Das historische Programm der PSG

Die Partei für Soziale Gleichheit veranstaltete am 17. September zum Abschluss ihres Berliner Wahlkampfs eine Europäische Arbeiterversammlung gegen Rassismus, Krieg und Sozialkahlschlag. Im Tempodrom in Kreuzberg sprachen Vertreter der PSG und der Vierten Internationale über die Krise des Kapitalismus, das Programm der PSG und die Bedeutung ihres Wahlkampfs.

Wir dokumentieren heute die Rede von Ulrich Rippert, dem Vorsitzenden der Partei für Soziale Gleichheit, über das historische Programm der PSG.

Das Podium im Tempodrom Das Podium im Tempodrom

Unsere Veranstaltung heute Nachmittag und die Reden, die hier gehalten wurden, machen deutlich, dass wir einen wichtigen politischen Fortschritt gemacht haben. Jeder, der in den vergangenen Wochen und Monaten an unserem Wahlkampf teilgenommen hat und auch jeder, der ihn über die WSWS verfolgt hat, wird zustimmen, dass es eine sehr intensive politische Kampagne war, die große Aufmerksamkeit hervorrief.

Wir waren die einzig Partei, die den rot-roten Senat von links angriff, seine unsoziale Politik schonungslos aufdeckte und seine reaktionäre Politik bekämpfte. Wir konnten das nur deshalb tun, weil wir uns auf die lange Geschichte eines systematischen Kampfs gegen alle Formen des Opportunismus und Nationalismus stützen.

Von den anderen Parteien unterscheidet uns vor allem, dass wir unsere politische Fahne nie nach dem Wind gerichtet haben. Wir haben nie kurzfristige organisatorische und taktische Initiativen höher gestellt, als politische Prinzipien. Auch in diesem Wahlkampf ging es uns darum auszusprechen, was ist und eine sozialistische Perspektive bekannt zu machen.

Angesichts der Krise rücken alle bürgerlichen Parteien – einschließlich der Linkspartei – immer enger zusammen. Es macht nicht den geringsten Unterschied, wer morgen die Wahl gewinnt und wer übermorgen der Regierende Bürgermeister sein wird. Sie alle verfolgen dieselbe Politik, die von den Banken diktiert wird.

Gleichzeitig haben sich alle kleinbürgerlichen Gruppierungen, die Reste der Pablisten, die SAV, die Staatskapitalisten von Marx21, die Gruppe Arbeitermacht usw. der Linkspartei angeschlossen und haben für sie Wahlkampf betrieben. Sie sind Teil der bürgerlichen Ordnung und bieten sich als Stützen künftiger Regierungen an.

Auf der anderen Seite standen wir. Wir haben die Probleme der arbeitenden Bevölkerung direkt angesprochen und betont, dass kein einziges gesellschaftliches Problem gelöst werden kann, ohne die Diktatur der Banken zu brechen; dass dazu eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse erforderlich ist und dass dies nur durch einen politischen Bruch mit der Linkspartei und den Gewerkschaften erreicht werden kann. Das erfordert den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei, die sich auf die politischen Lehren der vergangenen Klassenkämpfe stützt und für ein internationales sozialistisches Programm kämpft.

Ulrich Rippert Ulrich Rippert

Wenn wir also die Frage stellen, was wir erreicht haben, ist vor allem eines festzuhalten: Wir haben deutlich gemacht, dass es eine Partei gibt, die sich dem ganzen offiziellen Politikbetrieb widersetzt und den Opportunismus der Linkspartei schonungslos aufdeckt; eine Partei, die den Mut und die Fähigkeit hat, der Diktatur der Banken entgegenzutreten und konsequent die Interessen der Arbeiterklasse vertritt.

Die politische Polarisierung, die in diesem Wahlkampf stattgefunden hat – auf der einen Seite alle Parteien von rechts bis links, gemeinsam mit den Gewerkschaften, auf der anderen Seite wir, mit einem internationalen sozialistischen Programm – war sehr auffällig und hat selbst einige unserer Anhänger überrascht. Diese Entwicklung ist sehr bedeutsam, denn sie ist Teil einer Klassendifferenzierung, die jetzt sehr schnell voranschreitet.

Wir haben oft betont, dass eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse notwendig ist. Doch eine solche Bewegung entsteht nicht einfach aus spontanen Kämpfen und Protesten, sondern erfordert ein politisches Programm, das gegen die Linkspartei und ihre Anhänger gerichtet ist. Wir haben im Wahlkampf ein solches Programm bekannt gemacht und diskutiert.

Das war sehr wichtig und hat weitreichende Bedeutung. Wir haben damit deutlich gemacht, dass die kommende politische Entwicklung der Arbeiterklasse eng mit dem Aufbau unserer Partei verbunden ist. Denn die Stärke unserer Partei besteht darin, dass wir in unserer ganzen Geschichte gegen jede Form von Opportunismus und Nationalismus gekämpft haben.

Ich will das etwas erläutern. Wir haben heute nicht nur den Abschluss eines großartigen Wahlkampfs, sondern auch – beinahe auf den Tag genau – den 40. Jahrestag der der Gründung unserer Partei.

Als wir im September 1971 den Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA) – die Vorläuferorganisation der PSG – gründeten, sah die Welt noch sehr anders aus. Die Naziverbrechen lagen erst 26 Jahre zurück – nicht viel länger als heute das Ende der DDR. Aber niemand in der offiziellen Politik sprach darüber. Es wurde so getan, als sei nichts gewesen. Stattdessen wurde behauptet, dass der Kapitalismus geläutert sei und die „Soziale Marktwirtschaft“ Wohlstand für alle ermögliche. Und tatsächlich gab es einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Aber wir lehnten die Illusionen in den Wirtschaftsboom ab. Als die amerikanische Regierung im Sommer 1971 die Golddeckung des Dollars aufhob und das Ende des Bretton-Woods-Systems ankündigte, erklärten wir, dass sich damit die historische Krise des Kapitalismus wieder verschärft. Dafür wurden wir von allen Seiten verlacht.

Wir stützten unsere Argumente damals auf Lenin, der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts nachgewiesen hatte, dass der Kapitalismus kein einziges gesellschaftliches Problem lösen kann und dass die Herrschaft des Finanzkapitals unvermeidlich zu Diktatur und Krieg führt. Uns wurde daraufhin vorgehalten, dass das längst vorbei sei. Wir wurden als Ewig-Gestrige bezeichnet.

Doch die weitere Entwicklung hat uns Recht gegeben. Gibt es heute den geringsten Zweifel daran, dass sich die historische Krise des Kapitalismus, die zu den großen Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts geführt hat, wieder entfaltet?

Selbst die bürgerlichen Zeitungen sprechen über die Diktatur der Banken, die die Regierungen vor sich hertreiben. Wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärt, Griechenland müsse endlich „liefern“, ohne weitere Sozialkürzungen würden keine weiteren Gelder ausbezahlt und das Land in den Staatsbankrott getrieben, dann ist das eindeutig die Stimme des Klassenkampfs und der Diktatur.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir mit unserer Analyse Recht hatten. Der Kapitalismus hatte auch im Wirtschaftsboom der 70er Jahre seine historische Krise nie überwunden. Das Ausmaß der gegenwärtigen Krise geht weit über die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre hinaus und führt erneut zu Diktatur und Krieg.

Auch die Arbeiter hatten damals große Illusionen in den Kapitalismus und glaubten, sie könnten die SPD zwingen ihre Interessen zu vertreten. Ich erinnere mich noch gut an eine große Streikbewegung im September 1969, als Stahlarbeiter im Ruhrgebiet und im Saarland – gegen den Widerstand der IG Metall – eine massive Lohnerhöhung durchsetzten. Am Ende des selben Monats wurde Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt und viele Arbeiter waren der Auffassung, sie könnten die SPD-Regierung vor sich hertreiben. Ein geflügeltes Wort lautete damals: „Wir werden Willy Brandt und die SPD in der Reichweite unserer Peitsche halten.“

Wir lehnten Illusionen in die SPD entschieden ab. Wir kannten die katastrophalen Auswirkungen des Verrats von 1914, als die SPD den Kriegskrediten des Kaisers zugestimmt und Millionen Arbeiter auf die Schlachtbank des Ersten Weltkriegs geführt hatte.

Wir wussten auch, dass Lenin und die Bolschewisten den Sieg der Russischen Revolution und die Errichtung des ersten Arbeiterstaats nur im unnachgiebigen Kampf gegen diesen Opportunismus der SPD vorbereiten und durchführen konnten.

Wir nannten unsere erste Parteizeitung, die wir im Frühjahr 1972 herausgaben nicht zufällig in Anlehnung an Lenins „Iskra“ „Der Funke“. Wir studierten die Russische Revolution, diesen gewaltigen historischen Fortschritt, sehr genau und wussten, dass die politische Perspektive dieser Revolution von Leo Trotzki stammte und auf seiner Theorie der Permanenten Revolution basierte.

Trotzki hatte erklärt, dass angesichts der Krise des Kapitalismus im Weltmaßstab die demokratischen Aufgaben im Kampf gegen den Zarismus nur durch die Arbeiterklasse und nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programms durchgeführt werden konnten. Damit wurde die russische Revolution zum Beginn der Weltrevolution.

Ihre Zukunft hing völlig von der internationalen Entwicklung der Revolution ab. Man kann daher in gewisser Hinsicht sagen, die Russische Revolution ist nicht in Moskau und nicht in Petrograd gescheitert, sondern hier in Berlin.

Es war eine sozialdemokratische Regierung, die die Novemberrevolution mit Hilfe der Reichswehr niederschlug und im Blut ertränkte. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und mit ihnen Tausende revolutionäre Arbeiter wurden ermordet. Keine Macht der Welt wird jemals dieses Verbrechen aus der Geschichte der SPD ausradieren können.

Wir verstanden den Zusammenhang zwischen dem Verrat der SPD, der Entstehung der stalinistischen Bürokratie, dem Terror gegen die Trotzkisten und der faschistischen Katastrophe.

Denn der Verrat der SPD und die Niederschlagung der Novemberrevolution hatten die Isolation der Russischen Revolution zur Folge. Durch diese Isolation und den gewaltigen Druck der kapitalistischen Länder wuchs im ersten Arbeiterstaat eine privilegierte Bürokratie, die unter Stalin die Macht in der Partei und im Staat an sich riss und in den Moskauer Prozessen die Linke Opposition und eine ganze Generation von Marxisten ermordete. Es war dieser Massenmord an den Trotzkisten und die politische Enthauptung der Arbeiterklasse, die dem Nazi-Terror den Weg bereitete.

Wir waren vom prinzipiellen und mutigen Kampf der Trotzkisten gegen den Stalinismus auf der einen und den Faschismus auf der anderen Seite tief beeindruckt. Sie waren unnachgiebig und zögerten nicht ihr Leben zu geben, um die Perspektive des sozialistischen Internationalismus zu verteidigten.

Als wir im September 1971 den BSA gründeten, wussten wir, dass wir eine Sektion der Vierten Internationale aufbauen wollten. Unser Ziel bestand darin, die historische Kontinuität des Marxismus in einem Land wieder aufzubauen, in dem sie vom Stalinismus und vom Nationalsozialismus unterdrückt wurde. Um das internationale, sozialistische Programm zu verteidigen, waren heftige Auseinandersetzungen mit allen Parteien und politischen Tendenzen unvermeidlich.

Anfangs war unsere Arbeit in Frankfurt am Main konzentriert. Zur selben Zeit, als dort Joschka Fischer Straßenkämpfer und Häuserbesetzer war. Seine völlig opportunistische Politik war von einer tiefen Feindschaft gegen die Arbeiterklasse geprägt – so wie das auch heute bei einigen Autonomen, oder so genannten „undogmatischen Linken“ hier in Kreuzberg oder Neukölln der Fall ist. Was ist aus Fischer und seinem Freund Cohn Bendit geworden? Sie gehören zu den übelsten und reaktionärsten Vertretern des deutschen Imperialismus.

Wir kämpften gegen den Maoismus, also gegen diejenigen, die Stalin und Mao Zedong glorifizierten. Auch sie lehnten die Arbeiterklasse ab, erklärten die Studenten zur revolutionären Avantgarde und attackierten uns heftig. Der KBW (Kommunistische Bund Westdeutschland) war in den Siebzigerjahren eine der größten maoistischen Organisationen. Was ist aus ihm geworden? Seine Kader bevölkern die Führungsgremien der Grünen. Jürgen Trittin, der nach Fischer die Leitung der Grünen übernommen hat, steht so weit rechts, dass er von einigen Leuten als Kanzlerkandidat gehandelt wird.

Wir kämpften gegen die Pablisten, das heißt diejenigen, die sich als Trotzkisten bezeichneten und gleichzeitig die stalinistische Bürokratie verteidigten. In den achtziger Jahren wurden sie alle zu glühenden Anhängern von Gorbatschow und Perestroika. Mit der kapitalistischen Restauration übernahmen viele von ihnen Führungspositionen in Politik, Wirtschaft und Medien.

Sie sind heute wichtige Stützen des Imperialismus. Ich will nur einige von ihnen nennen: Harald Wolf, Wirtschaftssenator der Linkspartei hier in Berlin, Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Abgeordnetenhaus, Andrea Fischer, früher Bundesgesundheitsministerin, danach Lobbyistin für die Pharmaindustrie und nun wieder eine der Spitzenkandidatinnen der Grünen, Sonja Mikich, Fernsehmoderatorin beim WDR usw. Sie alle haben Karriere gemacht und sind heute wichtige Stützen der bürgerlichen Herrschaft gegen die Arbeiter.

Gibt es irgend einen Zweifel daran, wie wichtig und bedeutsam die Auseinandersetzung mit den Pablisten und allen anderen Formen des Opportunismus und Nationalismus war? Wo wären wir heute, wenn wir diese Auseinandersetzung – die immer als sektiererisch beschimpft wurde – nicht geführt hätten?

Durch diesen langen und unachgiebigen Kampf haben wir den Marxismus, das internationale sozialistische Programm verteidigt, das heute von so großer Bedeutung für den Kampf der Arbeiterklasse ist.

Um es etwas polemisch zu sagen: Wir haben erreicht, dass wir heute eine Partei sind, über die niemand es wagt, einen ernsthaften Artikel zu schreiben, weil sie alle Angst haben, dass unser Programm – wenn es bekannt wird – zum Anziehungspunkt für große Teile der Arbeiter und zur Plattform für revolutionäre Kämpfe wird.

Deshalb ist es keine Übertreibung und kein Wunschdenken, wenn wir sagen, dass die politische Entwicklung der Arbeiterklasse eng mit dem Aufbau und dem Einfluss unserer Partei verbunden ist.

Unabhängig davon, wie viele Stimmen wir bekommen werden, wissen wir, dass wir in diesem Wahlkampf einen wichtigen politischen Fortschritt gemacht und die Grundlagen für ein neues Stadium im Aufbau der Partei gelegt haben. Dafür danke ich allen Genossen, die in den vergangenen Wochen sehr intensiv und teilweise bis an die Grenzen der physischen Erschöpfung gekämpft haben.

Gleichzeitig rufe ich alle, die noch nicht Mitglied der PSG sind dazu auf, die Gelegenheit heute zu nutzen, sich mit dem Programm und der historischen Tradition unserer Bewegung vertraut zu machen und unserer Partei beizutreten.

Die Zukunft der Gesellschaft wird nicht im Kanzleramt und auch nicht in der EU-Kommission in Brüssel entschieden. Sondern sie wird von denjenigen entschieden, die sich am Aufbau dieser Partei beteiligen, an der World Socialist Web Site mitarbeiten und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa kämpfen.

 

Alle Beiträge der Europäischen Arbeiterversammlung 2001:

Das historische Programm der PSG

Von Ulrich Rippert, 28. September 2011

Die ägyptische Revolution und ihre politischen Aufgaben

Von Johannes Stern, 27. September 2011

Soziale Konterrevolution durch Sturz des Profitsystems beenden

Von Wladimir Wolkow, 24. September 2011

„Die wichtigste Aufgabe ist der Aufbau einer neuen revolutionären Führung“

Von Joseph Kishore (USA) und Kumaran Ira (Frankreich), 23. September 2011

„PSG stellte Jugendunruhen in GB ins Zentrum ihres Wahlkampfs“

Von Julie Hyland, 22. September 2011

Die Bedeutung des Wahlkampfs der PSG

Von Christoph Vandreier, 21. September 2011

Die Krise des Kapitalismus

Von Peter Schwarz, 20. September 2011

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