doch politisch verteidigten CGT und KP stets unverbrüchlich die Autorität des französischen Staates.

KP-Generalsekretär Maurice Thorez saß nach Kriegsende in der französischen Regierung. Erst als sich in den Renault-Werken gegen den Willen der CGT ein militanter Streik gegen die Preispolitik der Regierung entwickelte, der der Kontrolle der KP zu entgleiten drohte, sah sich Thorez zum Rücktritt gezwungen. Der damalige Präsident Vincent Auriol berichtet in seinen Memoiren über Thorez’ Rücktritt: "Bewegt und vor Verlegenheit rot im Gesicht sagte er mir: ‚Ich kann nichts mehr tun, ich habe alles versucht, ich bin mit meiner Weisheit am Ende.’ In diesem Moment habe ich Tränen in seinen Augen gesehen."

Als sich 1968 die Studentenrevolte entwickelte, begegnete ihr die CGT mit offener Feindschaft. Als einzige Gewerkschaft unterstützte sie den Generalstreik nicht, an dem sich im Mai Millionen Arbeiter beteiligten. In Grenelle arbeitete sie dann mit dem damaligen Staatssekretär Jacques Chirac ein Abkommen aus, mit dem der Streik erstickt und die Macht von Präsident De Gaulle gerettet wurde.

In den siebziger Jahren schloss die KP ein Bündnis mit der Sozialistischen Partei François Mitterrands, gehörte nach dessen Wahlsieg 1981 praktisch allen sozialistisch geführten Regierungen an und unterstützte deren rechte Wirtschafts- und Sozialpolitik. Als Folge zerfiel die einst mächtigste Partei Frankreichs zu einer kleinen, zerstrittenen Organisation.

Mit dem Zusammenruch der Sowjetunion veränderte sich die Lage der KP und der CGT weiter. 1999 schloss sich die CGT dem sozialdemokratisch dominierten Europäischen Gewerkschaftsbund an, zu dem auch der deutsche DGB gehört. Ihre einstigen Kerntruppen im Bergbau, den Häfen, der Stahl- und der Autoindustrie hatte sie zu diesem Zeitpunkt längst verloren. Mit ihrer tatkräftigen Mithilfe waren dort Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichtet worden.

Heute finden sich die Hochburgen der CGT in den Unternehmen in Staatseigentum. Bei den Gas- und Elektrizitätswerken unterstützen rund 58 Prozent der Beschäftigten die CGT. Bei der Eisenbahn sind es 40 Prozent. An zweiter Stelle steht dort die radikalere Gewerkschaft SUD (Solidaires, unitaires, démocratiques) mit 15 Prozent. In den Arbeitskämpfen der vergangenen zwölf Jahre spielten diese Bereiche eine Schlüsselrolle.

Doch die Auswirkungen der Globalisierung haben die Möglichkeit zerstört, militantes Gewerkschaftertum mit Loyalität gegenüber der staatlichen Autorität zu verbinden. Die französische herrschende Klasse steht unter enormem Druck von Seiten der Europäischen Union und ihrer internationalen Konkurrenten, beim Abbau von Sozialleistungen und Arbeitnehmerechten mit ihnen gleichzuziehen. Spätestens seit Präsident Sarkozy sein gesamtes politisches Prestige mit der Reform der ‚régimes spéciaux’ verbunden hat, ist klar, dass die Arbeiterklasse vor politischen Aufgaben steht.

Einen politischen Kampf gegen die Regierung lehnen die Führer der CGT aber vehement ab. Er bedeutet für sie einen Albtraum. Dabei wird immer deutlicher, dass sich die angeblich militantere CGT nicht von ihren sozialdemokratischen Pendants - der CFDT in Frankreich oder den sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaften in Deutschland - unterscheidet.

Während des jüngsten Streiks haben führende Vertreter der CGT immer wieder betont, dass sei jeden politischen Kampf ablehnen. So erklärte Jean-Christophe Le Duigou, der im Vorstand der CGT für die Renten zuständig ist: "Wir sind nicht von Natur aus streikwütig. Unsere Aufgabe besteht darin, unsere Forderungen vorzubringen. Manchmal ist ein Streik nötig. Aber unser Ziel ist nicht der Streik um des Streikes willen, es besteht darin, gewisse Forderungen aufzustellen, die Erwartungen der Beschäftigten zu erfüllen."

Am Mittwochmorgen sprach die WSWS mit Claude Pierzalski, dem für die Eisenbahner im Pariser Norden zuständigen Sekretär der CGT. Während er anerkannte, dass sich der Präsident direkt in den gegenwärtigen Konflikt einmischt, versuchte er, dessen politischen Charakter auf nahezu bizarre Weise zu leugnen.

"Wir vermeiden eine politische Konfrontation, aber der Präsident will ein Sparprogramm erzwingen," sagte er der WSWS. "Er ist ein allgegenwärtiger und allmächtiger Präsident. Libération bezeichnet die Mitglieder seiner Regierung als ‚Platzhalter’. Wir befinden uns im Kampf mit einem Präsidenten, der extrem hart vorgeht. Die Sonderrenten und der Frachtverkehr werden angegriffen. Wir können die Eisenbahn nicht als öffentlichen Dienstleistungsbetrieb entwickeln."

Pierzalski betonte: "Wir befinden uns in einer frontalen Auseinandersetzung mit dem Präsidenten, mit seinem Gesellschaftsmodell. Er verteidigt die Unternehmer, er nimmt an den Treffen des Unternehmerverbands MEDEF teil, er verkörpert eine Politik im Interesse des Kapitals. Er will die Renten der Eisenbahner auf das Niveau der allgemeinen Renten drücken, weil er dann sagen kann: ‚Ich habe die Eisenbahner besiegt’. Sie sind der wichtigste, oder zumindest ein sehr wichtiger Widerstandsherd gegen sein Sozialprogramm. Er versucht, einen Keil zwischen die Arbeiter im privaten und im öffentlichen Sektor zu treiben."

Würden die Eisenbahner besiegt, fuhr Pierzalski fort, "wäre das eine große Enttäuschung für die Eisenbahner und die Beschäftigten der sozialen Dienste, die Tür wäre offen für eine Politik im Stile Thatchers. Sarkozy sähe gern, dass sich der Streik dahinschleppt und austrocknet, wie es bei den Bergarbeitern und Thatcher der Fall war. Danach käme eine ultrakapitalistische Politik, die die Arbeitsgesetze beseitigt und den Unternehmern freie Hand lässt, um zu tun, was sie wollen."

Aber auf die Frage der WSWS: "Ist es dann nicht ein politischer Konflikt?", antwortete Pierzalski: "Wir beschränken uns auf den sozialen Rahmen. Wir wollen die sozialen Errungenschaften verteidigen. Wir sind nicht gegen Sarkozy und die Regierung als solche, sondern gegen ein Gesellschaftsmodell."

Auf die Frage, was für einen Sieg erforderlich wäre, nannte Pierzalski öffentliche Unterstützung und die Ausweitung des Kampfs: "Wir müssen unsere Forderungen offensiv vertreten, versuchen, die Bevölkerung zu gewinnen und nicht von ihr gespalten zu werden. Wir müssen den Kampf ausweiten, auf die Pariser Verkehrsbetriebe RATP und die EDF-CDF (Strom- und Gaswerke)."

Er erklärte allerdings nicht, wie eine derartige Ausweitung des Kampfs möglich sein soll, ohne einen politischen Kampf gegen Sarkozy und seine Regierung zu führen.

Es ist notwendig, Lehren aus dem Verrat der CGT zu ziehen. Die Zeiten, in denen die Arbeiter ihre sozialen und demokratischen Rechte mit Hilfe reformistischer Gewerkschaften verteidigen konnten, sind vorbei. Diese haben sich auf der ganzen Welt in Partner der Unternehmen und Regierungen verwandelt, um die Angriffe gegen die Arbeiter durchzusetzen.

Es gibt im Kampf gegen Sarkozys soziale Angriffe keinen leichten Weg und keine Abkürzung. Es muss eine politische Führung aufgebaut werden, um die Streiks, Demonstrationen und politischen Aktivitäten der Arbeiterklasse gegen die Machenschaften der herrschenden Elite, ihrer Verbündeten und politischen Vertreter zu koordinieren und um ein revolutionäres sozialistisches Programm zu verbreiten, das den Interessen der arbeitenden Bevölkerung entspricht.

Siehe auch:
Frankreich: Trotz Streikerfolg bereiten Gewerkschaften Ausverkauf vor
(15. November 2007)
Sarkozy sucht Konfrontation mit der Arbeiterklasse
(14. November 2007)
Französische Studenten mobilisieren gegen Universitätsreform
(13. November 2007)
Streik bei Verkehrsbetrieben bringt Frankreich zum Stillstand
(20. Oktober 2007)
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