Kita-Tarifstreit: Stimmt mit NEIN!

Die jüngste Vereinbarung im Kita-Tarifstreit muss entschieden zurückgewiesen werden. Nachdem die Mitglieder den Schlichterspruch vom Juni 2015 mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hatten, legen die Gewerkschaften nun praktisch dasselbe Ergebnis erneut zur Abstimmung vor. Die Urabstimmung läuft vom 7. bis 28. Oktober.

Die neue Vereinbarung ist nicht nur ein Hohn auf die Forderung nach angemessener Bezahlung der Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst, sie unterwirft sie auch einer fünfjährigen Friedenspflicht, die bis Ende Juni 2020 dauert. Es handelt sich um einen Knebelvertrag, der die niedrigen Löhne auf Jahre hinaus festschreibt.

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden bei steigenden Lebenshaltungskosten mit Peanuts von dreißig bis achtzig Euro abgespeist oder gehen ganz leer aus. Auch von den jungen Erzieherinnen, die angeblich etwas mehr erhalten sollen, bekommen sechzig Prozent keinen Zuwachs, weil sie (oft gegen ihren Willen) in Teilzeit arbeiten.

Ein NEIN bei der Urabstimmung reicht aber nicht aus, um den Ausverkauf der Gewerkschaften zurückzuweisen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst vor politischen Aufgaben stehen.

Egal wie oft sie das Ergebnis zurückweisen, die können die Gewerkschaften nicht zum Kämpfen zwingen. Diese werden so lange ein schlechtes Ergebnis zur Abstimmung vorlegen, bis die Betroffenen mürbe sind. Oder sie werden sich einfach über das Votum der Mitglieder hinwegsetzen, wie sie das bereits in der Vergangenheit getan haben. Das fällt ihnen umso leichter, als die undemokratischen Regeln der Gewerkschaften für die Annahme des Ergebnisses lediglich eine Zustimmung von 25 Prozent verlangen, während für einen Arbeitskampf 75 Prozent notwendig sind.

Verdi, die GEW und der dbb (Deutscher Beamtenbund) hatten von Anfang an nicht die Absicht, für eine Besserstellung der Erzieherinnen, Sozialarbeiter, Behindertenhelfer und Kinderpflegerinnen zu kämpfen, die trotz ständig steigender Anforderungen miserabel bezahlt werden. Obwohl im April über neunzig Prozent der Mitglieder für Streik stimmten und in der Bevölkerung viel Unterstützung fanden, führten die Gewerkschaften den Streik auf Sparflamme und nutzten ihn, um symbolischen Dampf abzulassen.

Von insgesamt rund 240.000 Beschäftigten riefen sie nur etwa 40.000 zum Streik auf. Die privaten und kirchlichen Einrichtungen schlossen sie von vorneherein vom Arbeitskampf aus. Und als der Streik im Mai dennoch an Fahrt gewann, würgten sie ihn mit der Schlichtung ab und verhinderten so eine Solidarisierung mit den ebenfalls streikenden Postlern, Telekom- und Postbank-Mitarbeitern, Verkäuferinnen, Lokführern und dem Krankenhauspersonal der Berliner Charité.

Trotz aller Manöver und Tricks der Gewerkschaften lehnten schließlich 70 Prozent der Mitglieder den Schlichterspruch ab, – nur um jetzt praktisch denselben miesen Knebelvertrag erneut vor die Nase gesetzt zu bekommen. Wie der Präsident Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) Thomas Böhle (SPD) offen zugab, wurden die einzigen Veränderungen „im Wesentlichen durch Verschiebungen innerhalb der Entgeltgruppen vorgenommen“.

Der Grund für diese Boykott-Haltung der Gewerkschaften liegt in ihrem Charakter und ihrer politischen Perspektive. Sie vertreten nicht die Interessen der Beschäftigten, sondern die der Arbeitgeber, und sie verteidigen das kapitalistische Profitsystem, das weltweit Milliarden Menschen ins Elend treibt und auf der Ausplünderung der großen Mehrheit durch eine winzige Minderheit beruht.

Das gilt nicht nur für Verdi, die GEW und den dbb, sondern für alle Gewerkschaften in Deutschland und international. In der deutschen Metall- und Stahlindustrie gibt es keine Entlassung, die nicht die Unterschrift der IG Metall und ihrer Betriebsräte trägt. Die IG Metall hat die Stilllegung ganzer Betriebe, wie Opel Bochum, organisiert. Bei VW hat der Betriebsrat bereits vor dem jüngsten Skandal ein eigenes Sparprogramm über fünf Milliarden Euro vorgelegt.

Auch im öffentlichen Dienst sind die Gewerkschaften durch ein dichtes Netzwerk mit den Arbeitgebern verflochten. Sie bewegen sich in denselben Kreisen, pflegen denselben Lebensstil, genießen dieselben Privilegien und wechseln nahtlos von der einen Seite auf die andere und wieder zurück. So war Frank Bsirske als Personaldezernent der Stadt Hannover für den Abbau von tausend Stellen verantwortlich, bevor er an die Spitze von Verdi wechselte. Als Gewerkschaftsboss verdient er nun, dank eines zweistelligen Monatsgehalts und zahlreicher Aufsichtsratsmandate, über eine halbe Million Euro im Jahr.

Das Problem sind aber nicht nur Bsirske und einige korrupte Spitzenfunktionäre. Der gesamte Gewerkschaftsapparat steht hinter ihnen. Bevor Bsirske in Hannover den zweiten Ausverkauf vereinbarte, stärkten ihm die tausend Delegierten des Verdi-Bundeskongresses den Rücken, indem sie ihn mit 88,5 Prozent für weitere vier Jahre zum Vorsitzenden wählten. Auch die Bundestarifkommission hat mit großer Mehrheit die neue Tarifvereinbarung unterstützt.

Die Gewerkschaften sind entschlossen, das kapitalistische Profitsystem gegen jede Bewegung von unten zu verteidigen. Konnten sie ihre Politik der Sozialpartnerschaft in der Nachkriegszeit noch mit besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen verbinden, ist das mit der Globalisierung seit den 1980er Jahren zunehmend unmöglich geworden. Sie sehen ihre Aufgabe – ganz wie die Wirtschaftsverbände und die Regierung – darin, den „Standort Deutschland“ durch die Senkung der Löhne und der öffentlichen Ausgaben zu verteidigen und die unersättlichen Forderungen der Finanzaristokratie zu erfüllen. Sie sind zu einer Art Betriebspolizei geworden.

Die Funktionäre der Gewerkschaften sind Mitglieder derselben Parteien, die die Schuldenbremse eingeführt und die Kommunen leergeblutet haben – der SPD, der CDU/CSU, der Grünen und der Linkspartei. Sie sind Mitglieder derselben Parteien, die für die Agenda 2010 verantwortlich sind, die mit hunderten Milliarden Euro kriminelle Banken „gerettet“ haben, die Griechenland ein verheerendes Spardiktat aufzwingen und die darauf hinarbeiten, dass Deutschland in der Weltpolitik, auch militärisch, wieder eine führende Rolle spielt.

Sie erklären den Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst, es sei kein Geld da. Tatsächlich sollen sie die Zeche für die kriminellen Machenschaften der Banken, die Bereicherung der Finanzelite und die Wiederkehr des deutschen Militarismus zahlen.

Ihren Gipfel erreicht diese Demagogie, wenn nun auch noch die gestiegenen Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen als Grund für den schlechten Abschluss angeführt werden. Das ist ein Versuch, die Schwächsten der Gesellschaft zum Sündenbock zu machen. Die Asylsuchenden, die gegenwärtig nach Deutschland strömen, sind Opfer von Kriegen, die die USA, die Nato und die Bundesregierung seit Jahren systematisch geschürt und geführt haben.

Dieselben Flüchtlinge dienen auch dazu, im Namen der „Bekämpfung der Fluchtursachen“ Milliardensummen für die Aufrüstung der Bundeswehr auszugeben – für neue Kampfpanzer, ein neues Raketensystem, ein neues Kriegsschiff, Hubschrauber, Kampfdrohnen und U-Boote.

Die Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst können ihre Rechte und Löhne nur verteidigen, wenn sie mit den Gewerkschaften brechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen. Die Ablehnung der neuen Vereinbarung muss zum Ausgangspunkt gemacht werden, diese Arbeit zu beginnen.

Das erfordert eine neue politische Perspektive und den Aufbau einer Partei, die die Interessen der Arbeiter vertritt. Angesichts der tiefen Krise des Weltkapitalismus, der überall Krieg, soziale Ungleichheit und unsagbares Elend hervorruft, kann dies nur eine sozialistische Partei sein, die sich für die Reorganisation der Gesellschaft aufgrund der vorhandenen Bedürfnisse, statt der Profitansprüche des Kapitals, und für die internationale Einheit der Arbeiter einsetzt; eine Partei, die sich auf die Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung stützt und die Lehren aus der Degeneration der Sozialdemokratie und des Stalinismus gezogen hat.

Auf dieses Ziel hin arbeiten die World Socialist Web Site und die Partei für Soziale Gleichheit (PSG), die der Vierten Internationale angehört. Wir laden die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen ein, Kontakt mit der PSG aufzunehmen, um zu diskutieren, wie der Kampf weiter geführt werden kann.

Loading