Präventiver Ausnahmezustand in Missouri

Der Gouverneur von Missouri Jay Nixon, hat den präventiven Ausnahmezustand ausgerufen und die bundesstaatliche Nationalgarde eingesetzt. Das zeigt, dass die Zerstörung der demokratischen Rechte in den Vereinigten Staaten ein neues Niveau erreicht hat. Die herrschende Klasse schiebt die fadenscheinige Fassade der demokratischen Institutionen praktisch beiseite und stützt sich mehr und mehr auf nackte Gewalt.

Um seine Entscheidung zu rechtfertigen, führte Nixon die "Möglichkeit breiterer Unruhen" aufgrund der bevorstehenden Grand-Jury-Entscheidung an. Bei dieser geht es um Darren Wilson, den Polizisten aus Ferguson, Missouri, welcher Michael Brown, einen unbewaffneten afroamerikanischen Jugendlichen, im vergangenen August erschossen hatte. Die Grand Jury muss entscheiden, ob er angeklagt wird oder nicht.

Gouverneur Nixon erklärte, die Nationalgarde müsse "im Vorfeld der Verkündigung der Grand-Jury-Entscheidung" stationiert werden.

In Ferguson sind derzeit keine Massenproteste im Gange, geschweige denn Plünderungen oder Gewalt. Die "öffentliche Sicherheit" ist nicht bedroht. Die ersten Demonstrationen, die auf Browns Tötung folgten, verliefen überwiegend friedlich. Wenn es Gewalt gab, dann nicht wegen der Bevölkerung Fergusons, sondern wegen der Polizei. Diese hatte zuallererst Brown mutwillig getötet, dann Tränengas, Gummigeschosse, gepanzerte Fahrzeuge, Militärhubschrauber und paramilitärische Einheiten mit Schnellfeuerwaffen eingesetzt und wahllos Demonstranten und Journalisten verhaftet.

Die Tatsache, dass durch diese Brutalität das Potenzial für Proteste entstanden ist, wird jetzt also zum hinreichenden Grund erklärt, um der Polizei Notstandsbefugnisse zu erteilen und sie in Ferguson und in der gesamten Region St. Louis durch das Militär zu verstärken. Demokratische und Verfassungsrechte, einschließlich des ersten Verfassungszusatzes, der das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit garantiert, werden einfach aufgehoben, ohne dass sich innerhalb des politischen Apparats oder der wirtschaftsnahen Medien irgendwelche Proteste regen.

In Missouris Ausnahmezustand (und schon bei der ersten Polizeimobilisierung im Sommer) geht es nicht nur um Ferguson. Die herrschende Klasse will einen Präzedenzfall schaffen und einen neuen Standard für Polizei-Militäroperationen innerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten festlegen.

Nixons Argumente könnten auf jede beliebige Stadt in den USA angewandt werden. Sie erweitern den Präzedenzfall, der im April 2013 in Boston, Massachusetts, mit einem wahren Belagerungszustand geschaffen wurde. Damals wurde die Bevölkerung aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben, und schwer bewaffnete SWAT-Teams führten ohne richterliche Genehmigung Haus-zu-Haus Durchsuchungen durch. Diese Maßnahmen waren angeblich die Antwort auf den Anschlag auf den Boston-Marathon, bei dem drei Menschen getötet wurden. Nun wird die Nationalgarde mobilisiert, gestützt auf die bloße Möglichkeit gewaltsamer Proteste.

Die enge Abstimmung zwischen lokaler, bundesstaatlicher und der Obama Regierungen bestätigt, dass der Ausnahmezustand Missouris als Modell für die militärische Mobilisierung an anderer Stelle dienen soll. Nach einem Besuch von Justizminister Eric Holder in der Region in der vergangenen Woche veröffentlichte das FBI einen Brief an Polizeibehörden im ganzen Land. Darin wird die unbegründete Behauptung erhoben, falls Wilson nicht angeklagt werde, könne es "wahrscheinlich" zu Gewalt und Angriffen auf "Strafverfolgung und kritische Infrastrukturen" kommen. Die Polizei, erklärte das FBI, müsse sich entsprechend vorbereiten.

Das Ausmaß der Reaktion auf die eigentliche Situation in Ferguson ist so unverhältnismäßig, dass sich die Schlussfolgerung sich aufdrängt, hier seien tiefgreifende und grundlegendere Prozesse im Gang. Die Möglichkeit gewaltsamer Proteste ist nicht die Ursache, sondern ein Vorwand für einen polizeilich-militärischen Belagerungszustand.

Die herrschende Klasse reagiert auf die Möglichkeit eines sozialen Konflikts in den Vereinigten Staaten äußerst empfindlich, unabhängig davon, ob durch die Ereignisse in Ferguson oder etwas anderes provoziert. Als Reaktion darauf hat sie die politische Infrastruktur und scheinlegale Rechtsgrundlage für eine Polizei- und Militärherrschaft entwickelt. Besonders seit den Anschlägen vom 11. September führt sie ihren konstruierten "Krieg gegen Terror".

Von Anfang an hat die World Socialist Web Site davor gewarnt, dass das eigentliche Ziel der nationalen Maßnahmen im Namen des Kampfs gegen Terrorismus nicht Al Qaida, sondern die amerikanische Arbeiterklasse sei, der am meisten gefürchtete und verhasste Feind der herrschenden Klasse.

In einer Erklärung vom 19. September 2001 stellte die WSWS die Verbindung zwischen den Maßnahmen der Bush-Administration und der gestohlenen Wahl im Jahr 2000 im Jahr zuvor her. Wir schrieben: "Die traditionellen Formen der bürgerlichen Demokratie sind zunehmend unvereinbar mit einer gesellschaftlichen Struktur geworden, die von wachsender Ungleichheit und einem gähnenden Abgrund zwischen der politischen Elite und der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung geprägt ist."

Die vergangenen fünfzehn Jahre, sowohl unter Bush als auch Obama, haben diese Analyse bestätigt. Die herrschende Klasse hat eine durchgreifende antidemokratische Agenda umgesetzt: Dazu gehören die Gründung des Department of Homeland Security, die Verabschiedung des PATRIOT Act, um die staatliche Vollmacht zur Bespitzelung auszuweiten, die Schaffung des Northern Commands des Pentagons, um die Vereinigten Staaten und Nordamerika zu kontrollieren, sowie die Behauptung, der Präsident habe das Recht, jeden Beliebigen Menschen ohne ordentliches Gerichtsverfahren zu verhaften, zu foltern, vor ein Militärgericht zu stellen und sogar zu ermorden, selbst wenn es sich um US-Bürger handelt.

US-Geheimdienste arbeiten ohne rechtliche Einschränkung bei der Überwachung der Kommunikation von praktisch jedem auf dem Planeten, einschließlich der Bürger Amerikas mit fremden Diensten zusammen. Die Regierung koordiniert ihre repressiven Maßnahmen immer enger mit den örtlichen Polizeikräften, die sie mit einer milliardenschweren Militärausrüstung bewaffnet hat. Das Pentagon hat mit den dazugehörenden Think Tanks bereits detaillierte Pläne für militärische Operationen zur "Unterdrückung von groß angelegten, unerwarteten Unruhen" angefertigt (Wortlaut einer militärischen Anordnung vom Mai 2013).

Immer offensichtlicher wird, dass die Methoden und sogar die Terminologie, die zunächst angeblich gegen ausländische Terroristen gerichtet war, gegen die Bevölkerung der Vereinigten Staaten eingesetzt werden. Wie die Ereignisse in Ferguson zeigen, wird der Repressionsapparat gegen soziale und politische Opposition im Inland eingesetzt. Er wird nicht nur gegen Arbeiter und Jugendliche in Ferguson, sondern auch gegen jeglichen Widerstand ins Feld geführt werden, der sich gegen den unerbittlichen Angriff auf Arbeitsplätze, Löhne und Sozialprogramme in den USA und die endlosen Kriege im Ausland erhebt.

Der Untergang der amerikanischen Demokratie ist der politische Ausdruck eines bankrotten Gesellschafts- und Wirtschaftssystem. Im Ausland ist die herrschende Klasse an einer wachsenden Kampagne der Gewalt und Plünderung beteiligt. Die Politik im eignen Land hat zu sozialer Ungleichheit geführt, wie sie in den Jahren vor der großen Depression herrschte. Immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass sich die Weltwirtschaft auf einen weiteren finanziellen Zusammenbruch zubewegt, dessen Folgen noch schlimmer sein werden als nach der Krise des Jahres 2008.

Immense soziale Spannungen bauen sich auf, und die alten Mechanismen, die die herrschende Klasse bisher zu ihrer Regulierung brauchte, sind zusammengebrochen. In den Augen von Millionen Menschen sind die Regierung und die beiden großen Parteien nach sechs Jahren Obama-Regierung noch tiefer gesunken. Die extrem niedrige Wahlbeteiligung bei den letzten Kongresswahlen ist nur ein erster Ausdruck wachsender Wut und Feindseligkeit. Unfähig, offizielle politische Wege zu finden, werden Massen von Menschen andere Mittel suchen.

Der Rückgriff der herrschenden Klasse auf Unterdrückung und Gewalt ist kein Ausdruck von Stärke oder Vertrauen, sondern Schwäche und Angst. Die Unternehmens- und Finanzaristokratie hat Angst – und das zu Recht –, denn die Folgen ihrer Politik schaffen die Vorrausetzungen für eine Revolution.

Soziale Ungleichheit und Krieg, die unvermeidlichen Folgen des Kapitalismus, sind mit Demokratie nicht vereinbar. Nur eins von beiden kann bestehen: Entweder Kapitalismus – oder Demokratie.

Die herrschende Klasse kontrolliert mächtige Instrumente, um ihre Interessen durchzusetzen, und die Ereignisse in Ferguson zeigen, dass sie bereit ist, diese einzusetzen. Aber die Arbeiterklasse ist stärker. Ihre Stärke ist jedoch von ihrer politischen Organisation und der Mobilisierung der gesamten Klasse als unabhängiger Kraft abhängig. Sie muss sich ihrer Ziele bewusst werden und sich mit einem sozialistischen Programm bewaffnen.

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