Die Verbrechen des Nationalsozialismus in Griechenland

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Vernichtungsterror gegen die Bevölkerung

Die Antwort der Nazis auf den Widerstand der griechischen Arbeiter war schrecklich. Sie verhängten ein blutiges Terrorregime, das an Grausamkeit den wütenden Vernichtungsaktionen in Sowjetrussland gleichkam. Im nationalsozialistischen Jargon hieß es, man müsse in Griechenland „Ordnung“ schaffen und gegen „Bandenbildung“, womit die Partisanen gemeint waren, hart „durchgreifen“. Hitler erklärte im September 1944: „Es gibt Gebiete, wie Griechenland, die sich überhaupt nicht allein in Ordnung halten können.“ (12)

Und so sah die „Ordnung“ aus: In Griechenland wurden insgesamt über 100 Dörfer zerstört und mindestens 30.000 unbewaffnete Menschen Opfer von Vergeltungsaktionen der Wehrmacht. Tausende Widerstandskämpfer starben in den mindestens 26 Geisel- und Gefangenenlagern auf griechischem Boden.

Das Mittel, die Bevölkerung kollektiv für Partisanenaktionen zu bestrafen, wurde erstmals im Mai 1941 auf Kreta angewandt, wo die Einwohner besonders mutig gegen die Besetzung der Insel kämpften.

Im Herbst 1941 führten die Besatzer eine Quote ein, die Militärbefehlshaber Speidel vor Ort offiziell bekannt gab: „Es werden in Zukunft für jeden ermordeten deutschen Soldaten 50 Griechen, für jeden verwundeten deutschen Soldaten 10 Griechen erschossen.“ In der Praxis wurde diese Vorgabe nicht immer befolgt; meist war die Quote 1:10, in anderen Fällen deutlich höher: Zum Beispiel betrug sie bei der Erschießung von 335 Griechen im Mai 1944 1:84. (13)

Diese Befehle der höchsten Militärs belegen, dass die Verbrechen der Wehrmacht keine situationsbedingte „Notwehr“ gegen die Partisanen darstellten, wie in der Nachkriegszeit lange behauptet wurde. Am 16. Dezember 1942 gaben Hitler und der Oberkommandeur der Wehrmacht Wilhelm Keitel im sogenannten „Bandenbefehl“ Anweisung zum Massenmord: „Wenn dieser Kampf gegen die Banden sowohl im Osten wie auf dem Balkan nicht mit den allerbrutalsten Mitteln geführt wird, so reichen in absehbarer Zeit die verfügbaren Mittel nicht mehr aus, um dieser Pest Herr zu werden. Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.“

Und weiter hieß es: „Kein in der Bandenbekämpfung eingesetzter Deutscher darf wegen seines Verhaltens im Kampf gegen die Banden und ihre Mitläufer disziplinarisch oder kriegsrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.“ An den letzten Satz hielten sich die deutschen Regierungen lange über das Kriegsende hinaus.

Bereits vor dem Befehl hatten deutsche Truppenführer ihre Soldaten angewiesen, „unter Beiseitelassung aller Formalien und unter bewusster Ausschaltung von besonderen Gerichten“ mit „äußerster Härte“ vorzugehen (Kurt Student, Inselkommandant Kretas) und „mit den schärfsten zur Verfügung stehenden Mitteln“ zurückzuschlagen. Mehrere Dörfer, „die nachweislich als Rückhalt für die Banden dienen“, sollten „niedergelegt“ werden (Wilhelm List, Wehrmachtsbefehlshaber Südost). (14)

Als Befehlshaber der deutschen Fallschirmjäger und Wehrmachtseinheiten, die am 20. Mai 1941 auf Kreta landeten, war Kurt Student für die ersten Massaker der Wehrmacht verantwortlich. Unter seinem Befehl zerstörten die Soldaten am 2. und 3. Juni die Dörfer Kondomari und Kandanos und erschossen über 200 männliche Einwohner.

Erschießung in Kondomari auf Kreta, 1941 [Bundesarchiv / Weixler, Franz Peter / CC-BY-SA]

Die NS-Gräuel in Griechenland, die zu den grausamsten Verbrechen der Nazis im nicht-slawischen Raum zählen, waren in Deutschland lange Zeit unbekannt (eine historische Karte mit eingezeichneten Massakern findet sich hier). Zu den brutalsten Massakern an hilflosen Dorfbewohnern gehörten:

● die Vernichtungskampagne in der Region Viannos auf Kreta, bei der um die 20 Dörfer dem Erdboden gleich gemacht und über 500 Einwohner getötet wurden. (14.–16. September 1943)

● das Massaker von Kommeno im nordgriechischen Epirus, bei dem die 12. Kompanie der 1. Gebirgsdivision 317 Menschen ermordete, darunter 172 Frauen, 97 Kinder unter 15 Jahre und 13 Säuglinge. (16. August 1943)

● das Massaker von Kalavryta auf der Halbinsel Peloponnes. Nachdem einige Wehrmachtssoldaten von der Widerstandsarmee ELAS gefangen genommen und anschließend getötet worden waren, befahl Divisionskommandeur Karl von Le Suire die „schärfste Form der Sühnemaßnahmen“ im „Unternehmen Kalavryta“ anzuwenden.

Beim Vorrücken auf die Stadt Kalavryta zerstörte die 117. Jägerdivision über fünfzig Dörfer, erschoss den Großteil der Bewohner und konfiszierte riesige Viehbestände. Nach der Ankunft in Kalavryta sperrten die Eindringlinge alle Frauen und Kinder unter 14 Jahren ins Schulgebäude, das sie anzündeten, während knapp 700 Männer auf einem nahegelegen Hügel erschossen wurden. Anschließend legten sie Feuer in der Ortschaft und im historischen Kloster bei Kalavryta. (13. Dezember 1943)

● das Massaker in Pyrgi bei Kozani, Nordgriechenland, wo 346 Männer, Frauen und Kinder erschossen oder lebendig in Scheunen und Dorfhäusern verbrannt wurden. (20. April 1944)

● das SS-Massaker in Distomo, Böotien. Dort starben 218 unbewaffnete Einwohner, vor allem Frauen, sowie 38 Kinder. (10. Juni 1944; am gleichen Tag ermordete die Waffen-SS im französischen Ort Oradour 642 Menschen.)

Gestützt auf Aussagen der wenigen Überlebenden beschrieb das Nachrichtenmagazin Der Spiegel 1997 dieses „Blutbad im Bergstädtchen“: „Männer wie Kinder wurden wahllos erschossen, Frauen vergewaltigt und niedergemetzelt, viele Soldaten schnitten ihnen die Brüste ab. Schwangere wurden aufgeschlitzt, manche Opfer bei lebendigem Leib mit dem Bajonett gemeuchelt. Anderen wurden Köpfe abgetrennt oder Augen ausgestochen.“ (15)

Im anschließenden deutschen „Gefechtsbericht“ wurden alle Opfer in die Kategorie „Bandenangehörige und Bandenverdächtige“ eingetragen.

Massaker in Distomo, 1944

● das Massaker von Chortiatis bei Thessaloniki, das kurz vor dem Abzug der Nazis stattfand. Das Jagdkommando Schubert sperrte einen Teil der Bewohner in ein Wohnhaus, den anderen in die Bäckerei. Die Soldaten schossen mit Maschinengewehren durch die Bäckereifenster, zündeten die Gebäude an und ließen ihre Opfer am lebendigen Leib verbrennen. Unter den 146 ermordeten Einwohnern waren 109 Frauen und Mädchen. (2. September 1944)

Obwohl es in der Wehrmacht einige Debatten über das taktische Vorgehen gab, setzte sich die brutale Strategie der Dorfmassaker durch, die auch die volle Sympathie der NS-Führung genoss. Hitler vertrat die „Auffassung, dass die Räson im aufsässigen Gebiet stets im umgekehrten Verhältnis zur Humanität der Methode stehe“ und man sich daher nur durchsetzen könne, „wenn man brutal durchgreife und alle europäischen Hemmungen abstreife“. (16)

Die Ermordung der griechischen Juden

Ein weiteres dunkles Kapitel der nationalsozialistischen Verbrechen ist die fast vollständige Ausmerzung der jüdischen Gemeinde Griechenlands. 80 bis 90 Prozent der insgesamt 70.000 griechischen Juden starben im Holocaust. In Thessaloniki, wo vor der Ankunft der Nazis mit etwa 45.000 die Mehrheit der Juden angesiedelt war, wurden fast alle nach Auschwitz deportiert und dort ermordet, nur fünf Prozent entkamen dem Tod. (17)

In Griechenland lebten vor allem sephardische Juden, die Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien geflohen waren, sowie einige Ashkenazi, die sich vor den Pogromen in Osteuropa und Russland in Sicherheit gebracht hatten. Ihre Stellung in der griechischen Gesellschaft war von Ausgrenzung geprägt. Abgestoßen vom Nationalismus und Antisemitismus organisierten sich viele Juden, vor allem die Arbeiter unter ihnen, in der sozialistischen Bewegung.

Wenige Tage nach der Besatzung Griechenlands traf der Einsatzstab des NS-Parteiideologen Alfred Rosenberg in Thessaloniki ein, der für die Erfassung und Beschlagnahmung des jüdischen Besitzes sowie den Raub von Kunst- und Kulturgütern zuständig war. Im Sommer 1942 begann dann Schritt für Schritt das Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung. Tausende jüdische Männer wurden für schwere Zwangsarbeit eingesetzt, bei der viele starben oder erkrankten. Die jüdische Gemeinde zahlte daraufhin für die Freilassung der Schwächsten unter ihnen eine Lösesumme von 150 Goldfranken pro Person an die Besatzer.

Die insgesamt 1,9 Milliarden Drachmen hatte der Berliner Jurist Max Merten von der Gemeinde erpresst. Er leitete von August 1942 bis 1944 die Abteilung „Verwaltung und Wirtschaft“ in Thessaloniki und organisierte zusammen mit Alois Brunner und Dieter Wisliceny die Verschleppung der Juden nach Auschwitz.

Brunner war einer der engsten Mitarbeiter von Adolf Eichmann bei der „Endlösung der Judenfrage“ und leitete ein SS-Sonderkommando für die Deportation der Juden aus mehreren Ländern. Am 6. Februar 1943 wurde Brunner mit SS-Hauptsturmführer Wisliceny nach Griechenland versetzt, wo letzterer das „Sonderkommando für jüdische Angelegenheiten“ übernahm.

Am Tag ihrer Ankunft führten sie vor Ort die Nürnberger Gesetze ein, die allen Menschen mit jüdischer Abstammung vorschrieben, den Judenstern zu tragen. Sie zwangen jüdische Unternehmen und Geschäfte zu schließen. Die Besatzer und ihre Kollaborateure bereicherten sich systematisch an der Beute. Schon Ende 1942 hatte der griechische Gebietsverwalter den jüdischen Friedhof zerstören lassen, ohne dass die Gräber vorher verlegt werden konnten. Die marmornen Grabsteine dienten den Bauarbeiten der Besatzer.

Ebenfalls im Februar musste die jüdische Bevölkerung in einer gesondertes Viertel sowie zwei Sammellager umziehen, damit der Abtransport in die Konzentrationslager zügig ablief.

SS-Mann schikaniert Juden in Thessaloniki. Originalbeschreibung des NS- Kriegsberichters: „Griechenland: In Übereinstimmung zwischen den deutschen und griechischen Stellen werden jetzt die Juden in Griechenland erfasst und einer nutzbringenden Arbeit zugeführt.“, Juli 1942 [Bundesarchiv, Bild 101I-168-0895-07A / Dick / CC-BY-SA]

Am 15. März 1943 rollten die ersten Deportationszüge mit 2.800 Menschen nach Auschwitz. Für die unerträgliche Zugfahrt in das Todeslager musste jeder bei der Deutschen Reichsbahn eine Fahrkarte kaufen.

In kürzester Zeit – bis August – wurden die westmakedonischen Gemeinden Thessaloniki (allein hier 45.000), Florina, Veria, Didymotixos, Souflios und Orestiada nach Auschwitz verschleppt. Die 4.200 Juden aus Ostmakedonien und Thrakien starben im Lager Treblinka.

Die meisten griechischen Ankömmlinge im Konzentrationslager wurden direkt in die Gaskammern delegiert. Die wenigen „Selektierten“ mussten Schwerstarbeiten verrichten, weil sie sich als sephardische Juden, die kein Jiddisch oder Deutsch sprachen, kaum verständigen konnten.

Nach dem Abzug der italienischen Truppen aus Griechenland im September 1943 setzten die Nationalsozialisten auch in deren Gebieten die Judenverfolgung fort: 3.000 Juden der Region Epirus kamen ins Vernichtungslager Auschwitz; die Gemeinde der epirotischen Hauptstadt Ioannina wurde in einer einzigen Nacht ausgelöscht. Von den Inseln Korfu, Rhodos, Kos und Chania (Kreta) deportierten die Nazis insgesamt über 3.500 Menschen auf überfüllten Schiffen Richtung Deutschland – das Schiff aus Chania wurde von einem britischen U-Boot versenkt. 1.300 Athener Juden wurden nach Auschwitz deportiert.

In Griechenland hatte die Haltung der Rabbiner und der Bevölkerung erheblichen Einfluss auf das Schicksal der jüdischen Mitbürger. Während der Großrabbiner von Thessaloniki, Zvi Koretz, alle Anweisungen der Besatzer befolgte und die reibungs- und widerstandslose Deportation der Juden durch sein kooperatives Verhalten ermöglichte, weigerte sich der Großrabbiner in Athen, den Nazis eine Liste der jüdischen Einwohner zu überreichen.

Stattdessen gab die jüdische Gemeinde den Partisanen finanzielle Unterstützung, die im Gegenzug viele Juden entweder in ihre Reihen aufnahmen oder in den befreiten, von Partisanen kontrollierten Berggebieten unterbrachten. Mindestens 650 Juden kämpften in der Widerstandsbewegung. Viele Einwohner in Südgriechenland retteten ihre jüdischen Mitbürger, insbesondere Kinder. So überlebten in Athen im Unterschied zu Thessaloniki über 50 Prozent der Juden.

Wird fortgesetzt

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Anmerkungen

12) Hagen Fleischer, „Deutsche ‚Ordnung‘ in Griechenland 1941-1944“ in: Loukia Droulia und Hagen Fleischer (Hg.), Von Lidice bis Kalavryta. Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Metropol: Berlin 1999, S. 151-212, hier: S. 151.

13) Ebd., S. 202-4.

14) Ebd., S. 154-6.

15) Manfred Ertel, „Blutbad im Bergstädtchen“, in: Der Spiegel 1/1998. In einer aktuellen deutschen Videodokumentation erzählt ein Überlebender des Massakers über das Grauen.

16) Fleischer, „Deutsche ‚Ordnung‘ in Griechenland“, S. 192.

17) Gavriela Etmektsoglou, „To Olokavtoma ton Ellinon Evraion“, in: Istoria tis Elladas tou 20ou aiona. B’ Pangosmios Polemos, Katochi, Antistasi 1940-1945 [„Der Holocaust der griechischen Juden“, in: Geschichte Griechenlands im 20. Jahrhundert: Zweiter Weltkrieg, Besatzung, Widerstand 1940-1945] Vivliorama: Athen 2007, S. 175-95, hier: 176. Die folgenden Fakten zum Judenmord in Griechenland wurden diesem Aufsatz entnommen.

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