Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags stellt seine Arbeit ein

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags wirft den deutschen Sicherheitsbehörden „Totalversagen“ vor. Gleichzeitig schließt er aus, dass staatliche Stellen die rechtsextreme Terrorzelle NSU gedeckt oder deren Morde ermöglicht haben. Das waren die beiden Kernaussagen der letzten öffentlichen Sitzung des Ausschusses am Donnerstag. Sie lassen sich nicht miteinander vereinbaren.

Tatsächlich lassen die Fakten, die der Bundestagsausschuss, weitere Ausschüsse in den Ländern und verschiedene Medien ans Licht gebracht haben, nur die Schlussfolgerungen zu, dass die zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge, die dem Nationalsozialistischen Untergrund zur Last gelegt werden, unter den Augen der Sicherheitsbehörden stattfanden und von diesen gedeckt wurden.

Die Aufgabe des Untersuchungsausschusses bestand darin, diesen Sachverhalt zu verschleiern. In enger Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden legte er fest, welche Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, Nun nutzt er die Mär von ihrem angeblichen „Versagen“, um sie effektiver und schlagkräftiger zu gestalten. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Linkspartei, die derart eng mit den anderen bürgerlichen Parteien zusammenarbeitet, dass laut SPD-Obfrau Eva Högl „kein Haar“ zwischen sie passt.

Nach Aussage des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) haben Polizei und Nachrichtendienste vorurteilsbeladen und mit Scheuklappen gegen die Terrorzelle ermittelt. Edathy sprach von einem „multiplen“ und „historisch beispiellosen“ Versagen der Sicherheitsbehörden.

Der Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, Wolfgang Wieland, warf den Sicherheitsbehörden „Totalversagen auf allen Etagen“ vor. SPD-Obfrau Högl sagte, der Rechtsextremismus sei über Jahre hinweg flächendeckend verharmlost werden.

Der Ausschuss selbst, dessen 22 Mitglieder in 15 Monaten 100 Zeugen befragt und 8.000 Aktenordner ausgewertet haben, war vom ersten bis zum letzten Tag mit der Blockadehaltung der Behörden konfrontiert. Akten wurden geschreddert, geschwärzt oder zurückgehalten. Zeugen mauerten, wurden spontan krank, erhielten von ihren politischen Vorgesetzten keine Aussagegenehmigung oder behandelten den Ausschuss mit unübersehbarer Arroganz. Geheimdienstmitarbeiter und ihre Vorgesetzten litten an Gedächtnisschwund.

Noch am letzten Tag scheiterte ein geplanter Auftritt der Bund-Länder-Kommission zum Rechtsterrorismus, weil die Innenminister darauf bestanden, dass sie nur in geheimer Sitzung aussagt. Und als letzte Zeugin schickte das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Mitarbeiterin vor den Ausschuss, die sich an nichts mehr erinnern konnte.

Die restlose Aufklärung der Mordserie sei „an der Praxis der Regierung und der Behörden zerschellt“, meinte die Linken-Obfrau Petra Pau.

Trotzdem bestreitet der Ausschuss, dass staatliche Stellen die Terrorzelle gedeckt oder unterstützt haben könnten. Ihre Partei, betonte Petra Pau, habe sich im Ausschuss nie von umlaufenden Verschwörungstheorien leiten lassen. Mit anderen Worten, die Linke – und das gilt auch für alle anderen Parteien – leugnete von vornherein, dass es irgendeine Form der Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen und dem Terrortrio gab. Was nicht sein durfte, konnte nicht sein.

Die bekannten Fakten beweisen allerdings das Gegenteil. Inzwischen weiß man, dass mindestens zwei Dutzend V-Leute des Bundesamts (BfV) und der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), des Militärischen Abschirmdiensts (MAD) und des Berliner Landeskriminalamts (LKA) im Umfeld des NSU aktiv waren. Das mutmaßliche Terrortrio operierte also gewissermaßen unter den Augen des Staates.

Im vergangenen Herbst meldete Spiegel Online, dass Thomas S., der Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den neunziger Jahren mit Sprengstoff belieferte, über zehn Jahre lang als Informant für das Berliner LKA tätig war. Auch Ralf Wohlleben, der im Münchener NSU-Prozess beschuldigt wird, die Mordwaffe besorgt zu haben, steht unter Verdacht, als V-Mann für eine Sicherheitsbehörde gearbeitet zu haben. Über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ist bekannt, dass es zumindest einen Anwerbeversuch gab.

Aufklären konnte und wollte der Bundestagsausschuss diese Fragen nicht, weil wichtige Akten rechtzeitig vernichtet (oder versteckt) wurden oder V-Mann-Führer keine Aussagegenehmigung erhielten. Teilweise bekamen die Ausschussmitglieder sogar Einblick in angeblich vernichtete Akten, durften aber nicht darüber sprechen, wie Petra Pau auf einer Veranstaltung der Linkspartei im März berichtete. „Wir sehen Akten ein, aber wir dürfen nicht darüber sprechen, mit niemandem und niemals“, sagte sie.

Auch zahlreiche andere Fragen blieben im Dunkeln. Etwa, wie die Mordopfer ausgewählt wurden und wer die Mörder dabei unterstützte. Oder weshalb und unter welchen Umständen das letzte Mordopfer, eine deutsche Polizistin, in Heidelberg umgebracht wurde, nachdem alle vorherigen Opfer Geschäftsleute mit türkischem oder griechischem Hintergrund waren.

All diese verdächtigen Verbindungen und Ungereimtheiten mit Versäumnissen und Pannen zu erklären, wie dies der Bundestagsausschuss tut, beleidigt den gesunden Menschenverstand. Pannen, Zufälle und behördliche Schlampereien kann es geben, aber wenn sich solche Pannen und Zufälle 15 Jahre lang häufen und nicht ein einziges Mal durchbrochen werden, handelt es sich um System.

Die Schlussfolgerung, dass bei den NSU-Morden ein tiefbrauner „Staat im Staat“ die Hände mit im Spiel hatte, der die Mörder unterstützte und deckte, drängt sich geradezu auf. Dabei handelt es sich nicht um „Verschwörungstheorien“, sondern um dringende Verdachtsmomente, denen nachgegangen werden muss.

Gerade das will der Bundestagsausschuss verhindern. Seine wirkliche Aufgabe bestand nicht darin, die Hintergründe der NSU-Morde aufzudecken, sondern das Vertrauen in Staat und Sicherheitsbehörden wieder herzustellen, das durch die rassistische Mordserie stark untergraben wurde. Um diese Aufgabe zu erfüllen, musste er einige kritische Fragen stellen und seine Empörung über das „Versagen“ der Behörden zum Ausdruck bringen – sonst hätte er sich völlig unglaubwürdig gemacht.

Die Schlüsselrolle bei dieser Weißwaschaktion für die Sicherheitsbehörden spielt die Linkspartei. Sie ist ebenso alarmiert über das wachsende Misstrauen in Geheimdienste und Polizei, wie die anderen bürgerlichen Parteien, mit denen sie eng zusammenarbeitet, um das Vertrauen in den Staat wieder herzustellen. Petra Pau fuhr im Februar sogar mit einer sechsköpfigen Delegation des Ausschusses nach Ankara, um auch in der Türkei für Vertrauen in den deutschen Staat zu werben.

Zahlreiche Medienberichte lobten die „für einen Untersuchungsausschuss ungewöhnliche Einigkeit“. Man agiere „gemeinsam, weitgehend ohne Eitelkeiten und ohne politische Taktiererei“, schrieb die Westdeutsche Zeitung.

Bereits im März hatte die Linkspartei den neuen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, zu einem öffentlichen Diskussionstreffen eingeladen und ihm ihre Unterstützung bei einer „Reform“ des Geheimdiensts zugesichert. (Siehe: „Linkspartei übt Schulterschluss mit Verfassungsschutz“) Solche „Reformvorschläge“ stehen im Mittelpunkt des Abschlussberichts des NSU-Untersuchungsausschusses, der in den kommenden Wochen fertig gestellt und am 3. September, kurz vor der Bundestagswahl, im Parlament beraten wird,

Nach derzeitigem Stand wird die Linkspartei kein Sondervotum zum Abschlussbericht abgeben, wie dies sonst bei Untersuchungsausschüssen üblich ist, und sich den Empfehlungen der anderen Parteien anschließen. Diese zielen auf eine Zentralisierung und Stärkung derselben Sicherheitsbehörden ab, die den NSU gedeckt und seine Rolle vertuscht haben.

In welche Richtung diese „Reformen“ gehen, hat der Ausschussvorsitzende Edathy (SPD) in der Bild-Zeitung ausgesprochen. Die Behörden müssten sich im Kampf gegen den Rechtsextremismus genauso aufstellen wie nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York nach dem 11. September 2001 im Kampf gegen islamistische Extremisten, sagte er.

Die Anschläge vom 11. September und der angebliche „Krieg gegen den Terror“, der ihnen folgte, dienen in den USA und international seit zwölf Jahren als Vorwand für imperialistische Kriege und eine gewaltige Staatsaufrüstung, deren wirkliches Ziel die Unterdrückung sozialen Widerstands in der Arbeiterklasse ist. Die Linkspartei hat mit ihrem Verhalten im NSU-Ausschuss erneut gezeigt, dass sie im Klassenkampf auf der Seite der herrschenden Elite und ihres Unterdrückungsapparats steht.

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