Innenminister de Maizière will Asylrecht abschaffen

Am heutigen Dienstag treffen sich die Innenminister und am Mittwoch die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, um Maßnahmen gegen den Zustrom von Flüchtlingen zu treffen.

In den vergangenen Tagen war es zu heftigen Konflikten zwischen einzelnen europäischen Regierungen gekommen. Innereuropäische Grenzübergänge wurden geschlossen, Flüchtlinge hin- und hergeschoben und mit Stacheldraht und Tränengas abgewehrt. Nun bereitet die EU die weitgehende Abschottung ihrer Außengrenzen vor. Das geht aus der Debatte in Deutschland hervor, wo in jüngster Zeit die meisten Flüchtlinge ankamen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärt in einem Interview in der aktuellen Ausgabe des Spiegels, welche Absichten er mit der Forderung nach einem einheitlichen europäischen Asylrecht und festen Flüchtlingskontingenten für alle EU-Mitglieder verbindet. Er will eine feste Obergrenze festlegen, jenseits der das Asylrecht nicht mehr gilt. Flüchtlinge sollen dann in Lagern in der Nähe ihrer Herkunftsländer festgehalten oder von den Kriegsschiffen, die im Mittelmeer Schlepperboote jagen, dorthin zurückgebracht werden.

„Wir können nicht alle Menschen aus Krisengebieten und alle Armutsflüchtlinge, die nach Europa und nach Deutschland möchten, aufnehmen“, sagt de Maizière. „Der richtige Weg wäre, dass wir uns in der EU zu festen großzügigen Kontingenten für die Aufnahme von Flüchtlingen verpflichten.“ Gleichzeitig würde deren Zahl begrenzt. So werde sichergestellt, „dass wir in Europa nur so viele Flüchtlinge aufnehmen, wie wir auf Dauer auch verkraften können“.

Wenn die festgelegten Kontingente ausgeschöpft seien, so de Maizière, müssten auch politisch Verfolgte „an einen sicheren Ort in Afrika“ zurückgeschickt werden. Man dürfe sie zwar nicht im Mittelmeer ertrinken lassen. Aber im Meer aufgegriffene Flüchtlinge müssten „an einen sicheren Ort außerhalb Europas und nicht innerhalb Europas gebracht werden. Sonst macht eine Kontingentlösung natürlich wenig Sinn.“

Auf den Einwand des Spiegels, dies widerspreche dem deutschen Asylrecht, das als individuelles Recht keine Kontingente vorsehe, entgegnet de Maizière, die Bundesregierung setze sich für „ein einheitliches europäisches Asylrecht“ ein, für das „wir einen Teil deutscher Souveränität aufgeben müssen“. Der Innenminister schlägt also vor, im Namen einer einheitlichen europäischen Regelung das Asylrecht abzuschaffen, das als Konsequenz aus den Verbrechen der Nazis im Grundgesetz verankert worden war.

De Maizière beschränkt seine Anstrengungen nicht auf die Abschaffung des Asylrechts. Er unternimmt auch alles, um Flüchtlinge abzuschrecken. Nachdem die Süddeutsche Zeitung bereits letzte Woche über einen Gesetzesentwurf des Innenministeriums berichtet hatte, der die Rechte von Asylbewerbern und die sozialen Leistungen für sie massiv einschränkt, liegt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nun ein neuer Entwurf vor, der mit den anderen Ministerien abgestimmt ist. Er geht noch weiter als die ursprüngliche Fassung.

Neben der Festlegung von Albanien, Kosovo und Mazedonien als „sichere Herkunftsländer“, der Verlängerung der Verweildauer in den gefängnisähnlichen Erstaufnahmelagern von drei auf sechs Monate und der Umwandlung von Geld- in Sachleistungen sieht er auch ein beschleunigtes Asylverfahren an der Grenze vor.

„Offensichtlich unbegründete Asylbegehren“ sollen dort in einem Schnellverfahren, das maximal drei Wochen dauert, abgewiesen werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) muss innerhalb von zwei Wochen über solche Fälle entscheiden, der Rechtsweg wird verkürzt. Um zu verhindern, dass Flüchtlinge, die in diese Kategorie fallen, trotzdem einreisen, sollen die Grenzen ständig kontrolliert und betroffene Flüchtlinge während der Dauer des Verfahrens inhaftiert werden.

Als „offensichtlich unbegründet“ gelten dabei auch alle Asylbegehren sogenannter Dublin-Fälle. Das sind Asylbewerber, die durch ein anderes EU-Land nach Deutschland gereist sind – d.h. praktisch alle, die in jüngster Zeit in Deutschland angekommen sind. Nach dem Dublin-Abkommen ist der Staat, in dem ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betritt, verpflichtet, ihn zu registrieren, das Asylverfahren durchzuführen und ihn gegebenenfalls aufzunehmen.

Das Dublin-Verfahren ist zwar unter dem Ansturm von Flüchtlingen in sich zusammengebrochen und lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen wieder einführen. Doch de Maizière benutzt es, um andere Länder unter Druck zu setzen. Im Spiegel-Interview beharrt er darauf, „dass das Dublin-System gilt, solange es in Europa keine Mehrheit für andere Regeln gibt“.

Er schlägt außerdem „eine europäische Lösung bei der Frage des Zugangs, der Verteilung und bei der Frage des Sozialstandards“ vor. Die Leistungen für Flüchtlinge in Deutschland sollen sich in Zukunft also nicht mehr nach den hiesigen Lebenshaltungskosten, sondern nach den Standards ärmerer europäischer Staaten richten. Die Gewährung des bloßen Existenzminimums wird vom Innenminister und zahlreichen anderen Regierungspolitikern als „Anreiz“ denunziert, der Flüchtlinge nach Deutschland locke.

De Maizière ist wegen seiner harten Haltung gegenüber Flüchtlingen wiederholt kritisiert worden. Angesichts der Welle der Sympathie, die den Flüchtlingen aus der Bevölkerung entgegenschlägt, bemühen sich die Medien, einen Gegensatz zwischen ihm und der Bundeskanzlerin zu konstruieren. So zeigt das Titelblatt des Spiegels Angela Merkel als Mutter Teresa, der, wie es im Leitartikel zynisch heißt, „vor lauter Barmherzigkeit der Sinn für Realität abhandengekommen“ sei.

Tatsächlich stehen die Kanzlerin, der Koalitionspartner SPD und auch die parlamentarische Opposition hinter de Maizière. „Wer richtig hingehört hatte“, bemerkt ein Kommentar der F.A.Z. korrekt, konnte „schon immer registrieren, dass Merkel nichts anderes gesagt hatte als de Maizière – wenn auch nur in weniger populären Nebensätzen“.

Auch der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat de Maizières Vorschlag kritisiert, Asylbewerber nach Ausschöpfung der Kontingente zurückzuweisen. Gleichzeitig wies er aber Rücktrittsforderungen an de Maizière aus den Reihen der SPD als „Quatsch“ zurück und heizte selbst die Stimmung gegen Flüchtlinge an. In einem Interview mit der Bild-Zeitung erklärte Gabriel, Deutschland könne nicht allen Menschen eine Heimat bieten. „Wer aus Ländern kommt, in denen es weder Krieg noch Verfolgung gibt, muss unser Land wieder verlassen“, forderte er.

Bei einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder im Kanzleramt am 15. September drängten neben dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) vor allem sozialdemokratische Länderchefs wie Hannelore Kraft (NRW) und Olaf Scholz (Hamburg) auf eine raschere Abschiebung abgelehnter Aylbewerber.

Die SPD-Politiker hätten, berichtet Die Welt, „alle politische Korrektheit fahren“ lassen. Scholz habe gefordert, an dem Tag, an dem ein Asylantrag abgelehnt wird, alle Sozialleistungen sofort einzustellen. Ein namentlich nicht genannter SPD-Ministerpräsident habe geschimpft, „die Balkanesen“ müssten abgeschoben werden. Und Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern) habe Merkel aufgefordert, sie möge „öffentlich zum Ausdruck bringen“, dass es auch Flüchtlinge „ohne Bleibeperspektive“ gebe.

Ins selbe Horn stößt die Linkspartei. Bereits im Juli hatte der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) im Spiegel gesagt: „Nirgendwo auf der Welt gibt es unbegrenzt Kapazitäten. Und es ist keine Option, unbegrenzt die Flüchtlingsströme laufen zu lassen.“

Einen Monat später erklärte der Bundestagsfraktionsvorsitzende Gregor Gysi im ZDF, die Linke wisse, dass „die Menschheit der Welt nicht in Deutschland Platz hat“. Und „offene Grenzen“ – eine Forderung des Parteiprogramms – bedeute ja nicht, dass alle bleiben dürfen. Insbesondere Balkanflüchtlinge seien nicht politisch verfolgt. „Wir haben immer gesagt, wir nehmen nur Menschen in Not auf.“

Anstatt Arbeiter, Arbeitslose, Arme und Flüchtlinge im Kampf gegen die Angriffe der Regierung zu vereinen, bemühen sich sowohl die SPD wie Die Linke, sie gegeneinander auszuspielen, und gießen damit Wasser auf die Mühlen rechter Ausländerfeinde. Der Flügel der Linkspartei um Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht tut sich dabei besonders hervor.

Wagenknecht warnte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, es müsse verhindert werden, dass Flüchtlinge als Lohndrücker eingesetzt werden. „Diese Ängste gibt es ja, und sie sind nicht unberechtigt.“ Lafontaine forderte die Bundesregierung auf, sicherzustellen „dass die Zuwanderung nicht dazu missbraucht wird, eine neue Runde der Lohndrückerei in Deutschland zu eröffnen“. Auch die Zeitung Junge Welt hat Flüchtlinge erst kürzlich als „Lohndrücker“ beschimpft.

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